…es ist erschreckend, wie das Schicksal all gefällten Entscheidungen erschüttern, relativieren und vielleicht sogar revidieren kann. Schicksalsschläge, die das Wertgefüge, die Priorisierungen des eigenen Lebens in Frage stellen, unangenehm all dies durchleuchten und Erschüttern, dass man “rational” und wohlgemerkt bei klarem Verstand entschieden hat.

Entscheidungen des klaren Verstandes sind meist auch Kompromisse, Kompromisse die vielleicht nicht dem entsprechen, was man eigentlich aus tiefsten Inneren tun möchte, jedoch schlicht das Vernünftigste darstellen, was die aktuellen Situationen und Umstände hergeben. Man geht Verbindungen ein, verpflichtet sich, lebt und erträgt diese, obwohl sie eigentlich nicht das sind, was man möchte.

Doch oft folgt dann das Schicksal, dass schlicht erinnert: alles ist vergänglich, auch der Verstand oder generell die Fähigkeit zu denken. Wie fühlt es sich wohl an, wenn man morgens aufsteht, am Nachmittag einen Hirnschlag erleidet und eigentlich schon bereits am Abend zu nichts mehr eine Relation herstellen kann, was einem bisher so wichtig war?

Was ist, wenn man so jung ist, dass so vieles nicht getan, gelebt und erlebt wurde, weil man es auf die lange Bank schob und einfach andere, Dinge, um zu sagen Kompromisse den Vortritt ließ? Wie ist es wohl, wenn man am Abend selbst diesen Verlust nicht mehr realisieren kann? Wenn nahe Verwandte am Bett sitzen und vor Schmerz bereits den Verstand zu verlieren scheinen? Die dort sitzen und sich die Augen ausheulen und man selbst allein schon diesen Vorgang schlicht weg nicht mehr verstehen kann? Das Sprechen schlicht nicht mehr möglich ist, man in eine dauerhafte und ewige Dunkelheit tritt, Wahrnehmung noch nicht mal mehr Illusion, sondern schlicht nicht mehr möglich ist?

So etwas macht nachdenklich. Sehr nachdenklich. Vor allem, weil es einem meiner sehr nahen Verwandten so geschehen ist. Das Verrückte ist, ich muss schlicht weiter funktionieren. Die Welt dreht sich weiter, Projekte müssen nachwievor realisiert werden, Rücksicht gibt es nicht. Privates ist von beruflichen zu trennen, Sorgen und Probleme vor der Eingangstür des Büros zu lassen. Kann es einem nicht selbst so gehen? Innerhalb weniger Sekunden bricht alles, was man bisher erreicht hat zusammen und ist völlig irrelevant. Was habe ich dann? Einen ganzen Haufen von “auf später” verlegter Träume und Wünsche, die sich einfach nicht mehr realisieren lassen…

Nun sitze ich hier, die ganzen Dinge im Sinn, die ich gerne getan hätte bzw. tun würde. Daneben all die Dinge, die der nahe Verwandte gern getan hätte. Dinge, die realistisch und durchaus im Bereich des Möglichen sind. Müsste ich mich rechtfertigen? Aber nein, ich muss funktionieren, es wird erwartet…