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Eigentlich genügt nur ein Zitat, um die Bedeutung des Denkers Napoleon auch für die heutige Zeit hervorzustreichen:
Von allen Attentätern sind die Fanatiker am gefährlichsten: nur mit großer Schwierigkeit kann sich gegen die Grausamkeit solcher Menschen verteidigt werden. Eine Person, welche die Absicht, den Wunsch hat, sich selbst zu opfern, ist immer der Herr über das Leben anderer und liefert, wenn sie eine Fanatikerin ist - und insbesonders eine religiöse Fanatikerin, Anschläge von besonderer Effektivität.
Colson stellt in seiner sehr strukturierten Darlegung Napoleon und Clausewitz gegenüber und zitiert aus vielen Briefen, Aufzeichnungen und Gesprächen Napoleons.

Zunächst fällt auf, dass Napoleons Ansicht über Krieg und Kriegsführung von unserer Vorstellung des totalen Kriegs abweicht: Napoleon lehnt totalen Krieg ab. Für ihn ist Krieg eine Angelegenheit von Kombattanten. Selbst die allgemeine Subskription des revolutionären Frankreich betrachtet er aus militärischer Perspektive sehr skeptisch.

Auf Basis dieser Ansicht ist für Napoleon auch ein Friedensschluss (wie in Amiens 1802) sehr fragwürdig, da Friede für ihn nur aus einer starken Position erstrebenswert ist. Ein lauer Frieden, bei dem die gegnerische Partei pazifistische Ansichten infiltrieren kann, ist für ihn ablehnenswert und höchstens nützlich, um Zeit zur Aufrüstung zu gewinnen.

Napoleons Maxime: wenn der Gegner Frieden propagiert, ist es höchste Zeit, für den Krieg zu rüsten.

Ein wichtiger Aspekt andererseits ist für Napoleon, dass Kriegsführung in politische Verträge eingebettet werden muss. Kombattanten sind für ihn Kombattanten, und im Falle einer Kriegsführung sollen Zivilisten unberührt bleiben. Er fordert in diesem Sinne eine Änderung des Seekriegsrechts, sodass Handelsschiffe (entgegen zeitüblicher Praktiken) nicht als feindliche Schiffe angesehen werden, sondern wie Händler auf Land: sie sollen frei ihren Handlungen nachgehen dürfen.

Sehr breiter Raum wird in diesem Buch den taktischen, strategischen und operativen Ideen und Reflexionen Napoleons eingeräumt (immerhin hat er ja etwa 90 Schlachten gewonnen). Dieser Teil offenbart, dass die angebliche Intuition Napoleons auf sehr gründlicher Kenntnis beruhte: er hat praktisch alle wichtigen militärischen Werke kritisch gelesen gehabt und über ein umfassendes und detailliertes Wissen der geographischen Details Europas wie Nordafrikas verfügt. Seine Entscheidungen während einer Schlacht waren nicht aus dem Hut gezaubert, sondern sie basierten auf fundiertem Wissen.

Napoleons Stern begann erst zu sinken, als seine Gegner zu verstehen begannen, welche Prinzipien der Schlachtführung Napoleon umsetzte: Ballung seiner Kräfte, Zersplitterung seiner Gegner, Einsatz von Artillerie, genaues Studium der geographischen Bedingungen. Als Wendepunkt wird von Colson das Jahr 1809 gesehen.

Insgesamt ist dieses von der Oxford University Press veröffentliche Buch des an der belgischen Universität von Namur tätigen Autors wegen seiner vielen Langzitate Napoleons (auch wenn sie in englischer Übersetzung vorliegen) eines der spannendsten über Napoleon gewesen, das ich kenne. Originaltexte von ihm (auch wenn hier wegen der Übersetzung sprachlich gebrochen) kannte ich in dieser Ausführlichkeit noch nicht.

https://directory.unamur.be/staff/bcolson
https://global.oup.com/academic/product/napoleon-on-war-9780199685561?cc=at&lang=en&