Schmiedel-morden

Diese (gekürzte) Version von Schmiedels Dissertation über die Auswirkungen des Russlandfeldzugs auf den Glauben von Wehrmachtssoldaten bzw. Frontpriestern hinterlässt zwiespältige Eindrücke. Nach einer Einführung in den Quellencorpus (Feldpostbriefe, Tagebücher, Tätigkeits- wie Seelsorgeberichte von Priestern, mündliche wie schriftliche Erinnerungen) und die Haltung der katholischen wie evangelischen Kirche zum NS-Regime wird anhand eines schmalen Textcorupus (insgesamt 52 Personen) versucht, Verallgemeinerungen zu ziehen, was meiner Ansicht nach nicht möglich ist, da der Autor sich letztlich auf das Paraphrasieren und Deuten von Textausschnitten beschränkt.

Nicht akzeptabel und ein Ärgernis ist die Veröffentlichungsqualität. Das Buch strotzt vor Sachfehlern (Datierungen sind zeitweise absurd), Grammatikfehlern (darunter unvollständige Sätze), Rechtschreibfehlern. Da Fehler in Zitaten aus den Quellen nicht gekennzeichnet sind (üblicherweise mit sic!), ist dieses Buch letztlich ein Sachbuch und für die Wissenschaft als vertrauenswürdige Quelle wertlos. Für ein Buch, das in Papierform 50 Euro und als PDF 45 Euro kostet, beschämend. Ob der Autor selbst ein fehlerhaftes Manuskript eingereicht hat oder das Lektorat aus ignoranten Analphabet:innen bestanden hat, ist dabei irrelevant. Für die Wissenschaft und zu so einem Preis hat das Buch fehlerfrei zu sein.

Da das Buch thematisch nach den zehn göttlichen Eigenschaften (groß, ewig, allmächtig, allgegenwärtig, allweise, allwissend, heilig, gerecht, barmherzig, treu) strukturiert ist, ist auch schwerlich ein Überblick zu erhalten, da zwischen den wenigen Autoren, die zitiert werden, immer wieder hin- und hergesprungen wird. Für mich am interessantesten sind die Quellenauszüge, welche Kriegsverbrechen (Plünderung und Zerstörung von Zivilisteneigentum, Behandlung von Kriegsgefangenen, Erschießungen sowie die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung) dokumentiert sind. Eine komplette Zensur war bei insgesamt etwa 20 Mio Feldpostbriefen täglich bzw. in Tagebucheintragungen nicht möglich. Damit erbringt diese Arbeit auf jeden Fall den Beleg, dass über Kriegsverbrechen auch in der kämpfenden Truppe der Wehrmacht Kenntnis herrschte bzw. diese auch daran beteiligt war.

Die Ausflucht, dass aufgrund eines Befehlsnotstands eine Nichtbeteiligung an Verbrechen das eigene Leben in Gefahr gebracht hätte, lässt Schmiedel nicht gelten. Solche Gesetze hat es nicht gegeben und es ist - auch in anderen wisssenschaftlichen Werken - belegt, dass es Möglichkeiten gab, sich nicht an Morden zu beteiligen. Eine Verhinderung war jedoch kaum möglich. Aber immerhin stellt sich damit auch die Frage nach der eigenen Schuld, für Gläubige durchaus ein Problem, wie Kriegsdokumente mehrfach zeigen.

So ein Beispiel aus dem Polenfeldzug, verfasst vom Diplomatensohn Hartmut von Hentig:
Man war Besatzungsmacht, war in einem Gewaltsam unterworfenen Land, in dem wir obendrein zum Marodieren angehalten wurden. |...| Nun, ich habe erlebt, wie meine Einheit ein polnisches Dorf geplündert und dann angezündet hat. So etwas bleibt nicht ohne Eindruck, vor allem dann nicht, wenn man selbst nicht mitgemacht hat.
Dennoch gab es Gruppendruck, wie Hentig notierte:
Alle haben es gespürt: Der Hentig macht nicht mit! ... Untauglich, einsam, verachtet - dieses Rolle war weit entfernt von der Bewährung, die ich suchte.
Über den Russlandfeldzug sind oft sehr explizite Dokumente überliefert.
Die Sowjets sollen zahlreich Ukrainer umgebracht haben, wie 1919! Darum wird jeder gefangene Funktionär erschossen. (Leutnant Heinz Reisig, Feldpostbrief, 29. Juni 1941)
Gestern abend haben wir gesessen und gesprochen - über Dinge um derentwillen man sich schämen muß, Deutscher zu sein. Was man hier so erfährt, wie dem auswählten‹ Volk mitgespielt wird. Das hat nichts mehr mit Antisemitismus zu tun, das ist Unmenschlichkeit, wie man sie im XX. Jahrhundert, dem "aufgeklärten, modernen Zeitalter", nicht mehr für möglich halten sollte. (Leutnant Eugen Apel, Feldpostbrief, 24. März 1942)
Die bei den Absatzbewegungen erforderlichen Zerstörungen der kriegswichtigen Betriebe und Nahrungsreserven nehmen zur Zeit einen Umfang an, der zu den schwersten Bedenken Anlass gibt. Wenn vor den Augen der Zivilbevölkerung die Wohnstätten angezündet werden, wenn Hühner, Schweine, Kälber und Kühe zu
Hunderten an den Wegen und auf den Wiesen liegen, ganz zu schweigen von den Ausschreitungen, die zwangsläufig nebenher gehen, dann fragen sich viele besonnene Offiziere und Männern, ob der moralische Schaden, den dadurch unsere Soldaten und unser Volk nehmen, nicht doch grösser sei als der kriegerische Gewinn, der dabei erzielt wird. (Divisionspfarrer Mehring, Seelsorgebericht, 1. Oktober 1943)
Die Leichen, die man früher regellos auf einen Haufen warf, werden bereits, so gut es geht, aussortiert und über das halbe Tausend erschossener Juden hat man schon Kalk gefahren. Was im einzelnen noch hier geschah, -davon zu schreiben, ist nicht der rechte Ort. (Hans Ahrens, Feldpostbrief, 21. März 1942)
Wir sahen, wie die Juden arbeiten mußten, Kohlen abladen mit den Händen, eine Schaufel dürfen sie nicht in die Hand nehmen, man bearbeitete sie mit Gewehrkolben ganz unbarmherzig. Jeden Morgen müssen sie 10 Schritte laufen; wer das noch kann, ist arbeitsfähig; wer es nicht kann, wird erschossen. Sie drängen sich förmlich zur Arbeit, weil sie sonst geholt werden. Vor kurzem seien 60 000 Tuden nach Lublin verschickt, und in der Gaskammer umgebracht worden. (Pfarrer Wilhelm Schwermer, Tagebucheintrag, 24. Dezember 1942)
In Witebsk wurden 5000 bis 6000 Juden erschossen. Gefangene, die einen anderen Russen beerdigen sollten, zogen ihm die Kleider aus, und schnitten sich ein Stück von ihm ab, zerkleinerten es, kochten und assen es!(Divisionspfarrer Steppich, Kriegstagebuch, 18. Oktober 1941)
Welche Schicksale spielen sich aber mit den vielen Tausenden von Gefangenen ab: Sie fallen erschöpft auf der Strasse um. Man hört das Schreien und Schiessen. Und wenn einer auf der Strasse liegt, dann raufen sich die Umstehenden um seine Schuhe und Kleider! Der Mensch wird zum Tier. Auf der Autobahn werden 30 000 Gefangenen vorbei geführt. Es ist ein Zug des Elends. Viele können nicht mehr marschieren. Sie behaupten, seit 6 Tagen nichts mehr gegessen zu haben. Sie schreien. Wer die Reihe verlässt, wird erschossen. Durch die Nacht klingt das unheimliche Marschieren, Jammern und Schießen. (Divisionspfarrer Steppich, Kriegstagebuch, 19. Oktober 1941)
Von 40 000 Juden in Wilna sollen nur noch 6000 am Leben bleiben! Wie furchtbar ist das. Man schämt sich
für solches Tun deutscher Menschen. Das Essen will nicht mehr schmecken. Die Juden werden jeweils im Ghetto abgeholt: Männer, Frauen und Kinder. Sie werden von litauischer Miliz unter deutscher Polizeiaufsicht rausgeführt, müssen sich die Gräber schaufeln, werden wütend geschlagen und dann erschossen. Die nächste Reihe muss erst die Toten in die Löcher legen und zuschaufeln, dann werden sie selbst umgebracht! (Divisionspfarrer Steppich, Kriegstagebuch, 27. Oktober 1941)