Entlassung nach 30 Jahren Gefängnis, kommt man in der neuen Zeit klar?

Stellt Euch mal vor jemand wurde noch vor der Wende eingebuchtet und kommt heute aus dem Gefängnis raus. Der kommt doch gar nicht mehr klar bzw braucht erstmal ne Zeit um sich an alles neue zu gewöhnen! (da helfen auch keine vorzeitigen Freigänge, denn wo ´´zum Urlaub´´ zu sein und dauerhaft leben zu müssen ist ein himmelweiter Unterschied und kann den Eindruck den man im Urlaub kennenlernt ganz schön umpuhlen)

Wenn man überlegt damals standen überall noch gelbe Boxen mit Telefonzellen und dicken Telefonbüchern drine und man konnte noch Münzen reinwerfen (anstatt Telefonkarten, welche es heute auch schon wieder gar nicht mehr gibt oder?). Heutzutage gibts kaum noch Telefonzellen im Stadtbild und wenn doch muss man sie suchen. In dem Stadtteil wo ich groß geworden bin gabs damals ca20, neulich war ich wieder dort und spazierte etwas durch die Gegend und es stand dort grade nur noch eine einzige.
Heute haben sie alle ein oder zwei Handys in den Taschen, damals hatten nur die wenigsten ein Festnetztelefon daheim.
Mit dem Flugzeug verreisen konnten sich damals nur die wenigsten leisten, heute gibts dagegen zum Teil 20euro Flüge(sprich der Flug deutlich billiger als zb der Zug oder Reisebus).
Damals gabs noch die gute alte D-Mark wo du für 90Mark die besten Nike´s bekams, heute haste den Teuro wo du zum Teil schon Glück hast wenn du für 70eur(also 140dm !!) welche im Angebot bekommst. Wahnsinn!! Überhaupt rechnet ihr auch noch gedanklich alles in DM um und ärgert euch auch noch jedes Mal wie Teuer alles geworden ist oder bin ich der einzige der so nen Tick hat und es noch immer macht? ;)
Mit dem Ticketkauf eines Fahrscheins der Straßenbahn wird er auch so seine Probleme haben (früher nur vorne beim Fahrer und es gab maximal 3,4 Tarife, heute Automaten mit tausenden Optionen und Tarifen) und viele, viele weitere für uns normale Dinge des Alltags die er dann erst erlernen müsste. Stelle mir das übel vor. Könnt´ wenn Ihr wollt auch noch weitere Dinge aufzählen, gäbe da sicher einiges Interessantes was mir aber auf die schnelle nicht eingefallen ist.

Von so Sachen wie dem Internet ganz zu schweigen. Habe neulich von meiner Omi die Frage bekommen was das Internet ist ... versucht das mal einer 80 Jährigen zu erklären. ;) :p Aber ich weiche grad vom Thema ab. Hatte letztens auf yt einen TV-Bericht gesehen (finde leider den Link nicht mehr dazu, wenn ihn einer findet darf er den gerne hinzufügen) über einen Typen dem es wirklich so erging dass er noch vor der Wende rein kam und vor paar Jahren raus(glaub 2009 oder 2010 wurde der Film bei yt reingestellt) und er mit dem Gedanken spielte nicht irgendnen Mist zu machen um wieder rein zu müssen da er in der heutigen neuen Welt einfach nicht klar kam. Krasse Scheisse. Was denkt Ihr? Ein trauriger Einzelfall oder würde es den meisten so ergehen dass sie heute nicht mehr klar kommen? (ok jetzt nicht unbedingt so extrem dass er lieber freiwillig wieder rein geht) Oder aber ist es von Typ zu Typ unterschiedlich? Ich selbst denke es hängt sehr damit zusammen was für ein Typ es ist, denke aber dass dieser genannte Fall sicherlich kein einmaliger Einzelfall ist.

Würde mich freuen wenn das Thema von mehreren Usern angenommen werden und somit eine lange Diskussion entstehen würde.

LG Regennacht

Klar ist nach so einer Zeit alles anders aber ich denk mit n bissl Gewohnheit geht auch das ganz gut.

@Regennacht
Ich glaub da wäre ein einigermaßen aktuelles und angelehntes Beispiel Michael Alig. Ehemaliges Club Kid aus New York das in den 90ern oderso wegen mordes eingebuchtet wurde.
Im letzten Jahr wurde er entlassen und hatte von Twitter, Facebook und co keine Ahnung. Auch Handys waren ihm fremd.
Er brauchte grade mal 2 Wochen um sich komplett mit allem anzufreunden und ist jetzt sehr aktiv im Netz unterwegs.
Vielleicht googelst du mal Michael Alig? Bin nur mit dem Handy ob aber ich glaube er wäre ein Paradebeispiel wie schnell der Mensch sich an die technologische Revolution anpassen kann wenn er es denn möchte.

Leider kann ich grad nur den Link zum Wiki Eintrag bieten..
Wikipedia: Michael Alig

Und noch ein post von mir.. Sorry aber per Handy kann man hier leider nicht editieren.
Hier ein Brief den James st. James an Michael Alig vor seiner Entlassung geschrieben hat um ihn auf die schöne neue Welt vorzubereiten. Passt glaub ich auch hier rein und ist lustig zu lesen :)
http://worldofwonder.net/dear-michael-alig/

ps.Einem Kollegen hatte ich das vor einiger Zeit auch schonmal erzählt und er sagte dass es in seiner Heimat (Lettland) so einen Fall aus seinem Heimatdorf gab dass ein Typ noch zu Sowjet-Zeit nach so einer Zeit (glaub es waren 25 Jahre) heraus kam, nur mit dem Unterschied dass er in den 60ern rein und Ende der 80er raus kam. Sprich vor seiner Inhaftierung in dem ca10.000 Einwohner-Nest es grade mal ein Auto gab, als er raus kam waren es schon mehrere Tausend. :D

Werde jetzt erstmal durchlesen was Ihr so geantwortet habt, auf alle Fälle schonmal Danke für die vielen Antworten in so kurzer Zeit.

@pumpkin
Ok, den Fall kannte ich zuvor nicht. Hab mir jetzt nur den Link aus Wiki durchgelesen. Daraus entnehme ich dass er Dezember´96 verurteilt wurde und demnach erst 1997 rein musste wo er 2014 wieder frei kam. Ok, 17 Jahre sind jetzt auch nicht ohne. Aber der Fall trifft nicht ganz das was ich meinte. Denn wenn überlegst 1997 war doch alles schon größenteils so wie es heute ist. Viele hatten schon Handys, Festnetz, Inet verbreitete sich auch schon so langsam aber sicher immer mehr. Auch wenn ich jetzt nicht weiss wie es damals in den USA war, aber sicher nicht viel anders als bei uns in Deutschland. Kann mir sogar vorstellen dass eher wir den Amis immer etwas hinterher hinken und o.g.Dinge wie Inet, Handys usw. damals dort schon verbreiteter waren als bei uns. Demnach die Umstellung für ihn jetzt auch nicht so krass gewesen sein muss.

@Regennacht
Du weißt aber schon noch was für Handys wir 97 hatten? Und welche Funktionen (oder auch nicht) sie drauf hatten?
Ansonsten sorry das war halt das erste Beispiel auf Internetabstinenz das mir einfiel das einigermaßen aktuell war.

@pumpkin
ja weiss ich bestens. Kenne sogar noch mehrere Menschen die heute immernoch mit solchen Dingern (oder denen die kurz darauf herauskamen) herumtigern. ;) :D
Kein Ding, fand deinen Fall dennoch interessant. Wie gesagt kannte den selbst noch nicht.

Beste Grüße

wenn man jetzt mal davon absieht das man im Knast jetzt nicht zwangsläufig soooo isoliert von der Menschheit ist...

jop. kann mir gut vorstellen das die Gewöhnung an die Freiheit, welche nach dreißig jahren Haft sowieso nicht mal eben nebenbei gemacht ist, durch den Technischen Fortschritt nicht gerade erleichtert wird.

Es gibt jedoch Dinge die mir viel befremdlicher erscheinen würden als fehlende Telefonzellen, als da wären z.B. : Informationsflut duch omnipräsente Medien, die derzeitige Streitkultur, hang der leute zur Selbstdarstellung (soz med), hang zur Selbstoptimierung (fitnesswahn, Schönheitsoperationen, Ernährung und der ganze Scheiß...)... die Liste kann man noch ausbauen wenn man Bock hat.

Auch das die Leute die in unserer Zeit/Gesellschaft aufgewachsen sind und diese trotzdem(oder gerade deswegen?) ablehnen, mehr zu werden scheinen, legt ja schon nahe das hier was nicht stimmt, was ein ex-langzeithäftling, als quasi außenstehender möglicherweise noch eher wahrnimmt als der Rest der die Entwicklung mitgemacht hat...

In jedem Knast gibt es Fernseher, eine Bücherei und regelmäßig neue Mitinsassen, die einem von draußen erzählen.

Wikipedia: Anthony Ray Hinton

@Regennacht
Schau dir den armen Kerl mal an, der war 30 Jahre in der Todeszelle. Ich habe damals in den Nachrichten seine Entlassung gesehen. Der hat draussen erstmal (vom Anwalt oder so) ein Handy in die Hand gedrückt bekommen um Medienwirksam Verwandte anzurufen und hat erstmal das Handy verkehrt herum gehalten.

Würde mich aber schon interessieren wie der Mann mittlerweile mit dem Leben so kkarkommt, ist bestimmt nicht einfach.

gallagher schrieb:In jedem Knast gibt es Fernseher, eine Bücherei und regelmäßig neue Mitinsassen, die einem von draußen erzählen.

Das ist richtig, aber naja etwas im TV zu sehen, im Buch zu lesen oder es erzählt zu bekommen, ist im Vergleich zu dem selbst daran Teil haben zu dürfen ein mitunter gewaltiger Unterschied. Man nimmt es ganz anders auf bzw wahr. Erzähle jemandem wo mit 46 Jahren noch Jungfrau ist wie es ist mit ner Frau zu vögeln. Das kannste demjenigen noch so detailgetreu beschreiben, wenn er es später jedoch selbst erlebt wirds für ihn dennoch nicht weniger neu. ;)


@Teegarden
jau, hammer. Genau sowas hatte ich gemeint. Wobei ok, dass er es verkehrt herum gehalten hat kann natürlich auch aus Nervosität, Hektik und den Rumel um Ihm herum geschehen sein. Trotzdem natürlich das Sinnbild schlechthin, weil manche denken echt nur weil man etwas ausm TV kennt ist es dann sicher kein Problem. Panzer bedienen+fahren kann man sicher auch ausm Stand. Hat man schließlich auch im TV gesehen. :D Ok war jetzt natürlich ein blöder Kommentar meinerseits, wollte damit gallagher nicht beleidigen(falls es so an kam sorry, war nicht meine Absicht) sondern viel mehr verdeutlichen dass es eben nicht so ist.

Zurück zu dem Fall Hinton: Das dazu noch mit der Todeszelle ist ja mal herbe. Denkste du erlebst im Leben keinen Tag mehr in Freiheit und wirst demnächst hingerichtet und kommst dann doch noch frei. Gefühl muss hammer gewesen sein, ists ja wie als ob man neu geboren wurde.

@Regennacht

Begleitete schrittweise Eingewöhnung/ Eingliederung, nehme ich an.

Und selbst wenn jemand im Knast ist, die Welt bleibt an der Pforte nicht stehen. D.h. die Veränderungen kriegen selbst die Häftlinge mit.

slobber schrieb:Begleitete schrittweise Eingewöhnung/ Eingliederung, nehme ich an.

Und selbst wenn jemand im Knast ist, die Welt bleibt an der Pforte nicht stehen. D.h. die Veränderungen kriegen selbst die Häftlinge mit.

Ja das denke ich auch.

Viel krasser finde ich solche Geschichten, kann man sich kaum vorstellen sowas

Wikipedia: Onoda Hirō

Und der hat es dann auch geschafft als ihm glaubhaft gemacht werden konnte das der Krieg tatsächlich vorbei ist.

Es gibt ja auch Fälle, allerdings selten, die absolut nicht klar kamen und eine neue Stratat begangen haben, um wieder in die Obhut ihres Zuhauses, den Knast wollten.

@Regennacht

In dem Video im Link geht es um einen Amerikaner, der nach 44 Jahren Inhaftierung wieder entlassen wurde. Seine Reaktion auf die völlig neue Welt wurde mitgefilmt. Ich finde das Video großartig:

http://www.buzzfeed.com/alivelez/a-man-reacts-to-the-modern-world-after-44-years-in-prison#.stdv91dVW

Also ich kann mir schon vorstellen, dass einige Leute ein paar Probleme in der "neuen Welt" haben.

Wenn ich mir anschaue wieviele ältere Mitbürger die "draussen" leben schon Probleme mit der neuen Technick haben, dann gibts bestimmt auch einige die nach der Gefängniszeit sich erstmal orientieren müssen. Nach 30 oder 40 Jahren sind die ja auch nicht mehr die Jüngsten.

Nach 44 Jahren, das ist übel!! Krasse Geschichte.

Auch das mit dem Hiro ist herbe. Ist aber auch wieder lustig dass der bis 1974 immernoch dachte es sei 2.WK! :D Aber ich will nicht wissen was der Mann alles gesehen haben muss dass er zu so einer Annahme kam. Das war dann sicher nicht ganz so lustig.

Die Knackpunktfrage ist hier doch wie lange das Eingewöhnen dauert. Bei einem paar Wochen, bei dem andere paar Monate oder Jahre und bei manchen wirds gar nicht klappen und die werden bis an ihren Lebensende nicht mehr klar kommen. So wie @Teegarden im letzten Satz schon richtig einfügte.

Ich glaub selbst jemand von vor 2000 Jahren würde sich ziemlich zügig anpassen, sofern der Wille da ist und die erste Kommunikationshürde genommen ist.