Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2009
zum Vertrag von Lissabon

Karl Albrecht Schachtschneider
Nürnberg, August 2009

*
X. Parlamentsmilitarismus

*
1. Die Bundeswehr dient nach Art. 87 a Abs. 1 S. 1 GG der Verteidigung und darf nicht für Kriege in aller Welt eingesetzt werden. Das ist längst nicht mehr so. „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt“ (Absatz 2). Damit ist der innenpolitische Einsatz angesprochen, etwa deren Einsatz zur Unterstützung der Polizeikräfte, wenn eine Naturkatastrophe oder ein besonders schwerer Unglücksfall das erfordern (Art. 35 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG). Zur Zeit führt die Bundeswehr Krieg in Afghanistan.

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Die Lebenslüge dieser Politik ist, daß die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werde.
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Vielmehr soll das Land im Interesse der amerikanischen Geopolitik befriedet werden.


Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik fällt nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (nach wie vor) nicht unter das supranationale Recht (Rdn. 390).

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Das Gericht hat in verschiedenen Entscheidungen die neue NATO-Doktrin akzeptiert33 und fügt die Beistandspflicht weiterhin in die NATO-Verpflichtungen ein (Rdn. 386).

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Die NATO ist nicht mehr nur ein Verteidigungsbündnis, sondern auch eines, das den Weltfrieden herstellen will,
sich also das Recht zum Kriege angemaßt hat.

Das ius ad bellum, das die Charta der Vereinten Nationen überwunden hatte, ist wieder Vertragsbestandteil, jedenfalls Bestandteil der NATO-Politik, und wird durch die Regelungen zur Sicherheitspolitik, also zur Militärpolitik, im Vertrag von Lissabon in Anspruch genommen.

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Das Bundesverfassungsgericht stützt die NATO-Politik nicht auf Art. 23 GG, den Europaartikel, sondern auf Art. 24 Abs. 2 GG, wonach „der Bund sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen kann“ (Rdn. 388).
Ein Hoheitsrecht, andere Völker mit Krieg zu überziehen, hat Deutschland ausweislich des Art. 26 Abs. 1 GG, der Angriffskriege verbietet, nicht.

*
Der Kampf gegen den Terrorismus ist ein Vorwand, sich in die inneren Verhältnisse anderer Staaten einzumischen, und mißachtet das Interventionsverbot

des Art. 2 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen.

*
Das Bundesverfassungsgericht bleibt im Lissabon-Urteil bei der Politik früherer Urteile34, den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Bündnisgebiets von der Zustimmung des Bundestages abhängig zu machen (Rdn. 386).
Die Bundeswehr sei kein Regierungsheer, sondern ein Parlamentsheer

(Rdn. 382 ff.).

Der Parlamentsvorbehalt im militärischen Bereich betrifft nicht den engeren Verteidigungsbereich, sondern nur Auslandseinsätze der Bundeswehr (Rdn. 381).

Das Gericht macht auch nach einen Beschluß, der die Verteidigung der Europäischen Union vergemeinschaftet, also eine gemeinsame Verteidigung schafft (Art. 31 Abs. 1 und 4, Art. 42 Abs. 4 EUVL),

*

„die Beteiligung an einer militärischen Operation der Europäischen Union“

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von der Zustimmung des Parlaments abhängig und läßt insofern keine Vertragsänderung zu (Rdn. 391). Das wäre in Ordnung, wenn, wie schon mehrfach angesprochen, dieser Vorbehalt legislativer Zustimmung wirklich ein politischer Schutz der Bürger wäre.

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Aber längst hat sich die classa politica soweit von den Bürgern entfernt, daß ein politischer Unterschied zwischen Bundesregierung und Bundestag und Bundesrat allenfalls bedeutsam ist, wenn die Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat voneinander abweichen. In der Außenpolitik wahrt die Parteienoligarchie regelmäßig Einigkeit, was wenig durchsichtige gemeinsame Abhängigkeiten vermuten läßt. Regelmäßig glaubt die Bevölkerung, daß, wenn die Bundesregierung ein Gesetz beschlossen hat, das eine „beschlossene Sache“ sei, und schätzt die politischen Verhältnisse damit richtig ein.

*
Der Vertrag von Lissabon, der in Art. 42 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 1 EUV eine Aufrüstungsverpflichtung vorschreibt, nämlich die Verpflichtung „die militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“, führt in eine Welt der Kriege und beteiligt Deutschland (verstärkt) an der Militarisierung der Welt. Ich befürchte, daß diese Politik, durch Aufrüstung und Krieg (vermeintlich) den Frieden zu schaffen, auch sehr bald Deutschland im Inneren militärisch treffen wird.
Man wird das Terror nennen, als wenn Krieg etwas anderes wäre !!!



Auszug von:

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2009
zum Vertrag von Lissabon

Karl Albrecht Schachtschneider
Nürnberg, August 2009

*
X. Parlamentsmilitarismus

*
1. Die Bundeswehr dient nach Art. 87 a Abs. 1 S. 1 GG der Verteidigung und darf nicht für Kriege in aller Welt eingesetzt werden. Das ist längst nicht mehr so. „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt“ (Absatz 2). Damit ist der innenpolitische Einsatz angesprochen, etwa deren Einsatz zur Unterstützung der Polizeikräfte, wenn eine Naturkatastrophe oder ein besonders schwerer Unglücksfall das erfordern (Art. 35 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG). Zur Zeit führt die Bundeswehr Krieg in Afghanistan.

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Die Lebenslüge dieser Politik ist, daß die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werde.
*
Vielmehr soll das Land im Interesse der amerikanischen Geopolitik befriedet werden.


Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik fällt nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (nach wie vor) nicht unter das supranationale Recht (Rdn. 390).

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Das Gericht hat in verschiedenen Entscheidungen die neue NATO-Doktrin akzeptiert33 und fügt die Beistandspflicht weiterhin in die NATO-Verpflichtungen ein (Rdn. 386).

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Die NATO ist nicht mehr nur ein Verteidigungsbündnis, sondern auch eines, das den Weltfrieden herstellen will,
sich also das Recht zum Kriege angemaßt hat.

Das ius ad bellum, das die Charta der Vereinten Nationen überwunden hatte, ist wieder Vertragsbestandteil, jedenfalls Bestandteil der NATO-Politik, und wird durch die Regelungen zur Sicherheitspolitik, also zur Militärpolitik, im Vertrag von Lissabon in Anspruch genommen.

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Das Bundesverfassungsgericht stützt die NATO-Politik nicht auf Art. 23 GG, den Europaartikel, sondern auf Art. 24 Abs. 2 GG, wonach „der Bund sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen kann“ (Rdn. 388).
Ein Hoheitsrecht, andere Völker mit Krieg zu überziehen, hat Deutschland ausweislich des Art. 26 Abs. 1 GG, der Angriffskriege verbietet, nicht.

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Der Kampf gegen den Terrorismus ist ein Vorwand, sich in die inneren Verhältnisse anderer Staaten einzumischen, und mißachtet das Interventionsverbot

des Art. 2 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen.

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Das Bundesverfassungsgericht bleibt im Lissabon-Urteil bei der Politik früherer Urteile34, den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Bündnisgebiets von der Zustimmung des Bundestages abhängig zu machen (Rdn. 386).
Die Bundeswehr sei kein Regierungsheer, sondern ein Parlamentsheer

(Rdn. 382 ff.).

Der Parlamentsvorbehalt im militärischen Bereich betrifft nicht den engeren Verteidigungsbereich, sondern nur Auslandseinsätze der Bundeswehr (Rdn. 381).

Das Gericht macht auch nach einen Beschluß, der die Verteidigung der Europäischen Union vergemeinschaftet, also eine gemeinsame Verteidigung schafft (Art. 31 Abs. 1 und 4, Art. 42 Abs. 4 EUVL),

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„die Beteiligung an einer militärischen Operation der Europäischen Union“

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von der Zustimmung des Parlaments abhängig und läßt insofern keine Vertragsänderung zu (Rdn. 391). Das wäre in Ordnung, wenn, wie schon mehrfach angesprochen, dieser Vorbehalt legislativer Zustimmung wirklich ein politischer Schutz der Bürger wäre.

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Aber längst hat sich die classa politica soweit von den Bürgern entfernt, daß ein politischer Unterschied zwischen Bundesregierung und Bundestag und Bundesrat allenfalls bedeutsam ist, wenn die Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat voneinander abweichen. In der Außenpolitik wahrt die Parteienoligarchie regelmäßig Einigkeit, was wenig durchsichtige gemeinsame Abhängigkeiten vermuten läßt. Regelmäßig glaubt die Bevölkerung, daß, wenn die Bundesregierung ein Gesetz beschlossen hat, das eine „beschlossene Sache“ sei, und schätzt die politischen Verhältnisse damit richtig ein.

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Der Vertrag von Lissabon, der in Art. 42 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 1 EUV eine Aufrüstungsverpflichtung vorschreibt, nämlich die Verpflichtung „die militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“, führt in eine Welt der Kriege und beteiligt Deutschland (verstärkt) an der Militarisierung der Welt. Ich befürchte, daß diese Politik, durch Aufrüstung und Krieg (vermeintlich) den Frieden zu schaffen, auch sehr bald Deutschland im Inneren militärisch treffen wird.
Man wird das Terror nennen, als wenn Krieg etwas anderes wäre !!!

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2. Dazu gehört auch ein ganz empfindlicher Punkt, den das Vertragswerk möglichst zu verbergen versucht.

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Im Krieg und bei drohender Kriegsgefahr kann die Todesstrafe eingeführt werden. Wenn das geschieht, sind nach den Erklärungen, welche die Grundrechtecharta zu berücksichtigen vorschreibt (Art. 6 Abs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 3 und 7 GRCh),
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nämlich die, welche schon nach dem Verfassungsvertrag maßgeblich waren, das Recht auf Leben und das Verbot der Todesstrafe und der Hinrichtung aus Art. 2
der Charta nicht verletzt.

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Die das Menschenrecht des Lebens einschränkenden Erklärungen stammen aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950, welche der Grundrechtecharta das Richtmaß gibt. Hinzukommt, daß diese maßgebliche Erklärung auch die Tötung aus dem Grundrechtsschutz des Rechts auf Leben ausnimmt, wenn ein Aufruhr oder ein Aufstand rechtmäßig niedergeschlagen werden soll. Das heißt nicht, daß jetzt in Deutschland die Todesstrafe eingeführt ist.
Noch ist der Artikel 102 des Grundgesetzes:

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„Die Todesstrafe ist abgeschafft“,

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maßgeblich, aber wenn die Union einen Rechtsakt erläßt, der die Todesstrafe, die Hinrichtung oder die Tötung vorsieht, ist das nach diesem (menschheitswidrigen) Vertrag keine Grundrechtsverletzung.

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Der Rat hat nach dem Vertrag von Lissabon nach Art. 43 Abs. 2 EUV die entsprechende Befugnis; denn er kann mit qualifizierter Mehrheit Beschlüsse über die Missionen (Waffengänge) fassen, die “Ziel und Umfang der Missionen und die für sie geltenden allgemeinen Durchführungsbestimmungen“ festlegen. Das geschieht im Interesse der Effizienz der Kriegsführung.
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Was wäre effizienter als die Todesstrafe, um Soldaten
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oder auch andere Menschen, die in irgendeiner Weise den Krieg „sabotieren“, oder auch Partisanen oder Terroristen, zu bekämpfen.
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Es ist noch ungeklärt, ob Terroristen nun Straftäter sind oder ob man den Kampf gegen den Terror als einen Krieg behandelt. Es entwickelt sich augenscheinlich neues internationales Kriegsrecht, ein Recht für die Neuen (asymetrischen) Kriege.
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Wer aber möchte schon in einem Lande leben, in dem die Todesstrafe möglich ist?
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Wer Gefahr läuft, bei Demonstrationen, die als Aufstand oder Aufruhr gewertet werden, durch die Polizei getötet zu werden, wird darauf verzichten, das Grundrecht der Demonstration in Anspruch zu nehmen.
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Schon die Kommentierungen zu der Grundrechtecharta müssen zugeben, daß es nicht gelungen ist, die Todesstrafe aus dem Vertragswerk fernzuhalten35, wenn sich auch die deutsche Delegation darum bemüht haben mag. Das Argument, das immer wieder zu hören ist, die nationalen Grundrechte bleiben von der Grundrechtecharta unberührt, ist falsch.
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Die nationalen Grundrechte können sich gegenüber Europäischen Rechtsakten nicht behaupten, ganz davon abgesehen, daß Artikel 102 GG, der die Todesstrafe abschafft,gar nicht zu den Grundrechten gehört (argumentum aus Art. 93 Abs. 1 Ziff. 4 a GG).
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Wesentlich ist, daß das Unionsrecht Vorrang vor dem nationalen Recht, auch vor den Grundrechten, beansprucht.
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Nur wenn die Grundrechte allgemein im Wesensgehalt mißachtet werden, verspricht das Bundesverfassungsgericht, noch einmal einzugreifen (Rdn. 331).
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Dieser Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist vom Bundesverfassungsgericht in dem Urteil zum Vertrag von Lissabon aufrecht erhalten worden. Nur die schon angesprochenen, fragwürdigen, weit entfernten Grenzen der Strukturprinzipien, die Identität der Verfassung im Kern, sind (abgesehen von den Ermächtigungsgrenzen) vorbehalten.
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Ein Rechtsakt der Union, der die Todesstrafe einführt, wäre auch in Deutschland wirksam.
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Das alleine genügt, um den Vertrag von Lissabon abzulehnen. Aber augenscheinlich wußten unsere Abgeordneten das nicht. Welcher Abgeordneten hätte es gewagt zuzugestehen, daß er sich für die Todesstrafe einsetzt.
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Das Bundesverfassungsgericht hat zum Problem der Todesstrafe, Hinrichtung und Tötung kein Wort gesagt.


Quellennachweis:

http://www.auxiliaris.org/?p=4477&preview=true&preview_id=4477&preview_nonce=e55285f116