Link: onnachrichten.t-online.de (extern) (Archiv-Version vom 19.06.2004)"Es wird mehr Blut fließen, wenn ihr so weiter macht"
Also doch El Kaida? Die moslemische Extremistengruppe hat sich offenbar auf einem Videoband zu den Anschlägen von Madrid bekannt und mit weiteren verheerenderen Attentaten gedroht. Zuvor wurden fünf Verdächtige festgenommen. Tausende Menschen protestierten in Madrid gegen die Informationspolitik der Regierung: Ihr wird vorgeworfen, vor der Wahl wider besseren Wissens die ETA für die Tat verantwortlich gemacht zu haben.
"Wir erklären uns verantwortlich"
Wenige Stunden vor Beginn der Parlamentswahlen veröffentlichte der spanische Innenminister Angel Acebes die Abschrift eines Videobandes. Darin bekennt ein mutmaßlicher El-Kaida-Sprecher: "Wir erklären uns verantwortlich für das, was in Madrid passiert ist, genau zweieinhalb Jahre nach den Anschlägen von New York und Washington. Falls Ihr mit den Ungerechtigkeiten nicht aufhört, wird mehr Blut fließen. Und diese Anschläge sind kaum etwas im Vergleich zu dem, was noch passieren kann, bei dem was Ihr Terrorismus nennt."
Im Abfallkorb entdeckt
Der Mann sprach laut Innenministerium arabisch mit marokkanischem Akzent und behauptete, das Sprachrohr des "militärischen Sprechers" der El Kaida in Europa zu sein. Dieser militärische Sprecher namens Abu Dujan el Afgani sei allerdings Spanien und auch ausländischen Geheimdiensten nicht geläufig, sagte Spaniens Innenminister Angel Acebes. Das Band werde noch auf seine Echtheit überprüft. Die Polizei habe es nach Hinweisen in einem Abfallkorb in einem Vorort Madrids entdeckt.
Moslem-Extremisten?
Zuvor waren drei Marokkaner und zwei Inder festgenommen worden. Einige von ihnen sollen eventuell Verbindungen zu marokkanischen Extremisten haben. Anlass der Festnahmen der fünf Verdächtigen seien "mutmaßliche Verwicklungen in den Verkauf und die Fälschung des Handys und der Karten, die in dem Rucksack gefunden wurden, der nicht explodiert war", erklärte Acebes - gemeint ist ein in einem Zug gefundener Rucksack mit Sprengstoff. Zwei aus Indien stammende Spanier würden noch verhört.
Täterfrage als Politikum
Die Frage, wer hinter den Anschlägen steckt, ist von großer Bedeutung für die Wahl. Bislang galt die konservative Regierungspartei PP als Favorit. Sollten aber Moslemextremisten wie El Kaida hinter der Tat stecken, könnten sich die Chancen der Opposition verbessern, da die Irak-Politik von Ministerpräsident Jose Maria Aznar in Spanien höchst umstritten ist: Er hatte gegen den Willen einer Mehrheit im Volke den Irakkrieg der USA unterstützt. Kritiker werfen der Regierung daher vor, auf eine Täterschaft der baskischen Separatisten gedrängt zu haben.
Hielt die Regierung Informationen zurück?
Acebes hatte noch am Samstag erklärt, die baskische Separatistengruppe ETA bleibe hauptverdächtig für die Anschläge. Die Ermittlungen gegen die ETA hätten Priorität. Wie die Zeitung "El Pais" berichtete, soll die spanische Regierung wegen der Wahlen aber darauf gedrängt haben, unbedingt die ETA für die Anschläge verantwortlich zu machen. Dem Blatt zufolge wies das Außenministerium nur wenige Stunden nach Explosion der Bomben die Botschafter des Landes an, die Tat der baskischen Untergrundgruppe zur Last zu legen.
"Wir wollen die Wahrheit!"
Rund 5000 Demonstranten verlangten in Madrid vor der Zentrale der regierenden Volkspartei Aufklärung über die Attentäter. Sie riefen: "Wer war es?" und "Vor der Wahl wollen wir die Wahrheit!" Auch in anderen Städten gab es Demonstrationen. In Barcelona machten Tausende und in Bilbao im Baskenland hunderte Spanier am Vorabend der Wahlen ihrem Unmut Luft. In Santiago de Compostela, der Heimat des konservativen Spitzenkandidaten Mariano Rajoy, gingen Tausende aus Protest gegen die PP auf die Straße. In der PP-Zentrale verurteilte Rajoy die Proteste: "Das ist illegal und unzulässig."
Weltweit Auswirkungen
Bei den Bombenanschlägen auf Pendlerzüge in Madrid waren am Donnerstag 200 Menschen getötet und rund 1500 verletzt worden. Sollte sich die Drohung der El Kaida als authentisch erweisen, hätte dies weltweit gravierende Auswirkungen auf die Sicherheitslage. Am Mittag kommt in Berlin das Sicherheitskabinett unter Leitung von Bundeskanzler Gerhard Schröder zusammen, um über die Hintergründe des Attentats und mögliche Schlussfolgerungen für Deutschland zu sprechen.
Die Frage von Zeitreisen bleibt offen. Ich werde darauf jedoch keine Wette abschließen. Der andere könnte ja den unfairen Vorteil haben, die Zukunft zu kennen. (Stephen Hawking)