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Mein erster Sloterdijk, ein Sammelband mit Interviews von 1993 bis 2012. Sehr schräge Lektüre.

Die Interviews, laut Herausgeber, Sloterdijk-Schüler und -Füßeküsser Bernhard Klein allesamt im Nachhinein von Sloterdijk redigiert, sind eine zeitliche Spirale von Selbstlob über Prüfungsgespräche bis wieder zum Selbstlob (am Ende meint Sloterdijk, die Weimarer Klassik mit seinem Opern-Libretto übertroffen worden).

Was meine ich mit Prüfungssituation? Zum Teil sind die Interviews vollgestopft mit Zitaten, als ob Sloterdijk seine Lektürenotizen in täglichen Exerzitien auswendig lernen würde. Die Angst des autodidaktischen Philosophen des zweiten Bildungswegs (wie sich Sloterdijk selber sieht)?

Sowas bringt einen Leser schon mehr als einmal zum Durchschnaufen und dem Wunsch, dass er aufhören soll.

Und wenn er aufhört, dann ist die Gesellschaft kein Netzwerk, sondern ein Gebilde aus Blasen und Schäumen (so heißt auch sein Hauptwerk ... ich las ab einem gewissen Zeitpunkt "Schaumschlägerei" ... das Hirn ist ein Hund :D ).

Und wenn er sich als neuen Hegel der Nation sieht, was kommt dann?

Europa braucht eine neue Kultur der Unternehmer, die im Gegensatz zu den Börsenkapitalisten ja produzieren und Arbeitsplätze schaffen, außerdem den Gutteil der Abgaben tragen. Europa brauche einen Slogan: "Unternehmer aller Länder vereinigt euch!" ... "Raffendes" vs. "schaffendes" Kapital anyone?

In den islamischen Staaten werden so viele Kinder geboren, dass eine Armee an überschüssigen Söhnen existiere, was einen "Clash" der Kulturen vorprogrammiert, da der stinknormale europäische Arbeiter und Bauer den Islam nicht als Zornsammlungsinstitution annehmen könne, aber wegen des Generationenvertrags Sozialversicherungen Migranten benötigt werden. Also werde es knallen.

Eine Lösung sieht Sloterdijk darin, dass man aus dem derzeitigen "sozialdemokratischen" Modell aussteigt (für ihn sind alle Parteien Europas bis auf ein paar sozialdemokratisch) und die Unternehmer und Reichen überzeugt werden müssen, das Sozialsystem wie die Staatseinnahmen über altruistische freiwillige Gaben zu finanzieren.

Auch wettert er über die Jugend, die unbefristete Arbeitsverträge einfordert (wie in den französischen Demos vor ein paar Jahren), denn er selbst sei als junger Mensch ja auch nach Indien abgedüst und hätte nicht an einen unbefristeten Arbeitsvertrag gedacht.

Zum Glück verschweigt er nicht, dass er vor dem indischen Autosammler Baghwan zu Kreuze gekrochen ist.

Meine Abschlussfrage ist: warum bezeichnet sich Sloterdijk als Linker? Seine Ideen haben mit "links" ja überhaupt nichts zu tun und als seine Referenzautoren bezeichnet er Nietzsche, Heidegger, Jünger, Benn (nicht ein einziger, der landläufig dem linken Spektrum zugeordnet wird).

Ich finde nur eine Antwort: die Käuferzielgruppe seiner Bücher. Sloterdijk war vor seinem Autosammler-Anbetwahn der Frankfurter Schule zugerechnet. Und viele aus der Wirr-Linken der 70er-Jahre sind nun wie Sloterdijk selbst der Rotwein trinkenden Bobo-Szene zuzurechnen: kaufkräftig und immer noch auf der Suche nach dem intellektuellen Kick - diesen liefert Sloterdijk.

Denn die eigentliche Zielgruppe, die er ansprechen würde, versteht vermutlich kein Wort von dem, was er schreibt: Pegidasen und andere Besorgtbürger. Sloterdijks Bücher würden in den Buchhandlungen verstauben und er selbst könnte sich nicht mal mehr australische und italienische Rotweine leisten (in einem Interview jammert er, dass die Übersee-Ausländer den Bordeaux-Wein für ihn unleistbar teuer machen und er deswegen auf andere Weinregionen ausweichen muss).

Völlig durchgeknallt auch sein Schul- und Lehrerbashing: erfolgreiche Menschen sollten an Schulen geschickt werden, damit die Kinder sie imitieren können. Ah ja. Wenn ich also Peter Prevz zuschaue, wenn er eine Flugschanze ausfliegt, kann ich das auch ;) Seine Tochter hat er immerhin überzeugungsgemäß an eine private Internatschule abgeschoben und diese lernt dort "Telefonierübungen mit den Eltern" (das schreibt er wirklich).

Aus. Ende. Dieser Auswendiglernstreber ist völlig überschätzt. Nervig das ganze.