Der rasende Kosmos - Dunkle Energie, die mysteriöse Supermacht im All
Seit dem Urknall expandiert der Kosmos und an sich sollte die gegenseitige Anziehung der Materie die Ausdehnung langsam abbremsen. Von wegen - der Kosmos wird immer schneller! Sechs oder acht Milliarden Lichtjahre entfernte Supernovae, also Sternexplosionen, die also vor sechs oder acht Milliarden Jahren stattgefunden haben, zeigen, daß sich der Kosmos damals langsamer ausgedehnt hat als heute. Irgend etwas treibt den Kosmos immer schneller auseinander - und niemand weiß, was das sein könnte.
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Es war irgendwann im Frühling 1998 wertete erstmals systematische Beobachtungen ferner Sternexplosionen aus. Die Astronomen sind noch heute ebenso fasziniert wie verwirrt von die Daten, die buchstäblich die Welt bewegen, erinnert sich Bruno Leibundgut, ein Schweizer Astronom bei der Europäischen Südsternwarte ESO in Garching bei München, der mit zum Team von Brian Schmidt gehört:
"Die Messungen, die damals halt da waren, haben darauf hingewiesen, daß 70 Prozent des Universums in einer Form vorhanden sind, die wir bis dahin nicht gekannt haben. Dieser Anteil des Universums wird oft als Dunkle Energie bezeichnet. Mittlerweile sind viele neue Modelle für die Kosmologie entwickelt worden - und auch die Physik versucht eben, diese Dunkle Energie zu erklären. Diese Dunkle Energie ist zusätzlich zur Dunklen Materie, die schon vorher postuliert war, und für die die Physik eigentlich auch noch keine Erklärung hat und jetzt haben wir auch noch die Dunkle Energie. Dunkle Energie und Dunkle Materie zusammen entsprechen so etwas wie 95 Prozent des Universums. Und die Physik hat keine Erklärung für - beide."
In der Pause vor dem "beide" huscht ein Lächeln über das Gesicht des Astronomen - die Natur hat es den Forschern wieder einmal gezeigt.
Bruno Leibundgut und seine Kollegen halten nach bestimmten Sternexplosionen Ausschau, nach so genannten Supernovae Ia. Bei Supernovae vom Typ Ia spielen so genannte Weiße Zwerge eine entscheidende Rolle - das sind kompakte Sterne, die etwa so viel Masse haben wie die Sonne, aber nur so groß sind wie die Erde. Umkreist so ein Weißer Zwerg einen anderen Stern, saugt er Materie von seinem Begleiter ab. Irgendwann hat der Weiße Zwerg so viel Materie aufgesammelt, daß er instabil wird und als Supernova explodiert. Die Grenze, bei der ein Weißer Zwerg instabil wird, ist relativ genau bekannt: Die so genannte Chandrasekhar-Masse liegt bei 1,44 Sonnenmassen. Weil die Physik bei allen Supernovae vom Typ Ia sehr ähnlich ist, verlaufen auch die Explosionen immer sehr ähnlich. Diese Supernovae leuchten vor Ort immer gleich hell, es sind quasi kosmische 100-Watt-Lampen.

Im Licht der Supernovae ist zudem die Information eingefroren, wie schnell sich das Universum zum Zeitpunkt der Explosion ausgedehnt hat. Seit dem Urknall expandiert der Kosmos und an sich sollte die gegenseitige Anziehung der Materie die Ausdehnung langsam abbremsen. Von wegen - der Kosmos wird immer schneller! Sechs oder acht Milliarden Lichtjahre entfernte Supernovae, also Sternexplosionen, die also vor sechs oder acht Milliarden Jahren stattgefunden haben, zeigen, daß sich der Kosmos damals langsamer ausgedehnt hat als heute.
"Meiner Meinung nach gibt es zwei Dinge zu tun. Zum einen müssen wir versuchen zu messen, wie sich diese Beschleunigung entwickelt hat, von jetzt bis sechs oder acht Milliarden Jahren rückwärts. Zum anderen hängen die systematischen Unsicherheiten mit den Supernovae davon ab, daß wir die Supernovae hier bei uns nicht gut genug verstehen. Da müssen wir lokal viel Arbeit hineinstecken. Wenn wir diese Objekte in unserer Nähe viel besser verstehen, können wir auch darauf schließen, ob zum Beispiel eine Entwicklung der Supernovae über die letzten paar Milliarden Jahre einen Einfluß haben könnte oder nicht."
Sind womöglich Supernovae vor sechs oder acht Milliarden Jahren ganz anders abgelaufen als heute? Die Entdeckung der beschleunigten Expansion basiert auf der Annahme, daß diese Sternexplosionen wirklich geeichte Glühlampen sind.
Das die Forscher zunächst verwirrende Resultat der Gruppe um Brian Schmidt und Bruno Leibundgut wurde recht schnell von einer anderen Gruppe bestätigt. Bis jetzt stützen also alle Beobachtungen den noch Mitte der 90er Jahre unvorstellbaren Befund: Irgend etwas treibt den Kosmos immer schneller auseinander - und niemand weiß, was das sein könnte. Niemand weiß, was physikalisch dahinter steckt. Eine Idee ist so genannte Vakuumenergie, eine zusätzliche Komponente des Universums mit einer abstoßenden Kraft. Wie stark die normale anziehende Materie wirkt, hängt davon ab, wie dicht sie im Kosmos gepackt ist. Dagegen ist die abstoßende Vakuumenergie im Kosmos immer gleich groß - und das hat verblüffende Folgen, erklärt Robert Kirshner vom Harvard-Smithsonian Center for Astropyhsics in den USA und ebenfalls Mitglied im Team von Brian Schmidt:
"Wenn man in der Zeit weiter zurück geht, also immer tiefer ins All guckt, dann ist die Materie sehr viel dichter gepackt als heute. Damals dominierte die Materie mit ihrer Anziehungskraft - das Universum dehnte sich zwar aus, wurde aber langsamer. Irgendwann war im ausdehnenden Weltall die Materie so dünn verteilt, daß ihre Anziehung kleiner war als die abstoßende Kraft der Vakuumenergie. Seitdem beschleunigt das Universum. Das Universum hat sozusagen irgendwann umgeschaltet - von Abbremsen auf Beschleunigen!"

Eine faszinierende Vorstellung: Ab einer bestimmten Entfernung müßten die Supernovae statt der Beschleunigung noch Spuren der Abbremsung aus der Jugendzeit des Kosmos zeigen. Bisher sind etwa zehn Milliarden Lichtjahre entfernte Exemplare kaum zu beobachten. Aber schon bald könnten die Astronomen mit Hilfe der Supernovae buchstäblich sehen, wie die abstoßende Vakuumenergie im Kosmos das Zepter übernommen hat und seitdem unser Universum immer schneller auseinander treibt. Bruno Leibundgut und sein Team planen ein neues großes Beobachtungsprogramm:
"Wir wollen entscheiden, ob die Beschleunigung des Universums von der Kosmologischen Konstante herkommt oder von den so genannten Quintessenz-Feldern. Der Zeitpunkt, zu dem die Beschleunigung über die Abbremsung gewinnt, hängt davon ab, was die Beschleunigung verursacht und wie stark diese Zusatzkomponente ist. Wenn die sehr stark ist, fängt die Beschleunigung früher an. Wenn sie schwächer ist, ist dieser Übergang später im Universum oder von uns aus gesehen bei einer geringeren Entfernung. Wir brauchen dafür extrem genaue Messungen. Wir denken, daß wir über 200 Supernovae in dem entscheidenden Bereich brauchen, um das wirklich machen zu können. Das wird lange dauern. Wir müssen jetzt den Rest der Welt überzeugen, daß die uns die Beobachtungszeit geben, damit wir das machen können."
Die Astronomen müssen dazu Supernovae in einer Entfernung von vier bis etwa neun Milliarden Lichtjahren finden und genau beobachten. Kein leichtes Unterfangen, aber vom Erdboden aus mit Spitzenteleskopen machbar. Bruno Leibundgut freut sich auf das neue große Omega-Projekt, das klären soll, ob nun Kosmologische Konstante, Quintessenz oder vielleicht doch etwas ganz anderes den Kosmos so auf Trab bringt.
"Das Schöne an der Kosmologie heutzutage ist, daß wir im Vergleich zu vor 30 oder 40 Jahren wirklich durch die Daten dominiert werden. Vor 30 oder 40 Jahren hat im wesentlichen alles auf der Theorie basiert. Damals konnten die Theorien im Prinzip wenig mit den Daten überprüft werden. Das hat sich jetzt umgekehrt."
Daten und Modelle gehen die ganz grundlegenden Fragen unserer Welt an. Woraus besteht das Universum? Was steckt hinter der Dunklen Energie? Wird sich der Kosmos ewig ausdehnen? Das uralte Licht längst verloschener Sternexplosionen liefert die Antworten darauf - auch wenn die Forscher bisher all die Antworten und Daten von Supernovae und Hintergrundstrahlung keineswegs in einem großen Bild verstehen. Einen Ausweg schaffen nur weitere Beobachtungen - und gute Ideen!
"Die Brocken für die Physik sind im Moment da - wir haben 95 Prozent des Universums, die wir einfach nicht verstehen: 25 Prozent sind Dunkle Materie, von der wir immer noch keine Ahnung haben, was sie ist. Dann haben wir solche Dinge wie Dunkle Energie, Kosmologische Konstante oder Quintessenz. Das soll vielleicht 70 Prozent der Energiedichte des Universums sein und da haben wir auch überhaupt keine Ahnung. Das ist eigentlich eine interessante Situation. Vielleicht haben wir in zehn Jahren eine Theorie, die das alles erklärt - aber einen Durchbruch brauchen wir jetzt schon."
Das Weltall
Der Blick in die schier unendlichen Weiten des Weltalls ist stets zugleich ein Blick weit zurück in die Vergangenheit. Nirgends sonst sind Raum und Zeit so eng miteinander verzahnt wie bei der Erforschung unseres Weltalls. Heutzutage zeigen Teleskope selbst Sterne und Galaxien in Milliarden Lichtjahren Entfernung. Die Allgemeine Relativitätstheorie ist das Handwerkzeug der Kosmologen und beschreibt das Wesen unseres Universums.
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Vor bald vier Jahrhunderten hat Galileo Galilei als einer der Ersten sein Fernrohr an den Himmel gerichtet. Seit 1610 bestaunt der Mensch den Kosmos nicht mehr nur mit bloßen Augen: Damals zeigte der Mond mit einem Mal Berge und Täler, Venus offenbarte ihre Phasengestalt, Jupiter wurde von vier Monden umkreist und das silberne Band der Milchstraße entpuppte sich als Ansammlung unzähliger Sterne.
Heute sind aus den Linsenfernröhrchen Galileis längst Hightech-Spiegelteleskope geworden - doch ob weiland Galilei oder heute moderner Astronom: Die Aufgabe des Teleskops, die Erwartung an das technische Hilfsmittel hat sich nicht verändert - neue Teleskope fangen immer ein bisschen mehr vom schwachen Leuchten der Himmelskörper ein und lassen uns so immer besser und immer tiefer in das Universum blicken. Jedes neue Teleskop schiebt die Grenze unserer Erkenntnis ein bisschen weiter hinaus. Jedes neue Teleskop erweitert buchstäblich unseren Horizont - das ist heute noch genauso wie vor 400 Jahren. Lediglich die räumlichen Dimensionen haben sich "ein wenig" verändert.
Die neue Generation von Großteleskopen verfügt über raffinierte optische Systeme und trägt den Blick der Astronomen Milliarden von Lichtjahren hinaus ins All - die Forscherinnen und Forscher beobachten Vorgänge in den Tiefen des Kosmos, die stattgefunden haben, lange bevor unsere Sonne mit ihren Planeten entstanden ist. Das Licht dieser entfernten Objekte erreicht uns erst jetzt. Wer zehn Milliarden Lichtjahre weit hinaus ins All blickt, der blickt also auch zehn Milliarden Jahre in der Zeit zurück. Astronomen sind längst zu Historikern unserer eigenen Vergangenheit geworden - Großteleskope, die mit ihren modernen Messinstrumenten der aus der Frühzeit des Kosmos zu uns gelangenden Strahlung noch die letzten Geheimnisse entreißen, sind gleichsam Spatel und Handpinsel bei den kosmologischen Ausgrabungen in Raum und Zeit.