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Gala: Guten Tag, Herr Manson ... sorry ... ich meine Herr Warner.
Manson ist schon in Ordnung.


Gala: Spricht Sie eigentlich überhaupt noch irgendwer mit Ihrem echten Namen an?
Die Polizei.


Gala: Bei welcher Gelegenheit denn um alles in der Welt?
Ach, reden wir nicht darüber. Aber für Behörden bin ich natürlich Brian Hugh Warner, wie es in meinem Pass steht. Ich habe keinen Künstlernamen eintragen lassen, obwohl diese zweite Identität untrennbar mit meiner ursprünglichen Persönlichkeit verknüpft ist. Nur so kann ich existieren.


Gala: Wie meinen Sie das?
Das vergangene Jahr war hart für mich. Die Privatperson hatte sich zu sehr von dem Künstler entfernt. Ich stand kurz davor, mich kreativ aufzugeben, was mein Ende bedeutet hätte. Ich wollte nicht etwa sterben. Es war viel schlimmer: Der Tod wäre ein Ziel gewesen, aber ich hatte kein Ziel. Das Einzige, was ich wusste, war, dass ich mich hasste und Angst vor mir hatte.


Gala: Na ja, wenn man Sie so anschaut ...
Nein, ich meine, dass ich fürchtete, mich nicht mehr kreativ ausdrücken zu können.


Gala: Als Kinderschreck, der auf der Bühne mit Blut kleckert?
Das ist meine Performance. Man kann dem Publikum als Musiker entweder eine auf­regende oder eine langweilige Show bieten. Ich habe mich für die aufregende Variante entschieden. Womit ich mich aber auch identifizieren muss. Was mir irgendwann nicht mehr gelang, weil von mir ständig verlangt wurde, dass ich mich ändere.


Gala: Sie spielen jetzt auf Ihre Ex-Frau Dita Von Teese an?
Jetzt weiß ich, dass eine Ehe einen Menschen beinflusst, weil man einen Teil von sich aufgibt. Die andere Person knüpft Erwartungen an einen, die vorher in der Partnerschaft keine Rolle spielten.


Gala: Was hat Dita von Ihnen erwartet?
Ich sollte mehr Verantwortung tragen, erwachsener sein, umgänglicher. Sie zog mich in eine Glamour-Welt, in die ich nicht gehöre. Meine Depressionen wurden immer schlimmer. Gleichzeitig wurde ich immer zynischer. Und ich merkte: Wir waren dazu bestimmt, getrennt zu werden.


Gala: Wie erwachsen wollte Dita Sie denn gern haben?
Ich sollte überlegter handeln, mit einem Blick für die Zukunft, und mich Dita gegenüber auch in gewisser Weise verpflichtet fühlen. Was dazu führte, dass ich oft an mir zweifelte. Mir reichte es, dass ich mich ständig dafür entschuldigen musste, was ich bin oder was ich tat. Ich habe den Fehler gemacht, diese Situation während unserer fast siebenjährigen Beziehung zu akzeptieren. Erst die Arbeit an "Eat Me, Drink Me" hat mich aus der Krise befreit. Die Songs sind wie ein Tagebuch über meine Gefühle vor und nach der Ehe. Früher schaute ich lieber auf die Welt, jetzt erzähle ich der Welt etwas über mich. Mir wurde dadurch erst bewusst, wie sehr ich Musik als Ausdrucksmittel brauche.


Gala: Ihre neue Freundin Evan Rachel Wood hat Ihnen doch sicherlich auch ein wenig aus der Krise geholfen ...
Evan ist wie ich enorm begeisterungsfähig. In ihr entdecke ich viel von mir selbst wieder, obwohl sie 19 Jahre jünger ist. Aber das zeigt mir nur, dass man seine Begeisterungsfähigkeit nie verlieren darf, egal wie alt man ist. Und Evan lässt mich außerdem so sein wie ich bin.


Gala: Und wie sind Sie? Tatsächlich böse?
Ich versuche jedenfalls, das Böse in die Rockmusik einzubringen.


Gala: Einige Leute in den USA sehen in Ihnen die Wurzel allen Übels.
Ich habe aufgehört, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Das würde mich nur zermürben. Sollen mich die Menschen doch so sehen, wie sie wollen. Ich stehe für das Extreme, was eben auch extreme Reaktionen hervorruft. Einige brauchen offenbar einen Sündenbock.


Gala: Hinter Ihrem Mummenschanz sind Sie also im Grunde ein sensibler Typ?
Jeder Künstler versteckt seine Schüchternheit doch irgendwie hinter einer Maske, oder?


Gala: Weinen Sie auch mal?
Im vergangenen Jahr habe ich viel geweint.


Gala: Führen Sie im Alltag ein normales Leben?
Was ist schon normal? Das liegt immer im Auge des Betrachters. Ich finde es zum Beispiel normal, morgens aufzustehen und mich zu schminken. So, wie die meisten Frauen das auch tun.


Gala: ... nur, dass sich nicht jede Frau milchig weiße Kontaktlinsen ins Auge setzt.
Das ist eben mein persönlicher Geschmack, mein Stil. Okay, deshalb denken einige sicher, dass ich in einer Fantasiewelt lebe und mich von Blut ernähre. Das macht mir aber nichts aus.


Gala: Was essen Sie denn tatsächlich am liebsten?
Biokost. Ich versuche, Gifte zu vermeiden, von einem Gläschen Absinth hin und wieder mal abgesehen.


Gala: Es heißt, Evan habe Ihnen zum Geburtstag einen lebenden Skorpion geschenkt.
Hmm. (Manson schmunzelt)


Gala: Sie sagten mal, mit Dita hätten Sie sich nicht vorstellen können, Kinder zu haben. Wie sieht es jetzt aus?
Ich bin nicht grundsätzlich gegen Kinder. Wenn es sich ergeben sollte, warum nicht? Es wäre ein Weg weiterzuleben. Schließlich ist Fortpflanzung die einzige Möglichkeit, die Sterblichkeit zu überwinden.



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der Spiegel:

SPIEGEL:
Helnwein gilt wie Sie als Provokateur des Kulturbetriebes - haben sich da zwei verwandte Seelen getroffen?
Manson:
Ein Künstler, der nicht provoziert, wird unsichtbar. Kunst die keine starken Reaktionen auslöst, hat keinen Wert. Helnwein hat das verinnerlicht und entspricht damit genau dem Kern meiner Musik. Unsere Zusammenarbeit erschöpft sich nicht darin, dass ein Künstler einem Musiker ein Cover für sein Album malt. Wir schaffen zusammen Kunst, die unseren Gemütszustand wiedergibt.
SPIEGEL:
Helnwein sagt, Sie seien ähnlich einsam wie er.
Manson:
Ganz bestimmt. Es ist übrigens nicht nur schön, sondern auch befremdlich, jemanden zu finden, der tatsächlich das Gleiche liebt wie man selbst. Ich bin gewohnt für meine Ideen verurteilt zu werden - und plötzlich ist da jemand, der mich auf Anhieb versteht. Ich war nie ein geselliger Mensch. Das ist einer der Gründe, warum Leute wie ich Entertainer werden - weil sie anders nicht kommunizieren können.





SPIEGEL: Mr. Manson, Sie sind dank Ihres wüsten Auftretens der umstrittenste Rockstar der USA. Wieso stellen Sie Ihr neues Album ausgerechnet in Berlin vor?


Manson: Ich liebe diese Stadt der Extreme, sie ist wunderbar, geheimnisvoll und gefährlich. Berlin ist wie Hollywood - ein sehr existenzialistischer Ort.


SPIEGEL: Vor allem aber einer, an dem Sie kaum Protest zu befürchten haben - gegen Ihre Songs oder dagegen, dass Sie im Michael-Moore-Film "Bowling for Columbine" heftig Amerika kritisiert haben. Ist es angesichts der derzeitigen Atmosphäre in den USA eine gute Idee, gerade jetzt ein neues Album herauszubringen - schließlich mussten sich Kollegen wie Madonna oder die Dixie Chicks wegen vermeintlich unpatriotischer Umtriebe öffentlich entschuldigen?


Manson: Ich finde, es ist genau die richtige Zeit. Nie zuvor in meiner Karriere habe ich mich so stark kreativ gefordert gefühlt. Die momentane Stimmung in den USA erinnert mich an die Art, wie in Deutschland vor gar nicht so langer Zeit mit so genannter entarteter Kunst umgegangen wurde. Doch Gefahr und Angst bringen häufig große Kunst hervor. Die schlimmste Form der Zensur in Amerika ist zurzeit die Selbstzensur. Immer weniger Menschen haben den Mut, ihre Meinung öffentlich zu sagen. Aus Angst vor Repressalien.


SPIEGEL: Welche Repressalien haben Sie erlebt?
Manson: Es wurde immer wieder versucht, meine Auftritte zu verhindern oder meine Platten aus dem Radio zu verbannen.


SPIEGEL: Mit Ihrem besonnenen und eloquenten Auftritt in Moores Oscar-prämiertem Film haben Sie selbst viele Ihrer Fans überrascht. Sind Sie stolz darauf?


Manson: Ich sehe es als meine Aufgabe an, alle Vorstellungen, die sich die Menschen von mir machen, permanent ad absurdum zu führen. Hier in Berlin zum Beispiel stelle ich Aquarelle aus - und auch dadurch irritiere ich viele meiner Fans. "Bowling for Columbine" ist ein sehr wichtiger Film, doch ich habe in Moores Interview nichts anderes gesagt als bei zahlreichen Gelegenheiten zuvor. Aber ich gebe zu: Es entbehrt nicht der Ironie, dass ich neuerdings unter amerikanischen Linken und bei vielen Europäern als "guter" Amerikaner gelte. Ich bin bestimmt kein besonders liebenswürdiger oder vorbildlicher Mensch.


SPIEGEL: Heißt das, Sie finden es in Ordnung, dass Ihnen zumal in den Vereinigten Staaten viele Menschen mit Hass begegnen?


Manson: Liebe und Hass - ich glaube, es ist beides zu gleichen Teilen. Und das belegt für mich den Erfolg meiner Arbeit. Ich repräsentiere gleichermaßen den amerikanischen Traum und Alptraum - so wie Marilyn Monroe und Charles Manson. Jede Gesellschaft braucht eine Figur wie mich, die alles in Frage stellt; eine ureigene, atmende Verkörperung des Teufels. Ich habe diesen Part mit Begeisterung übernommen.


SPIEGEL: Aber unter der Maske sind Sie dann doch ein braver, friedliebender Mann?


Manson: Ich halte nichts von Friedensliedern und Demonstrationen, wenn Sie das meinen. Es ist viel effektiver, eine aufrüttelnde künstlerische Vision zu präsentieren. Das versuche ich mit dem neuen Album "The Golden Age of Grotesque". Ich sehe meine Arbeit wie die Gemälde von Hieronymus Bosch - eine verschlungene Zurschaustellung von Gewalt, deren Schrecken immer auch Erlösung beinhaltet.


SPIEGEL: Warum reagieren Amerikaner stärker auf Ihre Provokationen als Europäer?


Manson: Weil sie meine extreme Kunst direkt auf sich beziehen. Sie wirkt wie ein Spiegel der amerikanischen Gesellschaft. Europäer reagieren auch heftig auf mich, aber für sie bleibe ich immer auch ein Exot - und sie scheinen einen besseren Sinn für die ironischen und satirischen Elemente meiner Arbeit zu haben.


SPIEGEL: Und doch halten auch hier viele Ihren Mummenschanz für gefährlich.


Manson: Das einzig Gefährliche daran ist, dass ich mein Publikum zu freiem Denken motiviere und es möglicherweise inspiriere.


SPIEGEL: Sorgt sich Ihre Plattenfirma, dass Ihr neues Werk boykottiert werden könnte?


Manson: Nein, Ärger gab es nur mit einem Cover-Entwurf des österreichischen Künstlers Gottfried Helnwein. Er hatte ein Foto von mir im Stil von Mickey Mouse bearbeitet, aber die Plattenfirma hatte zu viel Angst vor Disney - und davor, dass große Händler das Album nicht in ihre Läden nehmen würden. Es ist schon lustig, wie viel Wirbel man in den USA mit ein wenig Schminke und zwei großen Ohren erzeugen kann. Amerikaner mögen es nicht, wenn man ihre Ikonen verunstaltet.


SPIEGEL: Helnwein gilt wie Sie als Provokateur des Kulturbetriebs - haben sich da zwei verwandte Seelen getroffen?


Manson: Ein Künstler, der nicht provoziert, wird unsichtbar. Kunst, die keine starken Reaktionen auslöst, hat keinen Wert. Helnwein hat das verinnerlicht und entspricht damit genau dem Kern meiner Musik. Unsere Zusammenarbeit erschöpft sich nicht darin, dass ein Künstler einem Musiker ein Cover für sein Album malt. Wir schaffen zusammen Kunst, die unseren Gemütszustand wiedergibt.


SPIEGEL: Helnwein sagt, Sie seien ähnlich einsam wie er.


Manson: Ganz bestimmt. Es ist übrigens nicht nur schön, sondern auch befremdlich, jemanden zu finden, der tatsächlich das Gleiche liebt wie man selbst. Ich bin gewohnt, für meine Ideen verurteilt zu werden - und plötzlich ist da jemand, der mich auf Anhieb versteht. Ich war nie ein geselliger Mensch. Das ist einer der Gründe, warum Leute wie ich Entertainer werden - weil sie anders nicht kommunizieren können.