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Mordfall Charlotte Böhringer

28.473 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, München, 2006 ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Mordfall Charlotte Böhringer

Mordfall Charlotte Böhringer

31.08.2013 um 09:38
@DerGreif
Vielen Dank für die Ergänzung! Ich denke, so ist es klarer und es erspart uns, zumindest bei den dauerhaften Schreibern, falsche Interpretationen.
Zitat von pfiffipfiffi schrieb:yep. Auch (leichte) Legasthenie erlaubt einem nicht, Blödsinn zu schreiben. Werde mich bemühen, den Duden noch griffbereiter zu haben. ;-)
Schreib doch einfach gleich zugestehen. Ich find´s zwar grundsätzlich gut, wenn auch in nem Forum auf ne gewisse Rechtschreibung und Stilistik geachtet wird, aber Du musst da nicht als Gegengewicht gegen die Dauerkleinschreiber-und-Absatzverweigerer-Fraktion dienen. :)
Ganz gut argumentiert. Das Problem - als Non-Jurist sage ich das mal so - bei der Polizeiarbeit scheint mir folgendes: Wenn bei einem, sagenwirmalso, etwas 'scharfem Verhör' Widersprüche bei einem nachher Beschuldigten auftauchen, dann ist das meistens ja nicht ohne Grund geschehen. Meistens verweist das ja wirklich auf vorhandene Schuld. Meistens liegen die Ermittler da ja ganz richtig.
Stimmt nicht. In der Beschuldigtenvernehmung sind Widersprüche sogar gar nicht selten. Aus völlig unterschiedlichen Gründen - das kann ganz normale Nervosität sein, das kann Verbergen wollen von Dingen des persönlichen Lebensbereiches sein und und und.

Das berücksichtigt ein Vernehmer da durchaus. Bei Bence ist da ziemlich viel zusammengekommen, was sich damit nur sehr unzureichend erklären lässt. Es KANN zwar trotzdem so sein, aber "komisch" ist das alle Male.
Zitat von pfiffipfiffi schrieb: Der hat ja... (fatalster Verhörfehler: Das Nicht-Erkennen des Phänomens "falsches Geständnis". Man kann es sich, als ichsagdasjetztmalso "normaler" Mensch ja wirklich nur schwer vorstellen: Warum gesteht ein Unschuldiger eine Tat, die er nicht begangen hat? Aber das Phänomen existiert nun mal...).
Das ist nur dann ein "Verhörfehler", wenn Inkohärenzen unbeachtet bleiben. Es gibt aber völlig kohärente falsche Geständnisse. Da liegt im "Nichterkennen" kein "Verhörfehler", wohl aber höchstwahrscheinlich in den vorangegangenen Vernehmungen
Zitat von pfiffipfiffi schrieb:: Sogar ich als laie weiß, dass es bei nicht Beschuldigten wohl "zeugenschaftliche Einvernahme" heißt, nicht "Verhör" (liege ich richtig?).
Polizeilich spricht man Beschuldigten- bzw. Zeugenvernehmung.
Zur Debatte stand u.a. ja wohl die Frage, ab wann BT realitär Beschuldigter war. Hier sehe ich übrigens keine Fehler der Ermittler, insbesondere aucb rechtlich keine. Ich halte es, Reid hin, Reid her, für ermittlungstaktisch legitim, den Zeugen, der sich so langsam in Richtung Beschuldigter plappert, denn auch plappern zu lassen.
Ich muss mich da nochmal wiederholen, aber -und ich meine das wirklich nicht böse- Du verstehst weder die Reid-Methode, noch die zugrundeliegende Problematik.

Unser Disput resultierte daraus, dass Du angenommen hattest, meine Worte "Reid hat hier nichts verloren" bedeuteten "Reid sei hier nicht angewendet worden". Tatsächlich bedeuten sie, dass die Reid-Methode aus dem amerikanischen Rechtsraum stammt und dort auch hingehört, aber in der Bundesrepublik nichts verloren hat, weil sie in den deutschen Rechtsraum rechtsphilosophisch und auch institutionell nicht passt.

Die Reid-Methode ist auch nicht per se schlecht. Man muss sie als das sehen, was sie ist - ein taktisches Mittel. Anders als in Deutschland sind in den USA Staatsanwaltschaft und Verteidigung einander diametral gegenüber gestellt und waffengleich. Da dürfen nicht nur Beide tricksen, es wird gradezu von ihnen erwartet. Bei uns ist das Rollenverständnis ein anderes. Reid ist vor allem deshalb nicht anwendbar, weil die Polizei/StA hier durch das Legalitätsprinzip sowohl Be- als auch Entlastendes zu ermitteln hat und sich aktive Täuschungen seitens der Polizei verbieten.

Dieser "Reid-Beißreflex", der sich aber mittlerweile breitgemacht hat, ist völlig überzogen. Teile deutscher Polizeibehörden haben das früher recht positiv aufgenommen, was für sich genommen sicher ein Kritikpunkt sein MUSS, aber nicht dazu führen darf, dass gleich alle Urteile, die einem nicht "schmecken" auf Reid basieren und auch nicht jedesmal, wenn die Zeugen und Beschuldigten sich unter Druck gesetzt fühlten, auch Reid angewendet wurde.

Das bedeutet nicht, dass da vernehmungstechnisch alles optimal läuft, aber ich finde es kurz gesagt ziemlich anmassend, wenn Leute - damit bist jetzt nicht nur du gemeint - meinen darüber ein Qualitätsurteil abgeben zu dürfen, wenn sie noch nie vor dem Problem einer Vernehmung gestanden haben, geschweige denn sich mal intensiv wissenschaftlich mit Suggestionen und psychischem Druck in Vernehmungen auseinandergesetzt haben.

Im Fall Böhringer sind aber ohnehin keinerlei Anzeichen erkennbar, dass die Reid-Methode angewendet worden sein könnte. Dies insbesondere, da die Phase 2 klar erkennbar eben keine Zeugenvernehmung mehr ist. Da geht es nicht mehr um Informationsgewinnung, sondern lediglich darum die geständnisfördernden Faktoren zu maximieren und gleichzeitig die geständnishemmenden Faktoren zu minimieren. Selbst wenn Bence in seinem gesamten Jura-Studium nur 3 Vorlesung besucht haben sollte, hätte er das niemals mit einer Zeugenvernehmung verwechseln können. Ich sehe zumindest keine, wenn das bei Dir anders ist, bitte ich darum, die Indizien dafür mal zu benennen.


Zu der Kernaussage ist zu sagen, dass es richtig ist, dass sich der Zeuge auch Richtung Beschuldigter plappern darf. Allerdings ist er ab einer gewissen Verdachtsstärke als Beschuldigter zu belehren. Dazu reicht allerdings nicht, dass er rein hypothetisch als Täter in Betracht kommt. Es muss da schon zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für geben.

Denn auch da ist die Polizei der Wahrheitsfindung verpflichtet und nicht Wächter einer möglichst optimalen Verteidigung. Bei Bence darf man da aber ohnehin etwas großzügiger sein, da man durchaus davon ausgehen darf, dass ein Jurastudent diesbezüglich seine Recht kennt.

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31.08.2013 um 10:08
Zitat von LivingElvisLivingElvis schrieb:Stimmt nicht. In der Beschuldigtenvernehmung sind Widersprüche sogar gar nicht selten. Aus völlig unterschiedlichen Gründen - das kann ganz normale Nervosität sein, das kann Verbergen wollen von Dingen des persönlichen Lebensbereiches sein und und und.

Das berücksichtigt ein Vernehmer da durchaus. Bei Bence ist da ziemlich viel zusammengekommen, was sich damit nur sehr unzureichend erklären lässt. Es KANN zwar trotzdem so sein, aber "komisch" ist das alle Male.
ich hätte tatrelevante Widersprüche schreiben sollen, dann wärs klarer gewesen. So gut wie jede und jeder von uns dürfte so ihre/seine klammheimlichen Hinterstübchen haben, an die man nicht gerührt wissen will. Klammheimliche Bisexualität, mal Fremd gegangen oder irgend sowas. Das meinte ich nicht, sondern: dass sich jemand wirklich tatrelevant verplappert. Und da stimmen die Intuitionen der Ermittler eben meistens. Problem: Meistens! Nicht immer! Und insbesondere dann wirds problematisch, wenn das klammheimliche Hinterstübchen scheinbar tatrelevant ist.

Zu Reid und Verhördruck (habe mich "des Studiums wegen" durchaus ein bißchen damit befasst; sicher weniger als Du) gerne morgen; ich habe Spätschicht... Soviel jetzt: falsche Vorhalte etc sind verboten. Aber natürlich ist die Grenze fließend. "Ihren ganzen widersprüchlichen Quatsch kann kein Mensch glauben - finden Sie es nicht besser, zu gestehen?" ist das schon Reid? M.E. nein, aber man könnte es so sehen. (Vielleicht ist der "Quatsch" gar nicht widersprüchlich?)
Zitat von LivingElvisLivingElvis schrieb:Reid ist vor allem deshalb nicht anwendbar, weil die Polizei/StA hier durch das Legalitätsprinzip sowohl Be- als auch Entlastendes zu ermitteln hat und sich aktive Täuschungen seitens der Polizei verbieten.
Also, da habe ich losprusten müssen, das nimmst Du jetzt bitte nicht übel. ich gehe mal davon aus, dass Du weißt, dass die Polizei- und Rechstrealität mit diesen hehren Gedanken relativ wenig zu tun hat. Ich selber bin kein Jurist, habe aber durchaus hautnah/familiär Kontakt mit dem System "Justiz" gehabt...(7 Juristen im engeren Familienumfeld...)


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31.08.2013 um 10:41
Zitat von DerGreifDerGreif schrieb:Damit fällt ein wichtiges Kontrollorgan weg.
Wenigstens hier im Forum gibt es das à la @LivingElvis :D

Eure Ausführungen alle sehr wichtig und auch sehr interessant. Es ging nicht primär um die Alibilüge. Da das vom Gericht auch nicht belastend gewertet wurde, scheint es doch auch korrekt gelaufen zu sein.


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31.08.2013 um 11:17
@pfiffi
Zitat von pfiffipfiffi schrieb:Wissen Sie ggfls überhaupt nicht, was ein Zirkelschluß ist? Scheuen Sie sich nicht, zu fragen...
Das ist Ihr vielgerühmter, sachlicher Diskussionstil?

Natürlich habe ich mir dabei was gedacht und weil Sie das nicht nachvollziehen können, versuchen Sie mir Unwissenheit zu unterstellen?

Ach, das ist bloß wieder so ein Eristik-Trick
"Der Gegner wird durch Schikanen und unverschämte Fragen zum Zorn gereizt, damit er nicht mehr richtig urteilen und seinen Vorteil wahrnehmen kann. Als Gegenmaßnahme sollte man sich in Diskussionen nie ärgern lassen, nur überlegt äußern und im Stillen rasche Schlüsse ziehen. Quelle: Wikipedia"

Na dann kann ich mich ja entspannt zurücklehnen und die interessanten Beiträge von anderen hier lesen :)


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31.08.2013 um 12:12
Zitat von DerGreifDerGreif schrieb:m Übrigen gern geschehen. Es ist mir stets ein Anliegen, gegen gefährliches vor allem juristisches Halbwissen anzugehen und aufzuklären. Leider sieht es der Staat nicht für nötig an, recht als Hauptfach für alle Schüler ab der 5. Klasse in die Schulbildung zu integrieren. Angesichts der Tatsache, dass die BRD ein Rechtsstaat und die Rechtsordnung elementare Grundlage unser aller Zusammenlebens ist, während dies aber zwingend erforderlich.
Also, das finde ich mal eine richtige gute Idee. Gab es da nicht in früheren Jahren mal das Fach "Staatsbürgerkunde"?
Zitat von AggieAggie schrieb:Da Frauke S. ihre falschen Angaben erst bei der Gerichtsverhandlung 'korrigierte', hat die StA offenbar bis zu Kreuzverhör abgewartet, um dort die 'Katze aus dem Sack' zu lassen und die falschen Angaben der Verlobten spektakulär durch Zeugenaussagen zu widerlegen.
Aber war nicht durch den Umstand, dass die Angaben von B. T. und F. S. ja keineswegs synchron waren, nicht schon klar, dass die Aussage von F. S. problematisch sein konnte? Hat es sich an dieser Stelle die Verteidigung möglicherweise zu einfach gemacht?
Und hätte die Verteidigung durch die Akteneinsicht nicht von der Aussage der Freundin wissen können?

Insgesamt gibt es aus meiner Sicht Hinweise darauf, dass F. S. auf Ermittlungsorgane "allergisch" reagiert; möglicherweise hängt das auch mit ihrem Erfahrungshintergrund zusammen.

Der Versuch, jemand ein falsches Alibi zu geben hat nur Sinn, wenn

a) Grund zur Annahme besteht, derjenige könnte etwas mit der Tat zu tun haben
b) Grund zur Annahme für den Tatzeitpunkt bestehen
c) die Befürchtung besteht, jemand könnte zu Unrecht verdächtigt werden.

Bei a-b müsste man an der Stelle F. S. eine bewusste Falschaussage, wenn nicht sogar Mitwisserschaft unterstellen.

Für c gibt es Hinweise, da nach eigenen Angaben (Zeitungsartikel) F. S. ihrem B. T. schon am Auffindetag gesagt hat, dass sie von einem Verdacht der Polizei gegen ihn ausgeht.
Zitat von LivingElvisLivingElvis schrieb:Denn auch da ist die Polizei der Wahrheitsfindung verpflichtet und nicht Wächter einer möglichst optimalen Verteidigung. Bei Bence darf man da aber ohnehin etwas großzügiger sein, da man durchaus davon ausgehen darf, dass ein Jurastudent diesbezüglich seine Recht kennt.
Meinst Du jetzt für uns, bei der Bewertung des Vorgehen und die Ermittlungsbehörden? Ich glaube nicht, dass man Recht in Hinblick auf die Berufe von Menschen unterschiedlich auslegen darf, deswegen gehe ich von ersterem aus.


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31.08.2013 um 12:30
Zitat von DerGreifDerGreif schrieb:Die Überlegungen des BGH gelten erst recht für Angehörige. Der Gedanke, wer unschuldig ist, lügt nicht und müsste nicht lügen, ist völlig abwegig.
Und ich dachte eigentlich auch, diese Art zu denken, sei bei uns lämgst überwunden.

Hinter dieser Annahme "wer unschuldig ist, macht das und das" und "wer schuldig ist, macht dies und dies" steckt ja die Theorie, dass menschliches Verhalten sei deterministisch aus der Person heraus zu erklären und setzt zudem voraus, und dass Menschen die Realität (was immer das sein soll) gewissermaßen objektiv wahrnehmen und wiedergeben können. Dass dies aber nicht so ist, und dass menschliches Verhalten sehr stark von subjektiv(!) wahrgenommenen, situativen Gegebenheiten beeinflusst wird, sollte bekannt sein.


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31.08.2013 um 12:43
Zitat von LivingElvisLivingElvis schrieb:Stimmt nicht. In der Beschuldigtenvernehmung sind Widersprüche sogar gar nicht selten. Aus völlig unterschiedlichen Gründen - das kann ganz normale Nervosität sein, das kann Verbergen wollen von Dingen des persönlichen Lebensbereiches sein und und und.
Genau. Widersprüche sind gerade KEIN Kriterium für die Unglaubwürdigkeit, sondern u. U. eher ist sogar das Gegenteil der Fall. Gerade eine Selbstkorrektur und das Eingestehen von Erinnerungslücken ist in der Aussagepsychologie ein Glaubwürdigkeitskriterium.


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31.08.2013 um 13:57
@pfiffi
Zitat von pfiffipfiffi schrieb:Also, da habe ich losprusten müssen, das nimmst Du jetzt bitte nicht übel. ich gehe mal davon aus, dass Du weißt, dass die Polizei- und Rechstrealität mit diesen hehren Gedanken relativ wenig zu tun hat. Ich selber bin kein Jurist, habe aber durchaus hautnah/familiär Kontakt mit dem System "Justiz" gehabt...(7 Juristen im engeren Familienumfeld...)
Mag sein. Ich persönlich kenne mittelbar und unmittelbar "solche und solche". Bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich allerdings immer davon aus, dass korrekt gearbeitet worden ist. Im vorliegenden Fall finde ich persönlich STA Kronester hat sich am "coolsten" von allen Juristen präsentiert - inklusive Gericht. Sehr gut gefallen hat mir - obwohl ihm das von der Verteidigung ja wohl übel genommen worden ist -, dass er, bei seinen wiederholten Plädoyers einfach auf sein erstes Plädoyer verwiesen hat. Dies würde ich als eher gering ausgeprägtes Bedürfnis nach Selbstdarstellung interpretieren.


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31.08.2013 um 15:14
Ein allzu naives Vertrauen in die Organe der Rechtsplfege scheint allerdings auch nicht angebracht:

http://www.tobiasrudolph.de/aktuelles42.html?site=K%C3%B6nnen%20Richter%20irren?%20%E2%80%93%20Strafprozess%20gegen%20einen%20Verteidiger%20bei%20%E2%80%9EAussage%20gegen%20Aussage%E2%80%9C (Archiv-Version vom 12.08.2013)

Dieses Verfahren ist interessant und relevant, weil es vor dem Landgericht Augsburg verhandelt wurde.


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01.09.2013 um 09:03
Zitat von aberdeenaberdeen schrieb:Ein allzu naives Vertrauen in die Organe der Rechtsplfege scheint allerdings auch nicht angebracht:
Eben! darauf wollte ich hinaus. Was in unserem konkreten Fall 'im Hintergrund' ggfls passiert ist, weiß ich natürlich nicht. Aber das System "Justiz" ist wie jedes andere Berufsleben auch: es gibt Eitelkeiten, Karrierismus, fehlende Empathie, Interessen, selbstredend gibt es auch hervorragende Vertreter/innen ihrer Zunft. Wir wären naiv, wenn wir solche Möglichkeiten nicht mit in Rechnung stellten. Dem Verurteilten, einmal unterstellt, er sei nicht nur unschuldig, sondern er sei hier wirklich bloß schnell zum Täter präpariert worden, weil jemand einen schnellen Erfolg wollte, hülfen solche Überlegungen natürlich wenig. Damit darf er nicht anrücken. Als er es versuchte, ist das bös nach hinten losgegangen (Urteil p. 35 ff). Der Verurteilte, unterstellt, er sei unschuldig, muss das Spiel Polizei/Justiz-haben-keinen-Fehler-gemacht-bloß-bedauerliche-tragische-verstrickungen-führten-zum-Urteil spielen.
Zitat von aberdeenaberdeen schrieb:Genau. Widersprüche sind gerade KEIN Kriterium für die Unglaubwürdigkeit, sondern u. U. eher ist sogar das Gegenteil der Fall. Gerade eine Selbstkorrektur und das Eingestehen von Erinnerungslücken ist in der Aussagepsychologie ein Glaubwürdigkeitskriterium.
Jein. (Aussagenpsychologisch hats Du recht!) Indessen: tatrelevante Widersprüche führen mit vollem Recht schon zu einem "Nachstochern" der Ermittler, welches sich häufig denn ja auch als berechtigt erweist.

Wir müssten ein word-by-word-protokoll der Vernehmung haben, um den Ablauf der Vernehmungen genau rekonstruieren zu können- - haben wir nicht, kriegen wir nicht.

Es sieht jetzt aber doch wohl so aus, dass sich BT in einigen Punkten in (Schein?)widersprüche/Flunkereien verstrickt hat. Studienlüge, vielleicht auch die Fahrt nach Augsburg. Das kann tatrelevant sein, muss es aber nicht. Allemal aber, sei er schuldig, sei er unschuldig, war es scheinbar resp augenscheinlich tatrelevant. Genau so verstrickt sich ein Unschuldiger für gewöhnlich ins Netz des Scheinbeweises. "Der sollte enterbt werden (wissen wir nichtmal, aber gut...), das muss doch was mit dem Mord zu tun haben..." meistens ja. Meistens, aber eben nicht immer. Guilt by association.


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01.09.2013 um 09:14
Zitat von LivingElvisLivingElvis schrieb:In der Beschuldigtenvernehmung sind Widersprüche sogar gar nicht selten. Aus völlig unterschiedlichen Gründen - das kann ganz normale Nervosität sein, das kann Verbergen wollen von Dingen des persönlichen Lebensbereiches sein und und und.

Das berücksichtigt ein Vernehmer da durchaus.
Äh, ja, sicher doch.... Na klar. Nicht böse sein, aber: es wäre wünschenswert, wenn es so wäre. Nach aller Erfahrung hapert es daran aber manchmal.

In unserem Fall war die Studienlüge (mit Weißwurstessen) schon extrem schambesetzt. Da hätte auch ein Unschuldiger handfeste Verdeckungsabsichten. Ist das wirklich angemessen berücksichtigt worden? Wir wissen es nicht...


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01.09.2013 um 09:16
Zitat von aberdeenaberdeen schrieb:Sehr gut gefallen hat mir - obwohl ihm das von der Verteidigung ja wohl übel genommen worden ist -, dass er, bei seinen wiederholten Plädoyers einfach auf sein erstes Plädoyer verwiesen hat. Dies würde ich als eher gering ausgeprägtes Bedürfnis nach Selbstdarstellung interpretieren.
Oder er war sich seiner Sache eh sicher.


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01.09.2013 um 13:17
Zitat von pfiffipfiffi schrieb:Oder er war sich seiner Sache eh sicher.
Ja, natürlich war der sich seiner Sache sicher. Aber offenbar nutzt er nicht jede Gelegenheit für einen "Auftritt" ;-))
Zitat von pfiffipfiffi schrieb:Wir müssten ein word-by-word-protokoll der Vernehmung haben, um den Ablauf der Vernehmungen genau rekonstruieren zu können- - haben wir nicht, kriegen wir nicht.
So ist es. Deswegen kann man fundiert aus meiner Sicht nicht viel sagen; die Zusammenfassung aus dem Urteil liest sich aber u. U. schon wie eine "glaubwürdige" Aussage, eben gerade durch die Ungenauigkeiten, Korrekturen und Selbstbelastungen (Intrige). Vielleicht aber auch nicht ...

Wie er aber ins Visier der Ermittler geraten ist, mit dem Aussageverhalten, ist auch sonnenklar ;-)


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01.09.2013 um 14:00
Zitat von aberdeenaberdeen schrieb:Wie er aber ins Visier der Ermittler geraten ist, mit dem Aussageverhalten, ist auch sonnenklar ;-)
naja, die Spekulation, am Auffindetag habe eine der Angestellten den Beamten gesteckt, es habe da probleme mit dem Bence gegeben, ist jetzt nicht allzu gewagt. Der rest war für einen gewieften verhörer nicht allzu schwer zu leisten... Diese Widersprüche gab und gibt es ja nunmal. Frage: Sind sie tatrelevant...


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01.09.2013 um 14:02
Zitat von aberdeenaberdeen schrieb:Aber offenbar nutzt er nicht jede Gelegenheit für einen "Auftritt" ;-))
Im Dokumentarfilm hat er aber mitgewirkt. Egal, Nebenthema.


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01.09.2013 um 14:11
http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.muenchen-das-14-stunden-plaedoyer.3b69b5ab-56e8-43ea-8b39-f7ba89526f1c.html

Kannte ich noch gar nicht.

Zitate:
Die Polizeibeamten sollen Benedikt T. im Verhör bedroht haben. „T., wenn es nicht reichen sollte, wir sind an deinem Arsch dran. Deine Familie werden wir massiv unter Druck setzen und auseinander nehmen,“ erinnert sich der Angeklagte.
Kann so gewesen sein; niemand weiß es.

Ein hochinteressantes Detail:
Die Behauptung, die Tante könne ihren Lieblingsneffen Benedikt T. nicht mehr ertragen, sei falsch. „Bilder von Benedikt hingen überall im Büro rum“, so Witting, der als Beweis ein Foto zeigte, das nach dem Verbrechen aufgenommen wurde.



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01.09.2013 um 16:41
@pfiffi
Ich fühle mich sehr geehrt mit @maudlin verwechselt zu werden, denn ich schätze maudlins Beiträge sehr.
Die Frage ob ein Fall bekannt ist in dem ein falsches Alibi gegeben wurde und der Täter unschuldig war, stammte von mir.
Die Antwort mit den beiden Fällen B + B ging sowieso an der Frage vorbei - lassen wir es einfach.


@maudlin
Tut mir leid - schon wieder wurdest Du wegen mir angegangen. :( Wenn Namen nicht mehr links gelesen werden müssen wir wohl künftig alle " unterschreiben " :)


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01.09.2013 um 18:49
Falsche Alibis im fall Brühne siehe hier:

http://www.zeit.de/1962/20/meine-aussage-war-falsch/komplettansicht
Genau zwei Jahre nach dem Doppelmord saßen Vera Brühne und Hans Ferbach vor Gericht. Sie gaben für das fragliche Datum ein Alibi nach dem anderen an, und ein Alibi nach dem anderen platzte.



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01.09.2013 um 22:27
pfiffi schrieb:
Der hat ja... (fatalster Verhörfehler: Das Nicht-Erkennen des Phänomens "falsches Geständnis". Man kann es sich, als ichsagdasjetztmalso "normaler" Mensch ja wirklich nur schwer vorstellen: Warum gesteht ein Unschuldiger eine Tat, die er nicht begangen hat? Aber das Phänomen existiert nun mal...).


Das ist nur dann ein "Verhörfehler", wenn Inkohärenzen unbeachtet bleiben. Es gibt aber völlig kohärente falsche Geständnisse. Da liegt im "Nichterkennen" kein "Verhörfehler", wohl aber höchstwahrscheinlich in den vorangegangenen Vernehmungen
LivingElvis: Du meintest wahrscheinlcih: Vorangegangene wie nachfolgende Ermittlungen. Denn auch ein geständnis muss per fakt untermauert werden. Bei Günter Kaufmann ist da, eindeutige DNA-Spuren lagen vor, so einiges schief gegangen. Vielleicht rührt mein Misstrauen daher.


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02.09.2013 um 06:56
Kann man die ausführlichen Erläuterungen von @LivingElvis und @DerGreif nicht in etwa kurz und prägnant so zusammenfassen:

Es darf Angeklagten nicht angelastet werden, wenn sie oder ihre engsten Angehörigen lügen um sich selbst zu entlasten.

Das Urteil geht ja dann aber in dieser Hinsicht völlig in Ordnung, denn meines Wissens wird da nirgends abgeleitet dass der Angeklagte schuldig sei weil er oder seine Freundin zu seiner Verteidigung gelogen hätten.

Indirekt folgt für mich aber aus dem "Lügerecht", dass kein Richter oder Staatsanwalt die Pflicht hat, einem Angeklagten und dessen Angehörigen alles ungeprüft abzunehmen. Vielmehr folgt aus diesem "Lügerecht" geradezu, dass bei einer gewissen kritischen Masse an Aspekten die gegen den Angeklagten sprechen, der Angeklagte kein Recht darauf hat dass ihm seine Version geglaubt wird, wenn diese nicht unabhängig bestätigt werden kann. Keiner kann nun sagen, ob Bence die Wahrheit spricht in all den Punkten, für die es keine unabhängige Bestätigung gibt (Zeitungskauf, geplanter Besuch in Augsburg, Wettgewinn, Erkältungsbad...). Es geht doch aber völlig in Ordnung wenn man es mit Skepsis betrachtet, dass Bence nicht in der Lage ist seine Version zu untermauern indem er Anhaltspunkte für eine unabhängige Bestätigung liefert.
Was meinen die Experten dazu?


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02.09.2013 um 07:01
@KonradTönz1
Zitat von KonradTönz1KonradTönz1 schrieb:Das Urteil geht ja dann aber in dieser Hinsicht völlig in Ordnung, denn meines Wissens wird da nirgends abgeleitet dass der Angeklagte schuldig sei weil er oder seine Freundin zu seiner Verteidigung gelogen hätten.
Nein, wird auch nicht. Das Thema wurde ja verschiedentlich hier im Forum aufgebracht.
Zitat von KonradTönz1KonradTönz1 schrieb:Keiner kann nun sagen, ob Bence die Wahrheit spricht in all den Punkten, für die es keine unabhängige Bestätigung gibt (Zeitungskauf, geplanter Besuch in Augsburg, Wettgewinn, Erkältungsbad...). Es geht doch aber völlig in Ordnung wenn man es mit Skepsis betrachtet, dass Bence nicht in der Lage ist seine Version zu untermauern indem er Anhaltspunkte für eine unabhängige Bestätigung liefert.
Jetzt hattest Du mich hier zwar nicht angesprochen, aber ich antworte trotzdem mal: aus meiner Sicht geht das völlig in Ordnung ;-)
Könnte B. T. genauere oder nachprüfbarere Angaben machen, säße er ja wahrscheinlich gar nicht ein.

Auf der anderen Seite hängt es, wie hier im Forum demonstriert, schon auch von der Perspektive ab, ob bestimmte, nachprüfbare Indizien be- oder entlastend gewertet werden.


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Mordfall Charlotte Böhringer

02.09.2013 um 07:12
Zitat von aberdeenaberdeen schrieb:Könnte B. T. genauere oder nachprüfbarere Angaben machen, säße er ja wahrscheinlich gar nicht ein.
Ist übrigens nur eine Kleinigkeit: Aber wer ein Fahrrad in der Preisklasse um 2000 Euro kaufen will, beschäftigt sich in der Regel vorher zumindest ein paar Wochen lang mit diesem Kauf - vergleicht Modelle im Internet, geht in Fachgeschäfte und fährt mal Probe, unterhält sich mit Freunden die sich da auskennen usw. Auch hier konnte er, wie beim Zeitungskauf und den Wettgewinnen nichts brauchbares liefern um seine Version zu untermauern.
Und bitte: Wenn er das Geld geklaut hätte ohne die Tante umgebracht zu haben, hätte er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwann im Verlauf des 90-tägigen Prozesses irgendwann einmal den Diebstahl gebeichtet, wenn er sich damit im ungleich schwerwiegenderen Mordvorwurf entlasten hätte können. Kein vernünftiger, freiheitsliebender Mensch riskiert lebenslänglich ins Gefängnis zu wandern, weil er einen Diebstahl nicht zugeben will.


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Mordfall Charlotte Böhringer

02.09.2013 um 08:20
Ich verstehe auch nicht, wieso der PC von Bt nicht ausgewertet worden ist. Allerdings wissen wir auch nicht, wie weit er mit seinen Kaufplänen war. Das Geld will er ja erst am Sonntag bekommen haben. Und dass dies 2000 Euro Kosten sollten, ist schon eine Interpretation.


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Mordfall Charlotte Böhringer

02.09.2013 um 08:23
Zitat von aberdeenaberdeen schrieb:Auf der anderen Seite hängt es, wie hier im Forum demonstriert, schon auch von der Perspektive ab, ob bestimmte, nachprüfbare Indizien be- oder entlastend gewertet werden.
Wenn ich @LivingElvis richtig verstanden habe, ist genau das die Aufgabe der Richter. Kommen sie anhand der Interpretation und Gewichtung der Indizien und Beweise zum Ergebnis, dass sie keinen Zweifel an jemandes Täterschaft haben, dann greift nicht das in dubio pro reo, wie es bisweilen Lieschen Müller fordert.

Zur Frage, ob Lügen be-/entlasten: dazu möcht ich nur noch kurz meinen Klecks Senf dazugeben.
Lügen dürfen nicht per se als belastend gewertet werden, wie es @DerGreif und @LivingElvis
ausgeführt haben. Aber umgekehrt zieht auch nicht der Rückschluss, dass Lügen automatisch ein Beweis für Unschuld sind. Den Rest dazu hat @KonradTönz1 gut geschildert.


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