Sondersitzung nach syrischem Angriff auf türkischen Jet
"Phantom"-Abschuss beschäftigt NATO-Rat
Der NATO-Rat befasst sich heute mit dem Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs durch die syrische Armee. Das Treffen der 28 NATO-Botschafter war von der Türkei am Wochenende beantragt worden. Sie beruft sich dabei auf Artikel 4 der NATO-Charta, der solch einen Schritt ermöglicht, wenn ein Bündnispartner "seine territoriale Unversehrtheit" gefährdet sieht. Es ist erst das zweite Mal in der Geschichte der NATO, dass ein Staat ein Treffen unter Berufung auf Artikel 4 einberuft. Das erste Mal geschah dies 2003 im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg - damals ebenfalls auf Initiative der Türkei. In Abgrenzung zu Artikel 5 sieht Artikel 4 aber kein gemeinsames militärisches Eingreifen vor.
Allerdings kündigte die Regierung in Ankara am Montagabend an, fordern zu wollen, dass der Abschuss als Angriff auf das gesamte Militärbündnis gewertet wird. In einem solchen Bündnisfall wäre ein gemeinsames militärisches Vorgehen gegen Syrien zumindest möglich. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass der NATO-Rat dem zustimmt.
Westerwelle: In "keiner Weise akzeptabel"
Es wird erwartet, dass die Militärallianz den Vorfall verurteilt. Der NATO-Rat müsse ein entsprechendes Urteil der EU bekräftigen, forderte Bundesaußenminister Guido Westerwelle vor der Sitzung. Der FDP-Politiker hatte bei dem Treffen der EU-Außenminister den Abschuss der türkischen F4 "Phantom" bereits als in "keiner Weise akzeptabel" kritisiert. "Selbst wenn es eine vorübergehende Verletzung des Luftraums Syriens gegeben haben sollte, so rechtfertigt das einen solchen Abschuss nicht", so Westerwelle.
Schreiben an die Vereinten Nationen
Die türkische Regierung hat sich wegen des Abschusses auch an die Vereinten Nationen gewandt. In einem Schreiben an den UN-Sicherheitsrat und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnet sie den Vorfall als "ernste Bedrohung" für Frieden und Sicherheit in der Region. Unmittelbare Maßnahmen des Sicherheitsrats forderte Ankara in dem Brief, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, jedoch nicht. Das Flugzeug habe kein feindliches Manöver unternommen und sei ohne Vorwarnung abgeschossen worden, betonte der türkische UN-Boschafter Ertugrul Apakan.
Widersprüchliche Angaben aus Ankara und Damaskus
Derzeit sind die genauen Umstände des "Phantom"-Abschusses unklar. Die Türkei und Syrien machen dazu widersprüchliche Angaben. Die türkische Seite räumt zwar ein, dass die Maschine sich kurzzeitig im syrischen Luftraum aufgehalten habe, dann aber in internationalem Luftraum zurückgekehrt sei. Dort sei sie dann von der syrischen Seite abgeschossen worden. Da die Besatzung kein Radar-Warnsignal gemeldet habe, werde vermutet, dass eine hitzesuchende Rakete auf das Flugzeug abgefeuert wurde, sagte der türkische Vize-Regierungschef Bülent Arinc.
Die syrische Regierung behauptet hingegen, dass der Jet mehrfach in den syrischen Luftraum eingedrungen sei. Die F4 sei in circa 100 Meter Höhe und etwa ein bis zwei Kilometer Entfernung von der Küste aufgetaucht. Dort sei das Flugzeug dann von einem Luftabwehrgeschütz bekämpft und abgeschossen worden. Die Aktion sei ein Akt der Selbstverteidigung staatlicher Souveränität gewesen, so der Sprecher des syrischen Außenministeriums.
Weder das Wrack der "Phantom" noch die beiden Besatzungsmitglieder wurden bisher gefunden. Es ist unwahrscheinlich, dass Pilot und Waffensystemoffizier den Absturz überlebt haben.
http://www.tagesschau.de/ausland/natorat102.html (Archiv-Version vom 29.06.2012)