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Mit diesem Roman greift der 2021 verstorbene libanesische, aus einer christlich maronitischen Familie stammende Schriftsteller Jabbour Douaihy auf ein Ereignis aus dem Jahr 1957 im maronitischen Dorf Barka in den libanesischen Bergen zurück, als in einer Kirche aufgrund einer Blutrache nach einem Mord zwei Großfamilien aufeinander geschossen haben und 24 Männer den Tod gefunden haben.

Hauptfigur des aus mehreren Perspektiven aufgerollten Ereignisses ist ein Elia, der von seinem dem Glückspiel verfallenen Vater in der Nacht vor dessen Tod gezeugt worden ist. Seine Mutter hat den zunächst wilden und in den späten Schuljahren intellektuellen Jungen nach seinem Abitur gedrängt, das Land zu verlassen. In New York hat er aber sein Technik-Studium abgebrochen und zu jobben begonnen. Seine große Liebe gilt jedoch blonden amerikanischen Frauen, denen er Fantasiegeschichten über seine Herkunft und sein Leben auftischt.

Nicht ganz 50 Jahre nach der Tat kehrt Elia zu seiner alten, mittlerweile wegen ihres Grauen Stars erblindeten Mutter zurück und sucht in Dokumenten wie mit Hilfe von Zeitzeugen dem Ereignis auf den Grund zu gehen. Dabei präsentiert Douaihy anhand unterschiedlicher Figuren eine libanesische Gesellschaft, die sehr stark auf die Großfamilie zentriert ist und Wohngegenden nach Clans abgesteckt sind, wobei das Fremde argwöhnisch beäugt wird. Als fremd gilt jemand sogleich, wenn der arabische Akzent anders ist. Die Gesellschaft ist sehr männerzentriert, die Frauen sind ans Haus gebunden. Wegen dieser Enge ist die Landflucht der jungen Männer sehr groß. Viele gehen nach Beirut oder - wie Elia - ins Ausland, wobei die meisten wieder in der libanesischen Community Halt suchen. Nur Elia ist anders, er verschleiert in den den USA seine Herkunft und sucht keinerlei Kontakte zu anderen libanesischen Exilierten. Erst am Rückflug von Paris nach New York erzählt er einer auf seiner Schulter dösenden Amerikanerin seine wahre Geschichte, jedoch ohne Namen zu nennen. Nach Ende des Fluges werden sie keinen Kontakt mehr haben, womit der Roman endet.

Interessant ist, wie der 1958 zum Präsidenten gewählte maronitische Armeegeneral Fuad Schihab den Familien der Verstorbenen Entschädigungszahlungen hat zukommen lassen, um damit die Familien auszusöhnen und die Kette der Blutrache zu unterbrechen.

Nicht alle Charakterisierungen der doch vielen Figuren gelingt, manche bleiben doch blass, aber insgesamt ist dieser Roman ein zum Teil erschütterndes Zeugnis einer brutalen Gesellschaft. Douaihy soll den Stoff dieses Romans eigenen Kindheitserinnerungen entnommen haben.