Vorsichtig setzt Dr. Chris Roe einer 20-jährigen blonden Frau ein Paar auffallend flauschige Kopfhörer auf den Kopf. Mit aller Sorgfalt schneidet er einen Tischtennisball in zwei Teile und klebt jede der Hälften über eines ihrer Augen. Dann schaltet er eine rote Lampe ein, die die Frau in ein unheimliches Licht einhüllt und verlässt den Raum.

Nach einem kurzen Augenblick füllt ein leises Brummen das Labor und die Frau beginnt zu schmunzeln während Bilder ferner Orte vor ihrem geistigen Auge erscheinen. Sie sagt sie nehme eine Gruppe von Bäumen und einen plätschernder Bach mit Felsbrocken wahr. Auf einem der Flusssteine steht ihr Freund Jack. Er winkt ihr zu und lacht. Sie beginnt Dr. Roe die Umgebung zu beschreiben.

Einen Kilometer entfernt steht ihr Freund Jack in der Tat auf einem Stein in einem Bach. Irgendwie ist es der Frau möglich gewesen Jack mit ihrem geistigen Auge zu „sehen“, wenn auch die gesamte konventionelle Wissenschaft und der gesunde Menschenverstand das für unmöglich halten. Ist dies lediglich ein wunderlicher Zufall? Oder könnte dies beweisen, dass jeder von uns übernatürliche Kräfte besitzt, ähnlich jener, die durch Filme wie Minority Report popularisiert wurden?

Genau das untersucht Dr. Roe. Als Parapsychologe an der Universität von Northampton versucht er herauszufinden, ob es möglich ist das eigene „geistige Auge“ auf einen entfernten Ort zu richten und zu beobachten, was dort vor sich geht, auch wenn dieser Ort hunderte von Kilometern entfernt ist.

Die Untersuchungen sind zwar noch nicht abgeschlossen, die bisherigen Ergebnisse sind jedoch verblüffend. Seine vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass bis zu 85% der Menschen hellseherische Fähigkeiten besitzen – die Fähigkeit, die Umgebung ferner Orte geistig wahrzunehmen. Dr. Roe ist davon überzeugt, dass jeder seine hellseherischen Fähigkeiten durch ein Mindestmaß an Übung schärfen kann. „Unsere Resultate sind bemerkenswert“, sagt Dr. Roe. „Sie lassen vermuten, dass Fernwahrnehmung etwas ist, das ernst genommen werden sollte”.

Es wäre leicht Behauptungen solcher Art für lächerlich zu befinden, wenn nicht eine zunehmende Anzahl von Wissenschaftlern sie durchaus ernst nehmen würde.

Obwohl Dr. Roes Arbeit kontrovers ist, erhält er Unterstützung von angesehnen Wissenschaftlern, etwa durch Professor Brian Josephson, einem Physiker und Nobelpreisträger der Cambridge Universität, der sagt: „Die Experimente sind so entworfen worden, dass Glück und Zufall ausgeschlossen sind. Ich halte die Beweislage für Fernwahrnehmung für sehr eindeutig.“

Auch das Militär äußerte bereits starkes Interesse. Das amerikanische Verteidigungsministerium nimmt das Phänomen immerhin so ernst, dass es mit eigenen Nachforschungen begonnen hat.

Durch den „Freedom of Information Act“ (Gesetz zur Wahrung des Rechts auf Auskunft) erst kürzlich freigegebene Dokumente geben ausführliche Auskunft über eine Reihe von Experimenten über übersinnliche Phänomene.

Bedauerlicherweise sind die genauen Einzelheiten der Experimente und deren Ergebnisse noch immer unter Verschluss. Das „Federal Ministry of Defence“ (das amerikanische Verteidigungsministerium) weigert sich darüber hinaus Auskunft über deren Erfolg oder Misserfolg zu geben - mit der Begründung, dass die Herausgabe solcher Einzelheiten die Sicherheit der Nation gefährden würde. Allein die Existenz solcher Akten legt jedoch nahe, dass das Militär die Möglichkeit der Existenz übernatürlicher Phänomene für möglich hält.

Tatsächlich basiert ein Großteil der wissenschaftlichen Kenntnisse über Fernwahrnehmung auf kürzlich freigegebenen militärischen Forschungen, die während des Kalten Krieges in den Vereinigten Staaten durchgeführt wurden.

Während der 60er und 70er Jahre wurde das militärische Establishment von Paranoia gepackt. Mysteriöse Gerüchte machten die Runde, dass es den Russen gelungen war übernatürliche Kräfte zu kontrollieren und dass sie damit begonnen hatten diese als Waffe einzusetzen.

Übernatürliche Fähigkeiten, wie Telekinese – die Fähigkeit Objekte zu bewegen oder Maschinen zu kontrollieren, lediglich durch die Kraft des eigenen Geistes – wurden angeblich Soldaten in den sowjetischen Elite-Kampfeinheiten beigebracht. Darüber hinaus sollen sie Fernwahrnehmung eingesetzt haben, um Aufklärung über streng geheime amerikanische Militärbasen zu erhalten.

Die Amerikaner glaubten, sollten sich die Gerüchte als wahr entpuppen, dass die Russen ihre bestgehüteten Geheimnisse entdecken und sogar den Verstand ihrer Generäle kontrollieren könnten.

Demnach begann das US Militär in den frühren 70ern mit eigenen streng geheimen Forschungen, um die Lücke der „übernatürlichen Aufklärung“ gegenüber den Russen zu schließen. Die CIA schloss sich ihnen später in einer Reihe von geheimen Forschungsprojekten an, die passend harmlose Namen wie Sun Streak, Grill Flame oder Star Gate bekamen. Sie sollten die begabtesten Hellseher in den USA ausfindig machen und die Geheimnisse ihrer übernatürlichen Kräfte enträtseln, um sie dann gewöhnlichen Soldaten und Agenten beizubringen.

Ziel war die Erschaffung eines neuen „Supersoldaten” mit der Fähigkeit Materie allein durch den Geist zu kontrollieren und Aufklärung von weiter Entfernung durchzuführen. Einige Militärs wollten sogar noch weiter gehen.

Die amerikanische Marine wollte ihren nuklearen U-Booten mittels Telepathie streng vertrauliche Befehle übermitteln, die selbst mit den fortschrittlichsten feindlichen Abhörgeräten nicht abgefangen werden könnten.

Generalmajor General Albert N. Stubblebine, kommandierender Offizier des Aufklärungs- und Sicherheitskommandos der US Armee, vermutete, dass Soldaten eines Tages sogar dazu in der Lage sein würden “durch Wände zu gehen” und mithilfe ihrer übernatürlichen Kräfte physische Grenzen durchschreiten könnten.

Forscher von der Princeton Universität an der Einstein einst lehrte, sowie Wissenschaftler der Stanford Universität konzentrierten sich rasch auf das Erforschen von Fernwahrnehmung und waren schnell verantwortlich für mehr als ein Dutzend von „psychischen Spionen“, deren Fähigkeiten einmal sogar Präsident Carter demonstriert wurden: Die Hellseher benutzen eine trügerisch einfache Methode, bekannt als die Ganzfeldtechnik, um tief in feindliches Territorium zu sehen. Dabei leiteten sie einen veränderten Bewusstseinszustand herbei, indem sie sich in einen schalldichten Raum setzten und Kopfhörer trugen, aus denen weißes Rauschen klang. Augenbinden verhinderten ihnen die Sicht und der ganze Raum wurde in gedämpftes rotes Licht getaucht.

Die Koordinaten des Zielortes wurden auf einem Stück Papier notiert, in einen Umschlag gesteckt und dem Seher übergeben. Ihm war es gestattet den Umschlag zu berühren, jedoch nicht zu öffnen. Alternativ wurden auch Bilder des Zielortes im Umschlag verschlossen. Die Fernwahrnehmer würden als nächstes in ein leichte meditative Trance versetzt und ihr „geistiges Auge“ auf den Zielort richten. Bilder, Gefühle und Eindrücke des Ortes, der Tausende von Meilen entfernt sein konnte, würden dann in ihrem Geist erscheinen.

Für einen Außenstehenden kann durchaus der Eindruck entstehen, als seien diese Anstrengungen ohne Aussicht auf Erfolg mit höchstens unklaren Resultaten. Die Wissenschaftler fanden jedoch heraus, dass sie überraschend präzise waren und der militärischen Aufklärung einen kleinen, aber bedeutenden Vorteil gegenüber ihren Feinden des Kalten Krieges verschafften.

Joe McMoneagle war einer solcher übernatürlichen Spione. Als “Fernwahrnehmer Nr. 1“, hatte er die Aufgabe seine Fähigkeiten einzusetzen, um in russische Militärbasen zu spähen und Informationen zu sammeln. McMoneagle wurde vom US amerikanischen Militär im Vietnam rekrutiert, aufgrund seiner Fähigkeit während Aufklärungsmissionen hinter feindlichen Linien entgegen aller Wahrscheinlichkeiten zu überleben.

Seine kommandierenden Offiziere glaubten er habe entweder außerordentliches Glück, übernatürliche Fähigkeiten oder sei ein Doppelagent. Nach seiner Heimkehr wurden seine Fernwahrnehmungsfähigkeiten in Stanford getestet und bestätigt. Die nächsten 20 Jahre verbrachte er damit russische nukleare Sprengköpfe aufzuspüren und Aufklärung zu betreiben. Durch seine Arbeit verdiente er sich letztendlich den Legion of Merit, Amerikas höchste militärische Nicht-Gefechts Medaille.

„Meine Trefferquote lag bei rund 28 Prozent“, sagt McMoneagle. „Das mag sich nicht nach viel anhören, wir kümmerten uns jedoch um die hoffnungslosen Fälle. Unsere Informationen wurden dann mit jeder verfügbaren Geheimdienstinformation verglichen, um ein Gesamtbild zu erschaffen. Wir sollten uns als ziemlich nützliche Spione erweisen.“

Die amerikanischen Experimente erlangten schnelle Bekanntheit in England, das Militär dort war zwar skeptisch, die Polizei sah in ihnen jedoch eine verlockende Möglichkeit. Könnten übersinnliche Fähigkeiten dazu beitragen Verbrechen aufzuklären?

Die Antwort auf diese Frage sollten sie bald erhalten, als eine Frau namens Nella Jones ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Sie behauptete, dass sie dabei helfen könnte den Verbleib eines unbezahlbaren Vermeer Gemäldes mit Namen „Der Gitarrenspieler“ aufzuspüren, das 1974 aus dem Kenwood House in Nordlondon gestohlen wurde.

Nella erzählte der Polizei, dass sie grade Wäsche bügelte und nebenbei Fernsehen guckte, als sich ihr Verstand plötzlich auf den Verbleib des Gemäldes fokussierte. In aller Eile fertigte sie eine Skizze an, die sie zur Polizei brachte. Dort war man verständlicherweise skeptisch. Da man jedoch keine anderen Anhaltspunkte hatte, folgte die Polizei dem Hinweis. Mit Hilfe der Informationen der Frau konnte das Gemälde letztendlich im St Bartholomew Friedhof vergraben wieder gefunden werden.

Es wäre natürlich wieder sehr einfach die „Orientierungshilfe“ der Frau für die Polizei lediglich als glücklichen Zufall abzutun – wenn sie nicht die folgenden 20 Jahre damit verbracht hätte der Polizei zu helfen Mordfälle und andere ernste Verbrechen aufzuklären.

„Nella leistete unschätzbare Unterstützung bei der Aufklärung zahlreicher Morde”, so Kriminaloberinspektor Arnie Cooke. Sie war so nützlich, dass Scotland Yard ihr im Jahr 1993 öffentlich dankte und die Beamten ein Abendessen zu ihrer Ehre veranstalteten. Scotland Yard schrieb ihr später: „Einige Polizeibeamte waren vielleicht skeptisch gegenüber Ihren Fähigkeiten ... es ist jedoch eine Auszeichnung Ihrer Fähigkeiten, dass die Polizei Sie von Zeit zu Zeit immer wieder um Rat bittet.“

Solche Anekdoten sind sehr schön zu lesen, es gibt aber auch statistische Beweise, die handfest beweisen, dass übersinnliche Fähigkeiten ein nützliches Hilfsmittel für Vollzugsbehörden und das Militär sind.

1995 beauftragte das amerikanische Repräsentantenhaus zwei unabhängige Wissenschaftler damit zu prüfen, ob die 20 Millionen Dollar, die die Regierung für übersinnliche Forschungen ausgab, irgendetwas von Verwertbarem produziert hatten. Die Ergebnisse erwiesen sich als etwas unerwartet.

Professor Jessica Utts, eine Statistikerin von der Universität Kalifornien fand heraus, dass Fernwahrnehmer in 34 Prozent aller Fälle richtig lagen, eine Zahl, die weit über dem liegt, was zufälliges Raten hervorbringen würde. „Wenn man die Normen benutzt, die auch für jedes andere wissenschaftliche Themenfeld angewendet werden, muss man zu dem Schluss kommen, dass bestimmte übersinnliche Phänomene, wie Fernwahrnehmung, sehr real sind“, so Utts. „Die Ergebnisse sind nicht aufgrund von Zufall oder Fehlern in den Experimenten zurückzuführen.“

Natürlich lassen sich skeptische Wissenschaftler damit trotzdem nicht zu überzeugen. Professor Richard Wiseman, ein Psychologe der Universität Hertfordshire lehnt es ab an Fernwahrnehmung zu glauben. Er sagt: „Ich stimme zu, dass nach den Normen jedes anderen wissenschaftlichen Themenfeldes Fernwahrnehmung bewiesen ist. Es stellt sich jedoch die Frage: Brauchen wir höhere Standards von Beweisen, wenn wir das Übernatürliche erforschen? Ich glaube schon. Wenn ich behaupten würde, dass sich ein rotes Auto außerhalb meines Hauses befinden würde, würden sie mir mit Sicherheit glauben. Wenn ich Ihnen jedoch sagen würde, dass dort soeben ein UFO gelandet ist, würden sie wahrscheinlich mehr Beweise dafür wollen. Da Fernwahrnehmung eine solch sonderbare Behauptung ist, die die Welt revolutionieren würde, benötigen wir überwältigende Beweise, bevor wir irgendwelche Schlüsse ziehen. Im Augenblick haben wir solche Beweise nicht.“

Sobald zurück an der Universität von Northampton, hofft Dr. Chris Row einen solchen Beweis auf irgendeine Art und Weise liefern zu können. Nächsten Monat wird er eine Reihe von Experimenten starten, die gründlicher sind, als alle bis jetzt in Angriff genommenen. Sie werden die Möglichkeit von Glückstreffern und unbewusste Vorurteile aller Beteiligten ausschließen. Und als ob das noch nicht genug wäre, hat er danach vor mit Forschungen über ein noch absonderlicheres Thema zu beginnen: ob es möglich ist, durch die Zeit hinweg fernwahrzunehmen.

In anderen Worten, er möchte untersuchen, ob es einem Fernwahrnehmer nicht nur möglich ist, entfernt gelegene Orte zu beobachten, sondern auch, ob er sehen kann, was an diesem Ort zu einer vorgegebenen Zeit geschehen wird. „Zeit scheint kein Hindernis für Fernwahrnehmung darzustellen”, behauptet Dr. Roe sachlich.

Gewiss wird nur die Zeit zeigen, ob er einer bösen Täuschung aufgesessen ist, oder einen flüchtigen Blick in eine sehr faszinierende Zukunft erhascht hat.