Gaza versinkt in Gewalt
15.06.2010 um 22:16
Stand bei der Welt-Online:
Von Leon de Winter
Es ist ein faszinierendes Phänomen: Warum verbünden sich Menschen und Organisationen, die sich progressiv nennen, mit reaktionären Muslimen?
Progressive und Reaktionäre haben eine Gruppierung gegründet, die sich „Free Gaza“ nennt, um die Bewohner Gazas mit „humanitären Gütern“ zu versorgen – nun ja, Gaza ist bereits frei. 2005 ist die israelische Herrschaft über Gaza zu Ende gegangen. Und Bedarf für humanitäre Hilfe gibt es nicht. Jeden Tag transportieren Dutzende Lastwagen vier- bis fünfmal mehr humanitäre Güter nach Gaza als die „Flotte“.
Die Bevölkerung Gazas jedoch hat sich in demokratischen Wahlen für eine Partei entschieden, deren Existenz sich auf ihren Judenhass gründet, und Israel will verhindern, dass die Hamas an schwere Waffen kommt und Bunker baut, wie die Hisbollah im Libanon, weshalb es eine israelische Blockade für „strategische Güter“ gibt. So einfach ist das. Die Tatsache, dass Gaza komplett „judenrein“ ist, ist der Hamas nicht genug.
Sie will, dass auch das Territorium Israels „judenrein“ ist. Niemand in Gaza muss verhungern, anders als in Darfur oder dem Kongo. Gaza ist frei, nutzt diese Freiheit jedoch, um israelische Dörfer mit Terror zu überziehen.
Legitimer Kampf
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Anders als Gaza ist Tschetschenien nicht frei, aber die Progressiven hassen Israel mehr als Russland. Die Russen haben den legitimen Kampf der Tschetschenen grausamer niedergeschlagen als die Israelis die Palästinenser je behandelt haben. Und die Kurden? Es gibt keinen kurdischen Staat, obwohl die Kurden einen gründen wollen. Türken und Iraker haben den Kurden weit Schlimmeres zugefügt als Israel jemals den Palästinensern – dennoch findet sich kein Anzeichen, dass die Progressiven die Russen oder die Türken oder die irakischen Araber hassten.
Keine der westlich-progressiven Gruppen, die „Free Gaza“ unterstützen, würden je in einem arabischen Land, in der Türkei, Gaza oder der Westbank toleriert – in Israel hingegen sind sie es. Nichtsdestotrotz haben die Progressiven die palästinensische Sache über jede andere Sache gestellt, obwohl sich das Leiden der Palästinenser im Vergleich zu anderem Leid in Asien oder Afrika sehr in Grenzen hält.
Spielen solche Fakten eine Rolle? Nein. Es geht allein um die eigene Ideologie. Hier kommen noch ein paar weitere Tatsachen. Schauen wir uns die Rate der Kindersterblichkeit in Gaza an. Es handelt sich dabei um eine Schlüsselzahl, da sie viel über Hygiene, Ernährung und medizinische Versorgung aussagt. In Gaza liegt die Kindersterblichkeit bei 17,71 von 1000. Im Vergleich zu westlichen Ländern ist das hoch. Im Vergleich zu Ägypten ist es niedrig. Ägyptens Rate liegt bei 26,2. Und wie sieht es mit der Kindersterblichkeit in der Türkei aus? Nun, die liegt bei 24,84. In der Türkei sterben mehr Neugeborene als in Gaza!
Noch ein Fakt. Das Bevölkerungswachstum. Würde Israel den Arabern in Gaza wirklich die Ernährung verweigern, müsste die Bevölkerungszahl dramatisch abnehmen. Doch das Bevölkerungswachstum in Gaza beträgt 3,29 Prozent. Es ist eines der höchsten der Welt. In Ägypten, dessen Bevölkerungszahl auch explodiert, beträgt es 1,997 Prozent.
Und die Lebenserwartung? In Gaza beträgt sie 73,68 Jahre. In Ägypten 72,4 Jahre. Und in der Türkei, dem neuen Schutzherrn Gazas, sind es 72,23 Jahre. Im Durchschnitt leben die Menschen in Gaza ein Jahr und vier Monate länger als die Menschen in der Türkei, und in Gaza geborene Babys haben eine größere Chance zu überleben, als Kinder, die in der Türkei zur Welt kommen.
Sollten die Israelis die Palästinenser töten wollen, sollten sie ihnen das Leben verkürzen und vergällen wollen, dann machen sie etwas falsch. Sie lassen sie länger leben, als die Türken leben.
Israel ist ein freiheitliches Land
Noch einmal: Warum hassen Progressive Israel mehr als sie, zum Beispiel, den Sudan hassen Einer der Gründe muss sein: Israel ist ein starkes Argument gegen den kulturellen Relativismus. Israel hat eine freie Presse, Männer und Frauen haben die gleichen Rechte, es herrscht Versammlungsfreiheit – Beweise für die Überlegenheit westlicher Kultur. Progressive hassen Israel, weil das Land in einem Meer muslimischer Rückständigkeit traditionelle europäische Werte repräsentiert.
Zudem ist Israel der Körper, der jene nicht greifbare Ethnizität beherbergt, mit der der Westen seit dem Mittelalter ringt: der Judaismus, diese eigentümliche Kraft, die als arrogant, überholt, tribal, widerwärtig und zugleich begehrt gilt. Doch es gibt noch mehr Gründe, warum die Progressiven Israel hassen.
Tatsächlich ist, was an Bord der „Free Gaza“-Schiffe geschah, nicht böser als die Folgen amerikanischer Drohnenangriffe im Irak oder in Pakistan – die Zahl unschuldiger ziviler Opfer infolge kollateraler Schäden ist dort viel höher. Anfang Mai tötete die chinesische Bereitschaftspolizei 140 Muslime. Die Welt wurde darüber nicht einmal informiert. Im Irak wurden, einen Monat vor der Aktion der Gaza-Flotte, fast 500 Muslime bei Explosionen getötet. Und was ist mit den Kurden? Hunderttausende Kurden wurden von Arabern und Türken und Iranern massakriert – ihr Schicksal erregt das westliche Gemüt nicht.
Das Problem für viele Juden ist, dass sich die Progressiven des 21. Jahrhunderts und ihre Aversion gegen die jüdische Ethnizität von den Antisemiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr unterscheiden lassen. Deren Slogan war: Schickt die Juden nach Palästina. Jetzt sagen die Progressiven: Schmeißt die Juden raus aus Palästina.
Die Progressiven sind nützliche Idioten, gefangen in einem komplexen geopolitischen Spiel. Ein Spiel, dessen Herren Türken und Iraner sind.
Die Mullahs sind von den Juden besessen
Die islamistischen Perser, die Mullahs, haben sich gleich mit Beginn der Khomeini-Revolution bemüht, Öl ins Feuer des islamischen Judenhasses zu gießen. Israels Existenz stellt für den Iran keine Bedrohung dar – verglichen mit dem Iran ist es ein kleines Land mit einer winzigen Bevölkerung. Doch die Mullahs sind von den Juden besessen.
Die zweite Stufe ist das Auftauchen terroristischer Organisationen wie al Qaida. Ihr Ziel war, die nepotistischen Tyranneien der arabischen Welt abzusetzen und durch islamistische Theokratien zu ersetzen. Die Islamisten begannen ihren Kampf gegen die korrupten, ungläubigen Kollaborateure des Westens, die Ursache der anhaltenden Unterlegenheit der islamischen „ummah“.
Diese Islamisten sind die direkten Nachfolger breiterer sunnitisch-islamischer Bewegungen wie der Muslimbruderschaft, die die herrschenden Eliten der arabischen Welt gewaltsam unterdrückt hatten. Diese Gruppen können entsetzliches Leid verursachen, sind aber nicht in der Lage gewesen, einen bedeutenden arabischen Nationalstaat unter ihre Kontrolle zu bringen und können gewiss nicht den Westen in die Knie zwingen.
Die dritte und vielleicht überraschendste Entwicklung nimmt derzeit in der Türkei ihren Lauf. Eine schleichende islamistische Revolution, sorgfältig vorbereitet von Islamisten in Designeranzügen, unternimmt den Versuch, die Errungenschaften der kemalistischen Revolution von 1922 rückgängig zu machen und sie durch eine Orthodoxie zu ersetzen. Die Islamisten der AKP versuchen, die alte Herrlichkeit des Ottomanenreiches wiederherzustellen.
Die neue Orthodoxie
Jahrhunderte lang stand das Ottomanische Imperium für die Oberhoheit des Islam über die Welt. An seiner Spitze stand ein Kalif, eine Art Papst mit unbeschränkter Macht. Abu Bakr, der Schwiegervater des Propheten Mohammed, war der erste Kalif. Der letzte, Abdülmecit II., wurde 1924 abgesetzt, nachdem es im Anschluss an die demütigende Niederlage im Ersten Weltkrieg zur säkularen Revolution der Jungtürken gekommen war. Ob die türkischen Islamisten heimlich von der Wiederherstellung des Kalifats träumen, ist unklar.
Weder die Türkei noch der Iran, beides nicht-arabische Länder mit einer Jahrhunderte alten Abneigung gegen Araber, haben Grund, sich von Israel bedroht zu fühlen oder eine besondere Sympathie für die Palästinenser zu hegen. Israel spielt für die langfristigen Pläne weder der Türkei noch des Iran eine Rolle. In Wahrheit ist der Iran am Schicksal arabischer und sunnitischer Palästinenser nicht interessiert.
Er hat allein Augen für die reichen Ölvorkommen im nördlichen Teil der arabischen Halbinsel, wo eine mehrheitlich schiitische Bevölkerung von sunnitischen Saudis regiert wird. Das Nukleararsenal, an dem die Mullahs arbeiten, soll als Schirm dienen, diese Region zu kontrollieren, und sich in erst in zweiter gegen Israel richten, die Heimat der jüdischen Erzfeinde des Propheten, die von heiligem islamischen Boden vertrieben werden müssen.
Die Juden waren die Erzfeinde Mohammeds
Israels Untergang ist eine religiöse Pflicht; die Juden waren die Erzfeinde des Propheten, und es wäre großartig, sie endgültig zu vertreiben. Friedensaktivisten sangen auf ihrem türkischen Schiff: „Khaybar, Khaybar, oh Juden, Mohammeds Armee wird wiederkehren.“ Islamischen Texten zufolge, ließ Mohammed in Khaybar jeden Juden töten, mit der Ausnahme einiger Frauen, unter denen eine wunderschön war und die er sich als persönliche Sexsklavin nahm.
Und wovon träumen die türkischen Islamisten? Ihr Ehrgeiz ist kaum weniger beeindruckend als der des Iran. Montag, der 31. Mai, wird als dramatischer Wendepunkt in die Geschichte eingehen: Die Türkei hat Ägypten die Führung der sunnitischen Welt entrissen. Über Nacht.
Die Flotte, beladen mit angeblichen humanitärer Hilfsgütern, angeführt von einer türkisch-islamistischen Organisation mit engen Verbindungen zur türkischen Regierung – und teils mit nützlichen Idioten aus dem Westen bemannt, die kaum eine Vorstellung hatten, auf was sie sich da einließen – war der Eröffnungszug einer meisterlichen Strategie. Eine Win-Win-Eröffnung. Hätten die Schiffe Gaza erreicht, wäre das ein türkischer Sieg gewesen.
Im Fall einer gewaltsamen Auseinandersetzung wäre sich die türkische Nation einig in ihrer Trauer um die Opfer und ihrer Wut auf Israel, während westliche Medien sich über die unverhältnismäßigen Verbrechen der Juden aufregen würden. So konnte sich die Türkei von Israel lossagen und sich als Führer der sunnitischen Welt neu erfinden.
Instanbul regiert Araber
Die Gaza-Flotte muss in Kairo und anderen arabischen Hauptstädten hektische Beratungen ausgelöst haben. Die Araber wurden über viele Jahrhunderte von Istanbul aus regiert, sie wissen, wozu die ottomanischen Türken fähig sind. Insbesondere die offene Unterstützung der extremistischen Hamas durch die Türkei ist ein direkter Affront gegen Ägyptens Machthaber, die die Muslimbruderschaft seit den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts verfolgt haben. Dass die Türkei das Symbol des palästinensischen Opfers radikal an sich gerissen hat, markiert einen scharfen Einschnitt in die geopolitische Landschaft des Nahen Ostens. Mit einem einzigen Zug hat sich das Zentrum der sunnitischen Welt von Kairo nach Ankara verlagert.
In den Turkmenen und Aseri Zentralasiens haben die Türken natürliche Verbündete. Dort gibt es reiche Ölvorkommen. Wahrscheinlich haben die türkischen und iranischen Islamisten sich bereits auf ihre jeweiligen Einflusssphären geeinigt. Während der Iran den Blick nach Süden richtet und in den östlichen Irak, interessieren sich die Türken für die dicht besiedelten sunnitischen Zentren des Mittelmeers und Zentralasien.
Worauf sich der Iran und die Türkei in Sachen Irak und Afghanistan geeinigt haben, bleibt unklar, doch die Folgen ihrer neuen Allianz werden bald zu spüren sein. Der neue islamische Mensch wird in der Türkei und dem Iran entstehen. Er wird die Werkzeuge, die er vom Westen übernommen hat, gebrauchen, um seine Herrschaft über die Welt auszudehnen. Unterdessen hat ein unentschiedenes, schwankendes Amerika keine Antwort auf die Herausforderung durch diese Koalition.
Die türkischen Islamisten legen, von palästinensischen Aktivisten und nützlichen Idioten aus dem Westen unterstützt, eine bemerkenswerte Geschicklichkeit an den Tag. Unter den bewundernden Blicken der türkischen Regierung werden sie Israel weiter provozieren. Ziel ist, eine Intervention der türkischen Marine zu erzwingen, gefolgt von der Armee. Das ist der ideale Weg, sämtliche Teile der türkischen Gesellschaft zu vereinen und das türkische Militär zu entsäkularisieren, die einzige bedeutende Kraft in der türkischen Gesellschaft, die die Träume der Islamisten platzen lassen könnte.
Gaza hat mit brutalen Juden nichts zu tun
Um es klar zu machen: Das Gaza-Spektakel hat mit Frieden, hungrigen Palästinensern und brutalen Juden nichts zu tun. Es handelt sich um Phase eins von etwas völlig anderem. Und ja, wir haben ein Problem: Denn westliche Länder, von Politik- und Medieneliten geführt, die in friedensorientierten Wohlfahrtstaaten aufgewachsen sind, sind gegen Kräfte wie diese machtlos – sie sind ja kaum in der Lage, die Gefahr zu erkennen.
Westliche Politiker und Diplomaten sind nicht dafür ausgebildet, mit den ausgekochten Söhnen Istanbuls und Teherans zu verhandeln, diesen erfahrenen Verschwörern, Manipulatoren, Lügnern, Intriganten. Die Gefahr für den Westen besteht nicht in der muslimischen Immigration nach Europa oder dem Terror von al Qaida; sie besteht in der Koalition zweier islamischer Regime, die islamofaschistisch sind. Es wird nicht lange dauern, bis sie Atomwaffen haben.
Noch einmal: Woher der Hass der Progressiven auf Israel?
Keine andere Gruppe armer oder unterdrückter Muslime ist für die Progressiven von Interesse. Sie interessieren sich allein für die Opfer der Juden. Die Ironie ist: Die Palästinenser werden in den arabischen und islamischen Ländern nicht besonders geschätzt. Sie werden als unzuverlässige Söldner abqualifiziert, deren schimpfliche Niederlagen der arabischen Nation Schande machen. Nationalisten, Islamisten und Tyrannen haben sich ihrer auf zynische Weise bedient, jeder hatte sein eigenes Motiv, die unerträgliche Überlegenheit der Juden in Israel als Strich durch die eigene Rechnung darzustellen.
Die Blutbäder von Sabra und Shatilah von 1982, in Wirklichkeit innerarabische Massaker, wurden so auf atemberaubende Weise zu einem Werkzeug der Öffentlichkeitsarbeit für die Palästinenser und ihre linken Unterstützer aus Europa. Es war Jassir Arafats Genie, das den palästinensischen Kampf in neomarxistische und antiimperialistische Rhetorik umdeutete. Er schuf einen neuen Kontext für sein Volk: den Kampf gegen Kolonialismus und Rassismus.
Er war ein klassischer korrupter Warlord mit einem bemerkenswerten Talent für das Spiel mit den Medien und den Politikern des Westens. Den Progressiven wurden die Palästinenser so zu ihren liebsten, exemplarischen Opfern eines von Israel verkörperten Imperialismus und Kolonialismus. Das ist die erste der beiden hauptsächlichen Erklärungen für den Hass der Progressiven. Der zweite folgt.
Der entstehenden Symbolik der Palästinenser als Opfer eines westlichen Imperialismus wurde in Europa die beißende Symbolik des Holocaust hinzugefügt – die Europäer hatten die Schuld für die Vernichtung der Juden Europas lang genug getragen und begannen, sich nach einer historischer Entlastung zu sehnen. Die kam in Form einer militärischen Aggression Israels, die ab einem bestimmten Augenblick per Definition unverhältnismäßig war, auch wenn die Gewalt mit der sich Araber und Muslime gegenseitig angriffen – und noch immer angreifen – weit destruktiver und blutiger war.
Arabische Regime verweigern Völkern Rechte
Doch die Europäer konnten die Chance, die Juden zu diffamieren, nicht ungenutzt lassen. Die arabischen Regime verweigern ihren Völkern mindestens ebenso viele Rechte wie die Juden den Palästinensern – und von den Katastrophen in Darfur oder dem Kongo ist hier nicht einmal die Rede –, doch solche Nuancen waren nicht so wichtig.
In den Augen progressiver Europäer wurde der israelisch-palästinensische Konflikt zum unvergleichlichen Konflikt, zum einzigartigen Phänomen der Schaffung palästinensischer Opfer durch europäische Opfer, was die Last des ordinären europäischen Massenmords an den Juden zu mindern schien. Was immer die israelischen Juden taten, es war verführerisch, im nahöstlichen Dschungel nach jüdischer Schuld zu suchen.
Einem palästinensischen Opfer in jüdischer Hand, Terroristen eingeschlossen, wurde eine Bedeutung beigemessen, die kein anderes Opfer auf der Welt hätte erlangen können. Das Unrecht, das den Juden angetan wurde, wird aufgewogen mit dem Unrecht, das die Juden den Palästinensern antun.
Angesichts der jüngsten massiven Angriffe auf das Existenzrecht Israels wird deutlich, dass es unter Europäern ein großes Bedürfnis gibt, die Juden Mörder zu nennen – deshalb sind die Palästinenser als Opfer der Juden wichtiger als die zahllosen muslimischen Opfer muslimischer Extremisten, deshalb werden Millionen anderer Muslime, die unter schlechteren Bedingungen als die Palästinenser leben, in den Medien mit keinem Wort erwähnt, deshalb werden israelische Militäraktionen am liebsten mit dem Wort „Nazi“ versehen.
Nennt man die Israelis Nazis, werden die eigentlichen Nazis legitimiert. Es macht den Eindruck, als wollten die Europäer, von den Progressiven angeführt, dass die Araber den Job zu Ende bringen. Schluss mit den Juden. Es ist, was es ist – wir erleben Europas Befreiung von der Hinterlassenschaft des Holocaust.
Was tun mit den Türken?
Wenn die Islamisten ihren Ehrgeiz befriedigen, wenn es den Türken und der Grünen Bewegung im Iran misslingt, Freiheit und Moderne zu verteidigen, werden selbst die blinden Progressiven aus dem Westen dem Tanz nicht entkommen, wie sehr sie die Islamisten auch unterstützt und ihnen den symbolische Nutzbarmachung der Palästinenser erleichtert haben mögen.
Montag, der 31. Mai veränderte alles. Die Europäische Union sieht sich an ihren Grenzen einem grimmigen islamistischen Gegner gegenüber. Genau wie in den arabischen Hauptstädten haben in denen der EU die Energiesparlampen in den Außenministerien bis in den Morgen gebrannt – was tun mit den Türken? Der Zorn der EU auf Israel ist nichts als eine optische Täuschung. Die politischen Eliten wissen, was geschehen ist: Die Türkei hat sich mit dem Iran verbündet.
Und Russland und China? Diese beiden alten Nationen, von zynischen Eliten regiert, gestatten den iranischen und türkischen Islamisten ihr Spiel gern, schwächt es doch ganz bestimmt den Westen. Die einzige Macht, die in der Lage ist, Einfluss auf das Ergebnis dieses Spiels der Islamisten zu nehmen, die Vereinigten Staaten, wird derzeit von einem Mann geführt, der in progressiven Kreisen aufgewachsen ist, in denen traditionelle Machtpolitik ebenso verunglimpft wird wie ein angeblich imperialistisches, kolonialistisches Israel – er ist ein Produkt akademischer Zirkel, die sich allumfassenden Illusionen über die regulierende Rolle, die internationale Organisationen wir die Vereinten Nationen spielen sollten, hingeben.
Was wir in Gaza beobachten, ist die vollendete Inszenierung eines meisterhaften islamistischen Theaterstücks. Und die Empörung der Medien markiert das nächste Kapitel in der langen Geschichte des europäischen Judenhasses. Es ist wieder salonfähig, Antisemit zu sein. Das ist nur der Anfang von Schlimmerem.
Leon de Winter ist Schriftsteller. Er lebt in den Niederlanden und den USA. Zuletzt erschien sein Roman „Das Recht auf Rückkehr“.
Aus dem Englischen von Wieland Freund.