@Artula Ich glaube, die Umstände kann man nur sehr schwer so ändern, dass alle Menschen ein reizarmes Leben führen können und ich weiß auch nicht, ob das so wünschenswert wäre, denn eine Umgebung mit zu wenig Reizen ist genauso gefährlich wie eine mit zu vielen.
Was ich mir wünschen würde ist, z.B. Lehrer so zu schulen, dass sie wissen, dass man mit einem ADHSler einfach anders umgehen muss. Das geht schon beim Ansprechen los. Wenn man zu einer Gruppe allgemein spricht, fühlt sich ein Mensch mit ADHS sehr oft nicht angesprochen und wird dann geschimpft, weil er nicht zuhört. Die Betroffenen muss man so oft wie möglich mit Namen ansprechen, also statt: "Ich habe doch gesagt, alle sollen das Deutschheft holen!" Peter (notfalls sogar den Nachnamen dazu sagen) hol bitte dein Deutschheft." Sehr gut ist Körperkontakt, um den Betroffenen zu "zentrieren" also, Hand auf die Schulter, Blickkontakt herstellen und dann: "Peter, hol bitte dein Deutschheft!" Hört sich umständlich an, ist reine Übungssache. Ich hab mal eine Lehrerin erlebt, die das so selbstverständlich gemacht hat, dass es gar nicht aufgefallen ist, hat aber gut funktioniert. Das ist besser, als zwanzig mal zu sagen, hol jetzt endlich dein Deutschheft und dann irgendwann zu explodieren, weil das Kind nicht zuhören will.
Überhaupt muss man auf eine sehr strukturierte Umgebung achten. Ein mit Deko vollgestopftes Klassenzimmer ist Gift für ein ADS/ADHS-Kind. Weniger ist mehr. Gott sei Dank ist die Ära der Fensterbilder so ziemlich vorbei. Wenn jeder Quadratzentimeter mit Bildern, Fotos, Zeichnungen und so weiter gepflastert ist, lenkt das einfach ab. Das heißt nicht, dass die Klassenzimmer kahl sein müssen, aber weniger ist eben mehr. Struktur ist das Lebenselixier eines ADHS-lers. Da sind sie fast, wie Autisten. Bitte auch auf eine einfache Sprachstruktur achten! Das heißt nicht unbedingt militärisch knapper Befehlston, aber statt: "Jetzt holst du bitte mal dein Deutschheft heraus, schreibst dann das, was in dem grünen Kasten steht ab und blätterst im Buch weiter bis Seite 7. Das liest du durch und wenn du eher fertig wirst, kannst du noch die Seite mit den Lemmingen bunt anmalen." So ein richtiger ADHSler hört da nur: "Deutschheft holen, bunt anmalen" und tut das dann auch so. Also, nie zu viel Information in einen Satz packen, sondern lieber Schritt für Schritt vorgehen.
Es gibt nichts Besseres für ADHSler als körperliche Arbeit. Am besten ist es, wenn sie etwas Schweres ziehen oder schieben dürfen, aber auch so Sachen wie Laub rechen, Schnee schippen und so weiter ist gut. Die Krönung ist, wenn sie die Verantwortung für eine Arbeit tragen können. Im Sportunterricht könnten diese Kinder z.B. für das Holen des Mattenwagens verantwortlich sein. Ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
ADHSler müssen sich austoben können, aber auch lernen, wie man sich entspannen kann. Also Bewegungsangebote und Entspannungsübungen sollen ausgewogen sein.
Zu guter Letzt noch, Hilfen zur Selbststrukturierung geben. Es gibt ein sogenanntes Selfeducationtraining, das jeder gute Ergotherapeut drauf haben müsste. Aber in der Arbeit mit den Kindern und als Eltern kann das, je nach Alter heißen, dass z.B. ein Plakat an der Tür hängt auf dem Steht: Habe ich schon ..... gemacht? Ein Stoppschild im Hausaufgabenheft oder im Federmäppchen, das das Kind daran erinnert irgendetwas zu machen, je nachdem, wo es eben Probleme hat und verplant ist. Piktogramme, die auf einer Art Checkliste sind, die einem Kind bei der Morgentoilette und beim Anziehen helfen. Kein Scherz, ich habe ein Kind betreut, das Regelmäßig Schwierigkeiten hatte, weil es einfach vergessen hat, was man zuerst anzieht, oder dass man erst den Schlafanzug ausziehen sollte, bevor man die Jeans anzieht. Mit der Checkliste hats zwar auch seine Zeit gedauert, aber es hats geschafft.
Mit gutem Willen kann man sowas in einen Schulalltag einbauen, aber die Lehrer müssten halt auch über das Krankheitsbild Bescheid wissen und sollten schon in der Ausbildung daraufhin geschult werden oder zumindest so offen sein, sich beraten zu lassen. Ich habe nämlich auch schon erlebt, dass sich ein Lehrer in seiner Ehre angekratzt gefühlt hat, als ihm eine Heilpädagogin Tips geben wollte, wie er mit dem Phänomen ADHS umgehen könnte.
Was nicht unerwähnt bleiben soll: Menschen mit ADHS oder ADS sind oft sehr kreative Menschen mit viel Phantasie. Das sollte gefördert werden.
Was man am meisten braucht im Umgang mit diesen Menschen ist GEDULD! und vor allem Eltern sollten auf keinen Fall vergessen, auch für sich selbst zu sorgen. Also kein schlechtes Gewissen haben, wenn man dem Sitter sein "schwieriges" Kind aufs Auge drückt, man bezahlt ihn/sie schließlich dafür z.B. den Kinderfreien Abend in vollen Zügen genießen!
Ich wollte jetzt keinen Vortrag halten, aber einfach mal zeigen, dass dieses komplexe Krankheitsbild mehr braucht, als nur Medikamente und dass das Umfeld viel dazu beitragen kann, dass die Betroffenen damit fertig werden.