Tempest-BricksOriginal anzeigen (0,2 MB)

Der Erstlings-Roman der Londoner Poetin und Rapperin Kate Tempest beginnt doppelt.

Im Prolog wird gegen ein "they" geschrieben, also gegen ein "sie", das anders als ein "wir" lebt, und das "sie" sind die Leute, die in einem Alltagstrott von Arbeit, Einkauf und Familie leben. Ein Klischee-Klassiker des Pseudoprotests: Arbeitssklaven und Konsumtrotteln.

Der zweite Einstieg besteht aus zwei Frauen und einem Mann in einem Fluchtauto nach einem Raub. Aufgeklärt wird diese Szene nie. Denn der Rest des Romans ist ein Rückblick und gelangt nie wieder zu dieser Szene zurück, es bleibt also Raum, um sich auszumalen, was da gerade abläuft.

Die drei im Auto sind Becky (Rebecca), Harry (Harriet) und Leon.

Becky ist eine 26-jährige Tänzerin, die sich mit kleinen Aufträgen rumschlägt, die weniger einbringen als einen Minimallohn. Für ihren Onkel arbeitet sie mehr oder weniger gratis in seinem Café, weil er sie angenommen hat, als ihre Familie auseinandergebrochen ist. Um überleben zu können, arbeitet sie als erotische Masseuse. Ihr Traum ist, in einem Ensemble zu tanzen, aber dafür ist sie zu alt. Ihr eifersüchtiger und als Absolvent eines Politikwissenschaftsstudiums arbeitsloser Freund Pete, der Bruder von Harry, der sie abgöttisch liebt, setzt seinen Stiefbruder an, um herauszufinden, ob Becky bei ihren Massagen "Extras" anbietet. Dieser etwas dümmliche Mensch genießt es bei einer Feier, bei der er Becky wieder sieht, deren Job rauszuposaunen.

Harry ist 30, hat einen Traum: ein eigenes Restaurant mit Kulturzentrum. Dafür will sie eine Million ansparen und dealt gemeinsam mit dem gleichaltrigen Kindheitsfreund Leon (einem intellektuellen, kampfsporttrainierten indigenen Venezolaner) in der gehobenen Mittelschicht mit Kokain. Als ihre Quelle (Pico) ins Gefängnis muss, wird sie bei einer Übergabe bedroht, mit Leon als Beschützer kann sie jedoch fliehen und stiehlt noch jede Menge Geld und Stoff. Obwohl der Vertreter ihres Lieferanten selbst betrogen wurde, will Pico das Geld zurück oder Harry für sich arbeiten lassen, was sie ablehnt. Damit endet der Harry-Teil, wie es dann zu der Autoflucht gekommen ist, muss man sich selbst ausmalen.

Becky und Harry? Die beiden treffen sich und verlieben sich ineinander. Becky, die schöne Tänzerin, und Harry, die bubenhafte Frau in Männerkleidung. Nach der Feier, bei der Beckys Nebenjob rausposaunt wird, touren die zwei mit einem Teil des gestohlenen Kokaingelds etwa ein Jahr lang durch Holland, Belgien, Frankreich und Deutschland, den Großteil legt Leon an. Kein Wunder, dass nach der Rückkehr nach London nichts mehr vorhanden ist, um das Geld vielleicht an Pico zurückzahlen zu können.

Ok. Ja. Verwirrend. Ist die Lektüre auch. Dazu kommen noch die Lebensgeschichten verschiedenster Familienmitglieder. So wird der Vater Beckys wegen Verführung Minderjähriger verurteilt. Dies wird als Framing dargestellt, da er als schwarzer Intellektueller und Politikwissenschafter die Meinung vertritt, dass sämtliches Privateigentum verstaatlicht gehört und die Masse die Macht übernehmen soll. Genauer wird es nie, aber sein Name ist ein Hammer: John Darke. Das klingt wie Jeanne D'Arc. Da hat Tempest zu tief in die sprachliche Klischeekiste gegriffen.

Der Roman erinnert streckenweise an Trainspotting, nur wollen diese Figuren eine Generation danach nicht mehr ausbrechen, ganz im Gegenteil, sie leben so, weil sie nicht in ein Erwachsenenleben mit ihren Kleinbürgerträumen reinkommen. Es gibt kein Ensemble, es gibt kein Restaurant, es gibt keine Politikwissenschaftskarriere. Daher die Projektionen des Scheiterns in einen nicht fassbaren Umbruch der Gesellschaft (in London) durch nie genannte, im Hintergrund arbeitende Mächte mit Kapital. Die Träume, die in diesem Roman scheitern, sind sehr wertkonservative Träume.