Liu-Wandernde Erde

Dies ist ein Band mit Erzählungen des chinesischen Science-Fiction-Autors Cixin Liu aus verschiedenen Schaffensepochen, aus dem ich in den letzten Monaten immer wieder mal eine Erzählung gelesen habe. Liu ist ursprünglich Softwareentwickler im Kraftwerksbereich gewesen, hat sich aber für eine Karriere als Schriftsteller entschieden.

Sein britischer Verleger Nicolas Cheetham schreibt im Nachwort, dass die chinesische SF-Szene sich nicht über Verlage, sondern das Internet entwickelt hat, und die begeisterten Leser:innen wurden immer mehr, dass auch kommerzieller und internationaler Erfolg nicht ausgeblieben ist. Warum dies so sein könnte, wird Liu zitiert:
Am Ende des neunzehnten und zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts überquerte die westliche Zivilisation den Ozean und machte das uralte chinesische Reich mit neuen Ideen bekannt, die es dramatisch veränderten und immer noch verändern: die moderne Technologie, der Marxismus, der Kapitalismus mit seinen freien Märkten, die Demokratie. Im Vergleich zu den westlichen Gesellschaften haben die Chinesen eine viel unmittelbarere und konkretere Vorstellung davon, wie es ist, wenn der Kontakt mit einer anderen Zivilisation die eigene verändert. In diesem Sinne kann man meine Trilogie auch als Ausdruck dieses nationalen Traumas verstehen.
Cheetham ergänzt, dass sich die aktuelle Industrialisierung Chinas innerhalb von zwei Generationen vollzogen hat, während der Westen dafür drei Jahrhunderte gebraucht habe.

Und über die Ursachen des internationalen Erfolgs mutmaßt Liu:
Science-Fiction ist das globale und universelle Medium, um Geschichten zu erzählen. Sie wird von allen Kulturen verstanden. Die SF beschäftigt sich mit Problemen, denen die ganze Menschheit gegenübersteht, und die Gefahren, die sie heraufbeschwört, betreffen üblicherweise die Menschheit als Ganzes. Dieses Genre hat also eine einzigartige und sehr wertvolle Sichtweise auf die Menschheit – es betrachtet sie stets als eine unteilbare Einheit.
Ergänzt wird dieser Band durch Informationen zur chinesischen Sprache, der Schreibweise sowie der Aussprache.

Hier nun Reflexionen über die in diesem Band veröffentlichten Erzählungen.

Die wandernde Erde

Dies ist eine Propagandaparabel zur Unterwerfung unter eine allwissende Regierung mit ihren Experten, welche die Hintergründe kennen, während die Masse der Menschen falsche Schlüsse aus Oberflächenbeobachtungen ziehen.

Die Geschichte wird aus der Perspektive eines männlichen Kinds und Jugendlichen erzählt. Die Sonne droht, durch einen Heliumboost zu einem Roten Riesen zu werden. Die Erde hat bereits ihre Rotation verloren und die Weltregierung hat beschlossen, die Erde als Raumschiff nach Proxima Centauri zu fliegen. Aus diesem Grund wurden riesige nukleare Triebwerke errichtet, die mit dem Gestein der Gebirge befeuert werden. Städte sind unterirdisch angelegt worden. Nach mehreren Swing-By-Manövern bei der Sonne und einem beim Jupiter wird die Erde die Fluchtgeschwindigkeit zum Verlassen des Sonnensystems erreichen.

Das Oberflächenklima ist für Menschen nicht mehr erträglich. Entweder ist es auf der Sonnenseite heiß oder auf der Schattenseite kalt. Beim Flug zum Jupiter werden die Ozeane zu Eis.

Wie sehr die Menschen den Regeln der Einheitsregierung vertrauen, zeigt sich bei einem Magmaeinbruch in die Stadt des Erzählers. Vor dem Evakuierungslift stehen die Menschen ohne Hektik Schlange. Nach Alter geordnet. Die Jüngsten zuerst. Stoisch warten die Alten - wie auch die Mutter - auf den Tod. Sie wissen, dass die Kapazität des Lifts nicht reicht, um alle zu retten.

Der Junge zieht in die Stadt seines Vaters, der jedoch bei einem Asteroidenabwehreinsatz der Luftwaffe ums Leben gekommen ist. Bei einem Schlittenrennen von Asien nach Amerika lernt er eine Japanerin kennen, die er heiratet. Im Losverfahren erhalten sie die Genehmigung, sich fortzupflanzen. Neun Monate später kommt ein Junge zur Welt.

Seine Frau und viele andere beobachten von weiter Entfernung mit Amateurteleskopen die Sonne und finden keinen Unterschied in den Daten der letzten vier Jahre. Diese Nachricht verbreitet sich, es beginnt ein bewaffneter Aufstand. Seine Frau schließt sich den Rebellen an und wird sterben, er selbst rekrutiert bei der Regierungsarmee, da seine Familie seit Generationen beim Militär war. Fünftausend Repräsentanten der Regierungsverwaltung werden bei minus hundert Grad auf das Meer getrieben, wo sie erfrieren und zu Statuen erstarren.

Die Wende: Ein greller Blitz von der Sonne. Ein Helium-Boost. Binnen kurzer Zeit beginnt sie zum Roten Riesen zu werden. Die Regierung hatte recht. Die Gelynchten sind zu Heldenstatuen geworden, der Swing-By beim Jupiter gelingt, die Erde ist auf dem Weg zu Proxima Centauri.

Die Moral der Geschichte ist wörtlich geschrieben:
Ihr müsst der Einheitsregierung vertrauen.
Gipfelstürmer

Diese Erzählung ist aus 2006 und nicht mehr so propagandistisch wie die erste. Hier wird das Individuum an seine Grenzen gebracht.

Feng Fan ist ein Matrose, der seit Jahren sein Forschungsschiff nicht mehr verlässt. Der Hintergrund: Er ist Bergsteiger, und bei einer Everest-Expedition hat er auf der zweiten Stufe (chinesische Seite) in einer Notlage den Karabiner gelöst, um sich zu retten. Seine Seilschaft, darunter seine Lebensgefährtin ist abgestürzt.

Am Pazifik sieht er mit dem Kapitän einen Stern, der immer größer wird. Er nähert sich der Erde und ist bald größer als der Mond. Wegen der Gravitation wird eine Wassersäule von etwa 10 Kilometern aufgetürmt und Fan beschließt, ins Wasser zu springen. Die Säule trägt ihn wegen der ausgeglichenen Gravitation bis zum Gipfel der Wassersäule, wo er erkennt, dass es sich um ein Raumschiff handelt, an dessen Außenseite sich ein riesiger Bildschirm befindet, auf dem er durch Augenzwinkern die Kommunikationssprache wählen kann.

Die Außerirdischen sind Maschinenwesen, die sich evolutionär im Inneren eines Planeten gebildet haben, dessen Kern ein schwereloses Vakuum bildet. Der Durchmesser beträgt 6.000 Kilometer. Bedroht wird das Lebensumfeld durch den Abraum von Expeditionen, die durch Tunnels andere Lebensblasen finden wollen. Langsam finden sie heraus, dass die Dichte abnimmt, der Universum kein Felsuniversum sein kann, und die Gesellschaft spaltet sich: Die Weltregierung will die Expeditionen unterbinden, die Forscher gründen eine eigene Kleinblasenwelt. In einem Krieg rüsten beide hoch. Doch als die Forscher den Boden eines Ozeans erreichen, erkennt die Weltregierung die Richtigkeit dessen, was sie abgelehnt hat, und schließt Frieden. Ist dies eine Metapher über die korrigierten Irrwege der KP Chinas?
Diese Serie bedeutender Entdeckungen ließ auch die Weltregierung nicht länger ungerührt. Sie schloss Frieden mit ihren Feinden von einst und stellte fortan alle ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen in den Dienst der Expeditionstätigkeit.
In weiteren Expeditionen stoßen sie an die Oberfläche des Planeten und entdecken die Leere des Weltraums, ein Paradies für diese Maschinenwesen. Nach langer technologischer Entwicklung wollen sie die Grenze des Universums ergründen und die bei der Erde Angekommenen sind Teil eines Erkundungsraumschiffes. Die Erde hätten sie angesteuert, da sie die irdischen Radiowellen entschlüsselt haben und mit den Bewohnern plaudern wollen.

Als sie den Bericht ihrer Entwicklung abgeschlossen haben, brechen sie auf, die Wassersäule stürzt zusammen, Feng Fan findet sich in einem stillen Ozean wieder, doch wegen Höhenkrankheit ist seine Lunge durch ein Ödem zerstört und er befindet sich in Lebensgefahr. Kein Schiff ist weit und breit. Die Erzählung endet mit seinem Wunsch nicht zu sterben, da er als Bergsteiger weitere Höhen erklimmen möchte.

Dieser Wunsch wird wohl kaum in Erfüllung gehen. Auch wird niemand je von diesem Gespräch erfahren und enträtseln können, wie ein 45 Milliarden Lichtjahre großes Universum innerhalb von 50.000 Jahren erkundet werden könnte, wie die Außerirdischen planen.

Das Ende der Kreidezeit

In dieser Erzählung aus 2004 wird präsentiert, was passiert, wenn der Kalte Krieg zwischen zwei bipolaren Welten entgleitet. Die ultimativen Waffen sind zwei aus einem Kometen abgebrochene Antimaterie-Brocken, die gegenseitig auf einem Schiff in einem gegnerischen Hafen gestellt werden. Diese werden nicht gezündet, sondern durch einen Abbruchbefehl, den der jeweilige Präsident geben muss, an einem Kontakt mit Materie gehindert werden. Das geht schief. Nach einem Aufstand sind die Eliten beider Welten ausgeschaltet, niemand gibt den Abbruchbefehl, die beiden Bomben zünden und vernichten beinahe sämtliches Leben auf der Erde.

Angesiedelt ist die Geschichte in der Kreidezeit. Die Zivilisationsträger sind in Symbiose lebende Tyrannosauridae (zuständig für Grobmechanik und technische Entwicklung) und Ameisen (zuständig für Feinmotorik). Die beiden Reiche sind Gondwana und Laurasien. Den Untergang führen die Ameisen, die eigentlich ehrbare Ziele vertreten, durch einen massiven Aufstand herbei. Sie stellen den Saurierherrschern ein Ultimatum, das Wettrüsten und die Umweltverschmutzung zu beenden, doch diese weigern sich. Die Ameisen legen mittels Donnerkörnern sowohl die Saurierelite (die Donnerkörner werden im Schädel platziert) als auch die Computernetzwerke lahm. Der Abbruchbefehl kann nicht mehr gegeben werden, da auch eine Kommunikation zwischen Sendeanlagen und Ameisenarmee nicht mehr stattfinden kann. Die Apokalypse überleben nur die sich unterirdisch versteckt habenden Ameisen.

Die Sonne Chinas

Diese Geschichte aus 2002 webt mehrere Motive ineinander, wobei Geoengineering der zwischen 2035 und 2055 spielenden Handlung das Zentralthema ist. Hauptfigur ist Shuiwa aus der kargen und trockenen Gegend Nordwest-Chinas.

Shuiwa verlässt seine Eltern und das Heimatdorf, beginnt in einer illegalen Kohlenmine zu arbeiten, zieht weiter als Schuhputzer in die Provinzhauptstadt, wo er als Schuhputzer tätig ist. In seiner Unterkunft (gut 12 Leute in einem Raum) lernt er einen Nanomaterial-Entwickler kennen, der mit seinem Patent bisher nicht erfolgreich gewesen ist. Mit ihm zieht er nach Peking, wo er als Fensterputzer für Wolkenkratzer anheuert. Fuß fassen in Peking kann er nur, da vor kurzem das heutzutage immer noch geltende Haushaltsgesetz abgeschafft worden ist, welches Sozialleistungen nur denjenigen gewährt, die offiziell in einer Stadt gemeldet sind. Den „illegalen“ Wanderarbeitern stehen diese nicht zu. Derzeit (2025) gibt es in China etwa 300 Millionen solcher Arbeitssklaven zweiter Klasse. Zum ersten Mal lese ich eine leichte Kritik an China in einer von Lius Erzählungen, aber dennoch gewann sie den höchsten SciFi-Preis der Volksrepublik.

Als er das Hochhaus der Weltraumagentur reinigt, sieht ihn Lu Hai, der Nanomaterial-Entwickler wieder, der mittlerweile ein Geoengineering-Projekt, das sein Material für eine zweite Sonne nutzt, um Wetterereignisse zu steuern und Regen in Dürregebiete zu bringen. Shuiwa wird angeheuert, um diese zweite Sonne, die im geostationären Orbit geparkt ist, von Sonnenwindverunreinigungen zu säubern. Er leitet ein Team, das 20 Jahre lang die Hälfte des Jahres im All verbringt und die Intellektuellen der Raumfahrtagentur überzeugt, dass für solche Jobs keine Hochschulabsolventen notwendig sind, sondern Praktiker. Diese Arbeit ist hochbezahlt, Shuiwa gründet eine Familie und kauft eine Wohnung in Peking.

Als diese Geoengineering-Installation nach 20 Jahren abgebaut wird, da es moderner Lösungen gibt (welche, wird nicht angeführt), kann Shuiwa in Gesprächen während einer offiziellen Feier nicht hinnehmen, dass es keine idealistischen Weltraumprojekte mehr gibt, sondern nur mehr solche, die praktischen oder finanziellen Nutzen abwerfen. So finden sich mit ihm 20 Pioniere, welche den möglichen Sonnenwindantrieb der Zweiten Sonne nutzen wollen, um im Tiefschlaf nach Proxima Centauri und möglicherweise weiter zu fliegen. Dieses Ansinnen wird gewährt. Offen bleibt, wie es mit Frau und Kindern weitergeht. Mit den Eltern führt er vom nun interstellaren Raumschiff aus noch ein Videogespräch. Deren Region ist nun kein Dürregebiet mehr, sondern ein grünes Paradies. Geoingeneering ist ein Segen für die Menschheit.

Sprachlich ist diese Erzählung wie alle anderen bisher gelesen sehr sachlich gehalten und liest sich mehr wie ein Bericht als eine Dichtung. Dies könnte intendiert sein.

Um Götter muss man sich kümmern

Eines Tages erscheint eine riesige Weltraumflotte, aus der zwei Milliarden uralte Männer sich auf die Erde fallen lassen und als Penner leben, die behaupten, die Götter zu sein, welche das Leben auf der Erde geschaffen haben. Im Austausch mit ihrem technischen Wissen werden sie Familien zugeteilt und durch Sozialunterstützung von diesen betreut.

Der bei einer chinesischen Bauernfamilie lebende alte Gott erzählt die typische Paläo-Astronautengeschichte. Mit ihren Raumschiffen bewegen sie sich nahe an der Lichtgeschwindigkeit und können daher irdische Jahrmilliarden leben. Selbst leben sie einige Jahrtausende Erdenzeit und sind nun überaltert. Ihre Technologie kann sich selbst reduplizieren und reparieren, daher haben sie einfachste Aufgaben wie Quadratrechnungen vergessen.

Da die Menschheit durch diesen Zuwachs nun rettungslos überaltert ist und die wissenschaftlichen Informationen unbrauchbar sind (für die Antimaterieenergie liegt das nächste große Antimaterielager zwischen Milchstraße und Andromeda), entstehen große Konfliktbereiche. Schließlich werden die Götter von ihren Raumschiffen, die auch schon reparaturbedürftig wären, abgeholt.

Soweit ist es eine Parabel über eine überalterte Gesellschaft: „Für eine Zivilisation bedeutet es eine tödliche Gefahr, wenn die individuelle Lebenserwartung zu lang wird.“ Und weiter der Erzähler:
Alle staatlichen Einrichtungen, allen voran das Gesundheitssystem, sahen sich enormen Belastungen ausgesetzt, und die Weltwirtschaft geriet an den Rand des Zusammenbruchs.
Politisch wird es, als der Gott in der chinesischen Familie über das Han-Reich und das Römische Reich spricht, das sich leider nie getroffen habe: „… der Zusammenprall dieser beiden großen Kulturen hätte grandiose Funken geschlagen und die Menschheit beträchtlich vorangebracht.“ Ein Wunsch bezüglich des aktuellen China und den USA/dem Westen?

Schwer nachvollziehbar ist am Ende die Mahnung, dass die Menschheit so schnell wie möglich die Erde verlassen und neue Siedlungsmöglichkeiten finden müsse, da ein galaktischer Angriff drohe. Die Götter hätten noch drei weitere Menschheitszivilisationen geschaffen, die extrem aggressiv seien und die Koordinaten der Erde bereits kennten.

Fluch 5.0

In dieser Erzählung greift Liu die Verwundbarkeit von autonomen computergesteuerten Systemen auf, zu deren Aushebelung ein Uraltcode genügt. Ausgangspunkt ist ein DOS-Code einer jungen Frau, die sich an ihrem Ex rächen will. Auf infizierten Systemen erscheint einmal die Aufschrift „Sa Bi verrecke!!!!!!!!!“. Das war’s. Die Systeme selbst wurden nicht manipuliert.

Dieser Code wird nach fast 20 Jahren von Internet-Archäologen ausgekramt und wird zu Fluch 2.0 gehackt, dass dieser Sa Bi, falls er in einem autonom fahrenden Taxi sitzt, von diesem Taxi getötet werden soll. Fluch 3.0 weitet dies auf Smart-Homes, Krankenhäuser, Flugzeuge aus. Der Code bleibt unwirksam, da Sa Bi mittlerweile seinen Namen geändert hat.

Fluch 4.0 wird von den obdachlosen SciFi- und Fantasy-Autoren Großer Liu (Selbstreferenz des Autors) und Großer Pan auf einem alten Laptop mit Wildcards erweitert. Beruf, Adresse, Studien- bzw. Arbeitplatz und Geschlecht werden mit einem * versehen, nur die Stadt wird mit Taiyuan (Lius Wohnort im Norden Chinas) angegeben. Sömtliche autonome Systeme beginnen nun die Bewohner:innen zu töten. Autos jagen Passanten, U-Bahnen kollidieren, Häuser brennen ab. Selbst zu Hilfe eilende Einheiten werden von den Computersystemen mit Falschmeldungen zurückgeschickt. Fazit: Am Ende ist Taiyuan ein Aschehaufen. Nur einige Bewohner konnten sich zu Fuß retten, so auch Liu und Pan.

Ende: Fluch 5.0 ersetzt Tiyuan, Provinz Shanxi, China mit der Wildcard *.*.*. Die autonomen Systeme sollen die Menschheit vernichten.

In beinahe Dürrenmatt’scher Weise denkt Liu die Anfälligkeit autonomer Systeme durch Schadsoftware zu Ende. Auch dessen Grundsatz, dass nicht zurückgenommen werden könne, was einmal gedacht wurde, ist durch die Adaptierung eines alten, eigentlich harmlosen Codes aufgegriffen.

Ein Nebenaspekt des in naher Zukunft spielenden Textes: Taiyuan wird wegen seiner Kohlevorkommen reich, als die Erdölvorräte zu Ende gingen. Es wird also nicht auf nachhaltige Energiequellen zurückgegriffen, sondern wieder auf Kohle.

Das Mikrozeitalter

Hier wird auf die erste Erzählung zurückgegriffen: Die Erde wird durch eine Sonnenexpolosion für Menschen unbewohnbar. Doch diesmal wird die Erde nicht zum interstellaren Raumschiff, sondern 18.000 Jahre vor der Katastrophe werden Raumschiffe, Archen, ausgesendet, die beinahe mit Lichtgeschwindigkeit reisen können. Doch durch das Abbremsen zur Kommunikation vergehen für die erste und einzig übriggebliebene Arche 25.000 Jahre. Sie kommt neun Jahre später als geplant an. Nicht vor der Katastrophe, sondern danach.

Als der letzte Überlebende (Vorreiter genannt) mit ihr die zerstörte Erde erreicht, denkt dieser, einen leblosen Planeten vorzufinden. Die Bildschirme zeigen ihm kindliche, der Schwerkraft trotzende menschliche Wesen mit einer etwa 14-jährigen Präsidentin, die ihn begrüßen. Langsam wird dem Vorreiter bewusst, dass dies keine virtuelle Realität ist, sondern diese Wesen winzige Menschen sind, welche die Größe von Einzellern haben. Er nimmt Kontakt auf.

So erfährt er, dass die Menschheit beschlossen hat, per Gentechnik sich so zu verkleinern, dass eine Überlebenschance besteht. Dies ist gelungen und die Makromenschen verloren schließlich einen Krieg gegen die Mikromenschen um die Vorherrschaft. Die Menschheit überlebte die Katastrophe in kleinen Blasen, in denen sie sich versorgen konnte, 800 Meter unter der Oberfläche und war in der Lage, weitere Blasen mit Städten zu gründen, sodass mehr als 18 Milliarden Winzigmenschen die Erde bevölkern, ohne die Ressourcen der Erde belasten zu können.

Der Vorreiter wird der letzte Makromensch bleiben. Er vernichtet die in seiner Arche befindlichen menschlichen Föten. Die Zukunft gehört den kindlichen, lebensfreudigen Mikromenschen.

Weltenzerstörer

Die Erde wird von einem in einem Kristall reisenden Mädchen gewarnt, dass der Weltenzerstörer sich der Erde nähert. Dies ist ein Ring, der sich um Planeten legt, um Ressourcen wie Wasser, Sauerstoff, Mineralien abzusaugen und diesen in desolatem Zustand hinterlässt. Gesteuert wird er von einer ehemalig irdischen Dinosaurierzivilisation. Ein Bote namens Beißer gibt den Erdbewohnern 100 Jahre Vorlaufzeit. Die Menschen würden als Tiere gehalten werden, könnten aber 60 Jahre vollversorgt in paradiesischen Zuständen leben. Der Marshall, der für die Abwehr eigentlich von Asteroiden zuständig ist, versieht den Mond mit Unmengen an Atomraketen, welche ihn in den Ring befördern sollen, das Unternehmen gelingt jedoch knapp, die Dinosaurier können ausweichen. Bevor der Ring sich auf die Reise in einen anderen Spiralarm der Milchstraße begibt, lehen der Marschall und seine Soldaten ab, als Zuchttiere mitzukommen. Sie bleiben auf der Erde, um für die überlebenden Ameisen Nahrung zu sein. Freiheit ist mehr wert als glückliches Leben in Gefangenschaft. Wohl ein politisches Statement.

Die Versorgung der Menschheit

Der ausgebildete Auftragsmörder Glattrohr erhält von den dreizehn reichsten Menschen der Welt den Auftrag, drei der ärmsten Menschen der Stadt zu töten. Da ihm dies eigenartig vorkommt, nimmt er entgegen seinen Grundsätzen Kontakt zu den Auftraggebern auf und erfährt, dass etwa eine Milliarde der „Alten“ die Erde besiedeln, die Menschheit in ein Reservat sperren und auf Basis des Lebensunterhalts der ärmsten Menschen versorgen wollen. Die Superreichen verteilen verteilen Unmengen an Geldern, um die Armut zu lindern, doch drei in der Stadt weigern sich, darunter ein Müllmädchen und ein Maler. Dass es die „Alten“ ernst meinten, sei an der Zerstörung Australiens zu erkennen, da es sich geweigert hat, als Reservat zur Verfügung zu stehen.

Die „Alten“ sind wie die Menschen eine genetische Schöpfung der Götter. Die „Alten“ waren die ersten Humanoiden, die Menschen sind die vierten und letzten. Nach der Tötung des Mädchens tritt ein Fremder auf Glattrohr zu, ein Rechercheur der „Alten“, und erzählt ihm, wieso sie sich hier ansiedeln werden. Auf ihrer Erde sei Privateigentum das oberste Prinzip und am Ende gab es nur noch einen Menschen, der alles besessen hat, auch die Natur, das Wasser, die Luft. Zwei Milliarden haben in hermetisch abgeriegelten Häusern gelebt und sich selbst versorgt. Wasser und Luft wurde recyclet, die Lebensbedingungen waren miserabel. Bei einem Spaziergang im Freien wurde sogar die Nutzung der Atemluft von ihrem Konto abgezogen. Schließlich brachen aber die mittlerweile alterschschwachen Systeme zusammen, die Menschen flohen in die freie Natur, um nicht zu ersticken. Der egomanische Weltbesitzer gab ihnen nur eine Überlebenswahl: Mit von ihm gebauten Raumschiffen sollen sie sich eine neue Welt suchen. Dies taten sie, und auf der Reise ist etwa die Hälfte verstorben oder verschollen.

Vom Maler, den Glattrohr am Ende auch ermordet, nimmt er jedoch den Auftrag an, die dreizehn Superreichen zu töten, bezahlt fühlt er sich mit einem Bild, das ihm früher geschenkt worden ist. Nachdem die dreizehn in ihrem Hotel erschossen sind, tauchen die ersten Raumschiffe der „Alten“ in die Erdatmosphäre ein.

Beklemmend übrigens der lange Teil, in dem über die Ausbildung von Auftragsmördern berichtet wird. Es ist null Emotion mit dieser Tätigkeit verbunden. Die Opfer sind „Rohlinge“, die „verarbeitet“ werden müssen, damit sie „abkühlen“.

Durch die Erde zum Mond

Der Nuklearingenieur Shen Huabei entwickelt bei der weltweit beschlossenen und durch unterirdische Sprengung vollzogenen Vernichtung von Atomwaffen einen „Zuckerguss“, der hochfeste Materialien erzeugen lässt. Aufgrund seiner Leukämie lässt er sich in einen Tiefschlaf versetzen und wird nach gut 70 Jahren geheilt geweckt.

Doch die Erde ist ein unwirtlicher Ort geworden, die Luft ist durch Industrieabgabse nicht atembar, die Ozonschicht ist durch die Industrialisierung der Antarktis zerstört. Nach dem Erwachen wird er von Männern entführt, die nach seinem Leben trachten, die ihn und seinen verstorbenen Sohn für die Umweltzerstörung verantwortlich machen. So wird ihm erzählt:
“Seit acht Jahren ist der Tunnel geschlossen, doch seine Auswirkungen auf die Wirtschaft bekommen wir noch immer zu spüren. Tausende von Investoren und Aktionären sind ruiniert, nachdem ihre Vermögen in einem schwarzen Loch versenkt wurden. Soziale Unruhen, eine bankrotte Staatswirtschaft – bis heute haben wir den Karren noch nicht wieder aus dem Dreck gezogen.“
Sein Sohn leitete die Errichtung eines Tunnels durch die Erde von China zur Antarktis. Es kam jedoch zu Unfällen, bei denen Tausende starben, diejenigen, die Shen entführen, sind Angehörige von Opfern. Sie werfen Shen in den immer noch funktionierenden Tunnel und an der nun dysfunktionalen Arktisstation wird er von diensthabenden Polizisten vor dem ewigen Hin- und Herfliegen gerettet, wonach er erneut für einige Jahrzehnte in einen Tiefschlaf versetzt wird.

Nach dem neuerlichen Erwachen ist nun die Erde komplett zerstört, es gibt keine Wälder mehr und sämtliche Industrien sind auf den Mond ausgelagert worden. Der Tunnel dient nun als Abschussrampe („Weltkanone“), da es gelungen ist, mit neuen Materialien die elektromagnetischen Ströme es Erdkerns in der zweiten Reisehälfte als Beschleunigungsmechanismus zu nutzen. Mit einer Reiseleiterin fliegt Shen in den Weltraum, wo er von einem Raumschiff aufgenommen und zum Mond gebracht wird.

Ganz erschließt sich nicht, warum Shen und sein Sohn für die Umweltzerstörung der Erde verantwortlich gemacht werden. Dennoch endet die Erzählung technikoptimistisch: Der Tunnel wird schließlich, wenn auch zu spät, dafür genutzt, um der Umweltzerstörung ein Ende zu setzen. Das Lebenswerk von Shen und seinem Sohn ist nicht umsonst gewesen.

Mit ihren Augen

Dies ist eine der ersten Erzählungen Lius aus dem Jahr 1999. Die Erde ist nicht verwüstet, im Gegenteil, Wüstengebiete sind blühende Landschaften, so die chinesische Taklamakan.

Ein Angestellter in einem Raumfahrtzentrum fährt auf Urlaub in die Taklamakan und nimmt „Augen“ mit, das sind Kommunikationsgeräte, die einer anderen Person übermitteln, was seine fünf Sinne aufnehmen. Im Regelfall werden damit Raumfahrer:innen ausgestattet, um einen irdischen Urlaub mitfühlen zu können. Diese „Augen“ gehören einer Raumfahrerin mit einer etwas kindlichen Stimme, und sie ist in einer kleinen Kapsel. Überraschend ist, dass es keine Zeitverzögerung gibt. In der Wüste will sie alle Blumen sehen und sie gibt ihr Namen, sie bestaunt den Sonnenuntergang, den Vollmond. Im Laufe der Gespräche stellt sich heraus, dass sie die Kapitänin der Sonnenuntergang Nummer 6 ist, einem Schiff, das den Erdmantel erkunden soll, doch durch einen Riss, gleitet ihr Schiff in den Erdkern ab, wo es gefangen ist. Die Lebenserhaltungssysteme werden sie ein ganzes Leben lang erhalten können. Die letzte Hoffnung ist, dass es in den nächsten Jahrzehnten möglich sein werde, eine Rettungsaktion zu starten. Trotz dieser trostlosen Lage will sie ihre wissenschaftlichen Forschungen durchführen und bis zum Kommunikationsabriss die Ergebnisse an die Erdoberfläche kommunizieren.