Lento schrieb:Die lassen sich in Wirklichkeit nicht trennen.
Doch. Ich erkläre noch mal, worum es mir geht:
Selbstverständlich ist eine neuerliche Strafverfolgung für einen Freigesprochenenen eine Belastung. Darüber brauchen wir nicht weiter zu diskutieren, auch wenn das dein ständiges Herzensanliegen ist
Der Punkt ist nun, dass so eine Belastung aber hingenommen wird bei den Wiederaufnahmegründen des § 362 Nummern 1 bis 4. Liegen die dortigen Voraussetzungen vor, kann einer Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen staatfinden, Belastung für ihn hin oder her. Sprich: in diesen Fällen haben der Rechtsfrieden und der Schutz des Freigesprochenen Nachrang gegenüber einer neuerlichen Strafverfolgung. Ist allgemein akzeptiert.
Damit lässt sich schon mal grundsätzlich sagen, dass Art. 103 (3) GG eben kein absolutes Recht ist, das nie durchbrochen werden dürfte. So weit, so gut erst mal.
Nun stellte sich die Frage, was - im Vergleich zu den Nummern 1 bis 4 - an der Neuregelung des § 362 Nr. 5 so ganz anders soll, das DIESE Regelung eben nicht zu einer Durchbrechung der Rechtskraft führen kann, soll, darf. Man muss also die Nummern 1 bis 4 einerseits und die Nummer 5 andererseits vergleichen.
Bundesverfassungsgericht und OLG Celle sind sich darin einig, dass bei den Nummern 1 bis 3 eine Wiederaufnahme gerechtfertigt bzw. verfassungsgemäß ist, weil in diesen Fällen bisher gar kein rechtsstaatliches erstes Verfahren stattgefunden hat und daher per Wiederaufnahme nun ein solches erstes rechtsstaatliches Verfahren stattfinden muss, wie gesagt Belastung des Freigesprochenen dabei unerheblich.
Nicht einig sind sich beide Gerichte bei der Nummer 4 (Ablegung eines glaubwürdigen gerichtlichen oder außergerichtlichen Geständnisses).
Da sagt nun das Bundesverfassungsgericht, dass Nummer 4 als Wiederaufnahmegrund gerechtfertigt ist, weil der Freigesprochene ja quasi selber seinen Schutz aus 103 (3) GG aufgegeben hat. Man könnte es wohl auch volksnäher ausdrücken: Wer so dumm ist, nach einem rechtskräftigen Freispruch noch freiwillig zu gestehen, verdient keinen Schutz vor Mehrfachverfolgung.
Das Bundesverfassungsgericht sagt dann weiter: Damit ist aber die neue Nummer 5 nicht vergleichbar, weil in diesem Fall der Freigesprochene nicht selber auf seinen Schutz aus Art. 103 (3) GG verzichtet. Nummer 5 ist damit, anders als Nummer 4, nicht als Wiederaufnahmegrund zuzulassen.
Das OLG Celle argumentiert anders. Es sagt: Im Grunde genommen ist Nummer 4 (Geständnis nach rechtskräftigem Freispruch) nichts anderes als das Auftauchen neuer Beweismittel im Sinne von Nummer 5. Beide hätten womöglich, wären sie im ersten Verfahren schon bekannt gewesen, vielleicht zu einer anderen Entscheidung geführt, natürlich nach gründlicher Prüfung. Und wenn bei Nummer 4 das Geständnis im wiederaufgenommenen Verfahren geprüft werden kann und muss, wäre das so auch bei Nummer 5 der Fall. Zwischen Nummer 4 und Nummer 5 ist also systematisch im Grunde kein Unterschied. Und wenn Nummer 4 ein legaler Wiederaufnahmegrund ist, muss das auch für Nummer 5 gelten.
Das sind, grob gefasst, die letztlich entscheidenden Sichtweisen, und ich finde, man kann mit guten Gründen sowohl das eine vertreten wie das andere.