Ärzte fordern das Aus

Das Beschneidungsgesetz ist ein Jahr alt: Ärzte haben den Jahrestag genutzt, um auf die Widersprüche des Gesetzes hinzuweisen.

Von Anno Fricke


BERLIN. Die Kinder- und Jugendärzte lassen nicht locker. Auf den Tag genau ein Jahr nach der Verabschiedung des Beschneidungsgesetzes haben Vertreter mehrerer kinder- und jugendärztlicher Organisationen das Gesetz scharf kritisiert.

"Das Gesetz hat verfehlt, was es versucht hat zu regeln," sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH), Professor Bernd Tillig, bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Berlin.

Insgesamt sieben Organisationen haben zum Jahrestag der Gesetzgebung an die Regierung appelliert, das Beschneidungsgesetz aufzuheben und die Rechte der Kinder auf genitale Selbstbestimmung anzuerkennen.

Außer den Kinderchirurgen sind dies der Verband der Kinder- und Jugendärzte, die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, die Betroffenenorganisation MOGIS, Terre des femmes, der Mädchenhilfe (I)ntact und pro familia Niedersachsen.

Das Gesetz regelt im Paragrafen 1631d des Bürgerlichen Gesetzbuches, dass Jungen in Deutschland beschnitten werden dürfen.

Auslöser des heftig umstrittenen Gesetzgebungsverfahrens, in dem die Konfliktlinien quer durch alle Fraktionen verliefen, war ein Urteil des Landgerichts Köln. Das hatte am 7. Mai 2012 entschieden, die Beschneidung eines kleinen Jungen stelle eine gefährliche Körperverletzung dar.
Betroffenengruppen: Gesetzgeber drückt beide Augen zu

Vertreter der muslimischen und der jüdischen Gemeinde in Deutschland hatten ihr Recht auf freie Religionsausübung in Gefahr gesehen. Nichtärztlichen Vertretern von Religionsgemeinschaften wird mit dem Beschneidungsgesetz nun ausdrücklich erlaubt, Beschneidungen in den ersten sechs Monaten nach der Geburt vorzunehmen.

Darin sehen die Kinder und Jugendärzte ein Dilemma. "Zirkumzisionen ohne therapeutischen Nutzen dürfen frühestens nach Erreichen der notwendigen Einwilligungsfähigkeit durchgeführt werden", sagte der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Ulrich Fegeler.

Zudem sehen die Ärzte medizinethische Prinzipien verletzt. Es sei für einen nichtärztlichen Beschneider in Deutschland nicht möglich, eine Beschneidung schmerzfrei durchzuführen, weil er keine Betäubungsmittel einsetzen dürfe. Die häufig verwendete Emla Creme sei für diese Indikation zudem nicht zugelassen, betonte Dr. Manfred Gahr, Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendärzte.

Die Betroffenengruppen sehen Jungen und Mädchen nicht gleich behandelt. Während der Gesetzgeber die Genitalverstümmelung bei Mädchen ausdrücklich unter Strafe gestellt hat, drücke er bei der Beschneidung kleiner Jungen beide Augen zu.
http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gp_specials/beschneidung/article/851999/beschneidungsgesetz-aerzte-fordern.html (Archiv-Version vom 19.12.2013)