FangWuhan

Die damals 65-jährige Wuhaner Schriftstellerin Fang Fang veröffentlicht während des Lockdowns in Wuhan auf verschiedenen Plattformen täglich einen Blogeintrag, der von Millionen gelesen und immer wieder gelöscht wird. Dabei sitzt sie in ihrer Wohnung im Wohnkomplex des Verbandes für Literatur und Kunst, beginnt täglich mit einem Wetterbericht und dokumentiert ihre Informationen, die sie aus der Welt des Internets, aus Medien und durch persönliche Kontakte erhalten kann.

Besonders in die Kritik nimmt sie, dass in Wuhan von den örtlichen Behörden wohl gegen besseres Wissen bis zum 20. Januar die potenzielle Gefährlichkeit ignoriert wurde, zwei Expertenkommissionen zum Schluss gekommen seien, dass das Virus nicht von Mensch zu Mensch übertragbar und unter Kontrolle sei. Großveranstaltungen hätten noch stattfinden dürfen, was vielen Menschen wohl das Leben gekostet hat. Einschränkende Maßnahmen seien viel zu spät ergriffen worden, was schließlich die Abriegelung zur Stadt zur Folge hat, eine Maßnahme, die sie unter den gegebenen Umständen für richtig hält. Immer wieder schreibt sie auch über Verstorbene aus dem medizinischen Bereich - auch junge -, die ihr bekannt sind, und sie ist mit Ärzten in Kontakt, die sie über die Prognosen informieren.

Auch die Kollateralschäden werden mehrfach angesprochen, so bereits am vierten Tag des Lockdowns, wenn sie betont, dass vor allem für ärmere Familien in beengten Wohnverhältnissen die Ausgangssperre einen familiären Ausnahmezustand mit sich brächte, unter dem vor allem die Kinder zu leiden hätten. Beobachtet wird bereits Ende Januar, als sie noch Medikamente für ihren Diabetes in einer Krankenhausambulanz abholen darf, dass die regulären Ambulanzen leer seien, Menschen notwendige Behandlungen nicht durchführen ließen, während die für Covid bestimmten Abteilungen so überrannt seien, dass nicht alle Menschen versorgt werden könnten. Nach zwei Monaten wird davon geschrieben, dass unzählige Menschen an nicht behandelten anderen Krankheiten verstorben seien. Dies hätte unter anderem Dialyse- und Krebspatienten betroffen.

Breiten Raum bietet Fang Fang auch den Arbeitenden, die nicht an ihre Arbeitsplätze können und deren Einkommen eingefroren ist. Für sie ist der Lockdown eine Katastrophe, da sie nur schwer in der Lage sind, sich und ihre Familien zu ernähren. Ähnlich schlimm ergeht es kleinen Gewerbetreibenden, die ihre Geschäfte oder Betriebe schließen müssen. Sie stehen vor dem Aus und vor dem Nichts. Von staatlichen Unterstützungen wird nichts geschrieben. Der daraus entstehende Unmut macht sich in dem um den 20. Februar in die Welt gesetzten Slogan "Die Gesunden wollen auch weiterleben!" Luft. Etwa zur selben Zeit werden Katastrophen bei den Allerärmsten bekannt: alte Menschen in Pflegheimen. Es gehen Berichte um, dass in manchen dieser Heime beinahe alle Alten an Covid verstorben seien.

Verschärft wurde der Lockdown nach drei Wochen, als ab 12. Februar die Wohnanlagen nicht mehr verlassen werden durften. Lebensmittelgeschäfte waren noch offen, aber je nach Größe einer Familie durfte nur mehr eine Person alle drei oder fünf Tage einmal einkaufen gehen. So begannen sich Einkaufsgruppen zu bilden, um täglich versorgt werden zu können. Ab 17. Februar durften Menschen nur mehr mit einem Passierschein auf die Straße. Menschen ohne Genehmigung werden verhaftet und 14 Tage in Quarantäne gesteckt. Alle Bewohner Wuhans werden aufgesucht und ihr Gesundheitszustand wird überprüft. Verdachtsfälle werden auch gegen ihren Willen in Krankenhäuser gebracht, meist in die errichteten Behelfskrankenhäuser.

Hier eher wenig beachtet ist auch das Schicksal der Nicht-Wuhaner in Wuhan bzw. der Wuhaner außerhalb der Stadt (geschätzte fünf Millionen) ab dem Zeitpunkt der Abriegelung Wuhans bzw. der Region Hubei. So irrte ein Wuhaner zwölf Tage lang auf der Autobahn umher, weil er weder in die Stadt gelassen wurde noch in einem anderen Ort aufgenommen wurde. Erst nach zwölf Tagen wurde ihm eine Unterkunft zur Verfügung gestellt. Auch berichtet Fang Fang von Menschen aus Wuhan, deren Wohnungstüren in anderen Städten aus Angst verriegelt wurden, damit sie nicht rauskönnen. Ich erinnere mich an ein kursierendes Videos, auf dem zu sehen ist, wie Türen und Fenster verschweißt wurden. Andere lebten auf der Straße oder in Bahnhöfen, ernährten sich zum Teil aus dem Müll. In Wuhan selbst wurden noch im März Nachrichten von Menschen bekannt, die in Unterführungen hausten, weil sie keinen Wohnsitz hatten.

Andererseits scheint der Lockdown nicht in allen Stadtteilen funktioniert zu haben, so kursierten im März Videos aus einem Stadtviertel, in dessen engen Straßen alle Geschäfte offen hatten. Wie dies möglich sei, wird nicht diskutiert.

Beeindruckend ist die Ehrfurcht Fang Fangs vor dem Internet. Für sie ist es ein Segen, um kommunizieren zu können, auch wenn sie mit Zensur und heftiger Kritik konfrontiert ist, für viele Menschen ist es eine große Erleichterung, um an Güter des täglichen Bedarfs zu gelangen. Aber auch Grenzen werden gezeigt, wenn Güter knapp werden. So gibt es Zeitslots, ab wann bestellt werden kann - oft ab Mitternacht. Wenn man nicht durchkommt, da die Plattform überlastet ist, kann es durchaus sein, dass eine halbe Stunde nach Öffnung der Einkaufsmöglichkeit Waren bereits ausverkauft sind. Also auch E-Commerce kennt seine Grenzen, wenn Waren knapp werden.

Mitte März beginnen die Erkrankungszahlen zu sinken, die Behelfskrankenhäuser werden geschlossen und aufgrund der verbesserten Behandlungsmöglichkeiten wird die Sterberate nur mehr auf ein Prozent der Infizierten geschätzt. Als besonders wirksamen Schutz vor Ansteckung hält Fang Fang die drei Regeln: Abstandhalten, Händewaschen, Schutzmaske tragen.

Ab 22. März werden Lockerungen eingeführt, es darf wieder in Geschäfte gegangen werden, in der Region Hubei beginnen die Vorbereitungen zur Wiederaufnahme der Arbeit. Wuhan benötigt auch keine Spenden mehr von außen, im Gegenteil: Es werden sogar Schutzmasken nach Kanada geliefert. Die Zahl der Neuinfektionen an diesem Tag lag bei Null. Am 8. April wurden die Maßnahmen in Wuhan beendet.

Eine faszinierende Lektüre.