Der Prozess Oscar Pistorius und der Tod von Reeva Steenkamp
06.07.2014 um 12:18
Ich habe mir das psychiatrische Gutachten angeschaut.
Es sind ja nur Teile veröffentlicht.
Die Testverfahren, die verwendet wurden, sind validiert und reliabel. Sie sind an einer ausreichend großen Studienteilnehmerzahl erprobt, um sinnvolle Eichkurven zu bekommen. Das ist wichtig, um den Erwartungswert und die Standardabweichung sinnvoll bestimmen zu können. In Deutschland werden andere Tests in der Forensik eingesetzt. Das hat keinen bestimmten Grund, sondern ist einfach länderspezifisch.
Beide Testverfahren sind standartisierte Interwievs. Das ist nicht so gut, da der Pat. nach der sozialen Erwünschtheit antwortet. Das heißt, dass der Proband anhand der Fragen abschätzen kann, was eine Antwort bewirkt und die Antwort dementsprechend wählen wird. Dr. Vorster ist Forensikerin und ist oder war an der Uni Johannesburg angestellt. Nach dem Debakel im Gericht könnte ich nicht versichern, dass sie den Anwälten nicht bereits vorher die Namen der Testverfahren gab. Dann kann man sie zu Hause schon mal üben. Tests vorher zu üben ist in einigen Bereichen weit verbreitet (man siehe MPU in Deutschland).
Ich gehe mal den Teil des Gutachtens durch, der uns veröffentlicht wurde, und sage meine Meinung, was mir aufgegallen ist:
OP gab an, dass er Antidepressiva (AD), Sedativa und und Anxiolytika nimmt. Es fehlen die genauen Namen der Medikamente. OP nannte in seinem Kreuzverhör vor Gericht selber Namen: Cipralex, Vomanoct und Molipexin. Das erste ist ein SSRI, der den Antrieb steigert und gleichzeitig anxiolytisch (angstauflösend) wirkt, das Dritte ist ebenfalls ein SSRI (Wirkstoff Trazodon), was sich in Deutschland bisher nicht richtig durchgesetzt hat. Es ist eine schlafanstoßendes, anxiolytisches AD. Das Zweite (Dormanoct) ist ein Derivat der Benzodiazepine, ist ebenfalls schlafsanstoßend und anxiolytisch. Man kann nur hoffen, dass er Dormanoct nicht mehr nimmt, denn sonst ist er bereits benzoabhängig. Das 2. und 3. Präparat machen beiden müde und sedieren. D.h. der Pat. ist unter diesen Medikamenten wesensverändert. Zum Zeitpunkt der Tötung nahm er die Präparate nicht ein. Der Hinweis darauf fehlt mir. ist aber wichtig, da der Report OPs jetzigen Zustand und auch seine Aggressivität bewertet. Diese Tatsache ist so wichtig, dass sie explizit hätte erwähnt werden müssen!
Mir fehlen die Nennung der Beziehungen zu Vicky Miles und Samantha Taylor und in diesem Zusammenhang, dass die Beziehungen zu Frauen auch wegen seiner Streitlust schwierig war und er verbal ausgerastet ist. Im Gutachten wird für die Beziehungsschwierigkeiten seine Athletenkarriere verantwortlich gemacht. Eine kritische Nachfrage, als OP sich als Opfer der schönen Frauen darstellt, die nur seinen Ruhm teilen wollen, ist nicht erfolgt.
Beim Thema Alkohol wurde nicht explizit nach einzelnen Vorfällen gefragt (z.B. sagte die Mutter von Sam Taylor, dass OP betrunken war und mit Waffen hantiert hat).
Nun kommt der erste Test, von dem ich bereits sagte, dass er ein standartisiertes Interwiev ist: Der Pat. kann sich pro Frage zwischen 4 Antwortmöglichkeiten entscheiden. Die Tests sind im Internet bestellbar und mit einer geschulten Person problemlos vorzubereiten. Alles zwischen 50 und 70 ist im Endergebnis normal. Daher wäre ich nicht auf die Idee gekommen, OP eine übermäßige Suizidalität zu bescheinigen. Die liegt bei 54 und ist zusammengenommen mit dem Eindruck, den der Pat. von sich glauben machen will bei 65, immer noch unter 70. Die Argumentation, die Suizidalität zu bescheinigen ist, dass ein Pat. der sich selber nicht schlechter darstellen wil, aber bestimmte Aussgen im PAI zur Suizidalität macht, glaubahfter ist. Eine PTBS geht oft mit einer erhöhten Suizidalität einher und wie gesagt, laut PAI ist sie nicht über 70 bei OP. Auch die Angst an sich ist nicht erhöht. Die Wärme der Person ist jedoch signifikant vermindert auf 35. Darauf wird im weiteren Gutachten leider nicht eingegangen, obwohl das ein Kriterium für Empathie ist. Stattdessen wird OPs Suizidalität und seine PTBS in den Vordergrund gestellt. Die ebenfalls erhöhte Depression ist übrigens ein Teil der PTBS.
Nimmt man den nächsten angewendeten Test hinzu, wird es bzgl. der Suizidalität noch deutlicher:
Der Test heißt PDSQ und ist ebenfalls ein standartisiertes Interwiev. Hier kann der Pat. nur mit Ja und Nein antworten. Auch hier wieder die Gefahr, dass vorher geübt wurde.
Die Suizidalität liegt hier bei 8. Bei 9 liegt aber erst der Cut off. Ich reite auf diesem Punkt so rum, da es OP wieder zum Opfer macht. Aber interessant: Diesesmal sitzt er vor geschultem Personal. Trotz, dass 2 Tests das Gegenteil behaupten, wird in der Zusammenfassung des Gutachtens und in der Zusammenfassung des PAI auf seine gesteigerte Suizidalität hingewiesen. OP kann gut manipulieren.
Geht man den PDSQ durch, dann sieht man, dass OP eine Agoraphobie haben soll. Aber er reiste letztes Jahr mehrfach nach Kapstadt und nach Mozambique. Mit einer Agoraphobie kommen die Leute nicht mal zum Flughafen. Spätestes hier hätte man aufzeigen müssen, dass er es entweder schafft, da er anxiolytische Medikamente nimmt und somit entweder der Test falsch beantwortet wurde, oder die jetzigen Ergebnisse nicht zur Tatnacht passen (denn damals dürfte er noch keine Agoraphobie gehabt haben, man siehe Reisetätigkeit) oder OP damals schon kontinuirlich Anxiolytika nahm. Stattdessen wird ein Erklärung gegeben, die der Diagnose widerspricht: Er habe Angst in Schlangen wegen seiner Behinderung. Nein, dass ist kein Agoraphobie! Die Angst der Agoraphobiker ist eher unklarer Natur ("ich kipp gleich um", aber der Pat. ist gesund) und bezieht sich darauf, aus einer Situ. mehr raus zu kommen, deswegen fliehen sie auch aus Kaufhäusern, etc. Das gibt OP aber gar nicht an. Paßt mal wieder nicht.
Bei der Sozialphobie genau das Gleiche: Sie soll vor der Tat vorhanden gewesen sein, trotzdem hat sich OP in jedes Rampenlicht gestellt. Ein Sozialphobiker lebt ein gänzlich anderes Leben. Das ist das Problem mit Tests in dieser Form: Sie bilden leider oft nicht die Realität ab. Deswegen machen wir in der Forensik Tests, die viel von der Biographie mit einbeziehen. Der Pat. erzählt seine Geschichte und später werden Fragen ausgewertet, wie z.B. welche Gewalterfahrungen hat der Pat. gemacht und von wem. Die Items werden mit Punktwerten versehen. Der Vorteil ist, dass der Pat. die Antworten nicht beeinflussen kann.
Der Bootunfall wird nochmal kurz erwähnt, als Begründung für die neuropsychologische Testbatterie. Die Erwähnung wäre nicht gewesen, da die Tests eh hätten laufen müssen.
OP hat auf jeden Fall sehr hohe Ansprüche an sich und ist eine in sich unsichere Person, wie die Vorläufer des psychometrischen Tests zeigen, wo er Ermutigungen von seinem Psychiater wegen der Antworten der Fragen und seiner großen Angst vor Fehlern braucht.
Die Zusammenfassung des Psychiaters unter „Findings“ bzgl. der Auswirkungen der Amputation und seiner Entwicklungsgeschichte mit seinen Eltern sind fabelhaft! Prof. Scholtz bringt es auf den Punkt und erläutert die wichtigen Meilensteine, geprägt durch die Amputation, den fehlenden Vater und die verängstigte Mutter in einleuchtender Weise. Umso erstaunlicher ist, dass die realen Beziehungen zu Frauen, die er führte, so dermaßen kurz kommen. Denn zuletzt brachte er ja auch eben eine Frau um. Daher hätte ich da viel, viel mehr erwartet. Entweder fehlen die Teile, weil sie nicht veröffentlicht werden sollten, oder weil Scholtz sich auf die Frage der Schuldfähigkeit konzentrieren wollte.
Etwas verstört war ich über die bagatellisierenden Aussagen, OP hätte einfach seinen Weg verloren aufgrund einer fehlenden Peergroup durch die Reisen und sei daher in seiner Entwicklung zum Erwachsenen gestört. Seine besten Freunde sind aber Schuldfreunde und die Freundschaften haben die Karriere überdauert.
Und zuletzt sieht man leider auch hier, dass OP seinen Psychiater angelogen hat, als vor ihm behauptete, dass Reeva die erste Frau war , die er auf eine Reise mitnehmen wollte und dabei Sam Taylor vergaß.
Das Gutachten hat mir zu wenige objektive Testverfahren und es hebt Diagnosen hervor, die nach den Tests nicht markant gewesen wären. Mit denselben Tests werden aber auch die fehlende GAD und die fehlende narzisstische Persönlichkeitsstörung begutachtet. Also ist da ein Widerspruch. Und wie oben gesagt, werden die vielleicht gestellten kritischen Rückfragen bzgl. von Vorfällen (Batchelor, Bootsunfall und Alkohol) nicht erwähnt. Vielleicht nicht, da es nicht zur Beurteilung der Schuldfähigkeit gehört, aber dann sollte man eine generelle Aussage über de Narz. PKS auch rauslassen.
Leider hat der Prof auch zu wenig die Auswirkungen des zerrissenen Oscars aufgezeigt (The two Oscars), die mit diesem Mordfall aber so viel zu tun haben. Seine verminderte Empahtiefähigkeit, seine Zerissenheit, die er nicht integriert bekommt und seine Angst vor Fehlern und Gesichtsverlust ist angesprochen, aber nicht ausgeführt. Könnte aber ein Mordmotiv sein.