1968 war der Kulminationspunkt rasender gesellschaftlicher Veränderungen. Tatsächlich hatte die Revolte, die mehr eine Revolte der Popkultur und Ästhetik als eine politische Revolution war, ihre Ziele erreicht: überholte, traditionalistische und archaische Lebenskulturen wurden ab- bzw. aufgelöst, 'Libertinage' und 'Boheme' waren auf einmal mehr keine doofen Fremdwörter, der Kulturbetrieb bekam einen neuen Anstrich, die gesellschaftlichen bzw. sozialen Beziehungen untereinander nahmen neue (und erfrischende) Züge an.

Die Linke, die sich jene Veränderungen auf ihre Fahne schreibt und allein sich zurechnet, kam darüber hinaus aber in schreienden Widerspruch zu sich selbst - ohne das zu merken. Mittlerweile macht sie auf Esoterik, postmaterielle Werte, Postmodernismus, Ökologismus, Etatismus, Artenschutz und nicht zu vergessen die praktizierten elendsromantischen Fernreisen und der Wille zur ungesalzenen Lebensreform, der in den linken Köpfen rumspuckt. Sie hasst den Luxus und die Schönheit, die Sinnlichkeit und den Wohlstand. Das schöne Leben wird nicht mehr anvisiert - man findet bei den Völkern das ersehnte Elend bereits vor. Vom Antiimperialismus, der Islamophilie und dem Antirassismus (1) ganz zu schweigen. Zwar muss auch hier wieder auf eine Unterscheidung von differenten linken Zusammenhängen verwiesen werden - groß unterscheidet sie sich aber nicht vom rot-grünen Parlament, die linksradikale Straße.

Nach '68 hatte die Revolte keinen außer ihr liegenden Gegenstand mehr, was die linken Protagonisten aber nicht schnallten, weil es diesen Gegenstand vorher nur in verquerer Weise gab: Etwa als "Arbeiterklasse" - das sich dieses - bis auf die wenigen Arbeiter in norditalienischen Fabriken - für die studierten Hobbyklassenkämpfer nicht erwärmen konnte, störte nicht. Das "internationale Proletariat" stellte sich schnell als völkische Chimäre heraus und die "Randgruppen" ließen sich auch nicht gegen das System aufwiegeln, weil sie auf Integration in solches lechzen (was durchaus verständlich ist, sie träumen von einem halbwegs normalen Leben - und nicht von einem Zustand als Revolutionsass im Ärmel linker Ideologen). Die Gewiefteren sind heute als staatliche Betreuer in diesem "Sektor" tätig oder machen auf ehrenamtlichen Sozialarbeiter.

Die Revolte wurde damit nicht nur "objektlos". Schlimmer: ihre Repräsentanten begannen diesen Zustand zu genießen, eben so wie jede seelische Regression genossen wird. Verfolgt die Protesthaltung nämlich keinen objektivierbaren Zweck mehr, zitiert sie extrem allgemeine Gegenstände herbei wie die unterdrückten Völker oder die unterdrückte Natur, dann erweist sich schnell das diese so unbestimmbaren Bezugsgrößen des Handelns schlichte Projektionslächen für das unreflektierte Seelenleben der im adornitischen Sinne Pseudoaktiven sind:

"Pseudo-Aktivität, Praxis, die sich um so wichtiger nimmt und um so emsiger gegen Theorie und Erkenntnis abdichtet, je mehr sie den Kontakt mit dem Objekt und den Sinn für Proportionen verliert, ist Produkt der objektiven gesellschaftlichen Bedingungen (...). In Pseudo-Aktivität bis hinauf zur Scheinrevolution findet die objekive Tendenz der Gesellschaft mit subjektiver Rückbildung fugenlos sich zusammen. Parodistisch bringt abermals die Weltgeschichte diejenigen hervor, deren sie bedarf." (2)

Die Neue Linke zeigt sich nach dem Wegfall sozusagen automatisch mitgelieferter Kriterien für Protest und Fortschritt, die es gab ohne das man sie theoretisch verstehen musste, als im schlechtesten Sinne innegeleitet und insofern kritikunfähig. Fälscherlicherweise wähnt aber gerade sie sich als Monopolist so genannten "kritischen Bewusstseins". Diese Haltung, die die Spannung zwischen Innenwelt, also der eigenen Trieb- und Wunschdynamik und Außenwelt, also dem äußeren Wunschobjekt und -widerstand, einfach durch willkürliche Neudefinition dieser Außenwelt behebt, ja einebnet, kann man nur als regressive im psychoanalytischen Sinne bezeichnen. Sie verfällt in einen Zustand der "Objektvermeidung". Damit beschreibt Freud einen Zustand der Rückkehr "zum absolut selbstgenügsamen Narzißmus" der Vermeidung der unlustspendenden "Wahrnehmung einer veränderlichen Außenwelt" mit der die "Objektfindung" begann (Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse). Wenn die "Objektbesetzungen aufgeben und ein rein primitver objektloser Zustand von Narzißmus wiedrhergestellt" (ders., Das Unbewußte) wird, dann erfolgt auch auch die Besetzung der nach wie vor nicht völlig in ihrer Existenz zu leugnenden Außenwelt - insofern nur eine leichte Psychotisierung vorliegt - rein nach innerem Vorbild: Seelische Grunddispositionen, sehr ursprüngliche Triebregungen und -ängste suchen dann nach geeigneten Objektattrapen im Weltbild der Selbstbezüglichen. Die Deutung bspw. der Phantasie vom "großen Satan" oder vom "Weltfeind" USA bzw. Finazkapital bzw. den "Zionisten" als nach außen gerichtete Selbst-Strafphantasie, als autoritärer Impuls gegen die Autorität drängt sich zwingend auf. Es scheint überhaupt schwierig zu sein, seelisch den scheinbaren Wonnen der Objektvermeidung, dem großen Gefühl der Identität von Seele und Welt zu widerstehen. Die nur aus eigener Unlust begründete Ablehnung der bürgerlichen Konventionen - ob nun im Namen der Natur oder der Völker ist hier gleich - ist alles andere als fortschrittlich, vielmehr kehrt in dieser Ablehnung das von von diesen Konventionen Verdrängte zurück: gerade die Ideologeme von Ökologismus oder Antiimperialismus strotzen in nahezu klinischer Reinheit vor Überwältigungswünschen, Strafphantasien, dem Wunsch nach kritikloser Anerkennung und dem nach regressiven Sich-Gehen-Lassen.

Lange Rede, kurzer Sinn: in diesem regressiven Gehalt des eigenen, selbst so empfunen "Nonkonformismus" (es müsste eigetnlich nicht gesondert erwähnt werden das dieser in Wahrheit purer Infantilismus ist) wittert man im Islamfaschisten einen Gleichgesinnten, nur im anderen, fremdartigen, kulturellen Gewand: Er haßt unerbitterlich das, was man selber - nur eben im Namen des Anti-Autoritären - selbst verabscheut: die Instanzen des bürgerlichen Lebens, die Dinge auf die man Rücksicht nehmen muss, die Begebenheiten, die einen zur Anpassung zwingen. Die sich selbst als Bewusstsein mißverstehende Regression verschiebt sich dann ins Politische: Was sich der unsublimierten Trieberfüllung in den Weg stellt ist - der US-Präsident. Was sich der Zerstörungsorgie in den in den Weg stellt ist - Israel. Wie gut meint man doch, den islamistischen Psychopathen verstehen zu können, auch dann (oder gerade dann?) wenn er seine Schwester hinschlachtet, seine Reisetasche mit Sprengstoff vollpackt, Büsse in die Luft jagt und Juden aus dem Leben bombt.

(1) Der die Subjekte auf den zwangskulturalistischen Naturzustand festnagelt und die Individuen unter die Gemeinschaft subsumiert.

(2) Th. W. Adorno, Gesammelte Schriften Bd. 10.2, Dialektische Epilegomena, S. 771 bzw. 772.