(www.marx-forum.de/geschichte/deutschland/gewerk_hitler.html)

"Nun präsentierte ihr die Wirklichkeit in einem nie gekannten Ausmaß das Gegenteil. Produktion, Kreditwesen und Außenhandel brachen weitgehend zusammen. Das Sozialprodukt verringerte sich innerhalb von drei Jahren um 40 Prozent. Ein Drittel der lohnabhängig Beschäftigten wurde auf die Straße geworfen, ein weiteres Drittel mußte Kurzarbeit und andere ungesicherte Arbeitsverhältnisse in Kauf nehmen. Es war eine Spirale nach unten, in der die auf einen krisenfreien Kapitalismus gegründete Integrationsstrategie der Gewerkschaften wie ein Kartenhaus zusammenbrach.

Die Krise wurde durch die Deflationspolitik der Präsidialkabinette verschärft. Mit ihrem rigorosen Lohn- und Preisabbau und einer kompromißlosen Sanierung der öffentlichen Haushalte auf Kosten der Unterklassen setzten Brüning und Papen ausschließlich die Interessen der Wirtschaft durch, die sie gleichzeitig mit einer aggressiven Außenpolitik verbanden. In Gestalt von »Notverordnungen« praktizierten sie eine kompromißlose Umverteilung von unten nach oben: Die durch den Abzug der Auslandskredite geleerten Kapitalfonds sollten wieder aufgefüllt werden. Mit Hilfe der Lohn- und Preissenkungen wollte man den Außenhandel ankurbeln, statt wie andere Länder die Währung abzuwerten, denn eine »starke Reichsmark« verringerte gleichzeitig die Auslandsschulden. Darüber hinaus wurde die Massenverelendung als »Visitenkarte« benutzt, um endlich die Reparationsverpflichtungen loszuwerden.

Die Folge war ein katastrophaler arbeits- und sozialpolitischer Kahlschlag, der in der Zeit vom Juli 1930 bis September 1932 durch ein knappes Dutzend Notverordnungen durchgesetzt wurde und zur fast völligen Demontage des noch im Aufbau befindlichen sozialen Sicherungssystems führte. Die Beschäftigten mußten Reallohnkürzungen um zehn bis 15 Prozent und in Gestalt der Zwangsschlichtung die Beseitigung der Tarifautonomie hinnehmen. Noch härter traf es die Erwerbslosen, deren Bezüge schrittweise auf Fürsorgeniveau gesenkt wurden, denn die gleichzeitige Verkürzung der Bezugszeiten von ursprünglich 26 Wochen Arbeitslosenunterstützung auf zuletzt sechs Wochen im Juni 1932 brachte sie über den Zwischenschritt der Krisenfürsorge in den Status eines gedemütigten kommunalen Almosenempfängers. Darüber hinaus waren sie gemeinsam mit den noch Beschäftigten Opfer rigoroser Kürzungsmaßnahmen in der Krankenversicherung und in allen Sparten der Sozialrenten.

Am schlimmsten aber erging es allen jenen proletarischen Gesellschaftsgruppen, die nicht zum Kern der Arbeiterklasse gezählt wurden: den landwirtschaftlichen Saisonarbeitern, den verheirateten Arbeiterinnen, den Heimarbeitern und den Jugendlichen unter 21 Jahren. Sie alle hatten schon vor Beginn der Weltwirtschaftskrise keinen Anspruch auf Krisenfürsorge, die Vorstufe der heutigen Arbeitslosenhilfe. Zwischen Juli 1930 und Juni 1931 wurden sie alle in mehreren Schritten aus den sozialstaatlichen Auffangmechanismen ausgeschlossen. In dieser Hinsicht leistete das Brüning-Kabinett mit seiner Notverordnung vom 5. Juni 1931 ganze Arbeit und trug entscheidend zur weiteren sozialen Polarisierung des Proletariats bei."


"Die politischen Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Ein Teil der Desillusionierten wanderte ins kommunistische Lager ab, dessen Führungskader das politische Desaster durch eine mit irrealen Revolutionserwartungen begründete vorrangige Frontstellung gegen die freigewerkschaftlich-sozialdemokratische Arbeiterbewegung und die Unterschätzung der faschistischen Bedrohung noch zusätzlich verschärften. Vollends katastrophal aber wirkte sich die Abwanderung eines erheblichen Teils der jugendlichen Arbeitslosen in die völkisch-faschistischen Massenorganisationen aus. Hier wurde den am Ende einer Kette demoralisierender Gelegenheitsbeschäftigungen im sozialen Nichts Gelandeten ein neuer Habitus angeboten. Sie erhielten ein neues Zeitgefüge und erlebten in den Kampfbünden ein ritualisiertes Gemeinschaftsgefühl. Vor allem aber schien ihre aus den oft mehrjährigen sozialen Frustrationen gespeiste Aggressivität und Gewaltbereitschaft einen neuen sozialen Sinn zu erlangen. Da den Mitgliedern der Kampfbünde SA und NSBO eine extrem nationalistische und rassistische Haltung vermittelt wurde, konnte ihre Gewaltbereitschaft beliebig mobilisiert werden – auch und gerade gegen diejenigen Arbeiterorganisationen, die keinerlei Widerstand leisteten."

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