Literatur
Menschen Wissenschaft Politik Mystery Kriminalfälle Spiritualität Verschwörungen Technologie Ufologie Natur Umfragen Unterhaltung
weitere Rubriken
PhilosophieTräumeOrteEsoterikLiteraturAstronomieHelpdeskGruppenGamingFilmeMusikClashVerbesserungenAllmysteryEnglish
Diskussions-Übersichten
BesuchtTeilgenommenAlleNeueGeschlossenLesenswertSchlüsselwörter
Schiebe oft benutzte Tabs in die Navigationsleiste (zurücksetzen).

Gedichte aus aller Welt

798 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Literatur, Gedichte, Lyrik ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Gedichte aus aller Welt

17.11.2012 um 22:16

Das Hexlein

Und woni uffem Schnidstuehl sitz
für Basseltang, und Liechtspöh schnitz,
se chunnt e Hexli wohlgimuet,
und frogt no frei: "Haut's Messer guet?"

Und seit mer frei no Guete Tag!
und woni lueg, und woni sag:
"'s chönnt besser go, und Große Dank! "
se wird mer's Herz uf eimol chrank.

Und uf, und furt enanderno,
und woni lueg, isch's nümme do,
und woni rüef: "Du Hexli he!",
se git's mer scho kei Antwort meh.

Und sieder schmeckt mer 's Esse nit;
stell umme, was de hesch und witt,
und wenn en anders schlofe cha,
se höri alli Stunde schlah.

Und was i schaff, das grotet nit,
und alli Schritt und alli Tritt,
se chunnt mim Sinn das Hexli für,
und was i schwetz, isch hinterfür.

's isch wohr, es het e Gsichtli gha,
's verluegt si en Engel dra,
und 's seit mit so 'me freie Muet,
so lieb und süß: "Haut's Messer guet?"

Und leider hani's gehört und gseh,
und sellemols und nümmemeh.
Dört isch's an Hag und Hurst vorbei,
und witers über Stock und Stei.

Wer spöchtet mer mi Hexli us,
wer zeigt mer siner Mutter Hus?
I lauf no, was i laufe cha,
wer weiß, se triffi's doch no a!

I lauf no alli Dörfer us,
i suech und frog vo Hus zu Hus
und würd mer nit mei Hexli chund,
se würdi ebe nümme gsund.


Das Hexlein

Wie ich so auf dem Schneidstuhl sitz,
zum Zeitvertreibe Lichtspän' schnitz,
da geht ein Hexlein frohgemut
vorbei und fragt: »Haut 's Messer gut?«

Und lächelt freundlich Guten Tag,
und wie ich schau und wie ich sag:
»'s könnt bessergehn und Großen Dank«,
da wird das Herz mir plötzlich krank.

Ich hintendrein und auf und fort;
ich such es durch den ganzen Ort,
und wie ich ruf: »Du Hexlein, hör!«,
da gibt es keine Antwort mehr.

Und seither schmeckt mir 's Essen nicht;
stell auf das köstlichste Gericht.
Wenn abends alles schläft schon lang,
hör ich der Uhren Stundenklang.

Und was ich schaff, gerät mir nit;
bei jedem Schritt und jedem Tritt
kommt mir das liebe Hexlein vor,
ich rede wie der reinste Tor.

Ihr Angesicht war lieb und fein,
ein Engel könnt' nicht schöner sein.
Es sagt mit einem freien Mut,
so lieb und süß: »Haut 's Messer gut?«

Nur einmal hab ich es gehört,
und dennoch hat es mich betört.
Ich seh an Hag und Busch den Rock,
und schon ist's über Stein und Stock.

Wer späht mir nun mein Hexlein aus?
Wer zeigt mir seiner Mutter Haus?
Ich gehe, was ich gehen kann;
wer weiß, so treff ich's doch noch an!

Ich wandre alle Dörfer aus;
ich such und frag von Haus zu Haus;
und wird mir nicht mein Hexlein kund,
so werd ich eben nimmer g'sund.

(Johann Peter Hebel, Alemannische Gedichte)



Anzeige
melden

Gedichte aus aller Welt

17.11.2012 um 22:18

Zu Aachen im alten Dome

Zu Aachen, im alten Dome, liegt
Carolus Magnus begraben.
(Man muß ihn nicht verwechseln mit Karl
Mayer, der lebt in Schwaben.)

Ich möchte nicht tot und begraben sein
Als Kaiser zu Aachen im Dome;
Weit lieber lebt ich als kleinster Poet
Zu Stukkert am Neckarstrome.

Zu Aachen langweilen sich auf der Straß
Die Hunde, sie flehn untertänig:
Gib uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wird
Vielleicht uns zerstreuen ein wenig.

Heinrich Heine




melden

Gedichte aus aller Welt

18.11.2012 um 15:51

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland


Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«


So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«

So klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.


Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«


So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.



Theodor Fontane




melden

Gedichte aus aller Welt

18.11.2012 um 15:55

Der Schatzgräber

Arm am Beutel, krank am Herzen,
Schleppt' ich meine langen Tage.
Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das höchste Gut!
Und zu enden meine Schmerzen,
Ging ich, einen Schatz zu graben.
"Meine Seele sollst du haben!"
Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und so zog ich Kreis' um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze
Auf dem angezeigten Platze:
Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von Weitem,
Und es kam, gleich einem Sterne,
Hinten aus der fernsten Ferne,
Eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten.
Heller ward's mit einem Male
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.

Holde Augen sah ich blinken
Unter dichtem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelsglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken;
Und ich dacht': Es kann der Knabe
Mit der schönen, lichten Gabe
Wahrlich nicht der Böse sein.

"Trinke Mut des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst mit ängstlicher Beschwörung
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens!
Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort."


Johann Wolfgang von Goethe




melden

Gedichte aus aller Welt

18.11.2012 um 19:38

Schweizerlied

Uf'm Bergli
Bin i gsässe,
Ha de Vögle
Zugeschaut;
Hänt gesunge,
Hänt gesprunge,
Hänt's Nästli
Gebaut.

In ä Garte
Bin i gstande,
Ha de Imbli
Zugeschaut;
Hänt gebrummet,
Hänt gesummet,
Hänt Zelli
Gebaut.

Uf d'Wiese
Bin i gange,
Lugt'i Summer-
Vögle a;
Hänt gesoge,
Hänt gepfloge,
Gar z'schön hänt's
Getan.

Und da kummt nu
Der Hansel,
Und da zeig i
Em froh,
Wie sie's mache,
Und mer lache
Und mache's
Au so.

Johann Wolfgang von Goethe




melden

Gedichte aus aller Welt

18.11.2012 um 19:39

Ick sitze da und esse Klops.

Ick sitze da und esse Klops.
Uff eenmal kloppt's.
Ick sitze, kieke, wundre mir,
uff eenmal is se uff de Tür.
Nanu denk ick, ick denk nanu!
Jetzt is se uff erst war sie zu.
Und ick geh raus und kieke.
Und wer steht draußen?
Icke.




melden

Gedichte aus aller Welt

19.11.2012 um 17:34

Untreu

Dein Lächeln weint in meiner Brust
Die glutverbissnen Lippen eisen
Im Atem wittert Laubwelk!
Dein Blick versargt
Und
Hastet polternd Worte drauf.
Vergessen
Bröckeln nach die Hände!
Frei
Buhlt dein Kleidsaum
Schlenkrig
Drüber rüber!

August Stramm




melden

Gedichte aus aller Welt

19.11.2012 um 17:38

Der Taucher

"Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,
Zu tauchen in diesen Schlund?
Einen goldnen Becher werf ich hinab,
Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Wer mir den Becher kann wieder zeigen,
Er mag ihn behalten, er ist sein eigen."

Der König spricht es und wirft von der Höh
Der Klippe, die schroff und steil
Hinaushängt in die unendliche See,
Den Becher in der Charybde Geheul.
"Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
Zu tauchen in diese Tiefe nieder?"

Und die Ritter, die Knappen um ihn her
Vernehmen's und schweigen still,
Sehen hinab in das wilde Meer,
Und keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum drittenmal wieder fraget:
"Ist keiner, der sich hinunter waget?"

Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor,
Und ein Edelknecht, sanft und keck,
Tritt aus der Knappen zagendem Chor,
Und den Gürtel wirft er, den Mantel weg,
Und alle die Männer umher und Frauen
Auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen.

Und wie er tritt an des Felsen Hang
Und blickt in den Schlund hinab,
Die Wasser, die sie hinunterschlang,
Die Charybde jetzt brüllend wiedergab,
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzen sie schäumend dem finstern Schosse.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Flut auf Flut sich ohn Ende drängt,
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,
Und schwarz aus dem weissen Schaum
Klafft hinunter ein gähnender Spalt,
Grundlos, als ging's in den Höllenraum,
Und reissend sieht man die brandenden Wogen
Hinab in den strudelnden Trichter gezogen.

Jetzt schnell, eh die Brandung wiederkehrt,
Der Jüngling sich Gott befiehlt,
Und - ein Schrei des Entsetzens wird rings gehört,
Und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült,
Und geheimnisvoll über dem kühnen Schwimmer
Schliesst sich der Rachen, er zeigt sich nimmer.

Und stille wird's über dem Wasserschlund,
In der Tiefe nur brauset es hohl,
Und bebend hört man von Mund zu Mund:
"Hochherziger Jüngling, fahre wohl!"
Und hohler und hohler hört man's heulen,
Und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen.

Und wärfst du die Krone selber hinein
Uns sprächst: Wer mir bringet die Kron,
Er soll sie tragen und König sein -
Mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn.
Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
Das erzählt keine lebende glückliche Seele.

Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel gefasst,
Schoss jäh in die Tiefe hinab,
Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast,
Hervor aus dem alles verschlingenden Grab.-
Und heller und heller, wie Sturmes Sausen,
Hört man's näher und immer näher brausen.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Well auf Well sich ohn Ende drängt,
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzt es brüllend dem finstern Schosse.

Und sieh! aus dem finster flutenden Schoss,
Da hebet sich's schwanenweiss,
Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloss,
Und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiss,
Und er ist's, und hoch in seiner Linken
Schwingt er den Becher mit freudigem Winken.

Und atmete lang und atmete tief
Und begrüsste das himmlische Licht.
Mit Frohlocken es einer dem andern rief:
"Er lebt! Er ist da! Es behielt ihn nicht!
Aus dem Grab, aus der strudelnden Wasserhöhle
Hat der Brave gerettet die lebende Seele."

Und er kommt, es umringt ihn die jubelnde Schar,
Zu des Königs Füssen er sinkt,
Den Becher reicht er ihm kniend dar,
Und der König der lieblichen Tochter winkt,
Die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum Rande,
Und der Jüngling sich also zum König wandte:

"Lange lebe der König! Es freue sich,
Wer da atmet im rosigen Licht!
Da unten aber ist's fürchterlich,
Und der Mensch versuche die Götter nicht
Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
Was sie gnädig bedeckten mit Nacht und Grauen.

Es riss mich hinunter blitzesschnell -
Da stürzt mir aus felsigtem Schacht
Wildflutend entgegen ein reissender Quell:
Mich packte des Doppelstroms wütende Macht,
Und wie einen Kreisel mit schwindendelm Drehen
Trieb mich's um, ich konnte nicht widerstehen.

Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief
In der höchsten schrecklichen Not,
Aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
Das erfasst ich behend und entrann dem Tod -
Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen,
Sonst wär er ins Bodenlose gefallen.

Denn unter mir lag's noch, bergetief,
In purpurner Finsternis da,
Und ob's hier dem Ohre gleich ewig schlief,
Das Auge mit Schaudern hinuntersah,
Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen
Sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen.

Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch,
Zu scheusslichen Klumpen geballt,
Der stachligte Roche, der Klippenfisch,
Des Hammers greuliche Ungestalt,
Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.

Und da hing ich und war's mit Grausen bewusst
Von der menschlichen Hilfe so weit,
Unter Larven die einzige fühlende Brust,
Allein in der grässlichen Einsamkeit,
Tief unter dem Schall der menschlichen Rede
Bei den Ungeheuern der traurigen Öde.

Und schaudernd dacht ich's, da kroch's heran,
Regte hundert Gelenke zugleich,
Will schnappen nach mir - in des Schreckens Wahn
Lass ich los der Koralle umklammerten Zweig;
Gleich fasst mich der Strudel mit rasendem Toben,
Doch es war mir zum Heil, er riss mich nach oben."

Der König darob sich verwundert schier
Und spricht: "Der Becher ist dein,
Und diesen Ring noch bestimm ich dir,
Geschmückt mit dem köstlichsten Edelgestein,
Versuchst du's noch einmal und bringst mir Kunde,
Was du sahst auf des Meeres tiefunterstem Grunde."

Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
Und mit schmeichelndem Munde sie fleht:
"Lasst, Vater, genug sein das grausame Spiel!
Er hat Euch bestanden, was keiner besteht,
Und könnt Ihr des Herzens Gelüsten nicht zähmen,
So mögen die Ritter den Knappen beschämen."

Drauf der König greift nach dem Becher schnell,
In den Strudel ihn schleudert hinein:
"Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell,
So sollst du der trefflichste Ritter mir sein
Und sollst sie als Ehegemahl heut noch umarmen,
Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen."

Da ergreift's ihm die Seele mit Himmelsgewalt,
Und es blitzt aus den Augen ihm kühn,
Und er siehet erröten die schöne Gestalt
Und sieht sie erbleichen und sinken hin -
Da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu erwerben,
Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.

Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
Sie verkündigt der donnernde Schall -
Da bückt sich's hinunter mit liebendem Blick:
Es kommen, es kommen die Wasser all,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den Jüngling bringt keines wieder.

Schiller




melden

Gedichte aus aller Welt

20.11.2012 um 16:10

Menons Klagen um Diotima

Täglich geh ich heraus, und such ein Anderes immer,
Habe längst sie befragt, alle die Pfade des Lands;
Droben die kühlenden Höhn, die Schatten alle besuch ich,
Und die Quellen, hinauf irret der Geist und hinab,
Ruh erbittend; so flieht das getroffene Wild in die Wälder,
Wo es um Mittag sonst sicher im Dunkel geruht;
Aber nimmer erquickt sein grünes Lager das Herz ihm,
Jammernd und schlummerlos treibt es der Stachel umher.
Nicht die Wärme des Lichts und nicht die Kühle der Nacht hilft,
Und in Wogen des Stroms taucht es die Wunden umsonst.
Und wie ihm vergebens die Erd ihr fröhliches Heilkraut
Reicht, und das gärende Blut keiner der Zephire stillt,
So, ihr Lieben! auch mir, so will es scheinen, und niemand
Kann von der Stirne mir nehmen den traurigen Traum?

Ja! es frommet auch nicht, ihr Todesgötter! wenn einmal
Ihr ihn haltet, und fest habt den bezwungenen Mann,
Wenn ihr Bösen hinab in die schaurige Nacht ihn genommen,
Dann zu suchen, zu flehn, oder zu zürnen mit euch,
Oder geduldig auch wohl im furchtsamen Banne zu wohnen,
Und mit Lächeln von euch hören das nüchterne Lied.
Soll es sein, so vergiß dein Heil, und schlummere klanglos!
Aber doch quillt ein Laut hoffend im Busen dir auf,
Immer kannst du noch nicht, o meine Seele! noch kannst dus
Nicht gewohnen, und träumst mitten im eisernen Schlaf!
Festzeit hab ich nicht, doch möcht ich die Locke bekränzen;
Bin ich allein denn nicht? aber ein Freundliches muß
Fernher nahe mir sein, und lächeln muß ich und staunen,
Wie so selig doch auch mitten im Leide mir ist.

Licht der Liebe! scheinest du denn auch Toten, du goldnes!
Bilder aus hellerer Zeit, leuchtet ihr mir in die Nacht?
Liebliche Gärten, seid, ihr abendrötlichen Berge,
Seid willkommen und ihr, schweigende Pfade des Hains,
Zeugen himmlischen Glücks, und ihr, hochschauende Sterne,
Die mir damals so oft segnende Blicke gegönnt!
Euch, ihr Liebenden auch, ihr schönen Kinder des Maitags,
Stille Rosen und euch, Lilien, nenn ich noch oft!
Wohl gehn Frühlinge fort, ein Jahr verdrängt das andre,
Wechselnd und streitend, so tost droben vorüber die Zeit
Über sterblichem Haupt, doch nicht vor seligen Augen,
Und den Liebenden ist anderes Leben geschenkt.
Denn sie alle, die Tag und Jahre der Sterne, sie waren,
Diotima! um uns innig und ewig vereint;

Aber wir, zufrieden gesellt, wie die liebenden Schwäne,
Wenn sie ruhen am See, oder auf Wellen gewiegt,
Niedersehn in die Wasser, wo silberne Wolken sich spiegeln,
Und ätherisches Blau unter den Schiffenden wallt,
So auf Erden wandelten wir. Und drohte der Nord auch,
Er, der Liebenden Feind, klagenbereitend, und fiel
Von den Ästen das Laub, und flog im Winde der Regen,
Ruhig lächelten wir, fühlten den eigenen Gott
Unter trautem Gespräch, in Einem Seelengesange,
Ganz in Frieden mit uns und kindlich allein.
Aber das Haus ist öde mir nun, und sie haben mein Auge
Mir genommen, auch mich hab ich verloren mit ihr.
Darum irr ich umher, und wohl, wie die Schatten, so muß ich
Leben, und sinnlos dünkt lange das Übrige mir.

Feiern möcht ich; aber wofür? und singen mit Andern,
Aber so einsam fehlt jegliches Göttliche mir.
Dies ists, dies mein Gebrechen, ich weiß, es lähmet ein Fluch mir
Darum die Sehnen, und wirft, wo ich beginne, mich hin,
Daß ich fühllos sitze den Tag und stumm wie die Kinder,
Nur vom Auge mir kalt öfters die Träne noch schleicht,
Und die Pflanze des Felds und der Vögel Singen mich trüb macht,
Weil mit Freuden auch sie Boten des Himmlischen sind,
Aber mir in schaudernder Brust die beseelende Sonne,
Kühl und fruchtlos mir dämmert, wie Strahlen der Nacht,
Ach! und nichtig und leer, wie Gefängniswände, der Himmel
Eine beugende Last über dem Haupte mir hängt!

Sonst mir anders bekannt! o Jugend, und bringen Gebete
Dich nicht wieder, dich nie? führet kein Pfad mich zurück?
Soll es werden auch mir, wie den Götterlosen, die vormals
Glänzenden Auges doch auch saßen an seligem Tisch,
Aber übersättigt bald, die schwärmenden Gäste,
Nun verstummet, und nun, unter der Lüfte Gesang,
Unter blühender Erd entschlafen sind, bis dereinst sie
Eines Wunders Gewalt, sie, die Versunkenen, zwingt,
Wiederzukehren und neu auf grünendem Boden zu wandeln. -
Heiliger Othem durchströmt göttlich die lichte Gestalt,
Wenn das Fest sich beseelt, und Fluten der Liebe sich regen,
Und vom Himmel getränkt, rauscht der lebendige Strom,
Wenn es drunten ertönt, und ihre Schätze die Nacht zollt,
Und aus Bächen herauf glänzt das begrabene Gold. -

Aber o du, die schon am Scheideweg mir damals,
Da ich versank vor dir, tröstend ein Schöneres wies,
Du, die Großes zu sehen und froher die Götter zu singen,
Schweigend, wie sie, mich einst stillebegeisternd gelehrt,
Götterkind! erscheinst du mir, und grüßest, wie einst, mich,
Redest wieder, wie einst, höhere Dinge mir zu?
Siehe! weinen vor dir, und klagen muß ich, wenn schon noch
Denkend edlerer Zeit, dessen die Seele sich schämt.
Denn so lange, so lang auf matten Pfaden der Erde
Hab ich, deiner gewohnt, dich in der Irre gesucht,
Freudiger Schutzgeist! aber umsonst, und Jahre zerrannen,
Seit wir ahnend um uns glänzen die Abende sahn.

Dich nur, dich erhält dein Licht, o Heldin! im Lichte,
Und dein Dulden erhält liebend, o Gütige, dich;
Und nicht einmal bist du allein; Gespielen genug sind,
Wo du blühest und ruhst unter den Rosen des Jahrs;
Und der Vater, er selbst, durch sanftumatmende Musen
Sendet die zärtlichen Wiegengesänge dir zu.
Ja! noch ist sie ganz! noch schwebt vom Haupte zur Sohle,
Stillherwandelnd, wie sonst, mir die Athenerin vor.
Und wie, freundlicher Geist! von heitersinnender Stirne
Segnend und sicher dein Strahl unter die Sterblichen fällt,
So bezeugest du mirs, und sagst mirs, daß ich es andern
Wiedersage, denn auch andere glaubten es nicht,
Daß unsterblicher doch, denn Sorg und Zürnen, die Freude
Und ein goldener Tag täglich am Ende noch ist.

So will ich, ihr Himmlischen! denn auch danken, und endlich
Atmet aus leichter Brust wieder des Sängers Gebet.
Und wie, wenn ich mit ihr, auf sonniger Höhe mit ihr stand,
Spricht belebend ein Gott innen vom Tempel mich an.
Leben will ich denn auch! schon grünts! wie von heiliger Leier
Ruft es von silbernen Bergen Apollons voran!
Komm! es war wie ein Traum! Die blutenden Fittiche sind ja
Schon genesen, verjüngt leben die Hoffnungen all.
Großes zu finden, ist viel, ist viel noch übrig, und wer so
Liebte, gehet, er muß, gehet zu Göttern die Bahn.
Und geleitet ihr uns, ihr Weihestunden! ihr ernsten,
Jugendlichen! o bleibt, heilige Ahnungen, ihr
Fromme Bitten! und ihr Begeisterungen und all ihr
Guten Genien, die gerne bei Liebenden sind;
Bleibt so lange mit uns, bis wir auf gemeinsamem Boden
Dort, wo die Seligen all niederzukehren bereit,
Dort, wo die Adler sind, die Gestirne, die Boten des Vaters,
Dort, wo die Musen, woher Helden und Liebende sind,
Dort uns, oder auch hier, auf tauender Insel begegnen,
Wo die Unsrigen erst, blühend in Gärten gesellt,
Wo die Gesänge wahr, und länger die Frühlinge schön sind,
Und von neuem ein Jahr unserer Seele beginnt.


Friedrich Hölderlin




melden

Gedichte aus aller Welt

20.11.2012 um 16:15

Erscheinung

Die zwölfte Stunde war beim Klang der Becher
Und wüstem Treiben schon herangewacht,
Als ich hinaus mich stahl, ein müder Zecher.
Und um mich lag die kalte, finstre Nacht;
Ich hörte durch die Stille widerhallen
Den eignen Tritt und fernen Ruf der Wacht.
Wie aus den klangreich festerhellten Hallen
In Einsamkeit sich meine Schritte wandten,
Ward ich von seltsam trübem Mut befallen.
Und meinem Hause nah, dem wohlbekannten,
Gewahrt' ich, und ich stand versteinert fast,
Daß hinter meinen Fenstern Lichter brannten.
Ich prüfte zweifelnd eine lange Rast
Und fragte: macht es nur in mir der Wein?
Wie käm' zu dieser Stunde mir ein Gast?
Ich trat hinzu und konnte bei dem Schein
Im wohlverschloßnen Schloß den Schlüssel drehen
Und öffnete die Tür und trat hinein.
Und wie die Blicke nach dem Lichte spähen,
Da ward mir ein Gesicht gar schreckenreich -
Ich sah mich selbst an meinem Pulte stehen.
Ich rief: "Wer bist du, Spuk?" - er rief zugleich:
"Wer stört mich auf in später Geisterstunde?"
Und sah mich an und ward, wie ich, auch bleich.
Und unermeßlich wollte die Sekunde
Sich dehnen, da wir starrend wechselseitig
Uns ansahn, sprachberaubt mit offnem Munde.
Und aus beklommner Brust zuerst befreit' ich
Das schnelle Wort: "Du grause Truggestalt,
Entweiche, mache mir den Platz nicht streitig!"
Und er, als einer, über den Gewalt
Die Furcht nur hat, erzwingend sich ein leises
Und scheues Lächeln, sprach erwidernd: "Halt!
Ich bin's, du willst es sein; - um dieses Kreises,
Des wahnsinn-drohnden, Quadratur zu finden:
Bist du der rechte, wie du sagst, beweis' es;
Ins Wesenlose will ich dann verschwinden.
Du Spuk, wie du mich nennst, gehst du das ein,
Und willst auch du zu gleichem dich verbinden?"
Drauf ich entrüstet: "Ja, so soll es sein!
Es soll mein echtes Ich sich offenbaren,
Zu Nichts zerfließen dessen leerer Schein!"
Und er: "So laß uns, wer du seist, erfahren!"
Und ich: "Ein solcher bin ich, der getrachtet
Nur einzig nach dem Schönen, Guten, Wahren;
Der Opfer nie dem Götzendienst geschlachtet
Und nie gefrönt dem weltlich eitlen Brauch,
Verkannt, verhöhnt, der Schmerzen nie geachtet;
Der irrend zwar und träumend oft den Rauch
Für Flamme hielt, doch mutig beim Erwachen
Das Rechte nur verfocht: - bist du das auch?"
Und er, mit wildem, kreischend lautem Lachen:
"Der du dich rühmst zu sein, der bin ich nicht.
Gar anders ist's bestellt um meine Sachen.
Ich bin ein feiger, lügenhafter Wicht,
Ein Heuchler mir und andern, tief im Herzen
Nur Eigennutz und Trug im Angesicht.
Verkannter Edler du mit deinen Schmerzen,
Wer kennt sich nun? Wer gab das rechte Zeichen?
Wer soll, ich oder du, sein Selbst verscherzen?
Tritt her, so du es wagst, ich will dir weichen!"
Drauf mit Entsetzen ich zu jenem Graus:
"Du bist es, bleib und laß hinweg mich schleichen!" -
Und schlich, zu weinen, in die Nacht hinaus.


Adelbert von Chamisso




melden

Gedichte aus aller Welt

20.11.2012 um 16:17
Klage eines Mädchens zum Tode des Kriegers

Seit alten Zeiten
weint der Regen.
Und doch
ist die Träne jung,
jung der Tau.
Seit alten Zeiten
macht der Tod die Runde.
Und doch
ist deine Stille neu
und neu mein Schmerz.

- Pablo Antonio Cuadra - (Nicaragua)

Lamento de la doncella en la muerte de un guerrero

Desde tiempos antiguos
la lluvia llora.
Sin embargo,
joven es una lágrima,
joven es el rocío.
Desde tiempos antiguos
la muerte ronda.
Sin embargo,
Nuevo es tu silencio
y nuevo el dolor mío.


melden

Gedichte aus aller Welt

20.11.2012 um 16:17

Hans im Unglück

Hört zu! Es war einmal ein Mann,
der im Erfolg sich sonnte,
doch diesen, da er ständig dann
auf weitere Erfolge sann,
nie voll geniessen konnte.

Die Folge der Erfolge war,
dass er sein Glück verpasste
und deshalb mit der Zeit sogar
sich selbst, die Welt und offenbar
auch die Erfolge hasste.

Er schrieb hierauf ein dickes Buch
und gab drin zu verstehen,
Erfolge seien meist ein Fluch
und darum sei schon vom Versuch
a priori abzusehen.

Das Buch, trotz mässiger Kritik
im Süden und im Norden,
ist bei den Lesern bald publik
und als «SENSATION OF THE WEEK»
ein Welterfolg geworden.

Das Märchen fing von vorne an: -
Hört zu! Es war einmal ein Mann...


Friedolin Tschudi




melden

Gedichte aus aller Welt

20.11.2012 um 21:13

An deinen Brüsten die Stunden,
Die Stunden in deinen Armen
Sind zeitlos weit.
Ich kenne die Erde nicht mehr,
Wenn ich von dir wieder zur Erde gehe.

Die Straßen so seltsam,
Schwarz, nachtkühl in den Morgenstunden,
Schwülgelb der Laternenschein,
Die Straßen leer, und ich so allein,
Und doch gehen tausend Dinge
Neben mir her.
Meine Schritte klingen,
Und die Augen von tausend Dingen
Sehen nach mir.


Max Dauthendey




melden

Gedichte aus aller Welt

21.11.2012 um 17:35
Wie du solltest geküsset sein
Wenn ich dich küsse
ist es nicht nur dein Mund
nicht nur dein Nabel
nicht nur dein Schoß
den ich küsse
Ich küsse auch deine Fragen
und deine Wünsche
ich küsse dein Nachdenken
deine Zweifel
und deinen Mut
deine Liebe zu mir
und deine Freiheit von mir
deinen Fuß
der hergekommen ist
und der wieder fortgeht
ich küsse dich
wie du bist
und wie du sein wirst
morgen und später
und wenn meine Zeit vorbei ist

Erich Fried


melden

Gedichte aus aller Welt

21.11.2012 um 22:36

IF ...

If you can keep your head when all about you
Are loosing theirs and blaming it on you,
If you can trust yourself when all men doubt you
But make allowance for their doubting too;

If you can wait and not be tired by waiting,
Or, being lied about, don't deal in lies,
Or, being hated, don't give way to hating,
And yet don't look too good, nor talk too wise:

If you can dream -- and not make dreams your master;
If you can think -- and not make thoughts your aim;
If you can meet with Triumph and Disaster
And treat those two impostors as the same;

If you can bear to hear the truth you've spoken
Twisted by knaves to make a trap for fools,
Or watch the things you gave your life for, broken,
And stoop and build'em up with worn-out tools:

If you can make one heap of all your winnings
And risk it on one turn of pitch-and-toss,
And loose, and start again at your beginnings
And never breathe a word about your loss;

If you can force your heart and nerve and sinew
To serve your turn long after they are gone,
And so hold on when there is nothing in you
Except the will which says to them: "Hold on!"

If you can talk with crowds and keep your virtue,
Or walk with Kings -- nor loose the common touch,
If neither foes nor loving friends can hurt you,
If all men count worth you, but none too much;

If you can fill the unforgiving minute
With sixty seconds' worth of distance run,
Yours is the Earth and everything that's in it,
And -- which is more -- you'll be a man, my son!



WENN ...

Wenn du den Kopf bewahrst, ob rings die Massen
Ihn auch verlieren und nach Opfern schrein;
Dir treu sein kannst, wenn alle dich verlassen,
Und dennoch ihren Wankelmut verzeih'n;

Kannst warten du und langes Warten tragen,
Läßt dich mit Lügnern nie auf Lügen ein;
Kannst du dem Hasser deinen Haß versagen
Und doch dem Unrecht unversöhnlich sein:

Wenn du kannst träumen, doch kein Träumer werden;
Nachdenken -- und trotzdem kein Grübler sein;
Wenn dich Triumph und Sturz nicht mehr gefährden,
Weil beide du als Schwindler kennst, als Schein;

Kannst du die Wahrheit sehn, die du gesprochen,
Verdreht als Köder für den Pöbelhauf;
Siehst du als Greis dein Lebenswerk zerbrochen
Und baust mit letzter Kraft es wieder auf:

Wenn du auf eines Loses Wurf kannst wagen
Die Summe dessen, was du je gewannst,
Es ganz verlieren, und nicht darum klagen,
Nur wortlos ganz von vorn beginnen kannst;

Wenn du, ob Herz und Sehne längst erkaltet,
Sie noch zu deinem Dienst zu zwingen weißt
Und durchhältst, auch wenn nichts mehr in dir waltet
Als nur dein Wille, der "Durchhalten" heißt:

Kannst du zum Volke ohne Plumpheit sprechen,
Und im Verkehr mit Großen bleibst du schlicht;
Läßt du dich nicht von Freund noch Feind bestechen,
Schätzt du den Menschen, überschätzt ihn nicht;

Füllst jede unerbittliche Minute
Mit sechzig sinnvollen Sekunden an:
Dein ist die Erde dann mit allem Gute,
Und was noch mehr mein Sohn: Du bist ein Mann!


(Rudyard Kipling)




melden

Gedichte aus aller Welt

22.11.2012 um 09:13
Still doch! Es war ja der Wind nur,
Welcher dich fürchten gemacht.
Sieh, alle Dinge sind nur
Wandelnde Schatten der Nacht.

Aber das Auge erhellt sie
Mehr als die Sonne vermag,
Schenkt ihnen Leben und stellt sie
In den taumelnden Tag.

Alexander von Bernus


melden

Gedichte aus aller Welt

22.11.2012 um 14:49
Rosenknospe

In den Höhlen des Lebens
ruht der Tod.

Schweigend
keimt er.

Sprießt
wie eine Sonnenblume im Dunkeln.
Plötzlich öffnet er sich.

Tief im Innern des Lebens
ist der Tod
ganz und gar lebendig.

Thiago de Mello (Brasilien)

***


melden

Gedichte aus aller Welt

22.11.2012 um 21:08

Mignon

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.

Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.

Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut.
Kennst du ihn wohl?
Dahin! Dahin
Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!

Goethe




melden

Gedichte aus aller Welt

22.11.2012 um 21:09

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
sind Schlüssel aller Kreaturen,
wenn die, so singen oder küssen,
mehr als die Tiefgelehrten wissen,
wenn sich die Welt ins freie Leben
und in die Welt wird zurückbegeben,
wenn dann sich wieder Licht und Schatten
zu echter Klarheit werden gatten
und man in Märchen und Gedichten
erkennt die wahren Weltgeschichten,
dann fliegt vor einem geheimen Wort
das ganze verkehrte Wesen fort.

Novalis




melden

Gedichte aus aller Welt

22.11.2012 um 21:12

The Garden of Love

I went to the Garden of Love,
And I saw what I never had seen:
A Chapel was built in the midst,
Where I used to play on the green.

And the gates of this Chapel were shut,
And Thou shalt not. Writ over the door;
So I turn'd to the Garden of Love,
That so many sweet flowers bore.

And I saw it was filled with graves,
And tomb-stones where flowers should be:
And Priests in black gowns, were walking their rounds,
And binding with briars, my joys & desires.



Der Garten der Liebe

Ich ging in den Garten der Liebe
Und sah, was ich niemals geschaut:
Eine Kapelle war, wo im Grünen
Als Kind ich einst spielte, gebaut.

Und die Pforten waren verschlossen,
und Du sollst nicht stand über der Tür;
So wandte ich mich zum Garten
Und suchte nach Blumen wie früh’r.

Statt Blumen fand ich dort Gräber
Und Grabsteine um sie herum
Gingen Priester in Scharen in schwarzen Talaren,
Die spießten mit Stangen mein Glück und Verlangen.

William Blake




Anzeige

melden