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Bundestag strebt Verfahrensänderung bei Kapitalverbrechen an

100 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Ne bis in Idem, Strafklageverbrauch, Verfahrensrecht ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Bundestag strebt Verfahrensänderung bei Kapitalverbrechen an

23.09.2021 um 14:22
Zitat von LentoLento schrieb:Ich persönlich hoffe, dass das Gesetz vom BVerfG kassiert wird.
Dahingehend gehen auch meine Hoffnungen bzw. Erwartungen.

Etwas unangenehm ist mir auch der Titel des Gesetzes aufgstoßen: "Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit". Das bedeutet ja wohl, dass bislang keine solche herrschte und vor allem, dass das Grundgesetz durch die verfassungsrechtliche Absicherung des Grundsatzes ne bis in idem der materiellen Ungerechtigkeit Verfassungsrang gegeben habe ... nun ja ...

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Bundestag strebt Verfahrensänderung bei Kapitalverbrechen an

23.09.2021 um 19:50
Zitat von DoctorWhoDoctorWho schrieb:Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit
Dann hätten sich die Experten vielleicht auch mal mit der Frage beschäftigen müssen, ob die Anforderungen an einen Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten nicht doch zu hoch sind. Eine solch einseitige Betrachtung kann auch nie "Gerechtigkeit" bringen.

Aber das ist leider der Zeitgeist.


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Bundestag strebt Verfahrensänderung bei Kapitalverbrechen an

23.09.2021 um 20:23
Zitat von LentoLento schrieb:zuungunsten des Angeklagten
Meinte natürlich "zugunsten des Angeklagten"


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24.09.2021 um 00:16
Zitat von LentoLento schrieb:Der Befragte antworte dann, dass man die Zahl nicht wissen könne, angeblich wird nach einem Freispruch nicht mehr ermittelt. Das entspricht in meinen Augen nicht der Wahrheit, natürlich wird weiter ermittelt und der Beweis dafür ist der Fall Frederike. Hier wurde natürlich auch (gegen Unbekannt) weiter ermittelt
Natürlich wird gegen einen Freigesprochenen nicht mehr ermittelt, wieso auch, er ist ja freigesprochen. Damit besteht in Bezug auf ihn eingesetzliches Vergolgungshindernis, gegen ihn dürfen sich keine strafrechtlichen Ermittlungen mehr richten.

Aber das heißt eben auch, dass in so einem Fall einMörder noch frei herumläuft, und da ist es eine logische Konsequenz, dass man weiter nach diesem unbekannten Mörder sucht, also gegen Unbekannt ermittelt. So war es auch im Fall Frederike. Mord verjährt bekanntlich nie, und deshalb verschwinden solche Fälle auch nicht im Archiv, sondern werden immer wieder angeschaut.

Ich wüsste nicht, was daran auszusetzen bzw. unrechtmäßig wäre. Und im Rahmen dieser Ermittlungen gegen Unbekannt hat man dann, was damals kurz nach der Tat noch nicht möglich war, auch im Fall Frederike die Asservate mittels DNA-Analyse nochmals untersucht und fand dann die DNA eines Bekannten, nämlich des Freigesprochenen. Aus Rechtsgründen (eben wegen des Freispruchs) konnte man mit diesem Zufallsfund aber nichts anfangen und musste die Akten, was den Freigesprochenen betraf, wieder schließen.

Es war Frederikes Vater, der dann, weil eine strafrechtliche Verfolgung des Freigesprochenen nicht mehr möglich war, später mittels einer Schmerzensgeldklage versuchte, doch noch wenigstens eine zivilgerichtliche Klärung des Tatherganges zu erreichen. Das Ergebnis ist bekannt: Das Oberlandesgericht stellte fest, dass der strafrechtlich Freigesprochene Frederike getötet hatte, dass aber der Anspruch auf Schmerzensgeld verjährt war.

Frederikes Vater wollte sich mit diesen Ergebnissen und damit, dass der Tod seiner Tochter ungesühnt bleiben sollte, nicht abfinden und kämpfte jahrelang für eine Änderung der Rechtslage gerade in strafrechtlicher Hinsicht. Um Schmerzensgeld ging es ihm weniger.
Zitat von DoctorWhoDoctorWho schrieb:ja, da ist letztlich gut lobbyiert worden ...
Mit Verlaub, jemanden wie Vater Möhlmann als „Lobbyisten“ zu bezeichnen, geht am Leid dieses Menschen und seiner Verzweiflung am Rechtsstaat, so wie dieser sich für ihn darstellte - und nicht nur für ihn -, ja wohl ziemlich vorbei.


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24.09.2021 um 00:39
Zitat von AndanteAndante schrieb:Natürlich wird gegen einen Freigesprochenen nicht mehr ermittelt, wieso auch, er ist ja freigesprochen. Damit besteht in Bezug auf ihn eingesetzliches Vergolgungshindernis, gegen ihn dürfen sich keine strafrechtlichen Ermittlungen mehr richten.
Wie gesagt, es reicht, wenn man gegen Unbekannt ermittelt. Damit werden weitere spätere Untersuchungen möglich. Der Fall Frederike ist genau der Nachweis dazu. Es ist ganz egal, ob man gegen den Freigesprochenen nicht direkt ermittelt kann, bei einer Ermittelung gegen Unbekannt sind in der Realität alle Täter möglich, auch der Freigesprochene. Nicht anderes wird durch den Fall Frederike belegt.

Der Schadensersatzprozess war viel später, als die StA schon längst die DNA-Spur dem Freigesprochenen zugeordnet hat und zwar bei einer Ermittelung gegen Unbekannt. Im ursprünglichen Verfahren hatte weder der Vater von Frederike noch die StA Revision eingelegt.

Der Schadensersatzprozess spielt da in keiner Weise eine Rolle. Bei der Argumentation der sogenannten Experten, die in Wirklichkeit nicht zugeben wollten, dass es kaum mehr als 3 Fälle gegeben hat und auch unter den neuen Bedingungen geben wird. Das war auf ganzer Linie ein armseliges Schauspiel.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Mit Verlaub, jemanden wie Vater Möhlmann als „Lobbyisten“ zu bezeichnen, geht am Leid dieses Menschen und seiner Verzweiflung am Rechtsstaat, so wie dieser sich für ihn darstellte - und nicht nur für ihn -, ja wohl ziemlich vorbei.
Es geht um die Auswahl der Redner, das bedeutet nicht, dass der Anwalt selber ein Lobbyist ist. Aber es war auch eine andere Rednerin dort, die in keiner Weise aktuell einen Anspruch dazu hat, denn sie vertrat zwar einen Klienten, bei dem der Angeklagte freigesprochen wurde, trotzdem sagte sie, was wäre wenn. Wenn man dann nicht die Gegenseite, hört ist das nichts anderes als Lobbyismus. Man erkennt daran, dass man durch gezielte Auswahl der Redner das Ergebnis der Abstimmung in massiver Weise beeinflussen wollte oder man geht davon aus, dass Freigesprochene immer die Täter sind, auch wenn sie freigesprochen wurden. Die Überschrift der Gesetzesänderung "Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit" verstärkt noch diesen Eindruck.


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Bundestag strebt Verfahrensänderung bei Kapitalverbrechen an

24.09.2021 um 00:45
Um das noch mal ganz klar herauszustellen:

Wegen des Strafklageverbrauchs darf gegen einen Freigesprochenen wegen derselben Tat kein neues Ermittlungsverfahren geführt werden. Sprich: Er darf nicht erneut als Beschuldigter geführt und vernommen werden, seine Räume dürfen nicht durchsucht werden etc.

Die Straftat ist allerdings nach wie vor unaufgeklärt. Soweit sie nicht verjährt ist, werden diesbezüglich natürlich die Ermittlungen weitergeführt, um sie aufzuklären. Und da kann es dann sein, dass im Zuge DIESER Ermittlungen sich dann neues Beweismaterial gegen den Freigesprochenen findet. Bisher war so ein zufällig gefundenes Beweismaterial für die Ermittlungsbehörden komplett wertlos bzw. unbeachtlich, sie konnten und durften damit nichts anfangen, was den Freigesprochenen betraf.

Im Rahmen der sehr engen Voraussetzungen der neuen strafprozessualen Wiederaufnahmeregelung ist nun bei den schwersten 4 Verbrechen, die es gibt, und nur bei diesen (!), bei wirklich gutem Beweismaterial eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme des Verfahrens eröffnet. Wobei die Prüfung da mehrgleisig ist, bevor es unter Umständen überhaupt zu einer Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Prozesses kommt. In dem der Freigesprochene natürlich nochmals freigesprochen werden kann, falls es überhaupt zur Wiederaufnahme kommt.

Peggy Knobloch (Seite 4926) (Beitrag von Andante)


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Bundestag strebt Verfahrensänderung bei Kapitalverbrechen an

24.09.2021 um 00:58
Zitat von AndanteAndante schrieb:Bisher war so ein zufällig gefundenes Beweismaterial für die Ermittlungsbehörden komplett wertlos bzw. unbeachtlich, sie konnten und durften damit nichts anfangen, was den Freigesprochenen betraf.
Es konnte nicht verwendet werden, aber man erkannte, dass der Freigesprochene wahrscheinlich doch der Täter war. Dass nun ein WAV möglich ist - falls das BVerfG das Gesetz nicht kassiert - ist eine andere Sache.

In Wirklichkeit war das Ergebnis bekannt und die Schlussfolgerung dann klar, ganz egal ob man es nicht verwenden konnte. Mir ging es um die Behauptung des Redners, das man das nicht wüßte um wieviel Fälle es ginge. Seine Begründung ist in Wirklichkeit hanebüchen. Für mich zeigt das einen mangelhafte Sorgfalt bei der Auswahl der Redner. So kann man jedes Gesetz durchpeitschen.

Ich sage nicht, dass man dem Gesetz nichts positives abgewinnen kann. Für die Angehörigen der Opfer ist es natürlich eine Verbesserung. Auf der Strecke geblieben sind nun die Freigesprochen die sich niemals sicher sein könne, nochmal durch die Hölle gehen zu müssen. Und damit fehlt eine wesentliche Komponente in der Abwägung. Und wie gesagt, die Auswahl der Redner war höchst einseitig bzw. nicht zugeben zu wollen, dass es sich gerade um 3 Fälle handelt, zeigt eine Voreingenommenheit. Derjenige wollte unbedingt erreichen, dass das Gesetz verabschiedet wird. Experten sollten aber solche Ambitionen nicht besitzen.


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Bundestag strebt Verfahrensänderung bei Kapitalverbrechen an

24.09.2021 um 00:59
Zitat von LentoLento schrieb:Der Schadensersatzprozess spielt da in keiner Weise eine Rolle
Doch, aber da ging es bei den Rechtspolitikern um die Frage ob ein zivilrechtlicher Schmerzensgeldanspruch, wie es das BGB vorsieht, wie bisher spätestens nach 30 Jahren verjähren soll, während der Mord, auf dem der Schmerzensgeldanspruch der Angehörigen beruht, nie verjährt. Man hat da über eine Koordinierung der Verjährungsfristen debattiert.
Zitat von LentoLento schrieb:Bei der Argumentation der sogenannten Experten, die in Wirklichkeit nicht zugeben wollten, dass es kaum mehr als 3 Fälle gegeben hat und auch unter den neuen Bedingungen geben wird.
Ja klar wird die Neuregelung nur ganz, ganz wenige Fälle erfassen, das war von Anfang an klar. Da sollte ja keineswegs Dammbruch stattfinden und jetzt reihenweise freigesprochene Hühnerdiebe oder Schwarzfahrer erneut vor Gericht gezerrt werden, die Vorstellung ist totaler Käse.

Es ging vielmehr nur um die ganz, ganz wenigen extremen Fälle unverjährbarer Verbrechen, wo jemand freigesprochen wurde und erst nach Rechtskraft des Freispruch neues schlagkräftiges Beweismaterial auftaucht, halt wie im Fall des Mordes an Frederike. Da wird dann irgendwann der Rechtsstaat nicht nur bei Angehörigen, sondern auch bei der Bevölkerung unglaubwürdig, wenn er es sehenden Auges zuläßt, dass Mörder und Kriegsverbrecher dabonkommen, obwohl anzunehmen ist, dass sie mit dem neuen Material nun überführt werden können.

Ich verweise dazu noch mal auf die Expertise von Prof. Eisele, die ich schon in Thread Peggy Knobloch eingestellt habe. Der Experte hat völlig recht.

https://www.bundestag.de/resource/blob/848326/7b398e9ecb912c0345208dd82c3fd5ba/stellungnahme-eisele-data.pdf


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24.09.2021 um 01:09
Zitat von LentoLento schrieb:Auf der Strecke geblieben sind nun die Freigesprochen die sich niemals sicher sein könne, nochmal durch die Hölle gehen zu müssen.
Du schreibst selber, dass es um ganz, ganz wenige Ausnahmen geht. UND es geht dabei ausnahmslos um Freisprüche bei den unverjährbaren 4 Verbrechen Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen eine Person.

ALLE ANDEREN Freigesprochenen sind von der Neuregleung von Anfang an überhaupt nicht betroffen, die können sich beruhigt zurücklehnen und werden nie wieder wegen derselben Sache vor Gericht stehen. Ab Totschläger abwärts: Alle gar nicht betroffen.

Nur die wegen der erwähnten 4 unverjährbaren Delikte Freigesprochenen müssten, wenn wirklich schlagkräftiges neues Beweismaterial gegen sie auftauchen sollte - wenn! - sich Gedanken machen. Aber da hält sich mein Mitgefühl dann auch zirmlich in Grenzen.


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Bundestag strebt Verfahrensänderung bei Kapitalverbrechen an

24.09.2021 um 01:34
@Andante
Nein, es ging in der Tagung hauptsächhlich um die Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten. Dass man möglicherweise Zivilansprüche nicht verjähren lassen soll, war nicht Thema des oben verlinkten Videos.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Ja klar wird die Neuregelung nur ganz, ganz wenige Fälle erfassen, das war von Anfang an klar. Da sollte ja keineswegs Dammbruch stattfinden und jetzt reihenweise freigesprochene Hühnerdiebe oder Schwarzfahrer erneut vor Gericht gezerrt werden, die Vorstellung ist totaler Käse.
Der Befragte Redner wollte aber genau das nicht bestätigen, er behauptete man wüsste es nicht. Ich glaube, dass Du Dir das Video nochmal insgesamt ansehen solltest, dann würdest Du auch erkennen, dass zivile Fragen dort nicht behandelt wurden.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Ich verweise dazu noch mal auf die Expertise von Prof. Eisele, die ich schon in Thread Peggy Knobloch eingestellt habe. Der Experte hat völlig recht.
Ich sehe in seinem Artikel nicht, dass er sich ein einziges mal Gedanken macht, wie das auf die Freigesprochenen wirkt, welche nun sich nie sicher sein könne, doch nochmal durch die Hölle zu gehen. Rechtskraft soll auch genau das Bewirken, dass man nicht ständig in dieser Angst leben muss. Das gehört für mich in eine Abwägung herein. Wenn es nicht erfolgt, ist sie nicht komplett und damit kann man damit nur wenig anfangen. Denn diese Beeinträchtigung von Freigesprochenen könnte nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sein.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Du schreibst selber, dass es um ganz, ganz wenige Ausnahmen geht. UND es geht dabei ausnahmslos um Freisprüche bei den unverjährbaren 4 Verbrechen Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen eine Person.
Ich schreibe , dass es auf der anderen Seite um die Befürchtung von weitaus mehr wegen dieser Taten freigesprocheen geht. Auf der einen Seite um diese 4 Fälle, auf der anderen Seite um eine weitaus größere Anzahl. Das hätte zur Sprache kommen müssen und abgewogen werden. Wenn derjenige die Unwahrheit sagt und behauptet, es könnten mehr Fälle sein, man wüsste es nicht, dann wird diese Abwägung unmöglich gemacht.

Wie das Ergebnis dieser Abwägung wäre, weiß ich nicht, sie hätte jedoch erfolgen müssen.


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24.09.2021 um 04:49
Zitat von LentoLento schrieb:Nein, für mich war diese Debatte alles andere als ausgewogen, da sollte noch im letzten Moment ein populistisches Gesetz verabschiedet werden, um vermutlich im Wahlkampf nicht die Blöße zu geben, man habe eine "dringende (populistische)" Koalitionsvereinbarung nicht erfüllt.

...
Ich persönlich hoffe, dass das Gesetz vom BVerfG kassiert wird. Denn mit "dringend" darf man nicht die Rechtskraft durchbrechen. Die lag in den meisten Fällen vor der Verhandlung vor, es würde kaum eine höhere Hürde darstellen, wie beim normalen Verfahren.
Als Jurist sehe ich das ganz genauso. Ich verstehe zwar die Motivation hinter solch einem Gesetzentwurf, und verstehe das Leid, das im Fall Frederike entstand usw. Aber für die Rechtsordnung als Ganzes sehe ich da Probleme und Negatives. @Lento hat das hier gut dargestellt.

Man wird nun sehen, wann und ob das Gesetz überhaupt angewandt werden wird und was dann das Verfassungsgericht dazu sagen wird. Mir wäre es lieber gewesen, es wäre nicht verabschiedet worden.


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Bundestag strebt Verfahrensänderung bei Kapitalverbrechen an

24.09.2021 um 07:37
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Aber für die Rechtsordnung als Ganzes sehe ich da Probleme und Negatives.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Mir wäre es lieber gewesen, es wäre nicht verabschiedet worden.
Vollkommen meine Meinung. Zum theoretischen Hintergrund meiner Bedenken hatte ich ja schon mal das eine oder andere hier im Thread gepostet: Beitrag von DoctorWho (Seite 1)


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24.09.2021 um 07:55
Da ich hier einige Äußerungen nicht verstehe, überspitze ich mal einen Fall, um mal zu zeigen was die Gesetzesänderung mit sich bringen kann, mal schauen ob ihr es dann immer noch gut heißt.

TAT: ein Mord

Es gibt 10 Personen, denen man den Mord erstmal plausible "anhängen" kann, weil erstmal Indizien dafür sprechen.

1. Anklage (wahrscheinlichster) wird frei gesprochen. Dann der nächste auch Freispruch und so weiter bei allen 10 verdächtigen.

Hiesse nach jetziger Rechtsprechung alles endgültig frei und unanklagbar für immer.
Nach Gesetzesänderung fällt das weg,denn plötzlich ist ein Freispruch nichts mehr wert.

Nun gibt es ein neues Indiz und das passt auf 3 der ehemals 10 verklagten.

Nun wrden diese 3 wieder angeklagt, wieder frei gesprochen und wieder ist der Freispruch nichts wert.

Und dann wird DER Beweis gefunden, der den Täter überführt, dieser wird verurteilt.

Jetzt sind die anderen Freisprüche von wert und bewiesen.

Aber wenn wir jetzt davon ausgehen das von den ersten anklagen bis zur Verurteilung des tatsächlichen Täters 20 Jahre vergangen sind, dann sind mindestens 9 Leben zu Unrecht zerstört worden.

Ich schreibe bewusst MINDESTENS 9, da meist nicht nur das Leben eines verdächtigen zerstört wird sondern auch das der engsten Angehörigen.

Dies alles wäre bei alter Gesetzeslage nicht passiert, da in einem solchen Fall, die Staatsanwaltschaft und das Gericht sehr genau abgewägt hätte ob eine Anklage nicht zum Strafklageverbrauch führt und man somit den Täter nie verurteilen kann.

Mit der Gesetzesänderung wird dieses abwägen nicht mehr so korrekt ablaufen, da man ja später die selbe Person wieder verklagen kann, bzw eine Wiederaufnahme möglich ist.

Daher sehe ich persönlich hier Gefahr, daß Unschuldige ein leben lang zu Unrecht durch die Hölle gehen, nur weil sich ein paar Leute einen Namen machen wollen oder es einfach nicht mehr so genau genommen wird.

Ich bleibe dabei, eine Abklage und somit Veröffentlichung des Namens eines Verdächtigen sollte erst erfolgen, wenn sicher ist, daß man den wahren Täter hat und nicht bei bloßer Verdächtigung mit Indizien die nicht zur Verurteilung führen.

Lieber ein erst nach 20 Jahren überführter Täter, als 9 zerstörte Leben, was sich nicht wieder rückgängig machen lässt.


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24.09.2021 um 08:04
Ein etwas krasses Beispiel, das aber durchaus korrekt ist.

Der Punkt ist der, dass ein bisher unschuldiger und freigesprochener Mensch sich immer wieder der Macht des Staates mit all seinen Ressourcen gegenüber sehen kann. Und da liegt das Problem: irgendwann gehen diesem Menschen Kraft und Ressourcen aus. Der Staat dagegen kann immer wieder nachlegen.

Aus dem Grund haben die meisten zivilisierten Länder in ihren Rechtsordnungen dieses Prinzip schon seit unzähligen Jahren verankert, das jetzt aufgehoben wurde.


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24.09.2021 um 08:11
Deswegen ja gleich zu Beginn die Aussage das ich es überspitzt um aufzuzeigen was passieren kann. Das wird definitiv nich der Regelfall sofern es überhaupt so eintrifft.

Aber manchmal braucht es Extrembeispiele um denn Sachverhalt klar zu machen.


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24.09.2021 um 09:20
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Der Punkt ist der, dass ein bisher unschuldiger und freigesprochener Mensch sich immer wieder der Macht des Staates mit all seinen Ressourcen gegenüber sehen kann. Und da liegt das Problem: irgendwann gehen diesem Menschen Kraft und Ressourcen aus. Der Staat dagegen kann immer wieder nachlegen.
Es sind ja nicht nur die Resourcen. Auf einen Angeklagten prassel meist ein Blitzlichtgewitter herab, sein Bild wird nicht selten unverpixelt von bestimmten Zeitungen gedruckt. Meist wird der volle Name bekannt, das soziale Umfeld des Täters weiß es sowieso. Da der Mensch recht einfach gestrickt ist und bei einem Freispruch sich sagen wird "er war der Täter, man konnte es ihm nur nicht beweisen", wird er auch sich kaum mehr an seinem Wohnort behaupten können. Ich wäre mir selber nicht sicher, wenn ich wüßte, dass ein Nachbar anklagt und dann freigesprochen wurde. Ich kann mir vorstellen, dass ich das gleiche denke. Er wird umziehen müssen. Wenn er Familie hat, sind auch die Mitglieder in massiver Weise von dem Eingriff betroffen, dieser Eingriff ist nicht allein auf den ehemaligen Angeklagten beschränkt. Ob er einen neue Arbeitsstelle finden wird, weiß man nicht, das kommt darauf an, wie bekannt der Name/Bild wurde. Vielleicht schafft er es dann doch irgenwann. Eine schwerwiegenderen rechststaatlichen Eingriff (außer Freiheitsentzug), der von einem Staat ausgelöst werden kann, kann man sich gar nicht vorstellen.

Und wenn dann nochmal der Staat mit einer weitern Anklage kommt, bricht für denjenigen das zweite Mal die Welt zusammen.

Und wenn dieser wichtige Grund der Rechtskraft von den "Experten" mit keinem Wort erwähnt wird, dann muss man sich schon fragen warum?

Ich hoffe, dass sich das BVerfG das ganze Zustandekommen dieses Gesetzes genau anschauen wird und erkennen wird, dass der Gesetzgeber wesentliche Fragen der Rechtskraft nicht berücksichtigt hat. Mehr noch, es sieht so aus, dass über eine schlechte (unausgeglichene) Auswahl der Redner ein starker Einfluss auf das Abstimmverhalten der Abgeordneten Einfluss ausgeübt wurde.


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24.09.2021 um 10:54
Zitat von LentoLento schrieb:Ich schreibe , dass es auf der anderen Seite um die Befürchtung von weitaus mehr wegen dieser Taten freigesprocheen geht.
Was du befürchtest, was auf irgendwelchen Tagungen geredet wird etc. ist ja von dem zu unterscheiden, wie was am Ende wirklich wörtlich in Gesetzesform gegossen wurde. Und da ist es in der Tat so, dass die neue Regelung eben von vornherein vom Sinn und vom Wortlaut her ganz bewusst auf ganz wenige und für die Rechtsordnung zu Recht unerträglichen Extremfälle zugeschnitten ist.

Es hat schon vorher so gut wie keine Wiederaufnahmen zuungunsten eines Verurteilten gegeben, und es wird auch jetzt so gut wie keine geben bis auf die verschwinden wenigen Fälle, wo bereits im ersten Prozess zwar Beweismaterial vorliegt, es aber für einer Verurteilung nicht ausreicht und erst nach Rechtskraft des Urteils es mit neuen kriminaltechnischen Methoden gelingt, das Material so aussagekräftig zu machen, dass es eben massiv auf einen Täter, in diesem Fall halt zufällig nicht einen anderen, sondern eben ausgerechnet auf den zuvor aus Mangel an Beweisen Freigesprochenen hinweist.

Und man darf sich ziemlich sicher sein, dass Staatsanwälte in so einem Fall lieber fünfmal prüfen und beim geringsten Zweifel die Hände von einem Wiederaufnahmeantrag lassen, wenn sie sich nicht ganz sicher sind, dass das neue Material für eine Verurteilung nach einem der abschließend aufgezählten 4 schwersten Verbrechen sehr wahrscheinlich ausreichend ist.

Und dann ist da noch das Wiederaufnahmegericht, das in einer Art nichtöffentlichem Vorprüfungsverfahren die Stichhaltigkeit des neuen Materials untersucht und im Bedarfsfall den Wiederaufnahmeantrag der StA zurückweist

Kurzum: Dass jetzt reihenweise Freigesprochene „durch die Hölle gehen“ und medial geschlachtet werden, ist eine grundlose Befürchtung.


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24.09.2021 um 11:14
Zitat von blacklady2309blacklady2309 schrieb:Es gibt 10 Personen, denen man den Mord erstmal plausible "anhängen" kann, weil erstmal Indizien dafür sprechen.

1. Anklage (wahrscheinlichster) wird frei gesprochen. Dann der nächste auch Freispruch und so weiter bei allen 10 verdächtigen.
Hast du schon mal erlebt, dass wegen ein und desselben Mordes nacheinander 10 Leute angeklagt und alle auch nacheinander freigesprochen werden? Ich nicht. Das passiert deshalb nicht, weil die StA nicht Lotterie spielt und nicht jeden anklagt, den sie in die Finger bekommt und wo sie ein paar Indizien hat nach dem Motto „Jetzt klagen wir mal an und schauen dann, was draus wird. Wenn wir Glück haben, wird schon irgendeiner von denen, die wir anklagen, verurteilt“. So läuft es ja nicht.

Nein, die StA darf von Gesetzes wegen und wenn sie sich selber nicht wegen Verfolgung Unschuldiger strafbar machen will, selbstverständlich nur den anklagen, von dem sie glaubt, ihm den Mord auch ausreichend vor Gericht nachweisen zu können. Ein paar Larifari-Indizien reichen nicht. Wo die StA glaubt, das nicht zu können, hat sie von einer Anklage abzusehen und das Ermittlungsverfahren gegen den Betreffenden einzustellen.

Und es gibt keinen Fall, bei dem die vorhandene objektive Beweislage, also Tatortspuren, Zeugenaussagen, Alibis, Motive etc. in einem und demselben Fall völlig gleichgewichtig auf sage und schreibe 10 verschiedene Leute hinweist (wenn nicht alle zusammen Mittäter sind, heißt das, also ein gemeinschaftlicher Mord vorliegen würde).


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Bundestag strebt Verfahrensänderung bei Kapitalverbrechen an

24.09.2021 um 11:30
Für Interessierte hier noch ein Blick über die Grenzen ins restliche Europa, das, sollte mann annehmen, bis jetzt keine vollkommenen Unrechtsstaaten als Mitglieder hat.

In vielen Ländern ist in bestimmten Fällen die Korrektur von Justizirrtümern zuungunsten eines Verurteilten durchaus vorgesehen.

https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/09-05/?sz=7


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24.09.2021 um 12:26
@Andante
Aus deiner Quelle:
Reformen des Katalogs der Wiederaufnahmegründe zuungunsten eines Abgeurteilten in § 362 StPO sind nicht angezeigt. Technikbegeisterung und eine mit politischer Rhetorik gepflegte Angst, die Bevölkerung könnte ihr Vertrauen in den staatlichen Strafverfolgungsapparat aufkündigen, wenn sich zwar im Anschluss an einen rechtskräftigen Freispruch der Nachweis der Täterschaft führen, das Urteil aber nicht mehr korrigieren lässt, sind schlechte Ratgeber, wenn es darum geht, bewährte rechtsstaatliche Schutzmechanismen aufzubrechen.
Einbrüche in diesen Abwehrmechanismus, und seien sie auch noch so eng und präzise formuliert, würden den Mechanismus unweigerlich weiteren Erosionsprozessen im Namen der materiellen Gerechtigkeit preisgeben, bis die individuelle Rechtssicherheit gänzlich dem Verfolgungsinteresse des Staates aufgeopfert wäre.
Quelle: Swoboda, Das Recht der Wiederaufnahme in Europa, HRRS 2009, 188, 201

Darüber hinaus empfinde ich den Begriff "Justizirrtum" von dir ein wenig fehlgehend ...


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