Der ultimative Ostalgie-Thread
05.08.2021 um 20:06Mal ein paar Erinnerungen aus den "ge- bzw. verbrauchten Bundesländern":
Als jemand, der Jugend und junges Erwachsenendasein im Westen in den 1960/70ern verbracht hat, kann ich mich noch gut an Terrorangst, Rasterfahndung, Überwachungsstaat, Berufsverbot, Kalten Krieg und rücksichtsloses Atomprogramm erinnern.
Aus einem historischen Beitrag zum Vergleich BRD/DDR mal kurz ausgegraben:
Wenn ich mich so recht an meine Kindheit und Jugendzeit in der BRD (ab 1954)erinnere, fallen mir gewisse Ähnlichkeiten zu Erfahrungen von in der DDR sozialisierten Menschen auf.
Nach dem KPD-Verbot 1956 wurden alte Kommunisten, die schon im Hitler-Faschismus im Knast oder KZ gesessen hatten, wieder eingesperrt. Wer statt SBZ den Begriff DDR gebrauchte, wurde als Kryptokommunist schief angesehen. In der Zeit der Berufsverbote in den 1970ern durftest Du hierzulande als Kommunist weder Lokführer noch Briefträger werden - Lehrer schon gleich gar nicht. Von der Hysterie der Terrorfahndungen oder den Bürgerkriegssituationen an AKW-Bauplätzen mal ganz abgesehen.
Zu meiner Schulzeit waren Jeans verboten - die Nieten hätten das Schulmobilar beschädigen können und wer sich als Junge traute, lange Haare zu haben, wurde von den Lehrern aufgefordert, zum Friseur zu gehen (Du bist doch kein Mädchen!). Comics und Beatmusik galten als Sendboten des Teufels. Wer als Jugendlicher mit Altersgenossen auf der Strasse "abhing" bekam von Passanten Kommentare wie "Euch sollte man alle vergasen" oder "Unter Adolf hätte es das nicht gegeben" zu hören. Wer nicht zur Bundeswehr ging, wurde schief angeguckt und musste mit beruflichen Nachteilen, spätestens nach der Frage des Personalchefs "Haben Sie gedient?" rechnen.
Nein, Toleranz oder Akzeptanz von "abweichenden" Verhaltensweisen wurde offenbar in beiden deutschen Staaten nicht gern gesehen und konnte für nicht Angepasste durchaus böse Folgen haben.
Da nahmen sich beide Systeme während des Kalten Krieges nicht viel.
Also, liebe aufgekaufte ehemalige DDR-Bürger: Hier im "freien Westen" war auch nicht alles Gold, was scheinbar glänzte.
Aus einem ollen DDR-Thread exhumiert:
Wenn ich die Tatsache, dass jeder Arbeit hat, über die Frage nach dem gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Sinn der Arbeit stelle, dann bin ich natürlich zufrieden, wenn jeder irgendwie so tut, als täte er etwas. Freitag ab eins macht jeder seins, wie sich die älteren DDR-Bürger noch erinnern.
Die Frage, wer welche Ausbildung bekam, richtete sich, wie in der BRD, nach ökonomischen Notwendigkeiten, nur sehr selten nach den individuellen Interessen des Ausbildungsplatzsuchenden. Die Tatsache, dass jemand einen Ausbildungsplatz hat, sagt nichts über die Qualität dieses Platzes aus. He, hallo Stift, hol mir mal ne Flasche Bier- galt dort wie hier.
Die "Gemeinschaftlichkeit", mal als Volksgemeinschaft, mal als Solidarität deklariert, wird rückblickend gern als das grosse Plus der DDR gefeiert. Als ich damals mit Genossen aus der DDR sprach, redeten sie anders (nach dem 3. Bier): Der Konkurrenzdruck und der Neid, die Intrige gehörten zum Handwerkszeug in Partei und Kombinat. Wurde irgendwo ein guter Posten frei, begann das Rattenrennen. Mobbing war, wie in vergleichbaren Institutionen im Westen, an der Tagesordnung. Nicht wenige Genossen trugen die Säge für den Stuhl des Genossen in der Tasche. Dass man sich gelegentlich in der Datsche kollektiv die Birne zuzog, gehörte zur Schmierung des Systems, ähnlich wie im Westen. Die Gearschten waren, wie anderswo auch, die Frauen. Für die DDR-Mutti galt Karriere, politische zumal, als so anrüchig wie im Westen. Davor sei die markige Faust des sozialistischen Ehemannes.
Armut ist natürlich relativ. Sicherlich würde ein ALDI-Filialleiter seinen Vertrag kündigen, würde man ihm Honeckers Villa in Wandlitz als Betriebswohnung zuweisen, um mal die Relativität von "Reichtum" darzustellen. Aber die Lebenssituation vieler Bürger der DDR war am unteren Rande des Existenzminimums angesiedelt. Niedriglohngruppen gab es dort wie hier, vor allem für Frauen. Viele Rentner konnten nur dank ihres Reiseprivilegs über die Runden kommen. Versorgungsengpässe taten ein Übriges. Okay, verhungert ist keiner, aber das ist auch heute nicht der Fall.
"Keine Nazis" zählt zu den grossen Lebenslügen der DDR. Sowohl in Wirtschaft, Politik, Kultur und Militär sassen gewendete Faschisten. Wie im Westen griff man beim Wiederaufbau auf "bewährte" Leute zurück. Dazu empfehle ich jedem das "Braunbuch DDR" aus den späten Siebzigern. Vielleicht gibt's das noch antiquarisch. Unabhängig davon gab es eine, wenn auch verdeckte, faschistische Opposition, zumindest in den Achtzigern, als es unter einigen Jugendlichen als chic galt, "rechts" zu sein. Auf diese Strukturen konnten die West-Faschisten nach 1989/90 zurückgreifen.
Ordentliche Jugenderziehung ist so ein abgelatschter Gummibegriff. Was ist "ordentlich"? Wer ist besoffen und stinkt wie ein Tier? Der Junge Pionier!
Warum eigentlich sind alle Weltverbesserer oder die, die sich dafür halten, für eine kollektive Zwangserziehung der Jugend. Freiheit scheint ihnen Angst zu machen.
Wohin das Leitbild geführt hat, sehen wir 1989/90: Rein in den Trabbi und raus, Begrüssungsgeld auf den Kopf hauen, Kredite aufnehmen bis zum Anschlag und konsumiert wie geschmiert. Dann gerne herumjammern, dass einem keiner gesagt hat, wie böse der Kapitalismus sein. Da haben Mandy und Maik offenbar bei den Marxismus-Leninismus-Schulungen komplett auf Durchzug gestellt. Sie hätten es besser wissen müssen, die kleinen Dösis. Nach dem Jammern Sündenbocksuche und Pogromstimmung wie in Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda und anderswo. Die ausgleichende Gerechtigkeit mit dem Baseball-Schläger und Springerstiefel gesucht. Wie sagte mir vor 15 Jahren ein alter PDS-Genosse aus Rostock: Der Kapitalismus ist Scheisse, er hat uns die ganzen Ausländer hergebracht. Wenn das die Konsequenz des Leitbildes ist, dann dürften diejenigen, die für ein sozialistisches Deutschland und internationale Solidarität gestorben sind, in ihren Gräbern rotieren. Und ich schäme mich, mit solchen Menschen mal die Partei geteilt zu haben.
(von 2007, korrigierte Fassung)
Als jemand, der Jugend und junges Erwachsenendasein im Westen in den 1960/70ern verbracht hat, kann ich mich noch gut an Terrorangst, Rasterfahndung, Überwachungsstaat, Berufsverbot, Kalten Krieg und rücksichtsloses Atomprogramm erinnern.
Aus einem historischen Beitrag zum Vergleich BRD/DDR mal kurz ausgegraben:
Wenn ich mich so recht an meine Kindheit und Jugendzeit in der BRD (ab 1954)erinnere, fallen mir gewisse Ähnlichkeiten zu Erfahrungen von in der DDR sozialisierten Menschen auf.
Nach dem KPD-Verbot 1956 wurden alte Kommunisten, die schon im Hitler-Faschismus im Knast oder KZ gesessen hatten, wieder eingesperrt. Wer statt SBZ den Begriff DDR gebrauchte, wurde als Kryptokommunist schief angesehen. In der Zeit der Berufsverbote in den 1970ern durftest Du hierzulande als Kommunist weder Lokführer noch Briefträger werden - Lehrer schon gleich gar nicht. Von der Hysterie der Terrorfahndungen oder den Bürgerkriegssituationen an AKW-Bauplätzen mal ganz abgesehen.
Zu meiner Schulzeit waren Jeans verboten - die Nieten hätten das Schulmobilar beschädigen können und wer sich als Junge traute, lange Haare zu haben, wurde von den Lehrern aufgefordert, zum Friseur zu gehen (Du bist doch kein Mädchen!). Comics und Beatmusik galten als Sendboten des Teufels. Wer als Jugendlicher mit Altersgenossen auf der Strasse "abhing" bekam von Passanten Kommentare wie "Euch sollte man alle vergasen" oder "Unter Adolf hätte es das nicht gegeben" zu hören. Wer nicht zur Bundeswehr ging, wurde schief angeguckt und musste mit beruflichen Nachteilen, spätestens nach der Frage des Personalchefs "Haben Sie gedient?" rechnen.
Nein, Toleranz oder Akzeptanz von "abweichenden" Verhaltensweisen wurde offenbar in beiden deutschen Staaten nicht gern gesehen und konnte für nicht Angepasste durchaus böse Folgen haben.
Da nahmen sich beide Systeme während des Kalten Krieges nicht viel.
Also, liebe aufgekaufte ehemalige DDR-Bürger: Hier im "freien Westen" war auch nicht alles Gold, was scheinbar glänzte.
Aus einem ollen DDR-Thread exhumiert:
Wenn ich die Tatsache, dass jeder Arbeit hat, über die Frage nach dem gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Sinn der Arbeit stelle, dann bin ich natürlich zufrieden, wenn jeder irgendwie so tut, als täte er etwas. Freitag ab eins macht jeder seins, wie sich die älteren DDR-Bürger noch erinnern.
Die Frage, wer welche Ausbildung bekam, richtete sich, wie in der BRD, nach ökonomischen Notwendigkeiten, nur sehr selten nach den individuellen Interessen des Ausbildungsplatzsuchenden. Die Tatsache, dass jemand einen Ausbildungsplatz hat, sagt nichts über die Qualität dieses Platzes aus. He, hallo Stift, hol mir mal ne Flasche Bier- galt dort wie hier.
Die "Gemeinschaftlichkeit", mal als Volksgemeinschaft, mal als Solidarität deklariert, wird rückblickend gern als das grosse Plus der DDR gefeiert. Als ich damals mit Genossen aus der DDR sprach, redeten sie anders (nach dem 3. Bier): Der Konkurrenzdruck und der Neid, die Intrige gehörten zum Handwerkszeug in Partei und Kombinat. Wurde irgendwo ein guter Posten frei, begann das Rattenrennen. Mobbing war, wie in vergleichbaren Institutionen im Westen, an der Tagesordnung. Nicht wenige Genossen trugen die Säge für den Stuhl des Genossen in der Tasche. Dass man sich gelegentlich in der Datsche kollektiv die Birne zuzog, gehörte zur Schmierung des Systems, ähnlich wie im Westen. Die Gearschten waren, wie anderswo auch, die Frauen. Für die DDR-Mutti galt Karriere, politische zumal, als so anrüchig wie im Westen. Davor sei die markige Faust des sozialistischen Ehemannes.
Armut ist natürlich relativ. Sicherlich würde ein ALDI-Filialleiter seinen Vertrag kündigen, würde man ihm Honeckers Villa in Wandlitz als Betriebswohnung zuweisen, um mal die Relativität von "Reichtum" darzustellen. Aber die Lebenssituation vieler Bürger der DDR war am unteren Rande des Existenzminimums angesiedelt. Niedriglohngruppen gab es dort wie hier, vor allem für Frauen. Viele Rentner konnten nur dank ihres Reiseprivilegs über die Runden kommen. Versorgungsengpässe taten ein Übriges. Okay, verhungert ist keiner, aber das ist auch heute nicht der Fall.
"Keine Nazis" zählt zu den grossen Lebenslügen der DDR. Sowohl in Wirtschaft, Politik, Kultur und Militär sassen gewendete Faschisten. Wie im Westen griff man beim Wiederaufbau auf "bewährte" Leute zurück. Dazu empfehle ich jedem das "Braunbuch DDR" aus den späten Siebzigern. Vielleicht gibt's das noch antiquarisch. Unabhängig davon gab es eine, wenn auch verdeckte, faschistische Opposition, zumindest in den Achtzigern, als es unter einigen Jugendlichen als chic galt, "rechts" zu sein. Auf diese Strukturen konnten die West-Faschisten nach 1989/90 zurückgreifen.
Ordentliche Jugenderziehung ist so ein abgelatschter Gummibegriff. Was ist "ordentlich"? Wer ist besoffen und stinkt wie ein Tier? Der Junge Pionier!
Warum eigentlich sind alle Weltverbesserer oder die, die sich dafür halten, für eine kollektive Zwangserziehung der Jugend. Freiheit scheint ihnen Angst zu machen.
Wohin das Leitbild geführt hat, sehen wir 1989/90: Rein in den Trabbi und raus, Begrüssungsgeld auf den Kopf hauen, Kredite aufnehmen bis zum Anschlag und konsumiert wie geschmiert. Dann gerne herumjammern, dass einem keiner gesagt hat, wie böse der Kapitalismus sein. Da haben Mandy und Maik offenbar bei den Marxismus-Leninismus-Schulungen komplett auf Durchzug gestellt. Sie hätten es besser wissen müssen, die kleinen Dösis. Nach dem Jammern Sündenbocksuche und Pogromstimmung wie in Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda und anderswo. Die ausgleichende Gerechtigkeit mit dem Baseball-Schläger und Springerstiefel gesucht. Wie sagte mir vor 15 Jahren ein alter PDS-Genosse aus Rostock: Der Kapitalismus ist Scheisse, er hat uns die ganzen Ausländer hergebracht. Wenn das die Konsequenz des Leitbildes ist, dann dürften diejenigen, die für ein sozialistisches Deutschland und internationale Solidarität gestorben sind, in ihren Gräbern rotieren. Und ich schäme mich, mit solchen Menschen mal die Partei geteilt zu haben.
(von 2007, korrigierte Fassung)