eine Jugendtaten belasten die Familien bis heute
Von Peter Voith
Bremen. Es ist 24 Jahre her. Nicht lange genug, um alles zu verarbeiten. Nach unserer Berichterstattung über die Erpressungen, die der mutmaßliche Kindermörder Martin N., im Jahr 1987 begangen hat, meldete sich nun ein weiteres Bremer Opfer.
© Christian Kosak
In diesem Hochhaus am Holzgräfenweg wohnte Martin N., während er fünf Familien mit Erpresserbriefen bedrohte.
Er ist ebenfalls Mediziner aus Bremen-Nord und Vater von fünf Kindern. Während er die Ereignisse von damals schildert, ringt der inzwischen im Ruhestand befindliche Arzt um Fassung. Er schluckt. Und er weint. Immer wieder muss er seine Ausführungen unterbrechen. Darüber ist er heute selbst am meisten überrascht: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Ereignisse offenbar immer noch nicht verarbeitet habe.“Und er erinnert sich, als wäre es gestern. Dass er die Erpresserbriefe vor seinen Kindern geheim halten musste. Einer seiner Söhne war sogar ein Klassenkamerad von Martin N. Sie gingen zusammen in eine Klasse am Schulzentrum Lerchenstraße. Er erinnert sich, wie er am helllichten Tag einen Geldkoffer mit den geforderten 100.000 Mark am Leuchtturm von Meyer-Farge deponieren sollte, während ein Beamter der Polizei Osterholz-Scharmbeck die Szenerie aus der Entfernung per Fernglas beobachtete.
Martin N. wollte nur die Reaktionen sehen
Denn der Täter hatte auch diesem Nordbremer Arzt in seinen Erpresserbriefen eingeschärft: Keine Polizei, sonst werde eines seiner Kinder sterben. Dabei hatte Martin N. offenbar gar nicht vor, das Lösegeld abzuholen. Wie es in Medienberichten über den Fall im Jahr 1988 hieß, habe er offenbar nur sehen wollen, wie die Familien reagierten. Wie die Opferfamilie des anderen erpressten Arztes, möchte auch der Mediziner im Ruhestand seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Aber sprechen möchte er darüber schon. „Ich merke, dass es mir gut tut, wenn man sich die Ereignisse von damals von der Seele reden kann.“
Inzwischen interessiert sich auch die Soko Dennis für die kriminelle Energie, die in Martin N. offenbar schon als 17-Jähriger steckte. Beide Ärzte wollen gern mit der Polizei reden, auch um eventuell die Frage aufwerfen zu können, ob man vielleicht auch mit jugendlichen Straftätern, die erpressen und mit Mord drohen anders umgehen müsste, als sie nur – wie im Fall Martin N. – zu acht Wochenenden Sozialdienst zu verurteilen. Beide Mediziner kommen in der Rückschau zu einem einhelligen Urteil: „Hätte man die Tat damals nicht als Jugendsünde eines pubertierenden Gymnasiasten abgetan – vielleicht wäre alles anders gekommen.“
Gutachter warb für Verständnis
Tatsächlich, so erinnert sich die Ehefrau eines der beiden Ärzte, habe der Gutachter – ein Psychologe – in der Gerichtsverhandlung um Verständnis für die Jugendtat geworben. Der Junge – er wohnte zusammen mit Bruder und Mutter in einem Hochhaus am Holzgräfenweg – habe kein eigenes Kinderzimmer gehabt, habe keine Freunde mit nach Hause mitbringen dürfen. Und er habe gesehen, dass Mitschüler aus wohlhabenden Häusern sich hätten mehr leisten können. Deshalb, so erinnert sich die Ehefrau, habe der Psychologe von einer Mischung aus Hass und Neid gesprochen und darum geworben, dem angehenden Abiturienten durch eine höhere Strafe nicht das weitere Leben zu verbauen.
Ihr Mann sagte am Dienstag gegenüber unserer Zeitung: „Damals, nach der Gerichtsverhandlung war ich überzeugt, dass er die Kinder nicht umgebracht hätte. Heute sehe ich das anders.“
Als Martin N. 1988 im Gerichtssaal saß, war auch eines der Arztehepaare dabei. Martin N., so erinnert sich die Frau, habe immer nach unten geschaut und sein Gesicht verborgen. Im Gerichtssaal saß auch seine Mutter, völlig aufgelöst. Sie, so sagt die Arzt-Gattin, habe es nicht fassen können, dass ihr Sohn so etwas gemacht habe. „Nach der Gerichtsverhandlung hat sie geweint. Da habe ich sie in den Arm genommen. Sie tat mir leid.“
http://www.weser-kurier.de/Artikel/Bremen/Vermischtes/363870/Seine-Jugendtaten-belasten-die-Familien-bis-heute.html (Archiv-Version vom 23.04.2011)