Von Zeit zu Zeit taucht die Europäische Zentralbank mit ihren aktuellen Entscheidungen in den Medien auf. Viele Leute haben wahrscheinlich keinen Bezug dazu. Ich will hier mal einen kurzen, vereinfachten Überblick geben und einige Kritikpunkte anbringen.

Die oberste Aufgabe der Europäischen Zentralbank ist es, die Geldstabilität im Euroraum zu sichern. Mit anderen Worten, der Preis für die Lebenshaltung soll bis auf kleine Erhöhungen zukünftig so hoch sein, wie er heute ist. Das klingt erstmal gut.

Um die Geldstabilität steuern zu können, muss man sie erstmal messen. Das wird über die Inflationsrate getan, die angibt, wieviel teurer Dinge im Vergleich zum Vorjahr sind. Per Definition wird gesagt, eine Preiserhöhung von 2% ist stabil.
Da fangen die Probleme schon an. Denn die Waren und Dienstleistungen, die betrachtet werden, werden nur alle paar Jahre mal geändert. Waren vor 2 Jahren Digitalkameras noch hip, hat heute jeder ein Smartphone und braucht keine zusätzliche Digitalkamera. Technische Geräte im Allgemeinen veralten schnell und werden über die Zeit eher billiger. Für die gemessene Preisstabilität heißt das, die Preise fallen. Tatsächlich haben sich aber nur die Kaufgewohnheiten verändert. Wer braucht schon eine Digitalkamera?

Das nächste Problem ist, dass die Preissteigerung über den ganzen Euroraum gemessen wird, von Portugal bis Litauen. Eine einzige Kennzahl, für ganz Europa? Da leuchtet jedem ein, dass man da nur sehr vage Durchschnitte bilden kann. Außerdem sind die Verbrauchsgewohnheiten ganz unterschiedlich. Um die Klischees zu bedienen: Wenn der Preis für Pasta und Pizza steigt, werden die Italiener das spüren. Den Franzosen dagegen ist es egal, die wären nur von einer Preissteigerung bei Baguettes und Croissants betroffen. Hinzu kommt natürlich, dass alle Länder unterschiedliche wirtschaftliche Voraussetzungen haben.

Selbst auf individueller Basis kann man die Preissteigerung nicht vergleichen. Es heißt dann vielleicht in einem Bericht, die Inflation läge bei 1%. Nun habe ich aber eine ganz andere Inflation als du. Wenn jemand Berufspendler ist und jeden Tag 150 km Auto fährt, hat eine Änderung der Benzinpreise für ihn ganz andere Auswirkungen als auf jemand, der um die Ecke oder gar nicht arbeitet. Preissteigerungen bei Fleisch betreffen einen Vegetarier nicht, Windelpreise spielen für Kinderlose keine Rolle.
Es gibt sie also nicht, „die“ Inflation. Wann immer davon die Rede ist, muss man sich vor Augen halten, dass von einer sehr sehr groben Durchschnittsbildung die Rede ist.

Gut, man hat nun also die Inflation gemessen. Nun geht es darum, sie so zu beeinflussen, dass sie bei ungefähr 2% liegt. Warum das so sein soll, will ich hier nicht thematisieren. Bei Interesse kann das in geeigneten Quellen nachgelesen werden.

Aktuell bemängelt die EZB seit längerer Zeit, dass die Inflation zu niedrig sei. Sie versucht demnach, die Inflation zu erhöhen. Die EZB greift dabei (noch?) nicht direkt in die Warenmärkte ein. Erhöhen aber nun z.B. die USA ihre Erdölfördermengen, wird der Preis für Erdöl sinken, demnach auch die Inflation sinken. Die EZB sieht sich nun in der Pflicht, „die“ Inflation – nicht etwa den Preis für Erdöl – zu erhöhen.

Um dies tun zu können, wird die EZB in erster Linie an die Zinssätzen drehen, die die europäischen Geschäftsbanken zahlen müssen bzw. bekommen. Davon ist sowohl die Sparkasse Hintertupfingen als auch der Großkonzern mit den vielen Rechtsstreitigkeiten betroffen. Die Banken zahlen Zinsen, wenn sie sich Geld von der EZB leihen und bekommen welche, wenn sie Geld dort anlegen, so die Grundidee. Dadurch wird natürlich auch der Handel unter den Wirtschaftsteilnehmern beeinflusst. Untereinander werden sie sich nicht mehr Zinsen zahlen, als bei Geschäften mit die EZB. Und somit beeinflusst die EZB die Zinslasten ganzer Staaten.

Die ursprüngliche Idee dahinter ist noch nachvollziehbar: Wenn die Geschäftsbanken weniger Zinsen zahlen müssen, um sich Geld bei der EZB zu leihen, werden sie weniger Zinsen als Pries für Kredite an die Wirtschaft berechnen und demzufolge mehr Geld als Kredite in den Umlauf bringen, weil mehr Kredite nachgefragt werden. Durch mehr Geld im Umlauf sollte dessen Gegenwert in Waren sinken und so Preissteigerung eintreten.

In der Theorie klingt das gut. Aber schon in vielen Einsteigerbüchern über Volkswirtschaft kann man das folgende Zitat lesen: „Man kann den Gaul zu Tränke führen, ihn aber nicht zum Saufen zwingen.“ Sprich, man kann die Banken nicht zwingen Kredite an die Wirtschaft zu geben und ebenso wenig kann man die Wirtschaft zwingen, Kredite aufzunehmen. Wer nicht investieren will, will halt nicht, und wenn die Kredite noch so günstig sind.
Genau das wird aber seit Jahren versucht, mit immer stärkerem Druck. Die EZB hat die Zinsen auf immer neue Rekordtiefs gesenkt. Mittlerweile sind die Zinsen für Einlagen negativ geworden, die Geschäftsbanken müssen also dafür zahlen, Geld bei der EZB anzulegen. Geld leihen können sie zinsfrei. Führt das aber zum gewünschten Ansteigen der Inflation? Nein, tut es nicht. Wird es das, wenn man die Zinsen noch weiter senkt? Nein, wohl eher auch nicht.

Was geht da also vor in der EZB, dass man nicht entsprechend reagiert? Inzwischen ist die schwierige Situation entstanden, dass man die Zinsen nicht einfach wieder erhöhen kann. Denn dann würde auch die Zinslast für die Staaten steigen. Einige europäische Staatshaushalte könnten in erhebliche Schwierigkeiten kommen. Das will man natürlich nicht. Die Zinsen weiter zu senken kann aber auch nicht die Lösung sein. Wie die jüngere Vergangenheit gezeigt hat, will der Gaul nicht saufen.

Die Folgen der Ultraniedrigzins-Politik werden für die Bürger immer spürbarer: Klassische Zinsprodukte gibt es praktisch nicht mehr. Die Geschäftsbanken können mit der Annahme von Kundengeldern auf Sparbüchern o.Ä. kein Geld mehr verdienen oder zahlen dabei sogar drauf. Deshalb sind sie gezwungen, Gebühren für anderes zu erheben, was früher für die Kunden kostenfrei war. Ein Manager eines großen Deutschen Konzerns hat kürzlich gesagt, dass auch die Kosten für Kredite an die Kunden angehoben werden müssen, weil man mit Einlagen nichts mehr verdienen kann und deshalb andere Ertragsquellen braucht.
Damit hat die EZB dann das Gegenteil von dem erreicht, was ihr eigentliches Ziel war.

Da stellt sich natürlich die Frage, wer die EZB ist, dass sie auf diese Weise die Wirtschaft im ganzen Euroraum steuern darf. Sicher beraten die Mitgliedsstaaten ausführlich, welche Schritte vorzunehmen sind und entscheiden gemeinsam, könnte man denken. Auch hier ist das Gegenteil der Fall. Eine kleine Gruppe Anzugträger entscheidet ganz allein, ganz ohne demokratisch gewählt zu sein, ohne irgendwelchen Kontrollinstanzen unterworfen zu sein, ohne Mitspracherechte der Volksvertretungen. Wer die Presseberichte verfolgt, kann sogar den Eindruck gewinnen, ein einziger Mann würde all dies ganz allein entscheiden und die Wirtschaft von ganz Europa steuern.

Das ist mir doch egal, es hat keine Auswirkung auf mich, denkst du? Ich habe nur ein Sparbuch mit 5 Euro drauf, mich geht das nichts an, denkst du? Du irrst dich. Es geht um viele Milliarden Euro, es geht um Arbeitsplätze, Staatshaushalte und möglicherweise Staatspleiten wie in Griechenland.

Kurz zusammengefasst: Die EZB versucht mit ungeeigneten Methoden eine viel zu allgemeine Kennzahl zu beeinflussen, schafft das seit Jahren nicht und versucht es mit den gleichen ungeeigneten Methoden in immer größerem Ausmaß trotzdem immer weiter. Niemand kann sie kontrollieren oder aufhalten. Inzwischen ist eine Situation erreicht, in dem man nicht mehr einfach nur in die Gegenrichtung steuern kann - Wenn das nur gut geht!