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Zwei Familien in vier Generationen treffen in diesem Roman aufeinander. Da ist die in Bayern lebende Simone Grolmann, wie ihr Vater eine Affenforscherin, die sich Ende 40 in einen gut 50-jährigen, aus Polen stammenden Mann namens Boris verliebt. Diese Konstellation ist der Ausgangspunkt für eine Reise in die Geschichte der beiden Familien und kurzen Ausblicken in die Gegenwart, die durch die Kinder gegeben werden.

Die Kernpunkte des Romans, der aus der Ich-Perspektive verschiedenster Personen aus den beiden Familien geschrieben ist, sind zwei Aspekte:

1. Die Affenexperimente von Simone Grolmann und ihrem Vater Eustachius
2. Die Westverschiebung Polens 1945

Die Familie Grolmann wurde am 18. Januar 1945 noch von den Nationalsozialisten angewiesen, von Oels/Oleśnica (östlich von Breslau) vor der Ankunft sowjetischer Truppen in Richtung Westen zu fliehen, und über Sondershausen (Thüringen) kamen sie nach Bayern. Sie hatten zwei Kinder. Emil, der ältere, hatte einen Klumpfuß und es wird sehr eindrücklich beschrieben, wie durch Bestechung von Ärzten aus Breslau nach 1935 Emil nicht der Behindertenermordungsaktion T34 zum Opfer fiel. Ihr zweiter Sohn, Eustachius, war physisch perfekt (groß, blauäugig, blond, gerade gewachsen). Während der Flucht geht Emil verloren, und Eustachius erinnert sich, dass er ihn erschossen hat. Ob das eine falsche Erinnerung ist oder wirklich so geschehen ist, lässt sich nicht rekonstruieren.

Die Familie von Boris stammt aus Lemberg (Lwow/Lwiw) und wurde wie viele aus Lemberg, die nicht die sowjetische Staatsbürgerschaft annehmen wollten, nach Westpolen, ins ehemals, nun leergefegte deutsche Gebiet vertrieben. 30 Kilogramm Gepäck durften mitgenommen werden, das Gewicht von Kindern wurde mit eingerechnet.

Flucht und Vertreibung wird aus der Sicht von vielen Personen der beiden Familien erzählt und ist sehr beeindruckend, auch als historische Rekonstruktion.

Neben den historischen Teilen des Romans werden viele zum Teil brutale Details aus dem Leben der verschiedenen Familienmitglieder ausgebreitet.

So lässt sich Eustachius im hohen Alter als Affenforscher im Garten seines Münchner Hauses ein "Affenparadies" errichten, in dem zwei illegal gekaufte Bonobos leben. Damit nicht genug, er selbst lässt sich Elektroden ins Gehirn setzen, wie er es sein Berufsleben lang mit Affen gemacht hat.

So sieht das aus (Foto von tierversuchgegner.at):

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Eustachius' Mutter Lilly beißt einem bayrischen Polizisten (ein Nazi, der von der US-Besatzung weiter eingesetzt ist) einen Finger ab, während er sie vergewaltigt. Beide vereinbaren Stillschweigen.

Die verschiedenen Berichtsstränge werden nicht beendet, es bleiben Geschichte wie das Leben der einzelnen Personen offen, auch Eustachius' Ende. Tochter Simone zeigt ihn zwar bei der Polizei wegen illegalem Affenbesitz und illegalem Anbau an, aber die Affen bleiben bei ihm, weil niemand es besser kann, und er endet als Talkshow-Attraktion. Zum Schluss stürzt er und bricht sich mehrfach seine Beine.

Der Roman hat manche Längen, aber insgesamt ist er einer der besten deutschsprachigen der Zehnerjahre, die ich bis jetzt gelesen habe.

Infolinks im Spoiler

Verlags- und Buchinfo:
https://der-siebte-sprung.de
https://www.randomhouse.de/Buch/Sieben-Spruenge-vom-Rand-der-Welt/Ulrike-Draesner/Luchterhand-Literaturverlag/e368418.rhd (Archiv-Version vom 23.01.2021)

Leseprobe:
https://books.google.at/books?id=MvFVAgAAQBAJ&pg=PP1

Kurze Lesung von Ulrike Draesner:
youtu.be/YqrvWLCKLLI

Interview:
http://www.paroli-berlin.de/2017/02/20/im-interview-ulrike-draesner/

Rezensionen:
https://www.spiegel.de/kultur/literatur/ulrike-draesner-sieben-spruenge-vom-rand-der-welt-a-956826.html
https://www.tagesspiegel.de/kultur/ulrike-draesners-roman-sieben-spruenge-vom-rand-der-welt-woerter-die-auf-reisen-gehen/10224366.html
https://zeichenundzeiten.com/2016/03/27/heimatlos-ulrike-draesner-sieben-spruenge-vom-rand-der-welt/
https://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritiken/ulrike-draesner/sieben-spruenge-vom-rand-der-welt
https://literatourismus.net/2014/03/ulrike-draesner-sieben-sprunge-vom-rand-der-welt/
https://www.deutschlandfunk.de/roman-sieben-personen-suchen-einen-ort.700.de.html?dram:article_id=298238
https://muromez.com/2014/10/25/ulrike-draesner-sieben-sprunge-vom-rand-der-welt/ (Archiv-Version vom 20.09.2020)
https://buecherstadtkurier.com/wie-weit-ist-es-zum-rand-der-welt/
https://literaturkritik.de/id/19226
https://lesenmachtgluecklich.wordpress.com/2014/11/20/longlistlesen-2014-ulrike-draesner-sieben-sprunge-vom-rand-der-welt/ (Archiv-Version vom 27.09.2020)
https://www.derstandard.at/story/1397522270363/vertreibung-aus-dem-paradies
https://www.nzz.ch/von-menschenaffen-1.18312463
http://literaturkurier.net/sieben-sprnge-vom-rand-der-welt-roman-von-ulrike-draessner/
https://www.deutschlandfunkkultur.de/familienroman-simone-und-ihre-angst-vor-schnee.950.de.html?dram:article_id=279628
https://www.memoires-en-jeu.com/varia/gesprach-mit-ulrike-draesner-mit-dem-literaturwissenschaftler-bernard-banoun/
https://hpd.de/node/18596
https://pilestoread.de/sieben-spruenge-vom-rand-der-welt/
https://www.fr.de/kultur/literatur/gerne-auch-extraterrestrisch-11647513.html
https://www.der-westpreusse.de/de/01-2018-rez.html
https://www.pnp.de/archiv/buchtipp/1305159_Flucht-Spur-fuehrt-nach-Freyung.html
https://www.tt.com/kultur/literatur/8426953/eine-schutzschicht-gegen-die-erinnerungen