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Die Schlüssel zu einem verpfuschten Leben

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Doors Diskussionsleiter
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Die Schlüssel zu einem verpfuschten Leben

11.05.2021 um 19:45
Vorab:

In einer Debatte um Waldorf-Pädagogik hier auf Allmy berichtete ein Schreiber davon, dass sein Lehrer früher die Kinder mit Schlüsselbunden beworfen hätte. Als ich das las, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die noch in einer meiner Schubladen auf der alten treuen Stenorette schlummerte. Mein künftiger Nachlass, wie es meine Frau gern nennt. Ich schreibe sie hier erstmals nieder.



Manchmal holt einen die Vergangenheit ein. Am Telefon. Es ist im Dezember 2018. Mein Telefon klingelt. Ich melde mich mit meinem Nachnamen, unfreundlich wie immer, wenn mich das Klingeln stört. Am anderen Ende eine mir unbekannte Frauenstimme mit starkem Hamburger Tonfall:

"Anders, bist Du das? Hier ist Susi, kennst mich noch?"

"Susi wer?" Ich durchkrame mein Hirn nach Susis, Suses, Susans, Susannes, die ich kennen könnte.

"Susi. Susanne. Susanne P. Wir ham ma nebeneinander gewohnt. Talstrasse. St. Pauli. Old Chinatown." Am anderen Ende der Leitung wird gelacht.

"Ach ja, Susanne P. Komm, hilf mir auf die Sprünge."

"Dein blöder Bruder hat mich immer Hackfresse genannt. Na, weisst Du nu wieder."

"Ich erinnere mich... Die Lütten haben immer Narbenmaske zu Dir gesagt, oder?"

"Narbenfratze ham sie gesagt."

Vor meinem geistigen Auge steigen Erinnerungen auf an ein Mädchen, etwas älter als ich, dunkle Haare - und das Gesicht entstellt von einer grässlichen Narbe, die rot zu leuchten schien, wenn Susi wütend war. Das war sie oft, weil alle anderen sie entweder mieden oder verspotteten, was noch harmlos formuliert ist. Kinder und Jugendliche können unglaublich grausam sein.

"Ich hab Deine Nummer von Deiner lütten Schwester. Stell Dir vor, ich hab die inner U-Bahn getroffen. Die hat mich glatt wieder erkannt. Nach all den Jahrzehnten. Die hat mir bei Aussteigen geholfen, Jungfernstieg und die ganzen Treppen da. Denn haben wir uns zum Kaffee getroffen und sie hat mir erzählt, was Ihr so gemacht habt. Ich hab nach Dir gefragt. Du warst denn ja bei Deinen Alten raus und keiner wusste, wo Du abgeblieben bist. Später hab ich gehört, die hätten Dich in Israel oder so da unten totgeschossen. Mann, war ich froh, als Sonni mir sagte, dass Du noch lebst."

Ich fange an, mich mit der verdrängten Vergangenheit zu beschäftigen.

"Du, Susi, wollen wir uns nicht mal auf Kaffee und Kuchen treffen, hier bei mir. Ich wohn' hier ganz oben an der Küste."

"Nee, kannst Du nich zu mir komm? Ich hab schon lange kein Auto mehr. Bahn is auch schlecht. Ich kann nich mehr Laufen. Rollator. Knie kaputt, Füsse kaputt. Alles ein Schrott."

Ich verabrede mit ihr, dass ich sie im Frühjahr in Hamburg besuchen werde, weil mein Terminplan doch ziemlich dicht ist. Sie gibt mir ihre Adresse und Telefonnummer und sagt zum Schluss:

"Du, ich freu mich so, wenn wir uns wieder sehn. Ich back auch n Kuchen, ja. Denn schnacken wir uns mal so ordentlich aus."

Im Frühjahr 2019 fahre ich zu der angegebenen Adresse in einem Hochhaus-Viertel aus den Siebzigern. Keine vornehme Wohnanschrift. Soziologen bezeichnen das gern als "Problemviertel". Ich betrete eine Wohnung, die so ganz anders ist als meine Vorstellungen von Inneneinrichtung. Pseudo-Eiche auf rustikal getrimmt, plüschige Polstergarnituren, bestickte Kissen, kitschige Bilder auf gemusterter, vergilbter Tapete. Wohnen so Menschen, die gerade mal zwei Jahre älter sind als ich? Susanne bewegt sich am Rollator, tatsächlich. Alt ist sie geworden. Graue Haare, Falten im Gesicht und immer noch diese furchtbare Narbe unter dem linken Auge.

Ich frage sie, ob ich unser Gespräch aufzeichnen darf. Sie fragt mich, ob ich denn immer noch "für die Zeitung" arbeite. Ich verneine: "Vielleicht mach' ich noch mal ein Buch über unsere Kinder- und Jugendzeit. Die ist den heutigen Kids doch so weit entfernt wie die Steinzeit." Das findet sie toll und stimmt zu. Ich verspreche, ihr den Text vorher noch zum Autorisieren zu schicken. "Auto... was?" "Na, dass Du das okay findest, wenn ich das so schreiben darf." "Jo, mach man."

Anmerkung: Aus Gründen der Authentizität habe ich Susannes Aussagen wörtlich abgeschrieben. Dabei habe ich Ausdrücke aus dem Hamburger Missingsch, dieser Mischung aus Platt- und Hochdeutsch, wie sie von ihr gesprochen wird, nur da erklärt, wo es mir nötig erschien. Abgekürzt habe ich Personen- und Firmennamen, auch wenn es darüber Unstimmigkeiten mit meiner Interviewpartnerin gab. Vieles von dem, was ich in dem Gespräch über mich berichtete, habe ich weggelassen, da es hier um Susanne geht, nicht um mich. Nur da, wo es mir im Zusammenhang wichtig erschien, habe ich es belassen. Eher belanglosen Smalltalk habe ich nicht wiedergegeben.
Aus den genannten Gründen der Authentizität habe ich so manchen Ausdruck, ungeachtet eventuell diskriminierender Auslegung, so belassen. Üblicherweise würde ich dieses Bezeichnungen nicht verwenden.

A = Anders, S = Susanne

A: Was ich mich früher nie getraut habe, frage ich Dich jetzt mal. Wie ist es eigentlich zu Deiner Verletzung gekommen? Da gab es früher ja die wildesten Geschichten.

S: Die Narbe hab ich meinem Klassenlehrer, wie soll ich sagen - zu verdanken. Nee, klingt blöd. Ich bin doch nich dankbar dafür. Das war in der Vierten (Klasse). Da hab ich wohl mit meiner Freundin neben mir gesabbelt. Zack! Schmeisst mir der M. (Klassenlehrer) sein Schlüsselbund ins Gesicht. Ich hab geblutet wie Sau, das hat richtig gespritzt hattas. Boah, direkt unterm Auge. Stück höher und ich hätt kein Auge mehr gehabt, nich.

A: Der hat Dir Schlüssel ins Gesicht geworfen, der M.? Und dann?

S: Denn hatter mich ann Arm so hochgerissen, mich nach vorn gezogen ans Pult und mir den Tafellappen ins Gesicht gedrückt. Hat denn noch was zu den anderen Kindern gesacht und hat mich raus gezogen, zu seim Auto. Ich gebrüllt wie am Spiess und im Auto hatter zu mir gesacht, er fährt mich jetzt zunn Arzt und ich soll mich man nich so anstelln und wehe, ich nehm den Lappen wech. "Du blöde Kuh versaust mir die ganzen Polster!" hatter gemeckert. Von wegen Arzt. Der ist nich mit mir ins Krankenhaus oder so. Nee, zu unserm Schularzt. Kennst den noch? Der uns immer untersucht hat, jedes Jahr.

A: Ich erinnere mich. Wie hiess er noch? Wir Jungs haben ihn immer den Glockenspieler genannt. Der hat uns an den Klöten rumgefummelt und dann kam immer sein Spruch: "Ding Dong. Alles klar, alles dran, zieh Dich wieder an!" Oder so ähnlich jedenfalls.

S: Dr. G. So eine fiese Sau. Der war doch krank, war der doch. Wir Mädchen haben ihn Doktor Stinkefinger genannt. Weissu warum? Wir immer einzeln rein zu ihm, in Unnerbüx. Denn hatter gesacht: Runter mit der Hose und denn hatter, also uns Mädchen... da unten, so zwischen den Beinen... ja, so seinen Finger reingepiekst. Denn hatter sich den unter die Nase gehalten, die Nase hochgezogen und denn uns den Finger unter die Nase gehalten und gesacht: "Du stinkst, Du Sau. Wasch Dich mal!"

A: Dr. G. hiess der? Gab es da nicht so Geschichten über den, aus der Nazizeit? Irgendwas war doch da.

S: Ja, die Leute haben erzählt, der hätte da so die Bekloppten und Krüppel umgebracht oder sowas. Weiss ich aba nix genaues. Nix genaues weiss man nich. Die Ollen hatten doch alle Dreck am Stecken. Soll ich weita erzähln?

A: Ja, was ist dann beim Arzt passiert?

S: Na, der Stinkefinger hat sich das angekuckt. Denn hatter da so Zeuch draufgemacht. Das brannte wie Hölle, sach ich dir. Denn n Pflaster oder Verband, weiss ich nich mehr. Denn hatt er mit dem M. geredet und mich rausgeschickt. Da sass ich denn im Flur in blutigen Plünn (Kleidung) und hab geheult. Ham sie mich wieda reingeholt und mir n Zettel vorgelesen. Ham sie mir denn mitgegeben, für meine Ollen. Weisst Du, was da drin stand?

A: Nee, erzähl. (S. steht auf, kramt in der Schrankwand und hält mir ein vergilbtes Blatt unter die Nase)

S: Hier. Kuck ma. Unfallmeldung. Les ich dir vor: "Susanne P., geboren, wohnhaft und der ganze Kram" - und nu kommt "ist infolge wilden Spiels auf dem Schulhof gefallen und hat sich eine leichte Gesichtverletzung zugezogen." Peng! Stempel, Unterschrift "Amtsarzt".
Kuck dir den Scheiss an. Voll gelogen. Leichte Gesichtsverletzung! Denn sacht der M. noch zu mir, dassas so stimmt und ich soll ja nix anderes sagn. Sonst gibtas Ärger mittn Jugendamt. Das was da steht ist die Wahrheit und wenn ich lüg denn lande ich im Heim und sowas. Mann, da hatte ich echt Angst. Ich mein, ich war inne Vierten (Klasse). Und denn der Schock und nix als Angst. Ich hab denn wohl genickt und dass denn auch so meine Eltern gesagt. Scheiss Angst, ne.

A: Was haben die gemacht?

S: Nix. Kennst noch meine Ollen? Mutta sacht "Selbst schuld" und auch wennas nich stimmt und der M. mir wirklich den Schlüssel ins Gesicht und so, denn ja wohl zu recht, weil ich so frech war. Meine Mutta konnt mich doch nich ausstehen.

A: Und Dein Vater?

S: Na, der doch sowieso nich. Bloss kein Ärga, bloss nich mit die da oben anlegn. War doch diese Generatschon. Die ham sich doch immer und vor allem wechgeduckt. Und denn war er ja sowieso immer duhn (betrunken).

A: Dein Vater hatte doch nur noch ein Bein, oder? Haben die Kinder nicht immer "Piraten-Paule" gesagt?

S: Ja, hatter Lügengeschichten erzählt, den Lütten. Von wegen war früha Pirat und n Haifisch hat ihm das Bein abgebissen inner Südsee. Allens Tühnkram (Spinnerei). Dem ham die Russen das Bein abgeschossen. Dann hatter ne Prothese gehabt. Sonne Art Holzbein. Pirat. Nachtwächter war der. Denn ging das mit sein Bein nich mehr, mitte Prothese. Denn war er Pförtner bei (Name des Unternehmens von mir entfernt) Und gesoffen hatter, wien Loch, und denn gabs Haue für meine Schwester und mich.

A: An Deinen Vater erinnere ich mich noch. Der sass dann abends immer vor Eurem Haus auf so einem Gartenstuhl. Zigarre im Mund und Bierbuddel in der Hand. Hat er nicht manchmal seine Prothese abgeschnallt und neben sich gestellt? Da hab ich noch so ein Bild von im Kopf. Aber an Deine Schwester erinnere ich mich nicht.

S: Brigitte war auch kaum draussen. Das war immer die Brave, die Mutta geholfen hat. Die war immer drinne. Wenn Vatta zu besoffen war, denn is die runter und hat im das Bein wieder an... na, irgendwie angemacht. Konnta ja nich mehr. Zu duhn, der Olle.

A: Was ist dann passiert? Wieso ist das so schlimm geworden mit Deinem Gesicht?

S: Das wurd immer schlimma. Hab ich Fieber gekricht. Ganz doll. Und der Kopf war ganz heiß und is angeschwollen. Mann, ich sah aus wie son Luftballon vom Dom. Ganz rot und dick. Da kann ich mich noch an erinnern.

A: Und dann? Haben Deine Eltern dann endlich was unternommen?

S: Die? Die sind denn mit mir zun Arzt – oder der is zu uns gekommen. Weiss ich nich mehr so genau. Denn hab ich Spritzen gekricht und Tabletten und so Stinkesalbe. Später hat er denn noch mal da was weggeschnitten. Wildes Fleisch oder so. Warn Pfuscher. Hatten aber kein annern, meine Eltern.

A: Sie hätten Dich ins Krankenhaus bringen können!

S: Die? Die ham nur gesacht, sei froh, dasser Kopp noch an is. Der Arzt weiss schon, wasser tut. Und denn hat der auch noch gesacht, Kinder ham ne gute Heilhaut, und bis ich heirate issas alles wieder wech. Der blöde Spinner.

A: Und in der Schule? Wie hat sich der M. dann Dir gegenüber verhalten?

S: Wie? Verhalten? Nix! Als wär nix passiert. Ein, zwei Mal hatter mich noch nache Stunde beiseite genomm und gesacht, wenn ich was sach, denn ab ins Heim. Den hattas alles nich berührt. Der war knallhart. Kennst ihn doch. Hattest ihn doch auch, oder?

A: Ja, in Mathe und in Sport. Im Sportunterricht hat er uns immer im Entengang um die Turnhalle watscheln lassen. So mit ausgestreckten Armen. (A macht ein, zwei Schritte: AUA!). So, und dann hat er gesagt, müssen wir uns vorstellen, dass wir dabei noch einen 98k halten sollten. Wenn einer schlapp machte, dann hat der den zusammengeschissen wie auf dem Kasrnenhof.

S: 98k?

A: Das war ein Karabiner. Ein Gewehr. Bei der Wehrmacht im Krieg.

S: Ich hab gehört, der soll beie SS gewesen sein? Weissu da was?

A: Nichts genaues. Es gab da nur so Gerüchte. Der hätte glatt im KZ gewesen sein können. Aber der war wohl bei der Waffen-SS, irgendein mittlerer Dienstgrad. Waren ja damals viele unserer Lehrer. Ehemalige Offiziere bei Wehrmacht oder SS. Da war nichts mit Entnazifizierung. Was aus dem wohl geworden ist?

S: Sach ich dir. Da war ich ja schon weg. Du auch. Aber der soll mit ner Pistole inne Schule gewesen sein. Wegen Baader-Meinhof (Rote Armee-Fraktion) und so. Hatter wohl Angst gehabt. Na, und denn is ihm das Ding wohl im Lehrerzimmer ausse Büx (Hose) gerutscht. Kannst dir vorstellen, was das für'n Krawall gab. Knarre inne Schule. Geht ja mal gar nich. Hatter denn wohl was von Selbstschutz erzählt und so. Jedenfalls isser denn wech. Nee, nich rausgeflogen. War ja Beamter. Treppe raufgefallen. Inne Behörde. Die lassen kein verkomm.

A: Und der Arzt, der Schularzt, dieser Dr. G, der Glockenspieler und Stinkefinger?

S: Den ham sie bestimmt ganz normal pensioniert. Das gab da immer sonne Geschichten über den. War ne alte Sau, hab ich ja schon erzählt. Gab aber wohl noch mehr. Is mir nich passiert, aber annere Mädchen ham das erzählt. Die schon älter waren. Mit denen hat er so Sachen gemacht. Mach ich gar nich erzählen. So Swienkrom (Schweinkram).

A: Erzähl.

S: Also, ich weissas nur von annere, ältere. Wo schon was dran war, weissu. Wenn die denn so nackich vor ihm standen, denn hatter die Schwester rausgeschickt. Weissu, die da so sass und alles aufgeschrieben hat. Hatter wohl gesacht, die soll ma Pause machen und inner Viertelstunde oder so wiederkomm und denn anklopfen. Denn is die wech. Ja, und wenn er denn mit dem Mädchen allein war, dann hatter ihr gesacht, dass sie so verspannt sei, und dassas in dem Alter öfter is. Und denn... Nee, ich weiss nich, ob ich dir das jetz so...

A: Na komm, trau Dich!

S: Also, denn hatter denen gesacht... also ich hab das ja nur gehört. Hat er denen gesacht, dass die sich so anfassen sollen... so da unten, weissu. Und denn, denn hatter die da befummelt und ihnen gezeicht, wie sie das machen sollen. Und... und denn hatter gesacht, die sollen ihm das jetzt mal schön vormachen. Hatter ihnen bei zugekuckt, wie die sich da... Ja, und eine hat gesacht, dann hat er... hat er seine Hose auf und sein Ding rausgeholt und sich dann selbst... ekelhaft. So eine Sau... aber wie ich sach, ich hab das nur gehört von annere.

A: Hast Du nie daran gedacht, was gegen diese Typen zu unternehmen?

S: Was denn? Ich war doch noch minderjährig. Hätt ich denn tun solln? Weissu doch, wie das da so war, so früher. Kennst doch die ganzen Geschichtn aussn Fernsehn. Mitte Pasters (Pastoren/Pfarrer) und den lütten Kinnern. Mittn Sex und so. Oder inne Heime. Da ham die da Versuche gamcht, so Versuche mit Medikamente und so. Anne Kinners. Konntn sich ja nich wehrn. Hat den ja kein ein zugehört und nix geglaubt. Als Kind wars ja nix wert. Bloss n dummes Gör. Nee, ich war froh, als ich mitte Schule durch war nache Neunte (Klasse). Volksschulabschluss – oder hiess das schon Hauptschule? Weiss ich nich mehr. Ich war froh, dass ich den M. Nicht mehr sehn brauchte.

A: Und was hast Du dann gemacht?

S: Ich wollte ja Verkäuferin werden. In sonnem grossen schicken Kaufhaus. Kennst die noch, inner Mönckebergstrasse? Horten, Kaufhof, Kepa, Karstadt und was es da alles gab. Is ja heute alles wech, bis auf Karstadt. Boah, oder Alsterhaus. Piekfein. Das wär was gewesen. Oder Spielzeug-Rasch. Kennst den noch? Am Gerhard-Hauptmann-Platz. Das Riesending. Und zu Weihnachten hatten die immer so eine grosse Modelleisenbahn im Schaufenster. Da haben sich die Jungs die Nasen platt gedrückt.

A: Ich weiss, ich war einer von diesen Jungs. Angucken kostet nix. Geld dafür hatten wir nicht. Uns armen Schweinen blieb nur das Angucken.

S: Wem sachst du das. Ich hab mich da überall beworben. Schriftlich kein Problem. Aber dann... die Vorstellungsgespräche. Ham die mich angekuckt und denn, voll die Härte, bei Rasch. Sacht der Personaltyp zu mir: Nee, Fräulein P., leider können wir sie nicht einstellen. Sie hätten da ja Kundenkontakt und mit dem Gesicht erschrecken sie alle Kinder. Zack. Das sass. Da bin ich heulend raus. Und die andern? Die ham nix mehr von sich hören lassen, nachdem ich da wa. Kein Pieps. Nix. Wollten wohl alle nich sonne Visage achter de Tonbank (hinter dem Verkaufstresen).

A: Aber Du hast dann doch eine Ausbildung gemacht, oder?

S: Na ja, erster Anlauf war Scheisse. War ich im (Name eines bekannten Nobelhotels) inner Küche. Inner Probezeit. War ja damals immer inne Lehrverträgen. Is da heute noch so? Glaub ja, oder? Na, jedenfalls der Küchenchef... das war echt n Schwein, der hat jede angetatscht. Und denn, kurz bevor meine Probezeit zu Ende war, hatter mich beiseite genommen und denn so (säuselt) Fräulein P., sie wissen ja, ihre Probezeit endet bald. Ob wir sie danach weiter beschäftigen hängt ganz von ihrem Verhalten ab. Seien sie doch mal ein bisschen nett zu mir, dann lege ich auch ein gutes Wort für sie ein. So redet der. Und denn zieht er mich in sonne kleine Kammer, macht die Tür dicht und denn drückt er mitte Hand auf mein Kopf. Runter auf die Knie und denn... (S stockt) und denn macht er seine Hose auf und drückt mir seinen... sein Pimmel ins Gesicht. Mann, ich war sechzehn und hatte noch nie son Ding... Ich war fast noch n Kind. Und denn das. Denn wollt er, dass ich den in Mund nehm und... Nee. Und denn sacht er... denn nimmt er n Handtuch und deckt mir das übern Kopp und sacht, bei mein Anblick kricht er sonst kein hoch. So eine Sau!

A: Was hast Du dann gemacht? Wie hast Du reagiert?

S: Ich hab mich losgerissen, die Tür auf, geheult und geschrien und bin nur noch wech. Nix wie wech. Na ja. Nie wieder hin. Ende war klar: Kündigung wegen grober Pflichtverletzung, Arbeitsverweigerung und unerlaubten Fernbleibens von der Arbeit.

A: Aber Du hast dann doch noch wo anders eine Ausbildung gemacht?

S: Ja, als Köksch (Köchin) inner Krankenhausküche, im AK (Nennung eines Hamburger Stadtteils). Die warn da ja Kummer gewohnt. (lacht). Denn war ich nachher in verschiedene Krankenhäuser (sie zählt einige auf) und in Kantinen von grosse Firmen (sie zählt einige auf) aber immer nur hinten, nich da, wo mich wer sehn kann. Denn war ich ne Zeit lang bei sonne Grossküche für Fernverpflegung. Weissu, das Zeuchs inne Alupötte. Das war n Laden. Wir warn da echt die Horrortruppe. Einer mitm Glasauge, einer mitn paar abbe Fingers, son Schwatter mit so Narben im Gesicht, vonne Pocken oder so Stammeszeichen oder wat, na, und denn ich. Wenn die in den Firmen gesehen hättn, wer ihnen da den Pamps zusammen rührt. Die hätten das Kotzen gekricht (lacht).

A: Aber dann warst Du doch irgendwann volljährig. Hättest Du da nicht rechtliche Schritte gegen den M. und den G. einleiten können?

S: (ahmt A nach) Rechtliche Schritte einleiten. Wie sich das anhört. Hätt ich denn tun solln? Anwalt? Woher nehm? Und von was bezahln? Kost doch allns Geld. Und denn? Vor Gericht? Vor de Richters? Zwei Studierte auffe eine Seite und ne lütte Köksch (kleine Köchin) op de anner Siet (auf der anderen Seite). Wem hätten die wohl geglaubt, die Richters. Und denn wa da ja auch noch die Unfallmeldung. Hassu ja gesehn, watt da binn steiht (was da drin steht). Nee, mien Leeven (nein, mein Lieber. Da wär nix von geworden. Nee!

A: Hast Du nie daran gedacht, es denen heimzuzahlen, was sie Dir angetan haben?

S: Oh ja, oft. Ich hatte da so... so Träume, oder, wie sacht man... Phantasien. Das ich denen was antu und so. Auffe Strasse abpassen und denn zack, zack (fuchtelt mit den Armen) das Gesicht zerschneiden, mit son Teppichmesser. Hatte ich sogar. Oder Säure. Wenn ich die gekricht hätte. Die hätten so aussehen sollen wie ich. Aber echt, du. Aber denn..., denn bin ich doch ne feige Maus. Hab ich mich nich getraut. Schisshase eben, ne.

A: Und über eine kosmetische Operation? Hast Du da mal nachgedacht? Gibt es ja für Unfallopfer oder Opfer von Verbrechen. Zahlt die Krankenkasse.

S: Pfffft. Na, die zeich mir ma, die Kasse. Die wolln doch nur deine Kohle. Die wolln nix raustun. Damals jedenfalls nich. Ich war bei der (Name einer bekannten Krankenkasse). Die hab ich denn ma gefracht. Weissu, was die mir geschrieben haben? Weiss ich ausm Kopp, so ungefähr: Da der Schaden vor Beginn des Versicherungsschutzes in unserem Unternehmen eingetreten ist, sehen wir uns leider nicht zu einer Kostenübernahme in der Lage und denn noch ne Menge mehr und so Paragrafen, son Amtschinesisch eben. Nee, Schuss inn Ofen, mein Lieber. Und selber zahln? Von mein Lehrlingsgehalt oder dem Hungerlohn inne Küche? Das kost doch tausende von Mark. Nee, kanns nix an tun. Bleibt so. Mussu durch. Mussu mit leben, dass dich kein ankieken kann. Isso.

A: Apropos keiner angucken... Wie war das so für Dich als junges Mädchen. Du hattest mir vorhin ein paar Fotos gezeigt. Du warst doch, hmmm..., sonst ganz hübsch. Männer?

S: Nu hör aber auf. Na klar hatte ich ne gute Figur. Mit alln Drum und Dran. Aber wenn mich n Kerl von vorne sah. Finito! Ich war mal in Italjen. War ich mutig. In so einem berühmten Badeort, weiss aber nich mehr genau, wie der hiess. Na, so was wie Sylt eben. So für Schickimickis. Wollt ich mir einma im Leben gönn. Na, ich denn so in knappen Bikini am Strand... Hör ich hinter mir ein pfeifen. Machen die da ja, die Kerle, diese... wie heissen die noch?

A: Papagalli?

S: Na, son Papagei denn eben. Auf ein Mal klatscht mir der von hinten auf den Po. Ich dreh mich um. Und denn hättste ma sehn solln. Der Itaker schreit auf, macht diesen hier (sie bekreuzigt sich) und rennt wech. Echt. Männer! Wer sollte denn wohl mit mir losziehen.

A: Also keine Männer in Deinem Leben? Frauen?

S: Na ja, einma. Die hiess Renate. Die war beier Hochbahn. Hat U-Bahn gefahren (In Hamburg werden die U-Bahnen irritierenderweise von der Hamburger Hochbahn AG betrieben). Das war auch sonne arme Socke wie ich. Die hatte da son Ding im Gesicht. Weiss nich, wie das heisst. Hassu aber bestimmt schon mal gesehen. Der Typ da aus Russland, der Kanzler oder Präsident oder was, der hatte son Fleck auffe Birne. Weiss nich mehr, wie der heisst.

A: Du meinst so ein Feuermal wie der Gorbatschow, der ehemalige russische Präsident.

S: Feuermal? Heissas so? Ja, denn der. War der wohl. Na, die Renate hatte auch son Ding im Gesicht. Aber viel grösser als der. Und leuchtete richtig. So lila und rot. Und aufm Bauch unten hatte sie auch noch eins. Aber kleiner. Na, die war jedenfalls genau sonne hässliche Kruke wie ich. Wie Arsch auf Eimer. Echt, wir passten zusammen wie Arsch auf Eimer. Zog sie zu mir. Ging auch die ersten Jahre noch ganz gut. Aber denn hat sie gesoffen. Besoffen U-Bahn fahren geht ja nu ma gar nich. Isse denn auch rausgeflogen. Wurd denn aba immer schlimmer. Hat mit Drogen angefangen. So richtich hartes Zeug, so mit Spritzen und so. War scheisse. Nachts war sie denn jümmers (immer) wech, Kohle machen und Stoff besorgen. Den Tach über lag sie denn hackedicht im Bett. Konnste nix mehr mit anfangn. Denn hat sie fix gelogen und mich beklaut. Wie n Rabe. Musste mein Geld immer um Hals tragen. Und denn, echt, kommt die ein Tach an mit sonnem jungen Ding. Die war höchstens sechzehn. Die war aber auch schon fix und alle. Die war auch anne Nadel. Sacht sie: Das ist die Melanie und die is nu ihre neue Freundin die wohnt jetzt bei uns. Da war aber Ende. Ich war stinkesauer. Ich hab der Renate den Schlüssel weggenommen. Denn hab ich all ihren Kram ins Treppenhaus geschmissen. Eine Brüllerei, na, kannst dir denken, ne. Und die Nachbarn ham geglotzt. War für die wie Fernsehn, bloss lauter (lacht). Denn hab ich n Kochlöffel genommen und denn immer links ein, rechts ein, immer gib ihn. Hab ich die Weiber echt rausgeprügelt. Zack. Tür zu, Affe tot. Ham die natürlich noch im Treppenhaus gehockt und gezetert. Aba dann kam die Bulln und die denn nix wie weg. Hab nie wieder was gesehen oder gehört vonne beiden.

A: Und dann warst Du wieder allein?

S: Nee, denn hab ich mir immer Hunde geholt, ausse Süderstrasse (Hamburger Tierheim). Immer so die armen Viecher mit Macken. Die, die keiner ham wollte. Ohr ab, blind, lahm, alt... so die ganzen Krüppels. Die wollte keiner. Die hätten sie bestimmt tot gemacht, so unnütze Fresser, die kein ein will. Machen die das? So mit Gas oder Spritze? Weisst du das?

A: Nein, das weiss ich wirklich nicht.

S: Na, ich mit meine Köters. Manchmal sogar zwei. Manche warn schon so alt. Hab ich nich lange was von gehabt. Sind denn tot geblieben. Gab ja noch keine Tierfriedhöfe. Hab ich dann im (nennt einen Wald in der Nähe von Hamburg) begraben. War immer zum heulen.

A: Wie war das denn mit den Hunden? Besser als mit Menschen?

S: Viel besser, weissu. Die mögen dich, egal wie beschissen du aussiehst. Erst recht sonne Krüppel wie ich. Gleich und gleich, weissu. Alle mit Scheiss-Erfahrungen. Ich bin mit denen rumgefahren, war immer weit weg. Bestimmt auch mal bei dir da obn an der Nordsee. War ich oft. Am Deich. Nur Schafe und Möwen. Keine Leute, die ein blöde anglotzen. Mit den Hunden raus bin ich immer so (zieht sich einen imaginären Schal vor die Gesichtshälfte) oder nachts. Da sieht ein kein ein. Aber heute geht das nich mehr. Siehst ja, mit viel laufen ist nicht. Bin ja froh, wenn ich zum Einkaufen kriechen kann oder mal zum Arzt. Alles kaputt. Die schwere Arbeit in der Küche. Das Schleppen, Immer stehen. Macht die Gelenke kaputt. Kuck mich doch an, mich olles Wrack. Nu hab ich auch keinen Hund mehr. Kann ich auch nich. Der letzte der is... ich glaub, drei Jahre is der all dot.

A: Klingt jetzt blöde, gebe ich zu, aber wie würdest Du Dein Leben im Rückblick beurteilen?

S: Das klingt jetz aba wirklich blöde, Mann, Anders. Beurteilen. War n Scheissleben. Scheiss-Kindheit, denn die Typen, die einem das Gesicht versauen, der ganze Scheiss. Da kommst du nich raus, das macht dich fertich. Als lüttje Mus (kleine Maus) hast du doch kein Chance gegen die da oben. Alles eine Aasbande. Echt. So oft hatte ich kein Bock mehr, wollte irgendwo runter springen, oder in die Elbe. Einfach Schluss machen. Aber nun hab ich nich mal mehr dazu die Kraft. Nu is alles egal. (S weint etwas, gibt sich dann aber einen sichtbaren Ruck und wird ganz gerade) Komm, vergiss den ganzen Schietkrom. Lass ma.

A: Soll ich das Ding ausmachen (zeigt auf das Diktiergerät)?

S: Nee, lass das Ding ma noch an. Ich will noch was sagen. Für dich, Anders. Weisst du, dass ich damals voll in dich verknallt war. Und weissu auch, warum? Du hast nie blöde Sprüche gemacht, ich mein, wegn mein Gesicht und so. Sonst has ja ne grosse Klappe gehabt. Und du hast mir immer ins Gesicht gekuckt, wenn wir geredet ham. Nich so haarscharf vörbie (vorbei) as de annern. Fand ich doll. Ausserdem fand ich, dassu schick warst. (A errötet vermutlich) Gross und schlank und denn die langen Haare. Fand ich echt... geil. Ging ja aber nich. Ich zwei Jahre älter als du. Ging damals ja nicht. Sollte ja man immer der Junge älter sein, ne. Und denn der Name, den sie dir gegeben hatten: „Slim“. Klang für mich immer wie „schlimm“ auf Platt. Und denn hab ich mir manchmal vorgestellt, was wir für schlimme Sachen machen... Nee, komm, lass ma, dat is mi denn nu doch to ... Nee. Nu mach das Ding ma aus. Schnacken wir ohne das. Komm, nu mach aus.

A: (Macht das Ding aus.)




(Mann, ist das anstrengend, vom Band abzuschreiben, vor allem, wenn diese blöde Stenorette schon gut ein halbes Jahrhundert alt ist.)

Aha, denken jetzt aufmerksame LeserInnen: Der flunkert doch. Da schreibt er, es würde sich um ein authorisiertes Interview handeln und dann tippt er das hier quasi in Echtzeit rein. Bevor das Geschrei "Lügenpresse! LÜGENPRESSE!" anhebt, eine simple Erklärung:

Das Original befand sich auf meinem Notebook, nicht auf meinem PC. Das Notebook gab ich meiner Tochter, weil ihres den Geist aufgegeben hatte. Was macht das liebe Kind: Denkt sich, ach, den ganzen Schrott, der da drauf ist, braucht Papa bestimmt nicht mehr - und ab damit ins Daten-Nirvana. Garstige Caitlin! Na ja, der Alte ist selbst schuld, hätte die Daten ja rüberholen können. Was bleibt dem armen Schreiberling? Ein Tonband und ein authorisierter Ausdruck des Interviews, randvoll zugekritzelt mit Anmerkungen, Änderungen, Streichungen. Daraus etwas Lesbares zu rekonstruieren ist ungefähr so, als wolle man ein Tausend-Teile-Puzzle ohne Vorlage legen. Daher dauerte das auch so lange und wird jetzt so ein "Work in Progress"*. Danket meiner Tochter und hofft, dass ich bald Zeit zum Weitertippen finde.

Nun ist es endlich fertig abgetippt. Wenngleich ich beim selbstkritischen Durchlesen feststelle, dass ich nicht immer genau und gleichbleibend das gesprochene Wort ins geschriebene umgesetzt habe, es also keine einheitliche Schreibweise gibt, was ja auch bei „Wortsprachen“ wie dem Missingsch gegenüber einer „Schriftsprache“ wie dem Hochdeutschen schwierig ist. „Lassas man so wias is!“ würde Susanne jetzt vermutlich kommentieren.


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Die Schlüssel zu einem verpfuschten Leben

12.05.2021 um 00:10
Hey, was für eine Geschichte! Sehr interessant, nachdenkenswert auf jeden Fall. Berührt mich. So ne blöde Geschichte mit einem Lehrer hab ich auch erlebt in den 70ern. Fünfte Klasse, erste Reihe vorm Lehrertisch und kurz mit dem Schüler hinter mir geschwatzt. Zack, hatte ich das Klassenbuch auf dem Kopf. Das fiel mittig auseinander. Ich hatte davon ne Gehirnerschütterung. Der Lehrer wurde versetzt, der war zuvor schon öfter ausgerastet.

Deine Protagonistin hatte leider weniger Glück. Ich hoffe, du hast bald wieder Zeit.


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Die Schlüssel zu einem verpfuschten Leben

13.05.2021 um 20:42
@Doors
Oh manno, was ein Schicksal.

Danke für die Mühe, hat sich gelohnt.

Mit fettem Schlüsselbund warf unser Matheheini in der Realschule auch rum.
Vom Pult quer durchs Klassenzimmer auf den hintersten Tisch der lauten Jungs am Anfang der Stunde. Oh mann.

Die waren klein mit Hut. Die gesamte Klasse war geschockt und die Junges hinten Kkreidebleich.

Glück gehabt.

LG und guten Frühling mit Sonne und Pausen.


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Die Schlüssel zu einem verpfuschten Leben

14.05.2021 um 19:38
Wie geht es ihr denn heute so ?

@Doors


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Die Schlüssel zu einem verpfuschten Leben

14.05.2021 um 20:24
So einen Lehrer hatten wir auch, der hat auch Schlüsselbunde geworfen. Bis er es mal in meine Richtung geworfen hatte, und ich mich dann durch die Tische gepflügt habe um ihn umzunieten. Meine Klassenkameraden haben mich zurück gehalten, was auch immer er in meinen Augen gesehen haben mag, er hat nie wieder in unserer Klasse ein Schlüsselbund angefasst.


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Die Schlüssel zu einem verpfuschten Leben

15.05.2021 um 01:22
Ich bin mir nicht sicher ob ich lesen will wie es weiter geht.


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Die Schlüssel zu einem verpfuschten Leben

16.05.2021 um 20:54
Zitat von KAALAELKAALAEL schrieb:Wie geht es ihr denn heute so ?
Ich habe sie vor Corona noch mal besucht. Während Corona haben wir uns dann nicht getraut, wir sind ja nicht mehr die Jüngsten. :D
Aber wir telefonieren alle paar Wochen mal und sind in Kontakt. Offenbar wohl noch recht gut.

Ich habe mir jetzt vorgenommen, alle Aufzeichnungen unserer Gespräche zu "verwursten" und in loser Folge hier rein zu stellen. Offenbar sind "Outtakes" ja mehrheitlich gewünscht. Ich bin mir nur noch nicht so ganz klar darüber, wie ich das Material aufbereite.
Wir, bzw. Ihr werden/werdet sehen...


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Die Schlüssel zu einem verpfuschten Leben

16.05.2021 um 20:54
Zitat von paxitopaxito schrieb:Ich bin mir nicht sicher ob ich lesen will wie es weiter geht.
Niemand wird gezwungen. :D


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Die Schlüssel zu einem verpfuschten Leben

18.05.2021 um 03:33
Sehr berührend @Doors

Obwohl ich in der Schweiz aufwuchs, erinnert mich manches von Deinem Erzählten an meine Jugend. Es war offenbar auch Zeichen dieser Generation. Meine Nähschul-Lehrerin warf auch immer ihren Schlüsselbund nach den Mädchen. Das war schon sehr irritierend, ich sah diesen auch öfter durch das Schulzimmer fliegen. Mich hofierte sie, weil ich die Tochter einer Schneidermeisterin war. Meine Mutter gab ja auch Kurse in einem anderen Schulhaus, allerdings für die Erwachsenen. Aber sie wurde selbst gemobbt durch die Konkurrenz. Meine Mutter war das absolute Gegenteil dieser grobkörnigen Frauen und verteilte oft Eis an die Kinder auf dem Schulhof, obwohl sie zuhause selbst noch 7 Kinder versorgte und kaum mit dem Geld durchkam. Aber ihr Herz war einfach größer.

Unser Schularzt war auch schrecklich, wir mussten wie in der Kaserne uns nackt hinstellen, das mit 11 und 12. Das war so was von peinlich, vor allem wenn ein Mädchen schon voll "entwickelt" war.

Ein Horror war bald darauf unser erster Latein-Lehrer, der uns Mädchen belästigte, sodass alle Mädchen außer ein paar wenigen dieses Freifach aufgaben. Ich entzog mich immer geschickt, fiel aber dabei fast vom Stuhl. Dieser Lehrer hatte auch sonst einen Dachschaden und gab uns beim Lernen nicht mal die Lösungen zur Kontrolle, sodass ich heimlich das Lehrerschulbuch kaufte (ich wurde für älter gehalten in der Buchhandlung). Dieser Lehrer wurde später fast geschmissen, aber er stand kurz vor der Rente, also ließ man Gnade vor Recht ergehen.

Die guten Lehrer (auch bei den Alten) wurden dafür umso mehr geschätzt und geradezu geliebt und später noch besucht in der Schule. Das gab es zum Glück auch. Wir Kinder versammelten uns auf dem Pausenhof um den lieben Lehrer und der erzählte dann noch aus seinem Leben. Wir stritten uns um die Nähe zu ihm. Er war so lustig und mit viel Herz! Das machte dann die miesen Lehrer, die griesgrämig und missgünstig die Szene beobachteten, irgendwie wett. Wir klagten dem lieben Lehrer auch unser Leid, aber der musste selbst schauen, dass er nicht gemobbt wurde von den Lehrerkollegen.

Es gab auch Lehrer, die eigentlich nicht als sonderlich nett galten als Lehrer, aber menschlich okay waren. Wenn ein Kind Sorgen hatte, waren die auf einmal sehr einfühlsam und zugewandt. Das erlebte ich auch. Impulsive nette Lehrer, die aber vor der Wandtafel schnell die Geduld verloren, wenn die Kinder nicht spurten.

Meine Mutter hatte es früher noch weitaus schwerer, denn sie bekam eine böse Lehrerin als Stiefmutter!!! Das war die Hölle! Diese plagte meine Mutter, zusammen mit deren ebenso bösen Schwester, und brachten meinen Großvater ins Grab und meine Mutter um das Erbe. Echte Kriminelle. Wie die böse Frau Rottenmeier im ersten Heidi-Comic sah diese böse Stiefmutter aus. Ich hatte sie 1-mal gesehen als kleines Kind. Sogar den gleichen hochgeschlossenen schwarzen Rock und den gleichen alten Koffer. Für mich war das wie ein böses Wunder. Und meine Mutter war das liebe Heidi.

Es gibt auch heute noch schlimme Lehrer, aber ich kenne genauso viele Lehrer im Burnout, die Angst vor dem Schülerkontakt haben. Die Klasse wirkt auf einmal wie ein Gangsterclan.

Wir hatten auch ein älteres Mädchen mit Feuermal im Gesicht, sogar die komplette Hälfte des Gesichts. Damals kam jedoch ein professionelles Make-up neu auf den Markt, womit es perfekt bedeckt werden konnte. Das hat den Umschwung gebracht. Kinder, die anders waren, wurden oft in eine Rudolf-Steiner-Schule oder dann in eine gesonderte Schule geschickt, einer meiner Brüder mit autistischen Zügen gehörte dazu, da mussten sich die Eltern fügen. Er litt sehr darunter, aber im Nachhinein hat er alles geschickt kompensiert und heute steht er in jeder Hinsicht drüber.

Die Schüler heute haben es aber auch nicht leicht, der Stoff wird immer komplexer, die Kinder werden total überfordert, vor allem die sozial schwachen ohne Hilfe zuhause. Da war der strenge Lehrer von früher echt ein Klacks dagegen. Heute werden die Kinder auf subtilere Weise seelisch missbraucht und um ihre Kindheit gebracht. Es wird ihnen jegliche natürliche Neugier auf Wissen gehörig ausgetrieben. Und die sozial schwachen, armen Eltern können nicht viel tun.


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