Demandt-Aurel

Der von der Freien Universität Berlin emeritierte Althistoriker Alexander Demandt hat vor zwei Jahren als 81-Jähriger im Beck-Verlag eine sehr gelehrte und lesenswerte Monographie über den sog. Philosophenkaiser Marc Aurel vorgelegt.

Wir erhalten dabei auch Einblicke in die akribische Arbeit von Historikern, um Ereignisse anhand von schriftlichen und materiellen Quellen zu entschlüsseln, und in die Funktionsweise des römischen Staatswesens. Beeindruckend ist dabei die hohe Mobilität der zivilen und militärischen Führungselite in dem doch sehr ausgedehnten Reichsgebiet.

Marc Aurel ist ja nicht nur als Kaiser berühmt, sondern vor allem als Philosoph, der seine der Stoa verpflichteten Wertvorstellungen in seinen Selbstbetrachtungen niedergeschrieben hat. Dieses Werk ermöglicht es bis zum heutigen Tag, dass "nicht der Monarch, sondern der Mensch [es ist], der uns anspricht", wie Demandt am Ende schreibt. Beinahe ist man geneigt zu sagen, dass es - ungewollt - die Urmutter der Beratungsliteratur ist. Friedrich der Große und Helmut Schmidt zogen daraus ihr Leben lang Ideen für ihr eigenes Handeln.

Demandt fasst die zehn Leitsätze von Marc Aurels Philosophie wie folgt zusammen:
1. Kümmere dich um das, was in deiner Macht steht. Gräme dich nicht über Unabänderliches und Unerreichbares. Bleibe gelassen!
2. Laß alles, was war, und alles, was kommt, dahingestellt. Nur die Gegenwart steht zur Verfügung.
3. Nicht die Dinge, sondern die Auffassung von ihnen bestimmen dein Leben. Meinungen sind machbar. Bilde dir deine eigene Meinung!
4. Gehorche deiner inneren Stimme und laß dich nicht verführen durch äußere Güter.
5. Prüfe alles und entscheide selbst. Gib nichts auf Lob und Tadel, nichts auf das Urteil der Nachwelt. Aber laß dich belehren, wenn die Vernunft es gebietet.
6. Handle stets zum Besten der Menschheit, um selbst ein besserer Mensch zu werden! Mit Güte bezwingst du auch den Unverschämten.
7. Ärgere dich nicht über Mißstände, sondern suche, sie zu beheben. Den Mitmenschen zürne nicht, ertrage oder belehre sie! Bedenke, daß auch du Fehler hast!
8. Bewahre dir ein Gefühl der Dankbarkeit für das, was dir von Gott oder der Natur gegeben ist, zumal die Vernunft und die Freiheit der Gedanken.
9. Bedenke, daß alles sich wandelt; die Dinge lösen sich auf, der Stoff aber bleibt erhalten so wie die formende Kraft, die aus ihm stets Neues erzeugt.
10. Erkenne im Tod einen Teil der Weltordnung, wann immer er eintritt, fürchte ihn nicht! Bleibe heiter!
Marc Aurel entstammt einer angesehenen Familie und wurde früh von Kaiser Antoninus Pius adoptiert. Von den besten Lehrern erhielt er Unterweisung in Grundbildung, Rhetorik und Philosophie. Bei seinem Tod (161 an einer durch Käse verursachten Lebensmittelvergiftung) ernannte Antoninus Pius Marc Aurel zum Augustus und dessen jüngeren Adoptivbruder Lucius Verus zum Caesar (Mitkaiser ohne Amt des Pontifex Maximus).

In den 19 Jahren bis zu Aurels Tod war das Reich von außen bedroht, im Osten durch die Parther, im Norden durch Sarmaten bzw. Germanen. Lucius Verus kümmerte sich um die Ostgrenze im heutigen Mesopotamien, Marc Aurel um die Donaugrenze. Immer wieder wurden Schlachten geführt und Verträge abgeschlossen. Gegenseitig wurden Gefangene genommen, gegenseitig flohen auch Krieger zum Gegner. So wurden durch Marc Aurel auch germanische Krieger als Auxiliares (Hilfstruppen) in das römische Heer integriert.

Die Quaden in der heutigen Slowakei wurden besiegt, die Markomannen immer wieder befriedet, um die Donaugrenze halten zu können. Aus diesem Grund residierte Marc Aurel lange Zeit an der Donau: von 170 bis 173 in Carnuntum (an der Donau zwischen Wien und Bratislava) und ab 179 bis zu seinem Tod in Vindobona (Wien). Nach seinem Tod im März 180 befriedete in einem Sommerfeldzug sein 19-jähriger Sohn Commodus zum letzten Mal die Markomannen, der Friede hielt Jahrzehnte, kritisiert wurde später vor allem von romanischen Historikern, dass Böhmen (Markomannen) und die Slowakei (Quaden) nicht als Provinzen ins Reich eingegliedert wurden.

Ab den 160er Jahren wurde das Reich von Naturkatastrophen heimgesucht. Viele Städte, darunter Smyrna, wurden durch Erdbeben zerstört, ab 165 wütete die Pest. Kriege, Wiederaufbau und Milderung von Hungersnöten brachten das staatliche Finanzwesen an den Rand seiner Kapazitäten, sodass Marc Aurel 169 das kaiserliche Tafelsilber, die Kronjuwelen und sogar den Schmuck seiner Frau Faustina am Forum in Rom versteigern ließ.

Sehr engagiert war Marc Aurel im Rechtswesen, und auf sein Betreiben wurden Grundsätze aufgenommen, die bis zum heutigen Tag für einen Rechtsstaat gültig sind. So lehnte er anonyme Anzeigen (Denunziationen) ab, sie wurden vor Gericht nicht akzeptiert. Auch musste Schuld nachgewiesen werden, auch bei Prozessen gegen Sklaven. Sein Grundsatz: in dubio pro servo (im Zweifelsfall für den Sklaven).

Die überwiegend positive Einschätzung Marc Aurels als Kaiser wird getrübt durch Christenprozesse. Anzeigen wegen geheimbündlerischer Tätigkeit endeten meist mit Todesurteilen, da die meisten Christen nicht bereit waren, den Staatsgöttern zu opfern und damit Illoyalität dem Staat gegenüber bekundeten. Ein Verbrechen musste nicht nachgewiesen werden, Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinde reichte als Anklagegrund (Demandt vergleicht dies mit den heutigen Gesetzen, dass jemand wegen Mitgliedschaft bei einer kriminellen oder terroristischen Organisation verurteilt werden kann, ohne selbst ein Verbrechen begangen zu haben).

Systematische Christenverfolgung sieht Demandt nicht, da keine christlichen Gemeinden verfolgt wurden, sondern nur einzelne Christen nach Anzeige (der Staat selbst leitete keine Verfahren ein). Aus diesem Grund sei Marc Aurel auch von Kirchenhistorikern seit frühester Zeit eher positiv beurteilt.

Mit Marc Aurel endet die Reihe eher positiv beurteilter Kaiser. Sein Sohn Commodus errichtete ab 182 in Rom eine tyrannische Gewaltherrschaft.