Narrenschiffer
Diskussionsleiter
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen

dabei seit 2013Unterstützer
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen
Joachim Zelter - untertan
11.06.2025 um 23:44
Der Freiburger Schriftsteller Joachim Zelter legte 2012 eine streckenweise bitterböse, aber nicht immer stimmige Satire auf das deutsche Bildungswesen wie die Politiklandschaft vor.
Friederich Ostertag ist Sohn eines Spielwarenhändlers aus Lindau und Enkel des Erfinders des Spiels Fang den Hut. Sein Vater ist von seinem riesigen Talent überzeugt und lässt ihn als Fünfjähriger einschulen, womit die Karriere eines eher minderbemittelten Schülers beginnt, der als lernunfähig charakterisiert ist. Er kann weder mit Buchstaben noch mit Zahlen umgehen. Trotz einer Nachhilfelehrerin, die zeitweise im Haus wohnt, und Helikopterbetteleien durch seinen Vater geht auch am Gymnasium nicht weiter: Friederich ist unfähig, Texte zu verstehen. Ergo: ab ins Internat Mochenwald.
Dieses ist nicht wegen seines Niveaus bekannt, sondern dafür, dass reiche Erbensöhne ohne Leistung das Abitur bestehen können. Internatsklassiker: Gewalt. Dazu saufen. Und als Schulklamauk: Den Schülern gelingt es mit Hilfe ihrer Eltern, permanent Klausuren zu vertagen. Lehrer werden gewechselt wie Unterhosen, da es dort niemand mit Verstand lange aushält.
Doch dann der Bruch: Friederich entpuppt sich als exzellenter Briefeschreiber. Woher diese Kompetenz plötzlich kommt, bleibt im Dunkel. Er schreibt für seine Mitschüler in deren Namen permanent Briefe an reiche Verwandte, worüber die so glücklich sind, dass sie ihren Cousins Unmengen an Geld schicken. Das Abi schafft Frederik (siehe oben).
Danach geht Friederich an die Uni Konstanz und studiert Politologie und Soziologie (permanente Seitenhiebe gegen diese Blümchenfächer sind aufgelegt). Doch auch dort entwickelt sich seine Schreibkunst weiter, er wird Ghost-Writer für Diplomarbeiten, so auch für einen jungen reichen Lebemann und Frauenhelden namens von Conti (mit Unmengen Vornamen). Für diesen schreibt er in kurzer Zeit dessen Magiserarbeit und im Anschluss über mehrere Jahre dessen Doktorarbeit (mit Unmengen an Zitaten aus Werken, die es gar nicht gibt - also ein Vorläufer einer halluzinierenden KI). Für sich selbst schafft er keine Abschlussarbeit (keine Diplomarbeit und schon gar keine Dissertation).
Von Conti macht Karriere und zieht Friederich als Berater und Ghostwriter mit: als Assistent seiner wissenschaftlichen Assistenz, als Ideengeber für seine Partei, für seine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter, für seine Tätigkeit als Minister. Selbst kann von Conti ja nichts, er ist nur adelig, reich und beliebt. So richtig blüht Friederich auf, als er Bewerbungsgespräche für von Conti führt und die Bewerber:innen, meist weiblich, auflaufen lässt. Eine hingebrabbelte Frage des extrem schüchternen Friederich an eine junge Frau, ob sie ihn heiraten wolle, wird bejaht. Er kann sich auch nicht auf das Rollenspiel Bewerbungsgespräch ausreden, es wird geheiratet. Doch im Laufe der Geschichte verschwindet diese Karla wieder (mir wäre kein Exitszenario aufgefallen).
Als während der Finanzkrise von 2008/09 im Zuge der Sparmaßnahmen Friederich nicht nur den Verkauf mehr oder weniger allen Staatseigentums vorschlägt, sondern auch die Lizenzierung von Sprachen (Menschen sollten nur mehr einen sehr eingeschränkten Wortschatz kostenfrei verwenden dürfen), trennt sich von Conti von seinem Berater.
Friederich fällt ohne Studienabschluss ins Leere. Das Spielwarengeschäft seines Vaters ist geschrumpft und kämpft ums Überleben, seine Mutter ist bettlägrig. Seine Frau ist aus dem Roman verschwunden. Also bleibt ihm nur mehr eine Option: Er ertränkt sich im Bodensee.
Phasenweise witzig, das sprachliche Spektrum ist groß, aber die Geschichte hat so ihre Logikfehler. Die Seitenhiebe aufs Bildungswesen sind gelungen, auch wenn die Namen von Internatsschüler wie Suhrkamp dann schon ein zu übertriebener Seitenhieb auf Deutschlands Kulturlandschaft sind, und dass von Conti ein Alter Ego von Guttenberg sein könnte, ist Kritikern bereits bei Erscheinen aufgefallen. Der Bezug im Titel zu Heinrich Manns gleichnamigen Roman ist dann aber doch etwas zu hoch gegriffen.