Wenn ich schon diesen Blog angelegt haben, dann könnte ich ihn ja eigentlich auch benutzen ...

Also beginne ich mal - pünktlich zu Halloween - mit einer kleinen Serie zum Thema Geister, die ich hoffentlich in den kommenden Wochen bis Weihnachten in - sehr - unregelmäßigen Abständen weiterführen werde.

Die gern gestellte Frage „Glaubst Du an Geister?“ ist höchst heikel und wenig sinnvoll, weil der Begriff „Geister“ zu ambivalent ist und es sehr verschiedene Vorstellungen und Definitionen davon gibt, was ein „Geist“ oder „Geister“ sein sollen. Sinnvoller und auch viel leichter zu beantworten wird die Frage, wenn man sie anders formuliert: „Glaubst Du, dass es Menschen gibt, die die Erscheinung Verstorbener erleben?“ - Hier fällt die Antwort eindeutig aus: Ja, natürlich glaube ich das, obwohl ich selbst noch nie so eine Erscheinung erlebt habe. Ich denke, selbst der größte Skeptiker wird nicht leugnen können, dass es nicht nur Menschen gibt, die über solche Erscheinungen von Verstorbenen (im Folgenden kurz „Erscheinungen“ genannt) berichten, sondern die auch subjektiv vollkommen überzeugt sind, diese tatsächlich so erlebt zu haben. Die Frage ist dann nur, wie man die Erscheinung und den Bericht darüber interpretiert.

Eine – von vielen möglichen – Interpretation solcher Erscheinungen ist die, dass es sich dabei um rein subjektive, allein intern im Gehirn des Erlebenden generierte Halluzinationen handelt. Was aber gegen diese Interpretation spricht, ist die Tatsache, dass einige dieser „Halluzinationen“ „veridische“ Elemente beinhalten, also der Wahrheit entsprechende Inhalte haben – zum Beispiel „Krisen-Erscheinungen“, bei denen der Wahrnehmende die Erscheinung einer entfernten Person genau oder doch ziemlich genau zu dem Zeitpunkt sieht, als diese Person gerade stirbt oder in einer Krise ist; oder wenn ein Wahrnehmender eine Erscheinung sieht, die er nicht erkennt und erst hinterher als einen ihm bis dahin unbekannten Verstorbenen identifiziert (z.B. anhand eines Fotos oder weil ein anderer aufgrund seiner Beschreibung den Verstorbenen wieder erkennt). Eine weitere Tatsache, die gegen rein subjektive Halluzinationen spricht, ist die, dass solche Erscheinungen manchmal von mehreren Personen gleichzeitig oder nacheinander gesehen werden.

Erst neulich habe ich hier wieder irgendwo gelesen es gäbe „0 Belege“ für die Existenz von Geistern. Das ist natürlich Unfug. Ja, es gibt keinen absoluten „Beweis“ – aber den gibt es ohnehin nur in der Mathematik oder der Logik. Aber es gibt unzählige Belege, die zumindest auf die mögliche Existenz von „Geistern“ hinweisen.

„Wahrscheinlichkeit“ ist eben nicht binär, so dass es nur die Werte „1“ und „0“ gäbe, und wenn etwas nicht „1“ ist, dann muss es automatisch „0“ sein. Vielmehr gibt es unendlich viele Zwischentöne auf der Skala zwischen „Die Existenz von Geistern ist bewiesen“ und „Es gibt 0 Belege für Geister“.

Die Existenz von Geistern lässt sich nicht mathematisch oder logisch „beweisen“, sondern höchstens empirisch „belegen“. Das heißt mit anderen Worten: Wenn es Geister geben sollte, dann können wir nur von deren Existenz wissen, indem wir ihnen begegnen. Und – guess what! – genau das haben Menschen seit Urzeiten und bis heute immer wieder getan. (Schon von daher ist die Behauptung es gäbe „0 Belege“ Blödsinn.)

Geister lassen sich nunmal nicht im Labor, im Teilchenbeschleuniger oder unter dem Mikroskop untersuchen, und Geistersichtungen sind auch nicht beliebig reproduzierbar. Aber deshalb kann man nicht gleich behaupten, es gäbe „0 Belege“.

Nun wird oft gesagt: Diese vielen Erlebnisse der Begegnung mit Geistern seien bloß „anekdotisch“ oder „subjektiv“ und daher empirisch „wertlos“. Aber was heißt das?

Mit „anekdotisch“ ist dabei nicht gemeint – auch wenn manche das fälschlicher Weise so verstehen –, dass es bloß Geschichten sind, die man sich aus zweiter oder dritter Hand weitererzählt und bloß „glaubt“. Vielmehr sind mit „anekdotischer Evidenz“ meist schlicht und ergreifend Augenzeugenberichte gemeint.

Subjektive Zeugenaussagen und Augenzeugenberichte in Bausch und Bogen zu verwerfen und ihnen grundsätzlich und absolut den Belegwert „0“ zuzuordnen, würde aber weiten Bereichen des menschlichen Lebens, der menschlichen Kultur und der menschlichen Institutionen den Boden entziehen.

Ich lege hier eigentlich nur dar, was einem der gesunde Menschenverstand ohnehin sagt: Einige Augenzeugenberichte lassen sich auf Lügen, Sinnestäuschungen, Fehlinterpretationen, Fehlerinnerungen und ähnliche psychologische Mechanismen zurückführen – aber längst nicht alle. Wenn es anders wäre, dann wären Zeugenaussagen vor Gericht schon längst verboten. In unzähligen Prozessen sind die Gerichte aber nach wie vor auf Zeugenaussagen angewiesen. Es ist nur eben Aufgabe des Richters, die Aussagen zu werten und zu gewichten und zu entscheiden, welche Aussagen glaubhaft und welche unglaubwürdig, welcher Zeuge zuverlässig und welcher unzuverlässig ist. – Aber das setzt ja eben schon voraus, dass es auch Zeugenaussagen gibt, die glaubhaft und zuverlässig sind. Wenn der Richter dagegen von vorne herein davon ausgehen würde, das alles sei nur „anekdotische Evidenz“, die daher „wertlos“ sei und „0 Belegcharakter“ habe, dann bräuchte er die Zeugen gar nicht erst vorzuladen.

Warum also sollte das, was für alle anderen subjektiven Augenzeugenberichte gilt – nämlich, dass man werten, gewichten und unterscheiden sollte; dass es zuverlässige und unzuverlässige, glaubhafte und unglaubhafte gibt – warum sollte das ausgerechnet für Augenzeugenberichte über Geistererscheinungen auf einmal nicht mehr gelten. Warum sollte man hier auf einmal nicht mehr differenzieren, sondern alles ohne Prüfung in Bausch und Bogen verdammen und apriori für unzuverlässig und unglaubhaft erklären?

Nun gibt es dieses schöne, oft gebrauchte Mantra „Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Belege.“ Man meint, gewöhnliche Behauptungen wie „Ich habe Zahnweh“ oder „Heute morgen war ich einkaufen“ könne man eher Glauben schenken als ungewöhnlichen wie „Ich habe heute Nacht einen Geist gesehen.“ Aber warum sollte das so sein? Meiner Meinung nach ist es eher umgekehrt: Alltägliche, gewöhnliche Erlebnisse unterliegen viel leichter der Täuschung, Fehlerinnerung oder der schlichten Lüge als außergewöhnliche und emotionale, die schon durch ihren außergewöhnlichen Inhalt beim Erlebenden besondere Aufmerksamkeit erregen und sich „in das Gedächtnis einbrennen.“

Dazu kommt, dass in unserer Gesellschaft – anders als in vielen anderen Kulturen – das Geistersehen eher verpönt und belächelt wird. Wer so etwas glaubt erlebt zu haben, wird oft als „verrückt“ oder „leichtgläubig“ abgestempelt. Das ist auch der Grund für das bei außergewöhnlichen Erlebnissen so typische Phänomen der „geschützten Kommunikation“: Wenn man sich überhaupt traut, anderen von seinem Erlebnis zu berichten, dann leitet man dies häufig mit Sätzen ein wie: „Ich glaube ja eigentlich auch nicht an Geister, aber ...“ Oder: „Ich war damals bestimmt nicht betrunken oder bekifft, aber ...“ Damit zeigt der Berichterstatter, dass er sich möglicher konventioneller Alternativerklärungen wie „Leichtgläubigkeit“ oder „Halluzination“ sehr wohl bewusst ist – dass er sich aber angesichts des von ihm Erlebten letztlich nicht in der Lage sieht, eine nicht-anomalistische Interpretation für plausibel zu halten.

Anders ausgedrückt: Allein schon die Tatsache, dass jemand sich traut oder genötigt sieht, von seinem Geistererlebnis zu berichten, ist schon ein „außergewöhnlicher“ Hinweis (nicht Beweis) darauf, dass derjenige wohl tatsächlich etwas außergewöhnliches erlebt hat.

Auch die Feststellung, dass menschliche Wahrnehmung und Erinnerung grundsätzlich irrtumsanfällig ist, ist in dieser Allgemeinheit zwar sicher richtig, aber eben auch nichtssagend. Mit diesem allgemeinen Hinweis kann man, wenn man ihn nicht auf den jeweiligen Fall konkretisiert, absolut jede empirische Beobachtung anzweifeln – einschließlich der Messergebnisse der Wissenschaft: Der Wissenschaftler muss auch auf sein Messergerät oder durch sein Teleskop gucken und seine Beobachtung aufschreiben; er könnte sich dabei täuschen, abgelenkt gewesen sein, halluziniert oder schlicht und ergreifend gelogen haben. Auch der Hinweis, dass solche Ergebnisse ja von anderen jederzeit „reproduziert“ werden können, hilft hier gar nichts, denn für jede einzelne dieser Reproduktionen des empirischen Befundes würde ja das gleiche gelten: theoretisch und ganz allgemein gesprochen besteht die Möglichkeit, dass auch diese auf Täuschung und Fehlinterpretationen beruhen. Deshalb sagt aber keiner, dass empirische wissenschaftliche Ergebnisse „wertlos“ seien, bloß weil in jedem Fall die denkbare theoretische Möglichkeit besteht, dass sie auf Täuschungen oder Fehlinterpretationen beruhen.

Natürlich: Kaum ein Augenzeugenbericht ist in allen Einzelheiten richtig und zuverlässig. Aber in den wesentlichen Grundzügen eben meistens doch. Zeugen mögen sich täuschen, ob das in einen Unfall verwickelte Auto weiß oder rot  war, ein Volvo oder ein Mercedes, ob es von rechts oder von links kam. Aber kaum ein Zeuge wird einen Autounfall als einen Flugzeugabsturz erinnern.

Klar, wenn irgend ein gelangweilter Teenager in der Ferienzeit in irgend einem Internet-Forum – sagen wir zum Beispiel allmystery.de – schreibt, er habe im Augenwinkel einen Schatten gesehen und das sei bestimmt ein Geist, dann ist das nicht sonderlich überzeugend. Wenn die einzige Informationsquelle für Geistersichtungen Allmy wäre, dann könnte man in der Tat sagen – vielleicht nicht, dass es „0“ Belege gibt, aber doch, dass die meisten vermeintlichen Belege schwach und wenig überzeugend sind.

Aber es ist ja nicht so, dass nur gelangweilte Teenager in den Ferien über Geistersichtungen berichten würden. Es gibt tausende veröffentlichte Berichte von grundsätzlich glaubwürdigen Zeugen, die in wachem und klaren Zustand eindeutig die Erscheinung Verstorbener erlebt haben. Es erscheint mir vollkommen irrational und unplausibel, alle diese Sichtungen einfach über einen Kamm zu scheren und sie samt und sonders für Lügen, Halluzinationen oder das Resultat von Täuschungen oder Fehlinterpretationen zu erklären.

Jedenfalls: Die Behauptung, dass es „0 Evidenz“ für Geister oder andere paranormale Phänomene gäbe, ist und bleibt zu 100 Prozent falsch. Angesichts der überwältigenden Evidenz ist es irrational, die Existenz von konventionell nicht erklärbaren Geistererscheinungen zu leugnen.

(Anmerkung: Der Begriff "geschützte Kommunikation" in Bezug auf außergewöhnliche Erfahrungen stammt aus: Michael Schetsche und Ina Schmied-Knittel, "Wie gewöhnlich ist das Außergewöhnliche? Eine wissenssoziologische Schlussbetrachtung", in: E. Bauer, M. Schetsche (Hrsg.): Alltägliche Wunder. Erfahrungen mit dem Übersinnlichen - wissenschaftliche Befunde, Würzburg 2003, S. 171-88.)