puppenheim

Das 1879 erschienene Drama Ibsens gilt als das naturalistische Drama schlechthin, sprengt jedoch die Konventionen der naturalistischen Idee, indem Nora Helmer (die Namensgeberin des Stückes in vielen deutschen Übersetzungen, ich belasse es beim Originaltitel) am Ende des Stücks nicht mehr die durch Zeitumstände, Milieu und Abstammung determinierte Person ist, sondern selbständig handelt.

Nora Helmer ist seit acht Jahren mit ihrem Mann Torvald verheiratet, sie haben drei Kinder und wohnen in einer gutbürgerlichen Wohnung mit Haushälterin und Kindermädchen. Das Stück beginnt am Tag des Weihnachtsabend, sie kommt von Einkäufen zurück, ist gut gelaunt, für ihren Mann ist sie eine Lerche und ein Eichkätzchen. Dass diese Idylle ein Schein sein könnte, lässt sich erahnen, dass ihr Mann, der ab Neujahr Direktor einer Bank sein wird, ihre Verschwendungssucht beklagt und ihr verbietet, Nusskuchen zu essen. Der Zähne wegen.

Mit Besuchen einer alten Freundin, Christine Linde, deren Mann gestorben ist, und einem regelmäßig die Familie besuchenden Arzt, entpuppt sich ein Geheimnis. Vor Jahren war Torvald schwer krank und die Ärzte empfahlen einen Aufenthalt im Süden. Gegenüber ihrem Mann hat Nora immer angegeben, dass ihr Vater die einjährige Reise nach Süditalien bezahlt habe, doch in Wirklichkeit hat sie das Geld von dem Anwalt Nils Krogstad geliehen, der das Wuchergeschäft betrieben hat, weil der wegen einer gefälschten Unterschrift aus dem regulären Berufsleben geworfen worden ist. Nora selbst fälscht die Unterschrift ihres Vaters als Bürgen, die sie benötigt hat, da Frauen per Gesetz Geldgeschäfte verboten sind. Krogstad kommt hinter die Fälschung, da die Unterschrift drei Tage nach dem Tod des Vaters datiert ist.

Als ihr Mann Krogstad als kleinen Angestellten bei der Bank kündigt, um Christine Linde anzustellen, erpresst Krogstad mit einem Brief an Torvald die Familie, in dem er das Geheimnis von Nora offenbart. Am zweiten Weihnachtstag liest Torvald diesen, aber während des Lesens und der großen Vorwürfe an Nora, kommt ein Rückzug von dieser Drohung und der Schuldschein zurück, da Krogstad und Linde (alte Jugendlieben) wieder zueinander gefunden haben.

Torvald ist überglücklich, dass er nun nicht mehr in seinem Fortkommen bedroht ist, und will seine Ehe wie zuvor fortführen, doch Nora ist nun völlig angeekelt. Sie hält ihm, aber auch ihrem Vater, vor, sie nicht als Menschen behandelt zu haben. Hier in geraffter Form Noras Tirade:
Ihr habt viel an mir gesündigt, Torvald. Zuerst Papa, dann Du. Ihr habt mich nie geliebt. Euch machte es nur Spaß, in mich verliebt zu sein. Als ich zu Hause war bei Papa, teilte er mir alle seine Ansichten mit, und so hatte ich dieselben Ansichten. War ich aber einmal anderer Meinung, dann verheimlichte ich das; denn es wäre ihm nicht recht gewesen. Er nannte mich sein Puppenkind, und spielte mit mir, wie ich mit meinen Puppen spielte. Dann kam ich zu Dir ins Haus.

Du richtetest alles nach Deinem Geschmack ein, und so bekam ich denselben Geschmack wie Du; aber ich tat nur so: ich weiß es nicht mehr recht – vielleicht war es auch beides: bald so und bald so. Wenn ich jetzt zurückblicke, so ist mir, als hätte ich hier wie ein Bettler gelebt, – nur von der Hand in den Mund. Ich lebte davon, daß ich Dir Kunststücke vormachte, Torvald. Aber Du wolltest es ja so haben. Du und Papa, Ihr habt Euch schwer an mir versündigt. Ihr seid schuld daran, daß nichts aus mir geworden ist. Aber unser Heim ist nichts anderes als eine Spielstube gewesen. Hier bin ich Deine Puppenfrau gewesen, wie ich zu Hause Papas Puppenkind war. Und die Kinder, die waren wiederum meine Puppen.
Auf die Replik von Torvald, dass nun die Zeit des Spiels vorbei sei und die Zeit der Erziehung komme, vollzieht Nora den Bruch:
Ich muß trachten, mich selbst zu erziehen. Und Du bist nicht der Mann, mir dabei zu helfen. Das muß ich allein vollbringen. Und darum verlasse ich Dich jetzt.
Noch am selben Abend verlässt Nora die Wohnung und hat auch nicht mehr den Wunsch, ihre Kinder nochmal zu sehen. Jeglichen Kontakt danach verbittet sie sich, auch wenn sie weiß, dass ihr nach norwegischem Recht in diesem Falle keine Unterstützung durch ihren Ehemann zusteht.

Auch mit dem naturalistischen Gedanken, dass Menschen durch ihre Abstammung geprägt werden, bricht Ibsen auf ironische Art. Torvald wirft seiner Frau mehrfach vor, ihren verschwenderischen und leichtfertigen Charakter von ihrem Vater geerbt zu haben. Am Ende belehrt sie ihn eines besseren.

Und als Draufgabe finden sich noch die überspitzten Aussagen des Doktor Ranke, der seine Rückenmarkschwindsucht (eine Spätfolge von Syphillis) auf das sexuell ausschweifende Leben seines Vaters zurückführt. Politisch lehnt er jegliche staatliche Krankenfürsorge ab, da ansonsten die Gesellschaft zu einer Krankenanstalt werde. Ibsen zieht mit dieser Figur alle gesellschaftspolitischen Register.

Die deutsche Uraufführung fand bereits 1880 in Hamburg statt, wo das Ende aus Rücksicht auf Konventionen umgeändert wurde: Nora blieb wegen der Kinder. In München wurde noch im selben Jahr das Stück in der Originalversion aufgeführt.