Dullau-Zwischenwelt

Michael Dullau diente von 1987-1989 als Wehrdienstpflichtiger bei den DDR-Grenztruppen und seit der Wende setzt er sich in Sachbüchern und erzählerischen Texten mit den Grenzregimes der kommunistischen Staaten auseinander. In dieser kurzen Erzählung greift er ein Ereignis an der tschechoslowakisch-österreichischen Grenze vom Dezember 1952 auf, bei dem zehn von 19 Flüchtlinge mit massivem Feuer (459 Schüsse aus Maschinenpistolen, 90 aus Karabinern) erschossen wurden. Nachzulesen auch im österreichischen Profil.

Hauptfigur ist ein slowakischer Grenzsoldat der 11. Grenzbrigade namens Ondrej. Die Erzählung ist in drei Teile gegliedert: eine Kindheitsepisode, das Grenzereignis, sein Tod als 90-Jähriger.

Ondrej wächst in einer strenggläubigen Familie auf, und die Episode aus seiner Kindheit ist, dass seine Mutter ihn heftigst ermahnt, als er 1939 einem jüdischen Kaufmann Lakritze gestohlen hat, weil dies nun alle täten. Er muss sie zurückgeben, da Gottes Auge über alles wache und das siebte Gebot das Stehlen verbiete, und wegen seiner Ehrlichkeit bekommt der Achtjährige die Lakritze geschenkt.

Als er im Dezember 1952 zum Grenzeinsatz befohlen wird, erschießt er - für ihn traumatisch - ein junges rothaariges Mädchen und wird im Oberschenkel von einem Schuss getroffen. In der Annahme, die Flüchtenden seien bewaffnet, wird der massive Einsatz von Schusswaffen befohlen.

Als 90-Jähriger liegt Ondrej im Koma, spricht immer etwas von einem Auge, und als seine 14-jährige Lieblingsurenkelin seine Hand nimmt, drückt er sie ganz fest. Er wird nicht mehr aus dem Koma erwachen und stirbt einige Zeit später.

Bei der nach dem Einsatz erfolgten Untersuchung stellt sich heraus, dass der Einsatz so chaotisch war, dass der Schütze von eigenen Kameraden getroffen worden ist und die Flüchtlinge unbewaffnet waren. Die Dokumente wurden verschlossen und die Grenzwächter erhielten Sonderprämien. Seit dem Ende des Kommunismus sind die Dokumente zugänglich.

Literarisch kein Meisterwerk, aber es holt ein auch in Österreich wenig bekanntes Ereignis wieder ans Tageslicht.