Prof. Manfred Wekwerth
Politische Nachtwache mit Brecht

(Berlin)
Frage:... nun zu einem ernsten Thema: der 17. Juni 1953. Über diesen Tag sagte Brecht, das Volk habe der Partei eine Ohrfeige gegeben. Aber immerhin, eine Ohrfeige sei wenigstens eine Berührung. Ich stelle mir vor, er, der berühmte deutsche Dichter, wurde das heute noch einmal sagen.

M. W.: Als die Lebensmittelkarten für die Kleinhändler und die Arbeiterrückfahrkarten gestrichen wurden, kurz vor dem 17. Juni 1953, herrschte große Betroffenheit am Theater. ... Verharmlost wurde Politik am Berliner Ensemble nie, es wurde freilich mit ihr anders umgegangen als draußen. Das war das Entscheidende.

Frage: Käthe Rülicke-Weiler erzahlte, am Abend des 16. Juni hatte sich Brecht mit dem Gedanken getragen, in die Partei einzutreten.

M. W.: Aber nicht etwa, weil er deren Politik guthieß, sondern weil er es als dringend nötig erachtete, die Partei zur großen Volksaussprache zu zwingen. Ihn machte dann sehr zornig, daß aus diesem Tag der Tag X gemacht und damit das Ereignis gänzlich zu einer westlichen, also fremdbestimmten Aktion gemacht wurde. Daß später Leute verurteilt wurden, die beim 17. Juni auf die Straße gegangen waren, machte ihn im doppelten Sinne traurig - einmal wegen des faschistischen, gewalttätigen Potentials, das noch immer in der Masse vorhanden war, denn man brannte Menschen an und warf sie aus den Fenstern. Zum anderen machte ihn traurig, daß die Arbeiterklasse ihresgleichen in die Gefängnisse warf, ohne auch nur einmal über die Ursachen nachzudenken und die wirklich richtigen Lehren zu ziehen.

Frage: Wie erlebten Sie die Vorgänge damals unmittelbar?
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