Schabowski-Politburo

1990 haben die jungen Journalisten Frank Sieren und Ludwig Koehne (beide damals unter 30) eine lange Interviewserie mit Günter Schabowski geführt, in dem er hauptsächlich über das Politbüro (21 Mitglieder und fünf Kandidaten) sprach. Obwohl eigentlich bekannt, ist es dennoch beeindruckend, mit wie vielen Details dargelegt wird, dass die Entscheidungen der DDR ausschließlich vom Politbüro und nur mit Gutheißen des Generalsekretärs gefällt werden konnten. Bis hin zu kleinsten Problemen (fehlende Dachschindeln für eine Fahrradgarage) wurde sich auseinandergesetzt. Aus diesen Reflexionen kann erschlossen werden, warum Schabowski bereits ein Jahr später von einem absolutistischen System schrieb. Auch sind erste Gedankengänge erkennbar, dass er sich von der marxistisch-leninistischen Ideologie löst. Dieser Weg war für Schabowski 2005 in einem Artikel für die Zeitschrift der Gesellschaft für kritische Philosophie abgeschlossen (online (Archiv-Version vom 27.10.2021)).

Im Anhang ist der Rechenschaftsbericht des zurückgetretenen Politbüro und ZK an den Parteitag der SED vom 8. Dezember 1989 veröffentlicht, in dem noch von Abweichungen von Prinzipien Lenins gesprochen, die Schuld Honecker und Mittag zugeschrieben wird und der Rest sich der Unterlassung bezichtigt. Ein Dokument der Selbstauflösung einer Partei, die Jahrzehnte der Ansicht war, nur sie dürfe die Macht in einem Staat innehaben, damit der Sozialismus verwirklicht werden kann. Online ist dieses Dokument für mich nicht zu finden.

Durchaus lesbares Buch mit verblüffenden Einsichten in Details der Machtzentren einer Diktatur.