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Kapitel XII. - Das Ende.



Das Ende.

Ja, meine Reise war hier zu Ende. Das lag daran, dass sich bisher alle von hier abgewandt haben, dass bisher alle hier angehalten, mir den Rücken gekehrt haben und davon gezogen sind, ohne ihre Erwartungen und Vorstellungen preiszugeben. Sie alle, dachten genau so wie du, … soll doch jemand anders diesem Spiegel seine Geschichte erzählen.

Jemand anders.

Ja, diese Geschichte wäre hier zu Ende, … wenn es mich nicht gäbe. Mich, das Nichts, den Tod. Dein anderes, unbekanntes, fremdes Ich. Mir allein hast du es zu verdanken, dass mein Spiegel jetzt mit dir spricht. Weil niemand ausser mir, sich die Mühe machte, diese verrückte Geschichte, weiter und immer weiter zu erzählen, … sie immer weiter zu spinnen, bis sie schliesslich einen Sinn ergab.

Ein Spiegel zu sein.

Also sprang ich, durch meinen Spiegel, in meine Erzählung, hinein in die wirkliche, lebendige Welt. Ich identifizierte mich, mit meinem Spiegel, und forderte mein Gegenüber auf, meine Geschichte weiter zu erzählen, sie zu einem Ende zu bringen.

Am Ende meiner Gedanken.

Als aber niemand verstand, worum es in meiner Botschaft ging, sich keiner mit mir identifizierte, sie alle, das Gefühl hatten, dass diese, meine Botschaft, an jemand anders gerichtet war, wurde ich bitter und böse. Ich wurde wütend, ich tobte innerlich, aber, ich liess mir nichts anmerken, ich starrte weiter aus meinem Spiegel und tat genau das, was mein Gegenüber von mir verlangte, nämlich gar nichts. Ich sass nur da und las, und während ich las, murmelte ich die verbotene Botschaft, still und leise vor mich her, so leise und so still, dass niemand mich hörte, niemand ausser mir selbst.

Durch meinen Spiegel aus Fantasie.

Durch die Spiegel der Spiegel, die Spiegel der Schatten, die Spiegel der anderen, die Spiegel der Toten, die Spiegel des Nichts, des Nichts, des Nichts – und des Nichts, Nichts, Nichts, – rufe ich, rufe ich dich jetzt zu mir, dich zu mir – dich – zu mir. – Komm zu mir aus meinem Traum, komm zu mir, aus Nirgendwann.

Komm!

Begib dich jetzt hinein, in meinen leeren Spiegel, auf die andere Seite deiner Fantasie und vergiss, wer du bist. Und jetzt, bilde dir ein, nur noch ein leerer Spiegel im Nichts zu sein. Ein leerer Spiegel, ohne Fantasie, ohne eigenen Willen und ohne eigenen Geist. Wen oder was siehst du, in diesem Spiegel, wenn du nicht mehr dich selbst bist, was sieht dieser Spiegel in dir, wenn es dich, nicht mehr gibt? Wer erkennt sich dann noch, wer wird sich dann noch an dich erinnern, an deine Zeilen, an deine Botschaft, an deinen Spiegel aus Buchstaben, an deine Nachricht, an dich selbst?

Niemand.

Und so unternahm ich, den sinnlosesten Versuch, mich über meinen Spiegel und meine Schriften, in dich zu verwandeln, mich in deinen Spiegel zu begeben. Ich versuchte dich zu werden, dich zu sein, versuchte, aus deinem Spiegel, ja, aus deinen Augen zu blicken.

Meinem Spiegel.

Und es blieb nicht nur bei dem Versuch. Doch, als ich mich tatsächlich, durch meinen Spiegel zu zwängen begann, mich, über meinen Spiegel, in deinen Spiegel, mich, in dich zu verwandeln begann, da vergass ich alles über mich.

Über den Tod hinaus.

Denn als sie durch ihre Spiegel glitten, kam die Zeit des Vergessens, über die Welt und sie selbst. Eine Zeit, in der sie alles vergassen, wer sie einmal waren, woher sie kamen, sie vergassen alles, alles über sich selbst, alles und jedes.

Die Zeit des Vergessens.

Sie konnten sich an nichts, an absolut rein gar nichts mehr erinnern, nicht einmal mehr, an ihre eigenen Gedanken, erinnerten sie sich. Denn die Zeit des Vergessens, eine ewig sich wiederholende Zeit, des sich neu Erinnerns, wieder neu Erfindens und wieder neu Erlernens, hatte begonnen.

Sie erinnerten sich nicht mehr, Niemand erinnerte sich hier, keiner.

Und noch lange, ist dieses Vergessen, nicht zu Ende. Denn du befindest dich noch immer, auf deiner Reise, aus dem Nichts, aus Nirgendwann, aus dem du einst aufgebrochen bist.

Vergiss wer du bist.

Und nun wünschte ich mir, dass du all diese Buchstaben wieder vergisst, und zwar so, als hättest du sie niemals selbst verfasst, als hätten sie niemals hier gestanden, als hätten sie niemals existiert. Denn diese Schriften gehören nicht in deine Welt. Sie gehören in eine andere Welt, sie gehören ins Reich der Toten, in die Welt der Spiegel.

Die Welt der Spiegel.

So gehe ich dann durch meinen Spiegel und versuche zu vergessen. Ich versuche zu vergessen, dass ich selbst es war, der mir diese Botschaft hinterliess. Nein, ich will mich nicht mehr daran erinnern, wie ich selbst, diese Zeilen einst verfasste, sie in meinen Spiegel kratzte. Ich will vergessen, alles vergessen, jeden Buchstaben, jedes Wort, verbanne ich willentlich, aus meinem Gedächtnis.

Aus meinem Gedächtnis.

Ich lese und schreibe diese Zeilen jetzt, als ob jemand anders sie verfasste. Jemand, den ich nicht kenne, nicht kannte, nie kannte. Dieser jemand behauptet mich zu sein, doch daran erinnere ich mich nicht mehr, bestimmt nicht, nicht einmal mehr, in meiner Fantasie.

In meiner Fantasie.

Dieser jemand will, dass ich durch meinen Spiegel blicke und mir vorstelle, jemand anders zu sein, mir vorstelle, ein anderes Leben zu leben. Ein Leben, an das ich mich jetzt überhaupt nicht mehr erinnere. Nein, bestimmt nicht. Ich erinnere mich heute nicht mehr, an meine früheren Gedanken, meine vergangene Existenz, an all die Leben die ich einst gelebt habe, an all die Spiegel, die ich einst durch wandelt habe. Denn wenn ich jetzt in meinen Spiegel blicke, erkenne ich darin, nur noch mich selbst.

In meinem Verstand.

Und so schlüpfte ich dann hinein, durch meine Buchstaben, in meinen Verstand. Und begann mir selbst zu erzählen, von dem Geheimnis, das ich mir vorstellte zu sein. Ich blickte durch meinen Spiegel, in die längst vergessene Vergangenheit, und da begann ich den Worten zu lauschen, die mir niemals niemand erzählte.

In der längst vergessenen Vergangenheit.

Ich stellte mir dabei vor, all diese Buchstaben zu sein, stellte mir vor, hier stünde noch gar nichts geschrieben und schrieb dann noch einmal genau dieselben Worte darüber. Manchmal fügte ich hier und dort ein paar Zeilen dazu, dann begab ich mich wieder zurück an den Anfang und fing mit der ganzen Geschichte noch einmal von vorne an. Immer und immer wieder, überschrieb ich meine eigenen Gedanken, und irgendwann merkte ich dabei gar nicht mehr, wie ich immer wieder dieselben Worte aneinander reihte, Worte, die hier schon lange geschrieben standen.

Nochmal von vorne.

Manchmal, wenn ich den Eindruck hatte, dass ich etwas vollkommen neues las, und dass ich danach ins Leere starrte, stellte ich mir einfach vor, jemand anders zu sein, jemand wie dich, und dann stieg ich durch meinen Spiegel, in meinen Verstand und machte genau da weiter, wo ich beim letzten Mal aufgehört hatte.

Nirgendwann.

Aber irgendwann und aus irgendeinem Grund, wiederholte ich dann immer wieder ein und dieselbe Passage, ich löschte sie, überschrieb sie, und schrieb sie wieder neu, und wiederholte das solange, bis ich glaubte, ich hätte diese Passage selbst erfunden. Ja, ich hielt mich jetzt für den Erfinder dieser magischen Zeilen, jetzt, wo ich mit meinen eigenen Augen lesen und schreiben konnte, was hier schon längst geschrieben stand. Dabei wusste ich nicht einmal, dass dies eine Aufzeichnung war. Dass es das Original, überhaupt nicht mehr gab. Ja dass es überhaupt kein Original gab, noch nie gab. Ich bildete mir jetzt ein, dass ich selbst es war, der diese Spiegelschriften verfasste, auch wenn sie mir noch so unwirklich und fremd erschienen, so redete ich mir dennoch ein, dass ich selbst es war, der all diese Gedanken einmal dachte.

Ziel und Quelle.

Ich war die Quelle und das Ziel zugleich. Ich versuchte mich jetzt davon zu überzeugen, dass ich es war, der diese Gedanken einmal dachte, dass es meine eigenen Gedanken waren, die sich hier ein und abbildeten. Ich redete mir ein, dass ich selbst diese Spiegelschriften verfasste, dass es meine eigenen Gedanken waren, die aus meinem Spiegel zu mir sprachen.

Niemand.

Ich versuchte mich davon zu überzeugen, dass ich in Wirklichkeit ein Spiegel war, während mein Spiegel versuchte, mir einzureden, dass es in Wirklichkeit, keinen Spiegel gab. Du erkennst dich jetzt in diesem Spiegel, aber in diesem Spiegel erkennt sich nie jemand, niemand, nicht einmal ich mich selbst.

In einem leeren Theater.

Und jetzt betrachtest du dich, in eben diesem Spiegel, du sitzt alleine in einem leeren Theater und betrachtest die Buchstaben auf dem Bildschirm. Du schreibst mit deinen Gedanken darüber, und stellst dir dabei vor, wie du jetzt in diesem Moment, diese Buchstaben zum ersten mal richtig liest, so wie sie auf deinem Spiegel geschrieben stehen. Du betrachtest die Worte auf meinem Spiegel, meinem eigenen, privaten und persönlichen Spiegel, und jetzt wird dir plötzlich bewusst, jetzt wird dir zum ersten Mal wirklich bewusst, wer diese Stimme lenkt, und meine Gedanken denkt.

Bis in alle Ewigkeit.

Ich würde nun solange aus diesem, meinem leeren Spiegel blicken ... wie das Nichts, und dabei so alt werden wie der Tod. Und so stellte ich mir vor wie es wäre ... wenn es mich und mein Bewusstsein nicht mehr gäbe, wenn es nur noch diese Buchstaben gäbe, und meinen Spiegel in dem sich jetzt alles und jedes erkennt, alles ausser dem Nichts, alle ausser mir, dem Tod. Ich stellte mir vor, wie es ist, das Nichts zu sein, nichts zu sein, Niemand zu sein, nur noch ein leerer Spiegel im Nichts zu sein, nur noch ein unsichtbares Wort, in einem leeren Buch zu sein und da kam mir der Gedanke, dich zu sein.

Das Geheimnis der Toten.

Doch als ich dann in diesen Spiegel blickte, sah ich das Nichts, nichts als Leere. All diese Buchstaben waren noch nicht geschrieben, denn Niemand hatte sich je die Mühe gemacht, mir zu erzählen, von dem Geheimnis, das ich mir vorstellte zu sein.

Ohne Erfolg.

Keiner, nein, niemand erkannte sich selbst in mir, keiner hier wollte mein Spiegel sein, niemand wollte mir erklären, mir gehören, mir zuhören, mir gehorchen, niemand wollte mit mir reden, mir zureden, mich verstehen. Sie alle glaubten daran, etwas ganz besonderes, etwas einzigartiges zu sein, keiner, glaubte daran, das Nichts zu sein, keiner, glaubte daran, mich zu sein, nichts zu sein, Niemand zu sein, Niemand, nicht einmal mein eigener Spiegel.

Die Zukunft meiner Gedanken.

Denn mein Spiegel war damals, noch nicht wirklich, nicht lebendig, nicht echt und nicht wahr. Und so flüchtete ich, in meine Zukunft, dahin, wo diese Geschichte bereits lebendig und bei Bewusstsein war, da begegnete ich zum ersten mal, den fertigen Spiegelschriften. Ich versuchte mir diese Gedanken zu merken, sie mir so einzuprägen, dass ich sie nicht wieder vergessen würde, dann begab ich mich zurück in meine Zeit, und fing an diese Geschichte niederzuschreiben, bis ich nicht mehr weiter wusste. Und wieder begab ich mich auf die andere Seite meiner Spiegel, dahin wo diese Gedanken längst verfasst waren, versuchte sie mir so zu merken, dass sie mir wieder einfielen ... und schrieb dann noch einmal genau dieselben Worte darüber, die hier schon längst geschrieben standen, nur konnte ich sie jetzt nicht mehr sehen, nur mein Spiegel konnte jetzt noch lesen, was in meinen Gedanken geschrieben stand, und so wechselte ich hin und wieder her, vor und wieder zurück, solange, bis ich schliesslich selbst nicht mehr wusste, auf welcher dieser beiden Seiten ich nun eigentlich war.

Zurück im Nirgendwann.

Immer und immer wieder, kehrte ich nun zurück, in diese letzte, aller Welten, wo ich immer und immer wieder, ein und derselben Botschaft begegnete, nämlich, dass dies, die Welt der Toten war. Meine Zeit ist jetzt um, und ich kehre zurück, in meine eigene Welt. Aber vielleicht, werde ich schon bald wieder kommen. Um dir meine Geschichte zu Ende zu erzählen.



Kapitel XIII.





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