WM-Mord: Ex-Betreuer attestiert "gestörtes Verhältnis zu Frauen"Am sechsten Tag im Prozess um den Mord in der WM-Nacht 2014 sollte eigentlich die Mutter des Angeklagten aussagen. Doch die Verhandlung am Freitag, 24. April, begann mit einer Überraschung. Die Mutter war nicht zur Verhandlung erschienen, sie machte von ihrem Zeugenverweigerungsrecht Gebrauch.
Im Zeugenstand erschienen ist dagegen der Leiter des Jugendheims, in dem der Angeklagte Christoph R. untergebracht war. Schon im Kinderheim war der 21-jährige Angeklagte im so genannten WM-Mord von Bad Reichenhall, bei dem ein 72-Jähriger am 14. Juli 2014 sein Leben verlor und eine 17-Jährige schwerste Verletzungen davon trug, auffällig und aggressiv. Das berichtete ein 50-jähriger Kinderheimleiter am Freitag vor der Jugendkammer Traunstein. Der Junge war mit sechs Jahren zusammen mit einer jüngeren Schwester wegen Gewalttätigkeit des Vaters gegenüber der Mutter in das Kinderheim "Haus Schmiedel" im rheinland-pfälzischen Simmern/Hunsrück eingewiesen worden und dort elf Jahre geblieben. Der Vater soll die Mutter geschlagen und sie vor den Augen der Kinder vergewaltigt haben. Das Verhältnis des Jungen zu Frauen war nach Worten des Heimleiters "von Anfang an gestört": "Vor allem Praktikantinnen bekamen das zu spüren."
Erstmals in dem Prozess überzog eine leichte Röte das Gesicht des weiterhin schweigenden Angeklagten, als er seinem Ex-Erzieher zuhörte. Nach der Schulzeit mit zumeist guten Leistungen bis zur Mittleren Reife kam der Jugendliche in einer Berufsfachschule für Informatik an seine Grenzen. Nach 21 Fehltagen flog er von der Schule. Zwei Lehren scheiterten, die als Metallbauer wegen Verweigerung eines Lehrgangs. Als die Schwierigkeiten immer mehr zunahmen, wollte der Jugendliche nicht mehr im Heim, in dem er seit März 2001 lebte, bleiben - mit der Begründung: "Ich brauche meine Freiheit."
Massive Veränderungen beim Angeklagten bemerktAb dem Jahr 2010 registrierte das Heim massive Veränderungen bei dem Jugendlichen. Im November musste der 16-Jährige seine Wohngruppe verlassen. Der Grund: Er hatte eine Art "Chefrolle" übernommen und schlug seine Mitschüler. In seiner neuen Gruppe häuften sich in der zweiten Jahreshälfte 2011 Verbalattacken gegen Heimmitarbeiterinnen wie "Halt's Maul, du hast mir nichts zu sagen", "blöde Kuh", "ich zieh dir eine ab" oder "alte Fotze".
Polizeibekannt wurden 2011 der Diebstahl einer Geldbörse, Ladendiebstahl, und Sachbeschädigungen. 2009 bereits war der Jugendliche in ein Wohnhaus - dort verwüstete er alles mit Ketchup - und in eine Leichenhalle eingestiegen. In dem Totenhaus schlug er eine Scheibe ein und stahl ein Mikrofon. Auch ein Fahrraddiebstahl und umgetretene Mülltonnen wurden aktenkundig. Der Heimleiter informierte weiter über einen Angriff gegen ein Mädchen in deren Bett, aber ohne sexuellen Übergriff. Eine gravierende Sache ereignete sich Anfang 2012. Mehrere Jugendliche lockten einen Jungen in einen Hinterhalt in einem Parkhaus. Während die anderen von dem Opfer abließen, trat der Angeklagte weiter zu. Erst als ein Erwachsener eingriff, hörte er auf. "Sonst hätte er den Jungen tot getreten", betonte der Zeuge in der Verhandlung am Freitag.
Alkohol konsumierte der Angeklagte in der Heimzeit nicht oft. Allerdings gab es exzessive Ausfälle: Nach einer Flasche Wodka musste er einmal mit Alkoholvergiftung in eine Kinderklinik. Eine Ärztin und eine Schwester hatten hinterher jeweils ein blaues Auge. Drogen waren in der Regel kein Problem. Eine Verhaltenstherapie lehnte der Jugendliche nach Auskunft des Heimleiters strikt ab. So etwas brauche er nicht. Der 50-Jährige wörtlich: "Er hielt sich für den Besten. Der Rest der Menschheit war für ihn nur Fußvolk." Letztmals sprach der Zeuge mit dem jungen Mann im Mai 2012 - beim Auszug aus dem Heim: "Unser Gespräch verlief nett und freundlich." Einmal noch, in der anschließenden Zeit als Kickboxer, habe ihm der Angeklagte geschrieben. Er lebe jetzt "in einer Traumwelt, überhaupt nicht mehr in der Realität", gab der Heimleiter wieder.
Angeklagter brüstete sich gegenüber Kameraden mit MordDie Kammer vernahm noch weitere Soldaten aus der Hochstaufen-Kaserne in Bad Reichenhall. In der dortigen "Raucherecke" hatte sich der Angeklagte des Mords an dem 72-Jährigen gebrüstet und erwähnt, man könne ihm nichts beweisen, nachdem er das Messer weggeworfen habe. Die 303 Gramm schwere und 30 Zentimeter lange Tatwaffe, ein Bundeswehr-Kampfmesser Typ KM 2000, fanden Polizeibeamte später in einem Pflanztrog an der Poststraße. Ganz in der Nähe war der 72-Jährige nach mindestens 29 Messerstichen gegen Kopf, Gesicht und Oberkörper an zentraler Lähmung durch Schädigung des Gehirns gestorben. Das zweite Opfer, eine heute 18-Jährige, soll der Angeklagte in der Berchtesgadener Straße mit dem Messer überfallen haben. Die junge Frau überlebte den überraschenden Angriff von hinten nur knapp und verlor die Sehkraft auf dem linken Auge. Die Nebenklägerin identifizierte den 21-Jährigen klar als Täter.
Oft war in dem Prozess bereits von dem Videorollenspiel "Skyrim" die Rede, das der Angeklagte offensichtlich liebte. Laut Kripoermittlungen könnte das Spiel eine Art Leitfaden bei dem Mord an dem Handwerker und dem versuchten Mord an der Auszubildenden gewesen sein. Messer sollen darin vorgekommen als Waffen, auch gezielt gegen Kopf und Augen gerichtet. Um sich selbst einen Eindruck über "Skyrim" zu verschaffen, lässt sich die Kammer zwei Etappen des Spiels von einem Kripobeamten vorführen. Die Verhandlung wird am Montag, 27. April, um 9 Uhr fortgesetzt. Neben der Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, die sich zur Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht äußern wird, erläutern ein Rechtsmedizinerin und der psychiatrische Sachverständige die Ergebnisse ihrer Untersuchungen. Mit der Urteilsverkündung wird am 6. Mai gerechnet.
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