Endlich mal eine sinnvolle Kolumne, die mir aus der Seele zu sprechen scheint. Auch hier auf Allmy sind sie hordenweise angesammelt, die ständig politisch Korrekten, die Klugscheisser, Spießer, Verklemmer kurz die ewig Anständigen. Man bekommt es da wirklich manchmal mit der Angst zu tun.

Die Bomben mit den Clownsgesichtern

Deutschland ist voll von rechtschaffenen und selbstgerechten Menschen, nein - die ganze Welt ist es. Und das ist eine Tragödie. Denn wer versucht, immer alles richtig zu machen und das auch von anderen verlangt, der explodiert irgendwann. Bumm!

Sicher gibt es eine klinische Bezeichnung für die Angst vor Selbstgerechtigkeit. Sie wissen schon: Der Selbstgerechte, für den Humor nur das ist, worüber er lachen kann. Der sanft und gerecht sein will und vollkommen ausflippt darüber. Weil er wahnsinnig ist.

Meine Angst vor rechtschaffenen Menschen ist ausufernd. Die Schweiz ist voll von ihnen. Deutschland auch, die ganze Welt, nur fällt es mir bei Leuten, die mir per Geburt vertrauter sind, leichter, Defekte zu lesen. Ich weiß nicht, was bei diesen Leuten schiefgelaufen ist, die auch gerne mal an einen Gott glauben. Aber deren Gutherzigkeit irgendwann einmal in abgrundtiefe Bosheit kippte.
Nichts schlimmer als Clownsgesichter und das verspannte Lächeln eines Rechtschaffenen. Es steht jedem frei, sein Leben Regeln unterzuordnen, doch ist wirklich jeder, der andere Werte hat, ein Feind? Dem Rechtschaffenen ja. Verspannt blickt er auf den, der zu schnell läuft, der zu laut lacht, der seinen Müll nicht trennt und den, der eine Minute nach 22 Uhr noch ein Lebensgeräusch von sich gibt.

Zu behaupten, man würde die Rechtschaffenen nur am ungefärbten Haar und dem Benutzen eines Tretrollers erkennen, wäre oberflächlich. Und nichts reizt die Wut der Rechtschaffenen so sehr wie Oberflächlichkeit, denn sie sind ernsthafte Menschen, immer offen für eine Diskussion, solange sie recht bekommen. Sie fahren auf ihren Rädern und Rollern, verrückt grinsend wippt ein Bärchen an ihrem Rucksack. Entschuldigen Sie, das ist mein Platz, sagen die Rechtschaffenen. Nein, sie brüllen es, sie sind schon wieder auf 180.

Kolossal verspannt

Da hält sich einer nicht an die Regeln! Dabei haben sie doch reserviert, haben sie verdammt noch mal alles richtig gemacht, haben sie doch ihren Müll getrennt und Grün gewählt und demonstriert. Und nun ist immer noch nicht alles gut. Nun tut trotzdem die Hüfte weh, und der Job ist weg.

Da wird mit so einem seltsamen Lächeln die Milchflasche gereinigt und wieder in den Laden getragen, zum Auffüllen. Die Fenster sind geputzt und die Zeitungen in Bündel gepackt, und immer grüßt man den Nachbarn und geht wählen und isst nur Biofleisch. Oder eben gar kein Fleisch, oder nur heimlich im Keller, dann aber ihren Nachbarn.

Wie sie lächelnd auf ihrem Streifen der Straße fahren, mit dem holländischen Rad, und in Sekunden außer sich geraten, falls sich dort ein Fußgänger aufhält. Zu Bomben werden sie, denn das Leben bedeutet Rücksichtnahme und Verzicht und die ständige Abwägung von Recht und Unrecht. Dann kommt die Welt und setzt sich über die Rechtschaffenen hinweg und dann werden die so sauer, dass der Kopf rot anläuft und es aus ihnen herausbrüllt und schubst. Aggressiv wird der Rechtschaffene, weil er will es doch besser machen und immer, immer hindert ihn ein Idiot an der Ausübung des korrekten Lebens.

Er oder sie, die doch so kein Aufhebens um sich machen, höchstens mal einen Lippenstift an hohen Feiertagen, oder ein wildes buntes Hemd. Sonst einfach nur sauber sein, mit Seife gereinigt, mit ökologisch abbaubarer Seife, und ständig, ständig überprüfen sie ihre Gedanken auf politische und sonstige Korrektheit.
Sie versuchen keine, überhaupt keine Vorurteile zu haben, und gerecht zu sein und das verspannt so kolossal. Nicht einfach mal Mist reden zu können, nicht laut sein zu dürfen, nicht mal ein Vorurteil zu haben, immer dieser Kampf gegen das Leben, das wie ein Geweih aus ihren Köpfen wuchern will.

Ja, Sie haben es verstanden, warum ich Angst vor Leuten habe, die von sich denken, als Einzige zu wissen, wie es geht?

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sibylle-berg-ueber-selbstgerechtigkeit-a-926676.html