Wolkenbruch

Der Samstag ,war einer von den schönen Tagen.
Ich liebte Samstage und Sonntage.
Weil...nun ja,weil sie so fröhlich und ausgelassen waren.
Die Männer saßen schon frühmorgens,in ihren Lauben und da die meisten
Taubenväter waren und am Vortag ihre Tauben verschickt hatten,wußten sie sich, viel zu erzählen.
Mit ihren weißen Oberhemden sahen sie dann ganz fremd aus,anders als in der Woche,wenn sie arbeiteten.Ich sah sie ja oft ,wenn sie von der Zeche zurückkamen.Mit schwarzumrandeten Augen und ihrer Arbeitstasche unterm Arm,in dem sich ein kleiner Pegel(dem Mutterklötzchen),ganz fein gehackt ,als Anmachholz für den Kohleofen,befand,kamen sie von der Schicht,am morgen oder am Nachmittag.
Nun sassen sie zum Feierabend feingemacht,hinter dem Haus,tranken ihr Bier und spielten Skat.
Auch wir Kinder waren fein und noch sauber.Am Freitagabend schrubbte uns unsere Mutter,in einer großen Zinkwanne,ab. Ein Badezimmer hatten wir noch nicht. Dafür stand uns die Waschküche zur Verfügung,deren Eingang neben dem Keller, im Hof war.Es dampfte und roch nach Kräuterseife, Hier wurde in großen Kesseln, die Wäsche gewaschen und wenn die,von den Kumpels,in ihren kleinen Ställen gehaltenen Schweine, fett genug zum Schlachten waren,schrubbte der Metzger ihnen ,in der großen Wanne, auch die abgebrühten Borsten runter.So fühlten wir uns dann auch,rotgebrüht und blank.Wir saßen dann am Abendbrottisch und hatten großen Hunger. Unseren Haarschopf,hatte unsere Mutter uns seitlich, in der Höhe des Ponnis,mit einer Haarklammer festgeklemmt.
Das war zwar ordentlich ,sah aber auch ganz schön doof aus.Auch die Jungens blieben von diesem Vorgang nicht verschont und das war dann wiederum, ein Grund um, uns gegenseitig zu ärgern.Mit Gekicher und kleinen Fratzen,machten wir uns lustig,über unsere angeklatschten Frisuren.Mit dem Zeigefinger der rechten Hand, schoben wir unsere Nasen in die Höhe und mit dem Daumen und dem Zeigefinger der linken Hand,zogen wir beide Augenlider herunter.Das sah so schön bescheuert aus und wir hielten uns die Bäuche,vor lauter Lachen.Ab und zu gab`s dann einen Klabs hinter die Ohren,wenn wir dabei auffielen.Aber das machte uns nichts.Wir hatten ja unseren Spaß.
So waren wir also blank wie Boskopfäpfel.Lange blieben wir nämlich nicht sauber.Die Höfe,in unserer Zechenkolonie wurden damals, mit einer groben Asche aufgeschüttet.Sie wurde noch dampfend und heiß auf einem Lastwagen angefahren.Die große Kokerei war ja ganz in der Nähe unserer Kollonie.Mit der Asche wurden die großen und kleineren Kuhlen ,die der Regen immer wieder bildete,aufgefüllt und der Rest gleichmäßig auf dem ganzen Hof verteilt.
Mit der Zeit zerfielen die dicken Aschebrocken irgendwie von allein,unsere Kniee aber sahen oft sehr zerschunden aus. Der schwarze Dreck der Zeche klebte fest, in den blutigen Wunden,aber wir spuckten einfach drauf und das wars.Es heilte immer schnell ab,oder,wenn nicht,weil nochmal drauffielen.So hatten wir alle dicke Krusten auf unseren Knien und Schienbeinen.
Das war dann schmerzhaft,aber wir bewerteten unsere Wunden,nach der Dicke und Größe unserer Verletzungen.Auch hatten wir unternander eine unausgesprochene Abmachung.Geheult wurde nicht..
Ein Indianer kennt keinen Schmerz und eine Squaw, auch nicht.

Mit Ulli stieg ich oft, über eine Leiter, auf unseren Speicher,der über unserer Wohnung lag.Dort war der Taubenschlag .In vielen Käfigen,saßen Tauben und brüteten ihre Eier aus. In manchen ,waren aber auch schon kleine Täubchen,nackt waren sie,einige hatten schon einen leichten Flaum Federn.
Mit ihren kleinen schwarzen Knopfaugen ,schauten sie so lieb und auch hungrig drein.Ich liebte Tauben sehr.Mochte überhaupt nicht ,wenn in dem Ausguss unserer Küche oft, Taubenkörper ohne ihre kleinen Köpfe lagen.
Ullis Vater gab sie meiner Mutter,die daraus eine feine Suppe kochte.Es war ja nötig,das einige getötet wurden,da sonst kein Platz mehr in dem Taubenschlag gewesen wäre.
Ich war sehr stolz,wenn ich zusammen mit Ulli, die Tauben füttern durfte.
Aber Mutti schimpfte mit mir,weil sie Angst hatte ,das ich durch die Dachluke fallen könnte.Darum, stieg ich immer heimlich mit Ulli hinauf.
Am Abend ,fütterte sein Vater dieTauben selbst und wenn wir nach unserem Abendbrot satt und sauber in unseren Betten lagen,wartete ich schon immer auf dieses knartschende Geräusch,das die Wohnungstür,wo Ulli wohnte ,machte.Ich hörte dieTür wieder zuklappen,dann ein erstes astmatisches Husten,auf der ersten Stufe.Schlurfende Schritte auf der ersten Treppe .Weiter oben, stöhnen,,räuspern,
Wieder Husten, Schritte ,schlurfen.
Ein letztes asthmatisches Husten, vor unserer Wohnungstür.Nun rappelte die Leiter,die auf der Seite des Treppengeländers,auflag.Das schnackende Geräusch
erklang, wenn die Leiter an der Bodenluke einrastete.Nun knackende Tritte,die Luke öffnete sich kreischend.Husten.,Schlurfende Schritte........Stille....

Eine Blechdose schepperte und Ullis Vater, warf den Tauben ,die Körner,die er mit der Dose,aus einem
großen Eimer nahm,ausladend mit einem Ruck hin.Das tat er dreimal hinter einander.
Und da war es ,dieses einmalige Geräusch,das ich so liebte.
Als wenn hunderttausend Stecknadeln auf den Boden fielen.....
Wieder Stille.
Plock
Flügelschlagen,
vereinzeltes Gurren......
Plok......Plok....Plok, ganz sanft.
Doch dann immer stärker und stärker.Plok,Plok,Plok,Plok .
Wie ein Wolkenbruch ergoss sich dieses Geräusch, über den ganzen Dachboden.
Wie ein Regenguss ,in einem gewaltigen Sturm.
Ich lag in meinem Bett,stellte mir vor,wie es stürmte und alles klatschnass wurde.Ich lag ja trocken und sicher in meinem Bett und konnte von hier aus wieder von einem Abenteuer träumen.Von Sigurd, Akim und Prinz Eisenherz.In diesen kleinen schmalen Heftchen las ich damals und hatte schon einen kleinen Stapel davon.Wir tauschten auch untereinander diese kleinen Heftchen,das war für uns eine ziemlich spannende Sache.Wir warteten schon immer sehnsüchtig darauf, das ein neues Heft,im Umlauf war .
Nun horchte ich aber wieder den Geräuschen in unserem Hause zu,
die sich ja eigentlich,fast jeden Abend wiederholten.Erst das astmatische Husten, von Ullis Vater. Scharrende Schritte,knackende Tritte,kreischendes Schliessen, der Bodenluke.Die Leiter wurde mit Geklapper zurück, auf das Geländer gelegt. Geschnaufe,abwärts führende Schritte.Ein letztes Husten.
Die Wohnungstür fiel im untersten Geschoss, leise ins Schloss.

Mutti ,hörte ich schimpfend zu Papa, in der Küche sagen,"Ne,ne,morgen liegt wieder alles voller Federn auf der Treppe,wo ich doch heute erst alles geputzt habe".Die Tauben machen viel Dreck und ich muß ihn immer wegmachen.Ich glaub ich muß mal mit dem Jupp reden.

Nun wieder Stille....
Eine kleine Weile nur .
Denn nun ,ertönte das Lautenspiel unseres Nachbarn,zum Feierabend am Samstag, direkt unter uns und er sang,in seinem Bariton ,wunderschöne Lieder dazu.
Ich wartete auch darauf,mochte diese Lieder. Herr Beckmann spielte sehr gut.Wenn er Spanische Weisen spielte ,das hörte ich sooo gern.Mutti sagte dann oft",hör mal Papa,ist das nicht eine schöne Melodie,die unser Kammersänger da spielt". Sie sagte immer Kammersänger zu ihm.Ich wußte, das seine Laute über der Chaiselonge, in der Küche an der Wand hing.Bunte Bänder waren daran befestigt und das sah interessant aus.Am Fenster stand ein Radio und ein Grammophon.Darunter in einem Schränkchen waren viele Schellackplatten gestapelt.Samstags und Sonntagabends spielte Herr B. oft Lieder von Schumann und Mozart.Mimi sagte mir, die Namen der Komponisten und sie erzählte mir auch viel über Goethe und Schiller.Sie nahmen gerade Schillers Räuber durch und die Glocke,in der Schule.Spanische Weisen, aber auch einige Volksweisen liebte ich.Ich wünschte mir auch eine Laute oder Gitarre,leider war das aber eine teure Angelegenheit.Dafür bekam ich eine Mundharmonika.Mein erstes Lied was ich gut spielen konnte hieß,ich hat einen Kameraden.Die Gitarre bekam ich dann, als ich schon 35 Jahre alt war.Herr B. spielte auch Schlagermelodien,auf diesem Grammophon ab.
Ein Lied konnte ich nie aus dem Kopf bekommen,es hieß,Mein kleiner grüner Kaktus So gerne hörte ich diese Melodien und schlief dann friedlich darüber ein... .

Unsere Küche war am morgen, in der Früh immer gemütlich warm.
Papa heizte ,wenn er von der Nachtschicht zurück war ,sofort ein.Dazu nahm er den kleingehackten Pegel ,das Mutterklötzchen,den er von der Zeche mitgebracht hatte, aus seiner Arbeitstasche und zündete ein feines Feuer,in dem Kohlenherd.Dazu nahm er erst die Heizringe,mit einem langen Feuerhaken, aus der Herdplatte und legte altes Zeitungspapier hinein.Darüber ordnete er die dünnen Holzscheite spitz nach oben an.Größere Scheite legte er auch darüber. Ruck Zuck ging es und das Feuer loderte sofort auf. Papa ,der sich sich über den Herd beugte,sah dann so fremd aus.Der helle Feuerschein leuchtete in seinem Gesicht und ich sah dann das er noch ziemlich schwarz vom Kohlenstaub, um die Augen war.Für mich ,sah das Geheimnissvoll aus.Heute würde ich sagen Er sah aus wie ,Keith Richards von den Rollingstones.
Mutti kam dann auch dazu.Sie hatte gerade meine kleine Schwester gestillt und setzte Kaffeewasser auf.Es gab Mukkefuk und Schmalzbrote .Papa las dann seine Zeitung.Aber voher nahm er mich auf den Arm und sagte zu mir."
Na Marjellche,host gout jeschloufe.Wos best dou denn schoun off."
Aber das er das sagte,darauf hatte ich ja gewartet.Gähnte,rieb mir die Augen und sagte zu ihm,"
Papa,hast du wieder viele Kohlen geschaufelt."Papa lachte dann.
Jou Marjellche ganze Berrrge von Kouhlen."
Er schmierte mir auch ein Butterbrot mit Schmalz und streute mir Zucker darüber.Das hatten wir beide mal so eingeführt,als Papa sich mit dem Salztopf vertat.Das war als er sich ein kleines Radio gekauft hatte.Löwe Opta.
Er hatte sich aus Freude ,ein bischen zuviel Johannisbeerlikör eingeschenkt und sich mit Salz und Zucker vertan,als er mir dabei ein Butterbrot machte.Es war gerade Karnevalszeit und er freute sich so über dieses Radio.Ich weiß noch genau welche Schlager sie spielten.Komm doch bei Pappi aufs Schösschen und Nimm mich mit, Kapitän auf die Reise.Und ,wer soll das bezahlen.Gutgelaunt schunkelte er mit mir hin und her,das mir ganz schwindelig wurde.
Ich aß aus reiner Sympatie für Papa ,nun immer mein Schmalzbrot mit Zucker.Dazu gab`s Kamillentee oder Pfefferminztee.Den hatte Mutti selbst gesammelt und getrocknet.Manchmal gabs auch Hollunderbeersaft .Aber den tranken wir, wenn wir erkältet waren.Mir wurde immer so schwubbelig davon und heiss, schwitzte ganz doll. Mutti sagte dann zu uns,das wäre ja der Sinn der Sache.
Mimi die auch schon aufgestanden war ,stellte das Radio an.Sie nahm ihren Tornister und legte Ihre Hefte ordentlich hinein,nahm die Butterbrote,die Mutti ihr zurechtgelegt hatte, wickelte sie in Papier ein und meinte zu Mutti." Gestern hab ich meine Karros vergessen und hatte solch einen Hunger".Mimi sagte immer Karro oder Kniffte zu den Butterbroten.Das fand ich ulkig.Sie hatte auch viele andere Ausdrücke .
Knorke und Töffte,sagte sie,wenn sie etwas prima fand oder begeistert von etwas war...
Der Schulfunk hatte gerade begonnen.Mimi hatte noch etwas Zeit,bevor sie sich auf den Schulweg machte und hörte zu. Es wurden Geschichten erzählt und Kinderlieder vorgetragen.Ich hörte am liebsten, wenn sie alte Sagen erzählten .Von Siegfried und Hagen.Oder Märchen.Der Mann der die Sagen und Märchen erzählte, hatte eine gute Stimme.Das wäre ein berühmter Schauspieler,hatte Mimi gesagt Ich, hörte aber auch zu wenn sie von der weißen Rose erzählten,das waren Geschwister gewesen ,die man zum Todeverurteilt hatte.Das geschah im dritten Reich.
Oft, wenn mich etwas beschäftigte,was ich nicht verstand,sagte ich Worte oder ganze Sätze immer wieder vor mir her.
Drittes Reich, Drittes Reich,drittes Reich,hüpfte auf einem Bein, in der Küche herum und bekam deswegen eine schallende Ohrfeige von Mutti,weil ich nicht damit aufhören wollte.Ich will von diesem Deibel nuscht mehr hören,sagte sie zu mir ,ist alles schon schlimm genug.
So war mir immer mulmig zumute,wenn ich diese Dinge, aus der Zeit hörte ,die geschehen waren,als ich noch nicht geboren war.
Die Erwachsenen unterhielten sich so wenig wie möglich ,über diese schlimme Zeit.Wenn mal wieder jemand aus der Gefangenschaft,aus Russland heimgekehrt war und sie sich kannten,dann wurde aber viel erzählt.
Mutti weinte oft dabei und Papa hielt dann ihre Hände ganz fest.Manchmal weinten beide.Ich konnte das nicht vertragen,setzte mich dann ganz still unter den Küchentisch.Aber meine Ohren waren auf Hasenmaß geöffnet.Ich verstand einiges und ich blätterte viel in der Illustrierten,die meine Eltern damals aboniert hatten.
Später als ich auch lesen konnte,war dann der Aufstand, n Ungarn.Es waren viele schlimme Bilder darin.Und als ich dann öfter mal ins Kino ging,war da ja auch die Foxtönende Wochenschau.Ich reimte mir vieles zusammen.Fühlte die Angst der Erwachsenen,vor einem neuen Krieg.
Papa,war müde von der Nachtschicht, hatte sich nun hingelegt und ich kroch einfach zu ihm ins Bett.Er schnarrchte und pfiff ganz leise vor sich hin.Ich drückte meine Hand in seine Hand und dachte noch ein bischen über das Märchen nach,das ich gerade gehört hatte und schlief auch ein.
Irgendwann, schrie meine kleine Schwester und Mutti holte mich zu sich,in die Küche.Sie kleidete mich an und ich durfte hinaus auf unseren Hof.
Heiner wartete schon.....

Salamander fangen...
Auf der gegenüberliegenden Strassenseite,unseres Hauses befand sich ein alter Bauernhof,mit einigen Nebengebäuden.Ein kleiner Bach floß dort ganz flach und ruhig in seinem Bett.Dort wollte Heiner, Salamander fangen.Wir sanken bis zu den Waden in die schwarze Matsche ein.Heiner machte das nichts aus ,aber mir war`s nicht so geheuer.Ich rutschte ein paarmal aus,fiel auf den Po und sah schon ganz ramponiert aus.Ach, das wassen wir in der Wassküche wieder ab.Ssollst mal ssehen,was wir für grosse Ssalamander erwissen.Ich schaute wiedermal ganz gebannt auf Heiners Mund.Wenn er aufgeregt war ,lispelte er immer viel mehr als sonst..Er hatte eine kleine rostige Dose dabei und schob sie wieder und wieder in den Schlamm hinein.I,i,i,ich hab einen.Uuund noch einen.Er juchzte laut dabei.
Wir sprangen an den Rand des Baches und schauten uns die beiden kleinen schwarzen Dinger an.
Einer hatte einen gelben Rücken und der andere gelbe Punkte.Aber an unseren Beinen hingen plötzlich,
so schwarze Würmer.Ich schrie.Aber Heiner zog sie ab.
Er sagte ,"iss doch nich sslimm,ssind doch nur Blutegel."IiiH ,mach die bloß weg.Ich ekle mich vor denen."schrie ich.
Wir rannten schnell über die Strasse, zu unserem Hof und wollten in die Waschküche hinein.Aber die war abgeschlossen.
Oh,das wird Mutti aber nicht gefallen," meinte ich zu Heiner."
So war es dann auch .
Sie schrubbte mich ab und ein ganzes Masurenalphabeth ,begleitete mich ins Bett.
Wenn sie böse auf mich war nannte sie mich immer bei meinem vollen Vornamen
Dann wußte ich Bescheid.Für heute war Feierabend .Ich heulte ,denn mich sah ja niemand.Ich sagte leise schimpfend ."Doofer Heiner ."
Blöde Kacke.Blöde Salamander.Kackelacke...