CONTRA
Sicherheit:
Mit der Türkei als Mitglied würde Europa zum "Global Player". Die politische Rolle der EU gegenüber der islamischen Welt würde gestärkt, im Mittleren und Nahen Osten könnte die EU unabhängig von den USA neue Akzente in der Sicherheitspolitik setzen. Hinzu kommt: Die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft führt in der Türkei zu weiteren Reformen. Andernfalls dürfte sie sich in Richtung der arabisch-islamischen Welt orientieren. Folge könnte eine Destabilisierung der Region sein. Sicherheit:
Die Türkei ist Nato-Partner und als solcher bereits geostrategisch eingebunden. Das türkische Militär ist bereits ein Gegengewicht zu religiös-politischem Fanatismus. Eine weiterführende Sicherheitspolitik wäre auch in einer so genannten strategischen Partnerschaft denkbar. Zudem handelt sich die EU mit der Türkei vor allem Krisenregionen als neue Nachbarn ein. Krisenintervention würde zu einem Automatismus.
Menschenrechte:
Mit der Aussicht auf den EU-Beitritt wird die Türkei bestärkt für noch anstehende Reformen. Eine Ablehnung könnte dazu führen, dass das Land hinter den Status Quo zurückfällt. Menschenrechte:
Trotz gewisser Fortschritte hat die Türkei immer noch nicht genug getan, um die Menschenrechte auch im Alltag durchzusetzen. Die Religionsfreiheit für Nicht-Muslime ist eingeschränkt, auch bei der Meinungsfreiheit gibt es Defizite.
Kosten:
Die nötige Milliardenhilfe, um die Türkei auf den Stand der anderen EU-Staaten zu bringen, würde nach Einschätzung der EU-Kommission nicht mehr als 0,1 Prozent bis 0,17 Prozent des EU-Bruttosozialprodukts ausmachen. Sie wäre zugleich eine Konjunkturspritze für die Exportwirtschaft der EU-Mitglieder. Die Türkei ist heute etwa so arm, wie es Portugal zum Zeitpunkt seiner EU-Aufnahme war. Zudem wäre die EU durch den Beitritt gezwungen, ihre Struktur- und Agrarhilfeleistungen endlich grundlegend zu reformieren. Kosten:
Die Türkei hat in zehn Jahren 80 Millionen Einwohner und damit mindestens so viele wie Deutschland oder wie derzeit die zehn neuen EU-Staaten zusammen. Dagegen ist das Land mit einem Sechstel der deutschen Wirtschaftskraft so arm, dass nach Berechnungen der EU-Kommission jedes Jahr zwischen 16,5 und 27,5 Milliarden Euro in die Türkei fließen müssten. Ein nennenswerter Rückfluss in die EU durch mehr Export findet nicht statt, da die Türkei etwa durch die Zollunion wirtschaftlich längst integriert ist.
Integration:
In der Türkei leben derzeit 71 Millionen Menschen; die Geburtenrate sinkt. Zuwanderung kann mit sehr langen Übergangsfristen sozial verträglich geregelt werden. Eine Angst vor islamischer Überfremdung ist deshalb unbegründet. Zudem wäre das Stimmengewicht der Türkei im Ministerrat der EU nicht größer als das von Deutschland. Ohne Koalitionen oder gar gegen den Willen der anderen kann die Türkei im Chor der dann 28 Mitgliedstaaten nichts bewirken. Die Aufnahme eines Landes mit überwiegend moslemischer Bevölkerung würde beweisen, dass die EU kein christlicher Klub ist. Zudem ist die Türkei ein laizistischer Staat. Integration:
Die türkische Bevölkerung wächst - Hunderttausende könnten in anderen EU-Ländern nach Arbeit suchen. Eine Arbeitsgruppe des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari schätzte das Zuwanderungspotenzial aus der Türkei langfristig auf 2,7 Millionen Menschen. Dies könnte bei gleichzeitigem Geburtenrückgang in den europäischen Kernstaaten zu einer "Islamisierung" Europas führen. Durch das Stimmengewicht der Türkei in den EU-Gremien könnten sich die politischen Linien der ganzen Union verschieben.
http://www.tagesschau.de/ausland/meldung75740.html (Archiv-Version vom 23.09.2008)