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Mordfall Hinterkaifeck

51.749 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Bauernhof, Hinterkaifeck ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Mordfall Hinterkaifeck

Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 13:50
@canales

Ich hatte schon geschrieben, dass eine Begnadigung nicht im Urteil erwähnt wird, da nicht der Richter sie ausgesprochen hat, sondern sie auf Antrag von der Staatsanwaltschaft gewährt worden ist.

Das alles konnte nach Rechtskraft geschehen, aber es hätte dokumentiert werden müssen.

@pilvax

Ich weiß auch, was Du meinst. Ein Recht zur Ehelichkeitsanfechtung hätten nach Karls Tod auch die Gabriels gehabt, aber sie haben es nicht gemacht, denn später waren sie erbberechtigt.

Alles, was Pielmaier geschrieben hat, der Zeitraum der abgeurteilten Tat, das Delikt und das Strafmaß, konnte er aus dem Urteilstenor entnehmen. Der Urteilstenor wird ewig aufbewahrt, ebenso das Strafvollstreckungsheft.

Die restlichen Strafakten werden nach Rechtskraft nicht lange aufbewahrt. Etwas anderes gilt nur für Strafakten betreffend Kapitalverbrechen und insbesondere auch für Sexualdelikte.

Dem Urteilstenor konnte er jedoch nicht entnehmen, wie das Strafverfahren in Gang gekommen ist (Anzeige, polizeiliche Ermittlungen etc.) und worauf die Verurteilung basiert ( Geständnis, belastende Zeugenaussagen, etc). Das hätte er nur der Urteilsbegründung entnehmen können. Daher kann man vermuten, dass 1922 die kompletten Akten aus 1915 nicht mehr vorhanden waren.

Möglicherweise lag auch noch das Strafvollstreckungsheft vor, denn irgendwo her muss er die Bemerkung von der Strafverbüßung haben. Wie lange die kompletten Strafakten 1915 aufbewahrt worden sind, kann ich nicht sagen, vielleicht waren es aber nur fünf Jahre.

Bezüglich des Verfahrens aus 1920 waren die Akten noch vorhanden und so konnte Pielmaier auch mitteilen, warum es zum Freispruch gekommen ist ( widersprüchliche Aussagen Schl.) Das hat er aus der Urteilsbegründung entnehmen können.

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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 14:26
@pilvax

Merkwürdig ist allerdings, dass Pielmaier nicht erwähnt hat in welchem Zeitraum und in welchen Haftanstalten Gruber und Viktoria die Strafen verbüßt haben.

Vielleicht hat ihm doch kein Strafvollstreckungsheft - aus welchen Gründen auch immer-vorgelegen und er hat aufgrund der Verurteilung einfach nur geschlossen, dass sie die Strafen verbüßt haben.

___________

Der abgeurteilte Zeitraum von 1907 - 1910 hat mich auch schon oft beschäftigt.

Gruber wurde 1919 wegen Blutschande in U-Haft genommen und zwar nur aufgrund der Aussage des LS, dass Viktoria ihm gegenüber Blutschande mit ihrem Vater eingestanden habe. Man sieht daran, dass an einen Nachweis für eine solche Straftat damals keine hohen Anforderungen gestellt wurden.

Ich gehe davon aus, dass auch 1915 zur Verurteilung eine derartige Aussage eines Zeugen / einer Zeugin ausgereicht hat, die /den das Gericht damals als glaubwürdig erachtet hat.

1920 kam es nur deshalb zum Freispruch, weil LS mal die Anzeige erstattet hat, sie dann zurückgezogen hat und erst später unter Eid seine frühere Aussage zur Anzeigeerstattung wiederholt hat. Widersprüchliche Aussagen haben halt zur Verurteilung nicht ausgericht. Konstante Aussagen hätten mE schon ausgereicht, bei einem glaubwürdigen Zeugen.

Ich kann mir auch einfach nicht vorstellen, dass Gruber und Viktoria im Zitraum von 1907-1910 ständig beim Geschlechtsverkehr beobachtet worden sind.

Die Beweisanforderungen waren sicher viel geringer, so dass eine Zeugenaussage in der o.g. Art ausgereicht hat.

Ich habe 1915 allerdings nicht gelebt und weiß natürlich nicht, wie die Anforderungen wirklich waren. Das sind alles nur Vermutungen / Überlegungen.

____________

Alles in allem sollten wir aber nachhaken, ob Gruber und Viktorias Haft nicht doch noch durch Eintragung in entsprechenden Gefangenenbüchern belegbar ist.

Dann könnten wir auch gleich sehen mit wem Gruber zusammen in Haft war und das wäre doch sehr interessant.


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 15:40
@alle,
auf der Suche nach einem (kurzen) Gefängnisaufenthalt von Vic stiess ich vor einiger Zeit auf karge Hinweise, die die frühere Existenz eines Gefängnisses in Pfaffenhofen/Ilm vermuten lassen. Ein Hinweis ging in Richtung Nebenstelle. Könnte es sein, dass Vic aus eher praktischen bzw haftmildernden Gründen hier inhaftiert worden war, gab es da einen Vollzug für Mütter mit Kleinkinder ?? -- Ein Gefängnis in Pfaffenhofen müsste noch zur Zeit des WK-II existiert haben, wie es die folgenden heimatkundlichen Ausführungen zur Nazizeit erwähnen ( Auszug)

"......... Sie werden dennoch festgenommen und ins Pfaffenhofener Gefängnis gesperrt ...."

Quelle:
=====
http://www.geisenfeld-online.de/heimatmuseum/archiv/2005/20050128.htm (Archiv-Version vom 22.11.2011)

*****
Bernie


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 15:55
@alle,
Ein weiterer Beitrag belegt die Existenz eines Gefängnisses in Pfaffenhofen/Ilm schon vor dem Wk-I. Im Kontext einer Mordsache von 1908 folgendes Zitat :

"....
Schwarz wurde ins Pfaffenhofener Gefängnis gebracht. Auf dem Weg dorthin wäre er beinahe gelyncht worden. ......"

Quelle:
=====
http://www.fliesstext10.de/fliesstext/fileadmin/user_upload/90/Das%20Geheimnis%20des%20Grabsteins%20von%20Gundamsried.pdf

ok, das müsste fürs Erste reichen
*****
Bernie


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 16:30
Da gibt es in

D`Hopfakirm Nr. 23 erschienen im Herbst 1995

Brandstifter, Mörder und Banditen
Aufsehenerregende Verbrechen in unserer Heimat
Von Reinhard Haiplik


auf den Seiten 31-35 ist eine Abhandlung über das Drama auf dem Grubhof. Die Einöde Grub liegt am Südrand des Scheyerer Forstes.

Im Mai 1893 hat dort der Grubhof-Bauer seine Ehefrau getötet. Er ist dann auch verhaftet worden und ins Pfaffenhofener Gefängnis gebracht worden. Damals muss es in Pfaffenhofen also schon ein Gefängnis gegeben haben. Nur es war eben kein Zuchthaus.

Ganz kurze Zeit später ist der Grubhof-Bauer dann ins Untersuchungsgefängnis nach Neuburg gebracht worden.

Dann ist er einige Zeit später vom LG Neuburg zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Leider erwähnt Haiplik nicht, wo der Bauer die Strafe abgesessen hat. Wegen der langen Dauer der Freiheitsstrafe ist sie auch mit Grubers Strafe nicht vergleichbar und er könnte in einem anderen Zuchthaus gesessen haben.


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 17:21
Gem. dem 3. Absatz des Kapitels "Justizverwaltung" auf Seite 139, müsste Viktoria ihre Strafe - wenn sie denn diese überhaupt antreten musste - in einem "Landgerichtsgefängnis " abgesessen haben.


http://books.google.de/books?id=r50vorFCbPMC&pg=PA138&lpg=PA139&ots=291DZNI46o&dq=zuchth%C3%A4user+bayern#v=onepage&q=zuchth%C3%A4user%20bayern&f=false


aus: Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gerichte 1799-1980


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 18:34
Zitat AngRa:
Zitat von AngRaAngRa schrieb:Sie muss Unterstützung bekommen haben. Ich tippe da auf Angehörige von ihrer Seite. Nur wer soll das gewesen sein? Immerhin war Krieg.
Es besteht die Möglichkeit, daß Kriegsgefangene zur Arbeitsleistung zugeteilt wurden.

Ich könnte mir vorstellen, daß Viktoria, wenn überhaupt, nur kurz im Gefängnis war (könnte evtl. die widersprüchliche Angabe von "einem Jahr" bzw. "ein Monat" darauf zurückzuführen sein, daß sie zu einem Jahr verurteilt, aber nur einen Monat abgesessen hat?) und dann aufgrund der tragischen Umstände (Mutter eines Säuglings, der Ehemann und Vater einen Monat vor der Geburt des Kindes gefallen) vorzeitig entlassen wurde, da ihre Mutter alleine die Erntearbeiten nicht verrichten konnte.


Zitat pilvax:
Zitat von pilvaxpilvax schrieb:14.08.1914 K. Gabriel kommt zum Militär. "Freiwillig oder Einberufen wäre sehr wichtig."
Karl Gabriel hat sich nicht freiwillig gemeldet. Er gehörte zur Ersatz-Reserve, d.h. er gehörte den zum Wehrdienst verpflichteten Jahrgängen an, war aber bislang nicht eingezogen worden. Im Mob.-Falle waren diese Jahrgänge gestellungspflichtig, eine freiwillige Meldung kam somit nicht in Frage. In seinen Wehrstammrollen wird sein Dienstgrad mit Ersatz-Reservist angegeben, nicht als "Freiw." wie bei Kriegsfreiwilligen. Auch in der entsprechenden Spalte der Zugehörigkeit zu Truppenteilen wird eine solche nicht erwähnt.

Ich zitiere nachfolgend einige aufschlußreiche 1922 verfaßte Passagen aus der Heimatchronik eines bayerisch-schwäbischen Dorfes über die Zeit nach Kriegsausbruch 1914, die die damaligen ungeheuer schweren Verhältnisse etwas näher beschreiben und einen anschaulichen Einblick in die damaligen Verhältnisse, die einem ja auch bei der Beschäftigung mit dem Fall Hinterkaifeck begegnen, vermitteln:

"Die Mobilmachungsbefehle, für die übrigens die genauen Vorschriften in jedem Dorf so gut wie in der Stadt bei der Ortsbehörde vorlagen, wurden mit Glockensignalen wiederholt im Ort bekanntgegeben. Am 31. Juli 1914 war der Kriegszustand erklärt worden und am Samstag nachmittag des 1. August meldete schon der Telegraf nach allen Windrichtungen durch die Lande: "Mobilmachung befohlen! Der erste Mobilmachungstag ist der 2. August."

Und die Kunde für alle und jeden im letzten Weiler draußen ergab sich unzweideutig am Sonntag, den 2. August 1914, als schon der Frühgottesdienst (Frühmesse) in der Kirche die Männer, die hinauszogen, noch ein letztes Mal vereinte. Sie wollten auf alle Fälle vorbereitet sein und daß viele nicht mehr heimkehren würden, diese Ahnung war im Ernste ihrer Gesichter zu lesen. Und wohl erinnerlich ist mir, dem Schreiber dieser Chronik, noch, wie an jenem Sonntage der Bürgermeister A. E. mit Tränen im Auge die verhängnisvolle Botschaft nach dem Vormittagsgottesdienste auf der Kirchentreppe verlas: "Es ist Krieg!"

Schon anderntags, am Abend des 3. August, hielten unsere Reservisten im Gasthof zum Adler eine Abschiedsfeier, welche ihrer ungefähr 50 zum letztenmale mit den älteren Bürgern, dem Bürgermeister, dem Lehrer, den Gemeindeverwaltungsmitgliedern, Freunden und Bekannten vereinte.

Desgleichen waren am Vorabend des 5. Mobilmachungstages, welcher auf den 6. August traf, gegen 40 Leute der Landwehr I beim Adler zum Abschied versammelt. Die Landwehr II, die ebenfalls ca. 40 Mann stellte, hielt am nächsten Tag beim Hirsch Abschied.

Sie zogen hinaus, und weil schon am 2. September 1914 der gediente Landsturm aufgeboten wurde, sah man bald Tag für Tag, Woche für Woche Männer und Söhne der Gemeinde meist schon zum ersten Zuge auf den Bahnhof eilen. Auf gewöhnlichen Wagen, oft zu Fuße, begleitet von ihren Lieben um Abschied zu nehmen, auf wie lange Zeit, das weiß Gott! Und sehr oft sah man auch die Gestalt des Hauptlehrers R. H. schon in nebliger Morgenfrühe an der Station, um den Kriegern ein Lebewohl zu sagen.

Schwer bedrängten Herzens kehrte da manche Frau zurück, um jetzt ohne Hilfe des Mannes die schwere Last der Arbeit, die ihr die Landwirtschaft und Handwerk auferlegten, allein auf ihre Schultern zu nehmen. Hätten diese Frauen und Mütter damals geahnt, was ihrer harrte, wie sie nun mit fremden Leuten, mit schlechtgeschulten Arbeitskräften, mit alten, gebrechlichen Eltern allein die schwere Erntearbeit, kaum unterstützt durch Kriegsgefangene, mit denen Verständigung schwer möglich war, hätten tun müssen, so würden sie wohl sicher verzagt sein. Aber so gingen sie als wackere deutsche Frauen ihrer Pflicht nach, erwartend jeden Tag, ob kein Brief mit der Aufschrift "Feldpost" eintreffen würde.

Der Krieg ging weiter, immer neue Kriegserklärungen: zu Frankreich und Rußland kamen England, Japan, Italien, Amerika und eine Reihe kleinerer Staaten.

Schweren Herzens las man in der Heimat diese Nachrichten. Was soll das werden? Werden wir da noch standhalten können? Aber man mußte standhalten. Und immer folgten neue Einberufungen, eine Musterung löste die andere ab und mancher, der im Frieden vom Militärdienst frei blieb, wurde bei diesen Musterungen als kriegs- oder mindestens garnisonsdiensttauglich erklärt. Es sprangen auch diese Leute wacker ein, um die Lücken, die die Schlachten des Krieges rissen, wieder zu füllen.

So kam der ungediente Landsturmmann oft noch ins Feld und viele dieser Leute sind auch in den Kämpfen gefallen.

[...]


So wurden die Garnisonen wieder voll und von diesen ab ging Transport um Transport hinaus ins Feld.

Aber auch zurück zogen verwundete Krieger und solche, denen kurzer Urlaub gewährt wurde. Da erinnere ich mich noch sehr gut, mit welcher Verehrung und Achtung diese Männer in der Heimat angesehen, ja angestaunt wurden. Hatten sie doch schon Schweres mitgemacht. Märsche und Strapazen, Unbill der Witterung, Hunger und Krankheit, in schweren Gefechten und Schlachten waren sie wie durch ein Wunder oft verschont geblieben. Da stellte man die bange Frage an die Tapferen: Wann müßt ihr wieder fort? Und wie lange meint ihr, daß der Krieg noch dauert? Diese ernste Frage wurde im ersten Jahre mit froher Hoffnung auf ein baldiges Ende beantwortet; später aber begann diese zu schwinden. Der Urlauber, der nach vieler Mühe seinen Schein in der Tasche hatte, fuhr mit freudigster Hoffnung heim, war aber meist umso mehr enttäuscht, daheim oft Klagen und Jammer über den Gang der Wirtschaft, dann eiliger Besuch bei einigen Verwandten und die 8 oder 14 Tage waren schon wieder vorüber, die Freude der letzten Tage gestört duch die nahe Abreise, wenn nicht gar schon ein Telegramm auf sofortiges Einrücken den Urlaub wieder in Nichts gerinnen ließ.

Und war doch dieser Urlaub so schwer zu erlangen gewesen. Beim Bürgermeister mußte die Frau erst vorstellig werden, die Notwendikeit des Urlaubs begründen, eine Menge Fragen in dem Gesuch beantworten. Doch da half unser tüchtiger Bürgermeister stets mit und obgleich er infolge des Krieges das Doppelte an Arbeit in seinem Beruf hatte, schrieb er in späten Abendstunden geduldig die vielen Urlaubsgesuche und sonstigen Eingaben.

Durch das Fehlen von Vater oder Sohn trat oft ein Kriegsgefangener an deren Stelle, um die Arbeiten zu verrichten. Über diese Gefangenen soll nun ebenfalls kurz berichtet werden.

Es waren dies Leute, die meist zur Erntezeit aus den großen Gefangenenlagern von Puchheim bei München und Lagerlechfeld den Bauern zur Verfügung gestellt wurden. Auf Bestellung und Gesuch beim Bürgermeister kam dann eine größere Anzahl in der Gemeinde an, meist Russen, später aber auch Franzosen, Engländer, Serben und Italiener. Es waren dies meist Leute, die auch in ihrer Heimat entweder in der Landwirtschaft gearbeitet hatten oder selbst Bauern waren und nun, sei es zu ihrem Glücke oder Unglück in Gefangenschaft geraten waren. Im allgemeinen waren sie froh, wieder in normale Verhältnisse zu kommen und verrichteten ihre Arbeit gerne und willig, doch gab es auch solche darunter, die sich nicht mehr in ihr Los finden konnten und über Arbeit und Essen murrten und es zuletzt gern sahen, wenn sie wieder ins Lager zurückkamen. Mit der Aufsicht über diese Gefangenen in der Gemeinde war meist ein vom Felde zurückbeorderter älterer Landsturmmann betraut, der von Zeit zu Zeit alle besuchen, sich nach ihrem Befinden erkundigen, allenfallsige Wünsche entgegennehmen und auch ihnen die von ihrer Heimat eintreffenden Liebesgaben und Postsendungen aushändigen mußte. Und oft war es der Fall, daß die reichlichen Gaben an damals sehr seltenen Eßwaren, wie Weißbrot, Zwieback, Zucker und Süßigkeiten unsere Hausfrauen in Erstaunen setzten und sie belehrten, daß in den Feindesländern keine Lebensmittelnot herrschte. Von diesen Kriegsgefangenen, deren Austausch ja meist erst 1919, also nach Kriegsende, stattfand, waren einzelne noch ziemlich lang hier, so ein Italiener und zwei Russen, welch letztere sich dann als freie Dienstknechte hier behaglich fühlten, allmählich gut Deutsch verstanden und sprachen. Überhaupt wurde die Verständigung mit allen Gefangenen allmählich besser, weil diese der längere Aufenthalt schulte ebenso unsere Arbeitgeber versuchten, mit Hilfe eigens zu diesem Zwecke verfaßten Sprachführern, die es in den Buchhandlungen gab, eine Verständigung in russischer, französischer oder einer sonstigen Sprache anzubahnen. Und seltsam war es, wie gerade durch diese Büchlein, die alphabetisch nach Schlagwörtern geordnet die gebräuchlichsten Sätze in beiden Sprachen brachten, praktische Erfolge erzielt wurden. Und so bekam man oft heraus, was menschliche Anteilnahme von dem Schicksale der Gefangenen wissen wollte. Familienverhältnisse, Heimat und das Wichtigste über Krieg und Gefangennahme.

Ein kleines Verzeichnis der hiesigen Gefangenen, das aber nicht vollständig ist, soll hier folgen:

Bei A.L. 1916 ein Russe namens Gregori Bickoli vom Baikalsee in Sibirien, wird als sehr tüchtiger Arbeiter und Mensch geschildert

Bei K.K. 1918 ein Russe

Bei J.K. 1916 ein Russe namens Pavel Titow.

Bei H.T. 1918 ein Italiener und ein Russe

Bei K.K. 1917 ein Russe

Bei H.J. 1916 nacheinander 4 Russen, einer mit Namen Alex Kurackin von Moskau

Bei E.E. ein Italiener und ein Russe

Bei J.A. 3 Russen, ein Franzose

Bei H.E. 1 Engländer Frank Shikett 1920; desgleichen ein Russe Porfieri Sawordinski 1917 - 1919 und ein solcher 1917

Bei X.F. ein Engländer Tistell von Walsall 1917/18

Bei M.H. 2 Russen, von Sibirien und Petersburg

Bei J.Z. 1915/16 Iwan Mitter aus Russisch-Polen, ein sehr tüchtiger Helfer, ferner ein Russe Anton Schwarzleder aus Litauen 1916, ferner 1917 /18 ein Italiener Domenico Pirarelli von Campi Bassi, Unteritalien, dieser ein fleißiger, gemütstiefer Mensch

Bei A.G. 1916 ein Russe und ein Franzose 1917; 1918 ein Italiener

Bei R.F. 1918 ein Russe.

Die Zurückgebliebenen in der Heimat hatten aber noch mit einem großen Übel zu kämpfen, das war der Lebensmittelmangel. Schon bald nach Beginn des Krieges machte er sich bemerkbar. Durch die gänzliche Abschließung Deutschlands und Österreichs von befreundeten Ländern war man bald für die ganze Versorgung, sowohl der Heimat als auch des Heeres, auf die eigene Produktion angewiesen. Dies bewirkte dann ganz natürlichen Mangel an Eßwaren, an Bekleidungsstoffen und vielen zur Lebenshaltung nötigen Dingen. Daß der Mangel an Brot, Fleisch und Fett sich in den Städten noch ganz anders auswirkte, war ganz natürlich. Und so wurde denn die Rationierung einer Menge Artikel des täglichen Lebensbedarfes pro Person festgesetzt und nur gegen diesbezügliche Marken abgegeben. So kamen Brotmarken, Fleischmarken, Fett- und Buttermarken, Zuckermarken, Eiermarken, Kartoffelmarken, Petroleummarken und andere. Ferner wurden für alle Arten von Bekleidungsstoffen, wie Leinen, Wolle, Leder oder deren Fabrikate Bezugscheine ausgegeben um jedem das Nötige zuzuteilen und Mißbräuche hintanzuhalten. Der Mangel dieser Dinge brachte natürlich eine Menge Ersatzstoffe mit, so Milch- und Kaffeersatz, Papierstoffe, Holz- und Pappschuhe statt Lederschuhen etc.

Das brachte dann folgerichtig wieder das sogenannte Hamstern in Schwung, indem viele Leute, die über Geld oder passende Tauschgegenstände verfügten, die mangelnden Lebensmittel und Stoffe auf diese Weise zusammenbrachten.

Daß diese Zeit gerade für unsere Bäuerinnen eine ganz schwierige war, ist aus Vorstehendem leicht zu entnehmen. Denn erstens sollten sie ihren Männern und Söhnen, dann noch vielen Bekannten aus der Stadt Lebensmittelpakete schicken, dann wollten oft Dienstboten oder Kriegsgefangene sich nicht den Verhältnissen anpassen und sich mit geringerer Kost zufrieden geben. Drittens mußte soundsoviel abgeliefert werden und gerade das, was die Wirtschaft am wenigsten vertrug, nämlich Vieh. So wurde die Produktion von Butter, Käse, Fleisch, Eiern immer geringer, weil die Futtermittel für Vieh und Hühner, die Düngestoffe für die Felder schwer und nur in mangelnder Qualität zu bekommen waren.
Es mußten ständig gute Pferde und Schlachtvieh ans Heer abgeliefert werden. Und was das bedeutet in einem kleinen Betriebe, der nur ein Pferd hielt, dieses gute, fromme eingeschulte Tier wegzugeben und dafür ein altes, unbrauchbares oder störrisches einzukaufen, wissen ja die Bauern selbst am besten zu würdigen.

Daß in dieser Zeit auch durch die angegebenen Verhältnisse ein gespannter Zustand zwischen Stadt und Land sich bilden mußte, der auch heute noch (1922) trotz Kriegsende leider fortbesteht, ist nicht zu verwundern. Denn der Städter wußte größtenteils nichts von der Kriegsnot auf dem Lande, von den wenigen Arbeitskräften, von der Kriegsarbeit der Bauersfrauen, der alten Leute, der halbwüchsigen Dienstboten und Kinder, von der 16-stündigen Arbeit während der Erntezeit, von der Sorge um die Durchhaltung des Viehbestandes, von dem Mangel an Futtermitteln und Kunstdünger, von der unzureichenden Anzahl von Zugpferden und Arbeitstieren. Dann war ihnen unbekannt die wechselnde Ernteergiebigkeit der Kriegsjahre; man glaubte, es fehle am guten Willen der Bauern; man wußte nichts von Beschlagnahme, Ernteschätzung, Viehzählung, Viehkataster, Haussuchungen, Strafandrohungen und Strafen.

Heute wurde widerrufen, was gestern befohlen wurde; bald ließ man Schweine töten, bald züchten. Von den ungefütterten Hennen wollte man Eier. Die Kleie war um das Doppelte teurer als das Korn. Margarine und Wagenschmiere kosteten mehr als Butter und Schmalz. Daß man schlechte Nahrungsmittel teuer kaufen und die eigenen guten billig verkaufen müsse, wollte daher mancher Bäuerin nicht einleuchten, da sie eben oft auch kein Geld hatte für notwendige Verbesserungen, Bauten und mit des Lebens Not wie andere kämpfen mußte.

Etwa übriges Geld hatte als Kriegsanleihe fortzuwandern, wurde doch von Kanzel und Rednertribüne herab von weltlichen und geistlichen Behörden deren Zeichnung angepriesen und als Pflicht erklärt.

Aber auch auf dem Lande kannte man die Verhältnisse in der Stadt nicht; man wußte nicht, daß auch in der Stadt schwer gearbeitet werden mußte, also kräftige Nahrung notwendig sei. Man sah nicht das dortige Massenelend, die Ernährungsschwierigkeiten, die bleichen Kinder. Aber dafür hörte man von den hohen Löhnen in den Rüstungsbetrieben, vom Gewinne der Kriegsindustrie und infolgedessen auch von Luxus und Schlemmerleben, von Überfüllung der Theater und Vergnügungsstätten.

Doch suchte auch das Land wieder der Stadt zu helfen durch Aufnahme von Kindern, was besonders dann nach dem Krieg, als die Lebensmittelnot noch fortbestand, am schönsten in der Aufnahme ganzer Züge von Stadtkindern zum Ausdruck kam.

Soviel über die durch den Krieg verursachten Gegensätze von Stadt und Land.

Über die Opfer am kostbarsten, was der Mensch besitzt, Leben und Gesundheit, welche fürs Vaterland in der Gemeinde gebracht wurden, ist schon zum Teil berichtet.

Nahezu 300 Männer sind zu den Fahnen während der vier Kriegsjahre eingerückt, mehr als 60 sind im Felde geblieben, viele sind mit schweren Verwundungen und Verstümmelungen heimgekehrt. Und die vielen Krankheiten, verursacht durch die Strapazen des Krieges, haben schon manchen ins Grab geführt und manch heimtückisches Übel zehrt noch am Marke der Heimgekehrten.

Nach diesen Schäden und Verlusten des Wertvollsten mutet es fast seltsam an, Einbuße an Geld und Gut noch zu erwähnen. Aber von solchen, die mit der Gemeinde unmittelbar im Zusammenhang stehen, soll noch die Rede sein. So mußten zu Kriegsmaterial die schönen Kirchenglocken, die kaum 1895 aus der Hamm'schen Gießerei in Augsburg geliefert waren, wieder vom Turme bis auf die Kleinste geholt werden, auch die kleinen Ortsteile lieferten ihre Glöcklein ab. Es war im Juli 1917, als die Glocken der Pfarrkirche das leztemal zusammenklangen und allgemeine Wehmut hervorriefen. Es hieß, wie wird dieser Krieg ausgehen, wenn wir schon so weit sind. Die Orgelpfeifen aus Zinn mit den kupfernen Blitzableitern hatten dasselbe Los."


Wenngleich bei den hier erwähnten Kriegsgefangenen, die den Bauern zur Arbeitsleistung zugeteilt wurden, nur einer schon im Jahre 1915 erwähnt ist, so daß es scheint, daß Kriegsgefangene in größerem Umfang den Landwirten erst in den späteren Kriegsjahren zur Verfügung gestellt wurden, könnte es sein, daß in den Unterlagen der ehem. Gemeinde Wangen noch Aufzeichnungen darüber vorhanden sind, welche landwirtschaftlichen Betriebe damals Antrag auf Zuteilung eines Kriegsgefangenen gestellt haben und welche berücksichtigt wurden.

Möglicherweise gibt es ja auch von der ehem. Gemeinde Wangen eine solche Chronik der Kriegsjahre, in der auch das Anwesen Gruber/Gabriel erwähnt wurde. Hat danach schon mal jemand gesucht?


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 19:01
/dateien/mt31345,1285606870,KriegsgefangeneOriginal anzeigen (0,8 MB)@ Oberleutnant

Seit 1916 wurden im Landkreis Neuburg vermehrt Kriegsgefangene eingesetzt.

Akt. 8584 Gerolsbach

Hauser hat keine Berechtigung Russen zu beschäftigen; die Erlaubnis hierzu wird auch nicht erteilt, da deutsche Arbeitskräfte genügend vorhanden sind. Das Vorgehen des Hauser ist unzulässig, dies ist ihm zu eröffnen; dabei ist ihm der Auftrag des Bezirksamtes zu erteilen umgehend die Russen zu entlassen. Bei Weigerung wird Strafanzeige erstattet. Die Namen der Russen und des Gefangenenlagers sind umgehend mitzuteilen.

Schrobenhausen, den 25.Oktober 1919
Bezirksamt
i.V. Meckel


Die Namensgleichheit ist rein zufällig. :-)


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 19:13
@flaucher

Das ist ein interessanter Link. Wenn Viktoria also nur zu einer Haft von einem Monat verurteilt worden wäre,dann hätte sie diese im Landgerichtsgefängnis Neuburg / Donau verbüßen müssen.

Gleichzeitig zeigt der von Dir angezeigte Bericht aber auch das Durcheinander, was damals betreffend der Verbüßung von Haftstrafen in den unterschiedlichen Haftanstalten geherrscht hat. Das deckt sich doch mit meiner Anfrage im Justizministerium,wo mir kein Plan für 1915 ff genannt werden konnte,nachdem die Verurteilten verteilt worden sind. Ich sollte mich an die Staatsarchive wenden und die konnten mir natürlich bezüglich Verteilungsplan auch nicht weiterhelfen.

______________

@Oberleutnant

Ich halte inzwischen alles für möglich. Auch dass Viktoria zwar zu einem Jahr Haft verurteilt worden ist, aber nur einen Monat abgesessen hat.

Aber warum hat Pielmaier entsprechende Informationen nicht auch unter Angabe des Aktenzeichens weitergeben? Die anderen Aktenzeichen hat er auch genannt ( Nachlassakte, Strafakten, vormundschaftsgerichtliche Akte). Warum nicht auch die der Vollstreckung? Vielleicht klebe ich aber auch zu sehr an Formalitäten und muss alles lockerer sehen.

Deinen Hinweis, dass die Gruberin zur Hilfe einen Kriegsgefangenen zur Seite gestellt bekommen hat, halte ich für sehr interessant. Das wäre sicherlich eine Möglichkeit gewesen, um die Zeit der Haft zu überbrücken.

Soweit ich weiß gibt es diesbezüglich aber leider keine Chronik der Gemeinde Wangen.

Ich weiß ja auch nicht, wie die Arbeit der Gerichte während des 1.Weltkriegs vonstatten gegangen ist. Von meiner Familie her weiß ich, dass ein Amtsgericht teilweise zum Lazarett umfunktioniert worden ist. Das war allerdings in Preußen. Die Idee hatte ich auch schon bezüglich des Landgerichts Neuburg, dass da während des 1. Weltkriegs gar nicht mehr richtig gearbeitet werden konnte und alles im argen lag, auch bezüglich der Akten. Deshalb habe ich im Stadtarchiv Neuburg nachgefragt, ob das Landgerichtsgebäude während des 1. Weltkriegs vielleicht auch ganz oder teilweise eine andere Nutzung hatte. Da kam aber zur Antwort, dass man sich bezüglich dieser Justizangelegenheiten ausschließlich ans Staatsarchiv Augsburg wenden müsse. Als wenn die Nutzung eines Gebäudes während des Kriegs eine Justizangelegenheit ist.


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 20:38
@AngRa

Ich habe die Zusammenstellung des STA Pielmayer von 6.11.1926 noch mal durchgelesen.

Dabei weist Pielmayer auf den Zeitraum von 1907 bis 1910 hin, gibt das Strafmaß an und erklärt, dass beide ihre Strafe verbüßt hatten.
Darunter gibt er eine Aktenummer an. (Landgericht Neuburg Str. P. Reg. No 105/15)
Welche seiner 3 Feststellungen aus der bezeichneten Akte entstammen ist daraus nicht ersichtlich.
Nach seinem Bericht ist Viktoria Gruber 1907 sechzehn Jahre alt gewesen. Sie wurde 1887 geboren und war somit 1907 zwanzig Jahre alt.
Auf Grund der ungenauen und teils fehlenden Angaben , ist für mich diese Passage der Zusammenstellung STA Pielmayers zumindest fragwürdig.
Vielleicht kann man anhand der Aktennummer des Landgericht Neuburg herausfinden um welche Quelle es sich hier genau handelt, Polizei, Gericht, Gemeinde usw.

Die besten Chancen, etwas mehr über den Prozess und die folgende Inhaftierung zu erfahren, sollte man durch die Suche nach örtlichen Zeitungsartikeln aus dieser Zeit haben.

@Oberleutnant

Danke für den Hinweis zu Karl Gabriel.....
Viktoria Gruber zu 1 Jahr verurteilt und nur 1 Monat abgesessen finde ich absolut plausibel.
Sehr interessant...dein historischer Hintergrundbericht.

pilvax


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 21:31
Zum RStGB aus dem Jahre 1871 sieht bei Blutschande (§173) -so wie @AngRa
schrieb- eine Strafe von BIS ZU 5 Jahren Zuchthaus / BIS ZU 2 Jahren Gefängnis vor (Vater -> Tochter).
In wie weit folgendes den Richter beeinflusst hat, kann ich nicht sagen, könnte mir aber vorstellen, dass es durchaus im Bereich des Möglichen liegt:
Vor 1871 gab es unterschiedliche Gesetze. Einmal das Preussische und einmal das Bayrische.
Als das RStGB 1871 in Kraft trat, richtete man sich nach dem preussichen Gesetz (was das Strafmass anbelangt). Im Bayrischen aus 1861 war die Strafe weitaus geringer.

Bei dem Strafmass ist jeweils die Höchststrafe angegeben. Wenn "nicht alles so klar war", könnte ich mir bei Gruber und Vik eine geringere Strafe vorstellen. Meist wird von der Staatsanwaltschaft die Höchststrafe gefordert, aber nicht immer verhängt.

Vik hatte gerade erst ein Kind geboren, dass könnte ev. eine Begründung sein.
Wenn man zu einer Gefängsnisstrafe von beispielsweise 2 Jahre verurteilt wurde, konnte man die Strafe umwandeln lassen in 1 Jahr Zuchthaus. Zuchhausaufenthalte waren weitaus härter als der Aufenthalt in einem Gefängnis.
Daraus könnten die falschen Angaben Zuchthaus / Gefängnis kommen...

Eine Begnadigung könnte ich mir (wenn überhaupt) bei Vik vorstellen... bei Gruber auf keinen Fall.

In einem Protokoll habe ich gelesen, dass die Strafe abgesessen wurde, ich muss nochmal kucken, wer das schrieb.

@pilvax
Zitat von pilvaxpilvax schrieb:Es hätte aber jemanden geben können, der mit einer Anzeige wegen Blutschande den Status ?eheliches? Kind anzweifeln wollte. Der Zeitpunkt der Geburt und des Prozesses bzw. des Urteils liegen halt sehr nahe beieinander.
@AngRa
Zitat von AngRaAngRa schrieb: Ich weiß auch, was Du meinst. Ein Recht zur Ehelichkeitsanfechtung hätten nach Karls Tod auch die Gabriels gehabt, aber sie haben es nicht gemacht, denn später waren sie erbberechtigt.
Nur Karl hätte die Vaterschft anfechten können, so sah es das Gesetz vor.
WIE es die Familie sah, weiss ich nicht, (berechtigte !!!) Zweifel dürfte es gegeben haben.
Zitat von pilvaxpilvax schrieb: Wenn es aber so war, dann muß der Anzeiger jemand gewesen sein, der gerade für diesen Zeitraum konkrete Beweise hatte.
Das ist das Naheliegenste... sehe ich auch so.
Zitat von AngRaAngRa schrieb: Gruber wurde 1919 wegen Blutschande in U-Haft genommen und zwar nur aufgrund der Aussage des LS, dass Viktoria ihm gegenüber Blutschande mit ihrem Vater eingestanden habe. Man sieht daran, dass an einen Nachweis für eine solche Straftat damals keine hohen Anforderungen gestellt wurden.

Das hat mir hohen Anforderungen nichts zu tun, Gruber war Wiederholungstäter... da gehts etwas schneller in U-Haft.

@fireflies,
seit der Jahrhundertwende wurden Fotos für die Akten gemacht. Der Hintergrund ist witzig: Man wollte dafür sorgen, dass kein Andere die Haftstrafe antreten kann (habe ich gelesen, ob es stimmt, weiss ich nicht).
Das Problem ist, dass es es nicht am 01. Januar 1900 bei allen Verurteilten gemacht wurde. In München wohl zeitiger als irgendwo in einer Kleinstadt mitten in der Pampa.


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 22:26
Vielleicht hilft es jemandem bei der Suche weiter.

Wenige Tage nach Kriegsbeginn am 6.8.1914 wurde eine „Reichszentrale für Arbeitsnachweise“ gegründet. Bedeutung erlangte die Reichszentrale bei der Organisation von Massentransporten zur Erntehilfe, bei der Beschaffung von Arbeitskräften für Festungsarbeiten und bei der Heranziehung von Kriegsgefangenen zur Arbeit. Am 5.12.1916 wurde ein Hilfsdienstgesetz verabschiedet, daß eine planmäßige Arbeitsvermittlung ermöglichen sollte.


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 23:06
@pilvax

Interessant Dein Hinweis.Ich habe den Pielmaier-Bericht auch nochmals nachgelesen.

Wie kommt er ausgerechnet auf Blutschande ab dem 16.Lebensjahr?

Das gibt der abgeurteilte Zeitraum 1907-1910 nicht her und auch nicht die Schl.Aussage aus 1931, wo Schl.berichtet, dass Viktoria angeblich seiner ersten Frau gegenüber erwähnt habe,ihr Vater wolle immer nur Geschlechtsverkehr. Pielmaier war wohl etwas unkonzentriert.

@Heike75

Warum schreibst Du, dass nur der Vater ein Anfechtungsrecht bezüglich der Ehelichkeit hatte?

Was soll denn gelten, wenn der Vater vor der Geburt verstorben ist? Das muss doch auch geregelt sein.

Schau mal hier:

§ 1595a BGB
(1) Hat der Mann bis zum Tode keine Kenntnis von der Geburt des Kindes erlangt, so können die Eltern des Mannes die Ehelichkeit anfechten.

___________

Dein Einwand, dass Gruber in U-Haft gekommen ist, weil er Wiederholungstäter war, ist ebenfalls nicht zutreffend.

Denk doch mal nach. Gruber musste dringend tatverdächtig sein. Der Tatverdacht muss sich immer auf Tatsachen stützen. Und er stützte sich nun mal nur auf Schl.Aussage, dass Viktoria ihm gegenüber die Blutschande gestanden hat. Etwas anderes gab es nicht.

Somit wurde Gruber, obwohl er ja Wiederholungstäter gewesen wäre, sofort aus der U-haft entlassn als Schl.die Anzeige zurückzog.

Der Freispruch erfolgte dann auch, weil das Gericht ein Urteil auf die widersprüchlichen Aussagen nicht stützen konnte.


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 23:09
@pilvax

Es handelt sich bei dem von Pielmaier angegebenen Aktenzeichen, um das Aktenzeichen unter dem das Strafverfahren beim LG Neuburg geführt worden ist. Das muss uns nicht weiter stören. Heute gibt es andere Aktenzeichen.


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Mordfall Hinterkaifeck

27.09.2010 um 23:52
Zitat von AngRaAngRa schrieb:Der Tatverdacht muss sich immer auf Tatsachen stützen. Und er stützte sich nun mal nur auf Schl. Aussage, dass Viktoria ihm gegenüber die Blutschande gestanden hat. Etwas anderes gab es nicht.
Das ist sehr merkwürdig.

Bislang ging man doch übereinstimmend davon aus, daß Viktoria die ganze Sache nur eingefädelt habe, weil sie dringend einen Vater für das Kind vorweisen mußte und deshalb den frisch verwitweten Schlittenbauer, von dem sie vielleicht wußte, daß er auf sie ein Auge geworfen hatte, als "dankbares" und ahnungsloses Opfer verführte. Wie dumm hätte sie sein müssen, diesem, der, nachdem er sich mit ihr eingelassen hatte, eine mögliche Vaterschaft nicht mehr glaubhaft widerlegen konnte (Blutgruppenanalysen, die auch nur bei günstiger Konstellation eine Vaterschaft widerlegen, aber eine solche nicht nachweisen konnten, gab es ja erst einige Jahre später), die erneute Blutschande zur Zeit der Empfängnis des Kindes zu gestehen und ihm somit die "Mehrverkehrseinrede" zu ermöglichen, was zur Folge haben mußte, daß die ganze von ihr mühsam mit List und Tücke eingefädelte Intrige sinnlos geworden und geplatzt wäre?

Hier liegt der Verdacht nahe, daß es ebensogut möglich gewesen wäre, daß der Schlittenbauer dieses "Geständnis" von Viktoria einfach nur erfunden hat, um sich bei der vorbestraften Viktoria um die Vaterschaft herumzudrücken.

Überhaupt scheint es nicht ausgeschlossen, daß Viktoria, die nach der Verurteilung von 1915 vorbestraft war und die ja bekanntlich nicht unattraktiv gewesen sein soll, sich den Nachstellungen des Schlittenbauer, der eine todkranke Frau zuhause hatte, bzw. später dann verwitwet war, nicht erwehren konnte, wenn dieser als Ortsvorsteher drohte, von dem Geständnis der Viktoria gegenüber seiner ersten Frau und der damit erlangten Kenntnis von den Zuständen im Hause Gruber erneuten Gebrauch zu machen und die vorbestraften Hinterkaifecker zur Anzeige zu bringen, sollte sie nicht gefügig sein.

Daß die Viktoria sich dem Schlittenbauer geradezu aufgedrängt habe, wissen wir ja nur aus Aussagen Jahre nach den Geschehnissen, als sich die zweite beteiligte Person dazu nicht mehr äußern konnte. Unabhängige Zeugen gab es dafür selbstverständlich nicht. Wenn man bei anderen Aussagen diesen Umstand sehr in den Vordergrund stellt, so muß man es gerechterweise auch hier tun.


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Mordfall Hinterkaifeck

28.09.2010 um 02:00
@AngRa
Zitat von AngRaAngRa schrieb:Dein Einwand, dass Gruber in U-Haft gekommen ist, weil er Wiederholungstäter war, ist ebenfalls nicht zutreffend.
Nicht einverstanden:

Gruber wurde 1915 wegen Blutschande verurteilt. 1919 wurde er wegen dem gleichen Delikt angezeigt. D.h., dass er ein Wiederholungstäter sein könnte ("könnte", weil bis zum Urteil Keiner als Täter betitelt werden darf).
Damit besteht Wiederholungsgefahr. Wiederholungsgefahr ist ein Grund für eine U-Haft, erst recht, wenn man einschlägig vorbestraft ist.
Zitat von AngRaAngRa schrieb: § 1595a BGB
(1) Hat der Mann bis zum Tode keine Kenntnis von der Geburt des Kindes erlangt, so können die Eltern des Mannes die Ehelichkeit anfechten.
Nicht einverstanden,
Das ist alles schön und gut, aber dieser § (in der Form) wurde erst 1938 in die Verfassung aufgenommen.

Der damalige, gültige §1595 (1) besagt:
Die Anfechtung der Ehelichkeit kann nicht durch einen Vertreter erfolgen.

*******************************************************************

§1592 BGB: Vaterschaft

1. Januar 1900 - 1. Juli 1998

Vater eines Kindes ist der Mann,
1. der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist,
2. der die Vaterschaft anerkannt hat oder
3. dessen Vaterschaft nach § 1600d oder § 640h Abs. 2 der Zivilprozessordnung
gerichtlich festgestellt ist.


§1593 Vaterschaft bei Auflösung der Ehe durch Tod

01. Januar 1922 - 27. April 1938:

§ 1592 Nr. 1 gilt entsprechend, wenn die Ehe durch Tod aufgelöst wurde und innerhalb von 300 Tagen nach der Auflösung ein Kind geboren wird. Steht fest, dass das Kind mehr als 300 Tage vor seiner Geburt empfangen wurde, so ist dieser Zeitraum maßgebend.

Denk doch mal nach: Ein Vater / Mann stirbt und seine Witwe ist schwanger. Sie kriegt das Kind nach dem Tod des Ehemannes.
Wenn nun alle verwaisten Omas und Opas das Recht hätten, eine Ehe anzufechten, dann wären wir ja in der Nachkriegszeit des WK I nicht mehr aus dem anfechten raus gekommen. Der Enkel ist erbberechtigt, er kriegt den Teil des Vaters. Wollen das die Großeltern nicht, könnten sie ja einfach (einen Grund erfinden und) die Ehe anfechten...
Es muss also auch ein Grund her, warum die Großeltern so vorgehen können.

Selbst wenn es den 1595a gegeben hätte, welchen Grund sollten die Gabriels angeben? Inzest? Der Inzestvorwurf und die Verurteilung wurde für die Jahre 1907 bis 1910 verhängt...

Warum also sollte einem solchen Antrag statt gegeben werden?

Karl wusste, dass seine Frau schwanger war, hat aber nichts unternommen. Wiso soll man dann den (Groß-) Eltern das Recht einräumen?


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Mordfall Hinterkaifeck

28.09.2010 um 02:08
Nachtrag:
So weit ich weiss, hat man um 1938 rum erste Erfolge mit Bluttest gemacht. Damit war eine Feststellung der Vaterschaft nach dem Tod des Vaters möglich (Blut Mutter und das der Großeltern).

Erst dann kriegt der § 1595a einen Sinn.


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Mordfall Hinterkaifeck

28.09.2010 um 08:20
Zitat von Heike75Heike75 schrieb: 01. Januar 1922 - 27. April 1938:
GRRRRRRRRR... Falscher Fehler... es muss 01. Januar 1900 - 27. April 1938... heissen... sorry, habe beim Eintragen wohl schon geschlafen ;-)


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Mordfall Hinterkaifeck

28.09.2010 um 09:04
Zitat von OberleutnantOberleutnant schrieb:Daß die Viktoria sich dem Schlittenbauer geradezu aufgedrängt habe, wissen wir ja nur aus Aussagen Jahre nach den Geschehnissen, als sich die zweite beteiligte Person dazu nicht mehr äußern konnte. Unabhängige Zeugen gab es dafür selbstverständlich nicht. Wenn man bei anderen Aussagen diesen Umstand sehr in den Vordergrund stellt, so muß man es gerechterweise auch hier tun.
@Oberleutnant

Das passt jetzt nicht ganz, aber dennoch....

Dinge anzusprechen, deren Gegenbeweis nicht mehr erbracht werden kann, scheint ohnehin Schl. Spezialität gewesen zu sein.
Diese Taktik durchzieht das gesamte Verhör von 1931.
Es fällt auf, dass sich Schl. gerade in diesen Fragen, wo Gegenbeweise möglich waren, in Widersprüche verfangen hat, siehe Vaterschaft und der damit zusammenhängenden finanziellen Angelegenheiten.
Diese Taktik ist nicht nur in Worten, sondern auch bei der Auffindung, also im Praktischen Bereich zu erkennen.

pilvax


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Mordfall Hinterkaifeck

28.09.2010 um 10:20
Hallo,

zu dieser Inzestgeschichte sind für mich zwei Fragen interessant:

1. Weshalb erfolgte die Anzeige erst 5 Jahre nach der bei der Verhandlung offenbar belegten Tat?
Wer hatte ein Motiv die Anzeige zu stellen, nach einem so langen Zeitraum? Ich kenne den Aktenauszug mit dem Wörtchen abermals das sich imho ebenso auf die Tat an sich beziehen kann.

2. Die Anzeige erfolgte ja anfangs 1915. Ich habe jetzt nur ein Ereignis im Kopf, welches mit der Anzeige in Zusammenhang stehen könnte und zwar den Tod von K.G. im Dezember 1914. Könnte es sein, dass hier ein Zusammenhang besteht?


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