Clement-Theo

Catherine Clément hat 1998 einen Roman veröffentlicht, der Kindern und Jugendlichen die Religionen der Welt anschaulich vermitteln will. So richtig gelungen ist der Entwurf nicht und mit gut 700 Seiten Länge vielleicht nicht gerade für die Zielgruppe attraktiv. Hinzu kommt eine etwas aufgesetzte Rahmenhandlung mit unausgegorenen Charakteren und einem kitschigen Schluss.

Theo ist knapp 14 Jahre alt, lebt in Paris (Mutter Griechin und Lehrerin, Vater Franzose und Laborleiter) und leidet an einer nicht diagnostizierten Krankheit (die Blutwerte sind schlecht). Marthe, die Schwester seines Vaters, ist atheistische Globetrotterin und lädt Theo zu einer Weltreise zu den religiösen Zentren ein. Sie touren neun Monate lang durch folgende Orte: Jerusalem, Kairo, Vatikan/Rom, Benares, Jakarta, Tokio, Moskau, Istanbul, Dakar, Bahia, New York und Prag. Obwohl die Tante Atheistin ist, kennt sie überall hochreligiöse Leute, die sie bzw. Theo zu heiligen Orten führen und die jeweilige Religion erklären. In Jerusalem sind es gleich drei: ein Rabbi, ein Priester und ein Scheich, im Vatikan ist es ein Kardinal.

Über die jeweiligen Religionen werden überall lange Vorträge gehalten. Der Roman wird zum Jugendlexikon, unterbrochen durch ein nerviges Gequengel und Gefrage eines altklugen Trotzkopfes namens Theo (charakterlich wirkt er wie ein Zehnjähriger, fummelt aber in Japan mit der 16-jährigen sexuell attraktiven Reisebegleiterin rum). Am Ende fasst Theo die Religionen so zusammen, dass sie Äste und Zweige eines Baumens seien, dessen Wurzeln und Stamm Gott bilden. Er ist also religiös geworden, sieht aber in den Religionen nur unterschiedliche Ausformungen desselben Glaubens. Und dass sie sich gewaltsam an die Wäsche gehen, sei nur logisch. Religionen seien wie Gärtner, die ständig irgendwelche Äste und Zweige abschneiden.

Und seine Krankheit? Alles mögliche wird vermutet, es gibt verschiedene Ansätze bis hin zu Pfeifer'schem Drüsenfieber (kann chronische Schwäche auslösen, nur ist es auch austestbar). Sehr stark wird ein unterbewusstes traumatisches Ereignis bei der Geburt vermutet: seine Zwillingsschwester ist bei der Geburt verstorben. Mehrfach fällt Theo bei mystischen Zeremonien mit Musik und Tanz in Trance, wo er einen Zwilling hört und sieht. Schließlich informiert ihn seine Mutter telefonisch von seiner Zwillingsschwester, was bis dahin verheimlicht wurde. Auf jeden Fall sind am Ende der Reise Theos Blutwerte in Ordnung, was weder die französischen Medikamente noch die tibetanischen Mittel zustande gebracht haben. Implizit wird vermittelt, dass das Geburtstrauma, das aufgebrochen wurde, an der Krankheit schuld gewesen sei und die tranceartigen Zustände eine Heilung bewirkt haben.

Kitschiger Schluss: Abschlussort ist Delphi. Die Pythia ist Theos senegalesische Freundin aus Paris, und seine Familie wie alle Reiseführer:innen bis auf den mittlerweile verstorbenen Scheich aus Jerusalem und die nun verheiratete kesse Japanerin. Und: Die Tante verlobt sich mit dem Bekannten aus Brasilien, der dort ihr Führer war (Historiker und Initiierter einer animistischen Religionsgemeinschaft in Bahia).

Zum Schreibstil: Dieser ist überbordend mit einer exorbitanten Länge, wobei der Großteil lexikonartige Erzählungen sind. Manchmal ist Interessantes dabei wie die Religionen im Senegal, aber es bleibt trocken. Dafür sind die Charaktere allesamt mehr oder weniger jähzornige Leute, die dauernd wegen irgendeiner Kleinigkeit ausrasten. Es stellt sich wirklich die Frage, ob und warum die sich überhaupt mögen.

Grundsätzlich wäre es durchaus ein Buch, um sich unterhaltsam über Religionen zu informieren und über sie nachzudenken. Es werden auch die Brutalitäten nicht ausgespart. Buddhistische Lehrer in Nordindien peitschen zum Beispiel ihre Schüler aus, da dies Verspannungen im Rücken löse, meint ein Lama zum irritierten Theo. Auch der Teil, wie sich der Islam in verschiedene Richtungen aufgespaltet hat, ist sehr informativ. Auch der schwarze und islamische Sklavenhandel im Senegal vor Ankunft der dann weiter Sklaven verschiffenden Franzosen ist thematisiert. Anderes ist dafür sehr langatmig und detailversessen, sodass es schwer ist, den Überblick zu behalten. Mehrfach habe ich mich beim Lesen gefragt, ob ich die Lektüre überhaupt fortsetzen will. Ich habe es dann doch durchgezogen.