Ursula Münch:
Ergänzung zu unserem Band "Spurensicherung. Zeitzeugen zum 17. Juni 1953"
GNN-Verlag Schkeuditz (1999)

Wenige Monate nach dem Erscheinen unseres Buches im Frühjahr 1999 erhielten wir Kenntnis von einer äußerst interessanten Fernsehsendung. Es handelte sich um die Wiederholung einer bereits im Jahre 1973 für den Hamburger Rundfunk produzierten Bildreportage des BRD-Journalisten Lutz Lehmann, in der unter anderem maßgebliche Westberliner Zeitzeugen zu Wort kommen.
Ihre Aussagen stimmen in entscheidenden Punkten mit den unseren überein.
Nachstehend einige Kostproben:
Lutz Lehmann zu Beginn der Sendung: „Dieses Amtsschild vom Dienstsitz Piecks ist am 17. Juni 1953 von der Wand gerissen und zerbrochen worden. Wie man auf Fotos sehen und in Berichten über den Volksaufstand lesen kann, von Ostberliner Arbeitern. Die Wahrheit ist: Heruntergerissen, zerbrochen und in den Westen gebracht wurde das Schild von einem fanatischen Antikommunisten aus Westberlin, der heute wie damals wohlhabend in einer Grunewald-Villa lebt. Er hat mir selbst erzählt, was er am 16. Und 17. Juni in Ostberlin getan hat. Aber: Er wird in diesem Bericht nicht auftauchen, weil er seine Identität verbergen will. Viele Beteiligte, mit denen ich bei Recherchen zu diesem Film gesprochen habe, wollten sich vor der Kamera nicht äußern.“
Danach wendet sich der Bericht den Ursachen für die Ereignisse jener Tage zu und nennt in diesem Zusammenhang vor allem die beabsichtigte Erhöhung der Arbeitsnormen um 10 Prozent. Aber: „Der Berliner Politologe Arnulf Baring hat in seiner Arbeit über den 17. Juni festgestellt, dass diese zehnprozentige Normenerhöhung in der DDR weder willkürlich noch ungerechtfertigt war.“ Anschließend kommt der Westberliner Professor Arnulf Baring selbst zu Wort: „…Man kann im Gegenteil sagen, dass die Normen damals in der DDR sehr niedrig waren in vielen Bereichen …, dass aber in dem Augenblick, in dem die Normenerhöhung im Neuen Kurs festgehalten wurde, also in einem Augenblick, in dem man allen anderen, auch den so genannten kapitalistischen Schichten der Bevölkerung Zugeständnisse machte, das außerordentlich deplatziert war.“
Die vom Moderator befragten damaligen Streikteilnehmer Werner Kalikowski (Berlin) und Richard Behrendt (Leipzig) bestätigten, dass die Arbeiter zunächst vor allem „gegen die Normen“ und für ihren Lohn auf die Straße gingen und nicht, um die DDR zu beseitigen. „Das war kein Aufstand als solcher, das war …, wie man hier in Westdeutschland sagen würde, ein Streik.“
Später geht es um das Eingreifen der Sowjetarmee. Professor Anrulf Baring antwortet auf die Frage: „Sind die sowjetischen Panzer, wie es immer heißt, brutal und rücksichtslos gegen die Demonstranten vorgegangen?“ wie folgt: „ … Ich würde sagen, dass die Sowjetunion insgesamt sehr vorsichtig und umsichtig diesem Aufstand ein Ende gesetzt hat, wenn man überhaupt von einem Aufstand in dem Augenblick reden will, wo die sowjetischen Panzer eingriffen. Die Zahl der Toten ist sehr gering gewesen. Die Zahl der später Verurteilten hat mit dem sowjetischen Eingreifen nichts zu tun. Ich glaube, man muss im Gegenteil sagen, dass die Sowjetunion sich so weit wie möglich bemüht hat … Blutvergießen zu vermeiden.“
Später heißt es in einem kurzen Kommentar: „Als am 17. Juni am Potsdamer Platz Schüsse fielen, wurden sieben Personen tödlich verletzt. Sechs von ihnen waren Westberliner …“
Die Augenzeugenberichte von Erich Onasch und Helmut W. Sonntag, beide als westdeutsche bzw. westberliner Wochenschaukameraleute am Ort des Geschehens, lassen keinen Zweifel, woher die jungen Leute "von zwölf bis fünfundzwanzig“ kamen, „die dort randalierten und …Feuer legten… speziell im Columbushaus und im ehemaligen Café Vaterland: … Alle aus Westberlin.“ Und die Brandflaschen? „Es war wohl auf jeden Fall eine russische Emigrantenorganisation, die dann da vieles verteilte … Flugblätter, Benzinkanister oder Brandflaschen und Stöcke und ähnliche Dinge. Also… wer sich bedienen wollte, konnte von dort irgendwelche Dinge abholen.“
Ein Kommentar beschreibt den Versuch des sowjetischen Stadtkommandanten Dibrowa, von einem Panzer aus zu den Massen zu sprechen. Leider wird ihm kein Gehör geschenkt. Später, am Potsdamer Platz, werden die sowjetischen Kampfwagen direkt angegriffen, wurde Mann gegen Panzer gekämpft“. „Doch die Szenen von Todesmut und Leichtsinn an der Grenze zwischen Ost- und Westberlin“, heißt es dann im Bericht, „hatten kaum noch Beziehung zur Protestbewegung der Arbeiter von der Stalinallee.“
Im Kontrast dazu stand das „heute kaum noch erträgliche Pathos“ bundesdeutscher und westberliner Politiker im Angesicht jener sieben Särge vor dem Schöneberger Rathaus.Die Ausschnitte aus den Gedenkreden werden im Originalton wiedergegeben:
Konrad Adenauer:
„Neben die Trauer, neben das Mitleid tritt der Stolz auf diese Helden der Freiheit, der Stolz auf alle, die sich auflehnten gegen diese nunmehr acht Jahre währende Sklaverei …“
Jakob Kaiser:
„Dieser elementare, wuchtige Aufstand unseres Volkes, dieser Marsch der deutschen Arbeiter, dieser Marsch der deutschen Arbeiter, diese revolutionierende, entflammende Wirkung der deutschen Jugend unter dem totalitären System, sie hat die Welt aufgerüttelt, und die Bahn ist freigemacht für eine bessere Zukunft.“
Ernst Reuter:
„Die Toten hier vor uns und alle jene, die in diesem Juniaufstand in Ostberlin und in der Sowjetzone sterben mussten, haben das Opfer ihres Lebens für Deutschland gebracht.“
Im weiteren Verlauf der Sendung stellen die Redakteure dem BRD-Journalisten Hans-Georg Schulz – damals durch enge Kontakte mit der Organisation Gehlen (Vorläuferin des BRD) verbunden - die Frage nach der Rolle antikommunistischer Organisationen und Geheimdienste, die zu jener Zeit von Westberlin aus agierten.. Dieser bestreitet zwar entsprechende Aktivitäten der Organisation Gehlen (obwohl er zugibt, dass sie natürlich ihre Leute „drüben“ hatte), bestätigt jedoch „Einstiegsversuche westberliner Untergrundorganisationen“. Deren Anzahl habe bei „etwa vierzig“ gelegen, „von kleinen Splittergrüppchen abgesehen, die gab’s natürlich zu Hunderten.“
Der Moderator fragt: Und diese Organisationen, u.a. also auch die Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit, haben ihre Leute rübergeschickt mit Aufträgen, meinen Sie …“ Antwort Hans-Georg Schulz: „Ja, und sie hatten ja natürlich auch Leute drüben, denen sie dann noch am 16. Juni suggerierten, dass sei der Tag X und nun ginge es los, nun würde die DDR-Regierung gestürzt oder sie müsste zurücktreten und die Russen würden das Land verlassen. Und einige dieser Leute haben das geglaubt und entsprechend gehandelt. Und natürlich auch Leute mitgerissen und ins Unglück gerissen.“ Moderator: „Das heißt, diese Leute haben die Parolen produziert, die nachher über die Normenbewegung hinausgingen …“ Hans-Georg Schulz: „Ich würde sagen, ja.“
Moderator: „Die meisten dieser Untergrundorganisationen, aber auch die Organisation Gehlen, waren ja damals aus amerikanischen Mitteln finanziert. Heißt das, dass hinter diesen Aktivitäten westlicher Gruppen in Ostberlin am 16. Und 17. Juni offizielle Interessen gestanden haben?“ Hans-Georg Schulz: „Nein. Weder in Washington noch in Bonn. Außerdem muss man die Finanzierung differenzieren. Es gab offizielle amerikanische Finanzierung, beispielsweise für die Abwehr … und dann gab es auch sehr viele private und halbstaatliche amerikanische Finanzierungen, wie zum Beispiel für die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit. Und diese Leute hatten eine völlig andere Interessenlage als beispielsweise die amerikanische Regierung …“
Und wie kam es, fragt Lutz Lehmann, dass sich die Bewegung in wenigen Stunden über die ganze DDR ausbreitete? Die Antwort erhält er von Fritz Schorn, nach eigenen Angaben einer der Streikführer in Leuna, und Richard Behrendt, Leipzig: „Ohne den RIAS hätte es keinen 17. Juni gegeben.“ Dies wird durch Eberhard Schütz – damaliger Programmdirektor des RIAS und späterer Oberbürgermeister von (West)Berlin – stolz bestätigt, „da die Tätigkeit des RIAS ja viele Monate als Hauptthema die Normenerhöhung hatte.“
Am 16.und 17. Juni sendete RIAS nicht nur laufend Nachrichten über das Geschehen, sondern „am 17. gegen 6 Uhr früh – eher hatten es höchste amerikanische Stellen nicht gestattet“ auch einen Aufruf des damaligen DGB-Vorsitzenden Scharnowski: „Tretet der Bewegung der Ostberliner Bauarbeiter, BVGer und Eisenbahner bei und sucht eure Strausberger Plätze überall auf. Je größer die Beteiligung ist, desto machtvoller und disziplinierter wird die Bewegung mit gutem Erfolg für euch verlaufen.“
Sprecher: „Die Bonner SPD-Fraktion nannte den Aufruf ihres Berliner Genossen danach unverantwortlich.“
Zuvor war sogar, auch das wird in der Sendung deutlich, von einigen RIAS-Redakteuren die Ausrufung des Generalstreiks erwogen worden. (Hier sei die Anmerkung erlaubt, dass dies und ähnliches, wie man heute weiß, von deren US-amerikanischen Vorgesetzten mit der Frage gestoppt wurde, ob man denn den 3. Weltkrieg auslösen wolle.)
Als interessantes historisches Detail erscheint auch folgende Bemerkung von Eberhard Schütz: „Die Amerikaner waren dann allerdings am Mittag des 17. Juni doch von der Härte der sowjetischen Haltung überrascht … dass der sowjetische Stadtkommandant seinen alliierten Partnern die Mitteilung machte: Sollte vom Westen aus der Aufstand geschürt werden, dann müsse er kraft seiner Gesamtverantwortung für Berlin, die nach seiner Meinung jeder der alliierten Kommandanten hätte, … eingreifen und auch in Westberlin dafür sorgen, dass Ruhe und Ordnung in Gesamtberlin herrsche.“
Abschließend kamen in der Sendung zwei international bekannte Politikwissenschaftler zu Wort, die ich bereits zitierte, der Vollständigkeit des Berichtes zur Sendung wegen aber nochmals wiederhole:
Professor Alfred Großer, Paris, fand es zwar „nicht unberechtigt, wenn westliche Kräfte versuchen, … echt Revolte zu machen“ und äußerte auch Verständnis für die Adenauerschen Pläne zur „Wiedervereinigung durch Erweiterung der Bundesrepublik nach Osten, … eine Art Annexion der DDR, die verschwinden würde.“ Aber: „Solang‘ die Sowjetunion ist, was sie ist, kann man keine Annexion erträumen.“ Das wusste auch Adenauer sehr gut. Deshalb: „Was mir so schlimm erscheint am 17. Juni ist nicht, dass Adenauer keine Revolte provozieren oder unterstützen wollte, sondern, dass er es nicht gesagt hat.“
Der westdeutsche Professor Löwenthal hatte den 17. Juni „eine verpasste Chance der westlichen Politik“ genannt und erläuterte das in der Sendung wie folgt: „Die verpasste Chance war nicht so sehr der 17. Juni selbst, wie die Wochen zwischen dem Tod Stalins und dem 17. Juni.“ Er verweist darauf, dass die neue sowjetische Führung in dieser Zeit – um die Eingliederung der Bundesrepublik in die NATO zu verhindern – nach „indirekten Beweisen“ zu Verhandlungen über die Einheit Deutschlands bereit war (nach seiner Darstellung unter Aufgabe der DDR), aber weder Dulles noch Adenauer auf solche Signale reagieren oder selbst Verhandlungen vorschlagen wollten. Nach den Juniereignissen „entschied sich in Moskau die Abkehr von diesem Versuch. Und insofern beendete der Verlauf des 17. Juni diese Chance.

Wenige Monate nach dem Erscheinen unseres Buches im Frühjahr 1999 erhielten wir Kenntnis von einer äußerst interessanten Fernsehsendung. Es handelte sich um die Wiederholung einer bereits im Jahre 1973 für den Hamburger Rundfunk produzierten Bildreportage des BRD-Journalisten Lutz Lehmann, in der unter anderem maßgebliche Westberliner Zeitzeugen zu Wort kommen.
Ihre Aussagen stimmen in entscheidenden Punkten mit den unseren überein.
Nachstehend einige Kostproben:
Lutz Lehmann zu Beginn der Sendung: „Dieses Amtsschild vom Dienstsitz Piecks ist am 17. Juni 1953 von der Wand gerissen und zerbrochen worden. Wie man auf Fotos sehen und in Berichten über den Volksaufstand lesen kann, von Ostberliner Arbeitern. Die Wahrheit ist: Heruntergerissen, zerbrochen und in den Westen gebracht wurde das Schild von einem fanatischen Antikommunisten aus Westberlin, der heute wie damals wohlhabend in einer Grunewald-Villa lebt. Er hat mir selbst erzählt, was er am 16. Und 17. Juni in Ostberlin getan hat. Aber: Er wird in diesem Bericht nicht auftauchen, weil er seine Identität verbergen will. Viele Beteiligte, mit denen ich bei Recherchen zu diesem Film gesprochen habe, wollten sich vor der Kamera nicht äußern.“
Danach wendet sich der Bericht den Ursachen für die Ereignisse jener Tage zu und nennt in diesem Zusammenhang vor allem die beabsichtigte Erhöhung der Arbeitsnormen um 10 Prozent. Aber: „Der Berliner Politologe Arnulf Baring hat in seiner Arbeit über den 17. Juni festgestellt, dass diese zehnprozentige Normenerhöhung in der DDR weder willkürlich noch ungerechtfertigt war.“ Anschließend kommt der Westberliner Professor Arnulf Baring selbst zu Wort: „…Man kann im Gegenteil sagen, dass die Normen damals in der DDR sehr niedrig waren in vielen Bereichen …, dass aber in dem Augenblick, in dem die Normenerhöhung im Neuen Kurs festgehalten wurde, also in einem Augenblick, in dem man allen anderen, auch den so genannten kapitalistischen Schichten der Bevölkerung Zugeständnisse machte, das außerordentlich deplatziert war.“
Die vom Moderator befragten damaligen Streikteilnehmer Werner Kalikowski (Berlin) und Richard Behrendt (Leipzig) bestätigten, dass die Arbeiter zunächst vor allem „gegen die Normen“ und für ihren Lohn auf die Straße gingen und nicht, um die DDR zu beseitigen. „Das war kein Aufstand als solcher, das war …, wie man hier in Westdeutschland sagen würde, ein Streik.“
Später geht es um das Eingreifen der Sowjetarmee. Professor Anrulf Baring antwortet auf die Frage: „Sind die sowjetischen Panzer, wie es immer heißt, brutal und rücksichtslos gegen die Demonstranten vorgegangen?“ wie folgt: „ … Ich würde sagen, dass die Sowjetunion insgesamt sehr vorsichtig und umsichtig diesem Aufstand ein Ende gesetzt hat, wenn man überhaupt von einem Aufstand in dem Augenblick reden will, wo die sowjetischen Panzer eingriffen. Die Zahl der Toten ist sehr gering gewesen. Die Zahl der später Verurteilten hat mit dem sowjetischen Eingreifen nichts zu tun. Ich glaube, man muss im Gegenteil sagen, dass die Sowjetunion sich so weit wie möglich bemüht hat … Blutvergießen zu vermeiden.“
Später heißt es in einem kurzen Kommentar: „Als am 17. Juni am Potsdamer Platz Schüsse fielen, wurden sieben Personen tödlich verletzt. Sechs von ihnen waren Westberliner …“
Die Augenzeugenberichte von Erich Onasch und Helmut W. Sonntag, beide als westdeutsche bzw. westberliner Wochenschaukameraleute am Ort des Geschehens, lassen keinen Zweifel, woher die jungen Leute "von zwölf bis fünfundzwanzig“ kamen, „die dort randalierten und …Feuer legten… speziell im Columbushaus und im ehemaligen Café Vaterland: … Alle aus Westberlin.“ Und die Brandflaschen? „Es war wohl auf jeden Fall eine russische Emigrantenorganisation, die dann da vieles verteilte … Flugblätter, Benzinkanister oder Brandflaschen und Stöcke und ähnliche Dinge. Also… wer sich bedienen wollte, konnte von dort irgendwelche Dinge abholen.“
Ein Kommentar beschreibt den Versuch des sowjetischen Stadtkommandanten Dibrowa, von einem Panzer aus zu den Massen zu sprechen. Leider wird ihm kein Gehör geschenkt. Später, am Potsdamer Platz, werden die sowjetischen Kampfwagen direkt angegriffen, wurde Mann gegen Panzer gekämpft“. „Doch die Szenen von Todesmut und Leichtsinn an der Grenze zwischen Ost- und Westberlin“, heißt es dann im Bericht, „hatten kaum noch Beziehung zur Protestbewegung der Arbeiter von der Stalinallee.“
Im Kontrast dazu stand das „heute kaum noch erträgliche Pathos“ bundesdeutscher und westberliner Politiker im Angesicht jener sieben Särge vor dem Schöneberger Rathaus.Die Ausschnitte aus den Gedenkreden werden im Originalton wiedergegeben:
Konrad Adenauer:
„Neben die Trauer, neben das Mitleid tritt der Stolz auf diese Helden der Freiheit, der Stolz auf alle, die sich auflehnten gegen diese nunmehr acht Jahre währende Sklaverei …“
Jakob Kaiser:
„Dieser elementare, wuchtige Aufstand unseres Volkes, dieser Marsch der deutschen Arbeiter, dieser Marsch der deutschen Arbeiter, diese revolutionierende, entflammende Wirkung der deutschen Jugend unter dem totalitären System, sie hat die Welt aufgerüttelt, und die Bahn ist freigemacht für eine bessere Zukunft.“
Ernst Reuter:
„Die Toten hier vor uns und alle jene, die in diesem Juniaufstand in Ostberlin und in der Sowjetzone sterben mussten, haben das Opfer ihres Lebens für Deutschland gebracht.“
Im weiteren Verlauf der Sendung stellen die Redakteure dem BRD-Journalisten Hans-Georg Schulz – damals durch enge Kontakte mit der Organisation Gehlen (Vorläuferin des BRD) verbunden - die Frage nach der Rolle antikommunistischer Organisationen und Geheimdienste, die zu jener Zeit von Westberlin aus agierten.. Dieser bestreitet zwar entsprechende Aktivitäten der Organisation Gehlen (obwohl er zugibt, dass sie natürlich ihre Leute „drüben“ hatte), bestätigt jedoch „Einstiegsversuche westberliner Untergrundorganisationen“. Deren Anzahl habe bei „etwa vierzig“ gelegen, „von kleinen Splittergrüppchen abgesehen, die gab’s natürlich zu Hunderten.“
Der Moderator fragt: Und diese Organisationen, u.a. also auch die Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit, haben ihre Leute rübergeschickt mit Aufträgen, meinen Sie …“ Antwort Hans-Georg Schulz: „Ja, und sie hatten ja natürlich auch Leute drüben, denen sie dann noch am 16. Juni suggerierten, dass sei der Tag X und nun ginge es los, nun würde die DDR-Regierung gestürzt oder sie müsste zurücktreten und die Russen würden das Land verlassen. Und einige dieser Leute haben das geglaubt und entsprechend gehandelt. Und natürlich auch Leute mitgerissen und ins Unglück gerissen.“ Moderator: „Das heißt, diese Leute haben die Parolen produziert, die nachher über die Normenbewegung hinausgingen …“ Hans-Georg Schulz: „Ich würde sagen, ja.“
Moderator: „Die meisten dieser Untergrundorganisationen, aber auch die Organisation Gehlen, waren ja damals aus amerikanischen Mitteln finanziert. Heißt das, dass hinter diesen Aktivitäten westlicher Gruppen in Ostberlin am 16. Und 17. Juni offizielle Interessen gestanden haben?“ Hans-Georg Schulz: „Nein. Weder in Washington noch in Bonn. Außerdem muss man die Finanzierung differenzieren. Es gab offizielle amerikanische Finanzierung, beispielsweise für die Abwehr … und dann gab es auch sehr viele private und halbstaatliche amerikanische Finanzierungen, wie zum Beispiel für die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit. Und diese Leute hatten eine völlig andere Interessenlage als beispielsweise die amerikanische Regierung …“
Und wie kam es, fragt Lutz Lehmann, dass sich die Bewegung in wenigen Stunden über die ganze DDR ausbreitete? Die Antwort erhält er von Fritz Schorn, nach eigenen Angaben einer der Streikführer in Leuna, und Richard Behrendt, Leipzig: „Ohne den RIAS hätte es keinen 17. Juni gegeben.“ Dies wird durch Eberhard Schütz – damaliger Programmdirektor des RIAS und späterer Oberbürgermeister von (West)Berlin – stolz bestätigt, „da die Tätigkeit des RIAS ja viele Monate als Hauptthema die Normenerhöhung hatte.“
Am 16.und 17. Juni sendete RIAS nicht nur laufend Nachrichten über das Geschehen, sondern „am 17. gegen 6 Uhr früh – eher hatten es höchste amerikanische Stellen nicht gestattet“ auch einen Aufruf des damaligen DGB-Vorsitzenden Scharnowski: „Tretet der Bewegung der Ostberliner Bauarbeiter, BVGer und Eisenbahner bei und sucht eure Strausberger Plätze überall auf. Je größer die Beteiligung ist, desto machtvoller und disziplinierter wird die Bewegung mit gutem Erfolg für euch verlaufen.“
Sprecher: „Die Bonner SPD-Fraktion nannte den Aufruf ihres Berliner Genossen danach unverantwortlich.“
Zuvor war sogar, auch das wird in der Sendung deutlich, von einigen RIAS-Redakteuren die Ausrufung des Generalstreiks erwogen worden. (Hier sei die Anmerkung erlaubt, dass dies und ähnliches, wie man heute weiß, von deren US-amerikanischen Vorgesetzten mit der Frage gestoppt wurde, ob man denn den 3. Weltkrieg auslösen wolle.)
Als interessantes historisches Detail erscheint auch folgende Bemerkung von Eberhard Schütz: „Die Amerikaner waren dann allerdings am Mittag des 17. Juni doch von der Härte der sowjetischen Haltung überrascht … dass der sowjetische Stadtkommandant seinen alliierten Partnern die Mitteilung machte: Sollte vom Westen aus der Aufstand geschürt werden, dann müsse er kraft seiner Gesamtverantwortung für Berlin, die nach seiner Meinung jeder der alliierten Kommandanten hätte, … eingreifen und auch in Westberlin dafür sorgen, dass Ruhe und Ordnung in Gesamtberlin herrsche.“
Abschließend kamen in der Sendung zwei international bekannte Politikwissenschaftler zu Wort, die ich bereits zitierte, der Vollständigkeit des Berichtes zur Sendung wegen aber nochmals wiederhole:
Professor Alfred Großer, Paris, fand es zwar „nicht unberechtigt, wenn westliche Kräfte versuchen, … echt Revolte zu machen“ und äußerte auch Verständnis für die Adenauerschen Pläne zur „Wiedervereinigung durch Erweiterung der Bundesrepublik nach Osten, … eine Art Annexion der DDR, die verschwinden würde.“ Aber: „Solang‘ die Sowjetunion ist, was sie ist, kann man keine Annexion erträumen.“ Das wusste auch Adenauer sehr gut. Deshalb: „Was mir so schlimm erscheint am 17. Juni ist nicht, dass Adenauer keine Revolte provozieren oder unterstützen wollte, sondern, dass er es nicht gesagt hat.“
Der westdeutsche Professor Löwenthal hatte den 17. Juni „eine verpasste Chance der westlichen Politik“ genannt und erläuterte das in der Sendung wie folgt: „Die verpasste Chance war nicht so sehr der 17. Juni selbst, wie die Wochen zwischen dem Tod Stalins und dem 17. Juni.“ Er verweist darauf, dass die neue sowjetische Führung in dieser Zeit – um die Eingliederung der Bundesrepublik in die NATO zu verhindern – nach „indirekten Beweisen“ zu Verhandlungen über die Einheit Deutschlands bereit war (nach seiner Darstellung unter Aufgabe der DDR), aber weder Dulles noch Adenauer auf solche Signale reagieren oder selbst Verhandlungen vorschlagen wollten. Nach den Juniereignissen „entschied sich in Moskau die Abkehr von diesem Versuch. Und insofern beendete der Verlauf des 17. Juni diese Chance."