Liebknecht-Militarismus

Karl Liebknecht ist bekannt als Initiator des Januar-Aufstands 1919 mit seiner Partnerin Rosa Luxemburg. Als Sohn von Wilhelm Liebknecht war er lange Zeit Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, beruflich Rechtsanwalt. Dieses Buch ist 1907 auf Basis einer Rede vor einer Jugendorganisation erschienen und es brachte ihm einen Hochverratsprozess ein, in dem er zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Kaiser Wilhelm II. war in Besitz eines Exemplars und ließ sich per Telegraph täglich über den Prozessverlauf berichten.

Warum dieses Buch diese Aufmerksamkeit erlangte, liegt vermutlich daran, dass Liebknecht keine marxistischen Phrasen drischt, sondern gut und aktuell recherchiert auf den inneren wie äußeren Einsatz des Militärs, auf die ökonomische Bedeutung des Militärs wie der Aufrüstung und auf antimilitaristische Organisationen in Europa und Nordamerika eingeht.

Grundätzlich sieht Liebknecht im Militär eine Organisation, die mittels Gewalt Herrschafts- und Kapitalinteressen durchsetzt. Im Inneren bringt er sehr viele weltweite Beispiele, wie Militär gegen Demonstrationen und Streiks eingesetzt wurde, akribisch listet er die Zahl der Opfer (Todesopfer und Verwundete). Im Äußeren legt er seine Schwerpunkte vor allem auf den brutalen Militäreinsatz in Kolonien, der ausschließlich dazu diene, dass so viel Profit wie möglich ausgepresst wird. Dieser Einsatz geht hin bis zu genozidalen Gewalttaten (der Hereroaufstand war grade mal zwei Jahre vorbei). Ökonomisch ist Militarisierung und Aufrüstung ein Riesengeschäft für die Rüstungsindustrie auf Kosten der Allgemeinheit, deren Steuergelder verwendet werden (für die USA liefert er Zahlen, dass ein Drittel des Budgets für das Militär verwendet würde). Für 1899 legt Liebknecht Zahlen vor, dass durch die Militarisierung in Europa insgesamt etwa 12 Milliarden Franc verbraten wurden, welche einer friedlichen Produktion fehlen würden (Budgetkosten plus verlorene Produktivitätswerte der Soldaten, die der produktiven Wirtschaft fehlen). Dies seien 15 Prozent des Werts des Weltaußenhandels.

Bezüglich der Lage der Soldaten und Unteroffiziere bringt Liebknecht erschütternde Beispiele von an Folter grenzende Strafmethoden. Opfer seien nicht nur auf Kriegshandlungen zurückzuführen (etwa 15 Millionen gefallene Soldaten weltweit im 19. Jahrhundert), sondern auch das kasernierte Militär fordert sehr hohe Opfer. Kasernen seien Brutstätten für Krankheiten wie Tuberkolose, Ruhr oder Syphillis, in Frankreich wurde sogar eine Dezimierung der männlichen Jugend befürchtet. Hinzu kommen hohe Selbstmordraten. Für 1901 gibt Liebknecht an, dass einer von 3700 Soldaten in Deutschland sich umbrachte, in Österreich sogar einer von 920. Hinzu käme eine permanente Gehirnwäsche, sodass die jungen Männer zu sklavischen Maschinen würden, welche auch im Inneren automatisiert Gewalt anwenden, wann immer es gefordert ist, und im Äußeren auf Basis eines eingedrillten Chauvinismus bedenkenlos aus Hass töten.

Liebknechts Ansatz zu einer antimilitaristischen Umgestaltung ist komplex. Grundsätzlich fordert er auf Basis von Marx' Gedanken in seiner Kritik zum Gothaer Programm die Abschaffung des stehenden Berufsheers und die Umwandlung in ein Volksheer. Dies wäre eine Basis, dass der Einsatz im Inneren schwerer möglich ist. Für das Außenpolitische fordert er eine "relative Wehrlosmachung". Staaten sollen nicht mehr in der Lage sein, Angriffskriege zu führen. Parlamente sollen die Finanzierung dieser verhindern und für übernationale Konflikte soll es eine internationale Schlichtungsstelle geben. Eine "absolute Wehrlosmachung" sei vor einem sozialistischen Weltstaat illusorisch, da vor allem Staaten mit einer höher entwickelten Organisationskraft der Gesellschaft ("zivilisierte Mächte") Gefahr laufen würden "Beute niederer Kulturen" zu werden. Damit wendet Liebknecht sich gegen einen allgemeinen Pazifismus.

Aufgabe der Sozialdemokratie sei es auch, die Lage der Soldaten und Unteroffiziere zu verbessern. Misshandlungen müssen bekämpft und abgestellt werden, Besoldung, Verpflegung, Bekleidung wie Unterkünfte verbessert. In der Militärjustiz müsse Disziplinar- und Strafrecht novelliert und Beschwerdeinstanzen eingeführt werden.

Bezüglich Propaganda sei es wichtig, die Jugend für diese sozialdemokratischen Ideen zu gewinnen, dass sie nicht dem militärischen Chauvinismus mit seinem propagandistischen Klimbim verfallen.