Narrenschiffer
Diskussionsleiter
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen

dabei seit 2013Unterstützer
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen
Thomas Mann - Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull
21.07.2025 um 20:39
Bis 1913 geschrieben und vor seinem Tod nochmal bearbeitet, lässt sich erahnen, dass Mann in diesem Roman steckengeblieben ist. Der in Ich-Form geschriebene Roman bietet eine Rückschau aus der Sicht des etwa 40-jährigen, in den 1870er Jahren geborenen Krull. Schon in seiner Kindheit hat er sich in seiner Fantasie in andere Personen, so einen Kaiser, hineinversetzt und so behandeln lassen.
Felix Krull stammt aus einer rheinländischen Sektfabrikantenfamilie, sein Vater hat billigsten Fusel verkauft, jedoch in der gesellschaftlichen Oberliga mitspielen wollen. Der Bankrott ist vorhersehbar und der Vater nimmt sich das Leben. Krulls Pate, der Maler Schimmelpreester, zur Sektqualität:
Ihre Person in Ehren, aber Ihren Champagner sollte die Polizei verbieten. Vor acht Tagen habe ich mich verleiten lassen, eine halbe Flasche davon zu trinken, und noch heute hat meine Natur sich nicht von diesem Angriff erholt. Was für Krätzer verstechen Sie eigentlich zu diesem Gebräu?Der Vater zur Sektqualität:
Ist es Petroleum oder Fusel, was Sie bei der Dosierung zusetzen? Kurzum, das ist Giftmischerei.
ich muß billig herstellen, weil das Vorurteil gegen die heimischen Fabrikate es so will - kurz, ich gebe dem Publikum, woran es glaubt.Der Tod des Vaters führt zum gesellschaftlichen Abstieg. Seine Mutter mietet in Frankfurt ein Haus, das sie als Pension führt. Felix bestaunt weiterhin die Oberschicht und deren Geschäfte, und sein Weg wird frei, als er vor der Stellungskommission einen epileptischen Anfall simuliert.
Krull geht eine Beziehung mit einer ungarischen Prostituierten namens Rozsa ein, die er ein halbes Jahr pflegt, bis er den von seinem Paten in einem Pariser Hotel ausgehandelten Dienst antritt. Mann nutzt diese Episode, um den Menschenhandel im Rotlichtmilieu anzuprangern. Das Kurzportrait von Roza ist beklemmend.
Rozsa, so hieß meine Gegenspielerin, war aus Ungarn gebürtig, doch ungewissester Herkunft; denn ihre Mutter war in einem Wandercirkus durch Reifen, mit Seidenpapier bespannt, gesprungen, und wer ihr Vater gewesen, lag völlig im Dunkel. Früh hatte sie stärksten Hang zu grenzenloser Galanterie gezeigt und war, noch jung, doch nicht ohne ihr Einverständnis, nach Budapest in ein Freudenhaus verschleppt worden, wo sie mehrere Jahre verbrachte, die Hauptanziehung der Anstalt. Aber ein Kaufmann aus Wien, der glaubte, nicht ohne sie leben zu können, hatte sie unter Aufbietung großer List und sogar mit Beihilfe eines Verbandes zur Bekämpfung des Mädchenhandels aus dem Zwinger entführt und bei sich angesiedelt. Älter schon und zum Schlagfluß geneigt, hatte er sich ihres Besitzes im Übermaße erfreut und in ihren Armen unvermutet den Geist aufgegeben, so daß Rozsa sich auf ledigem Fuße gefunden hatte. Von ihren Künsten hatte sie wechselnd in mancherlei Städten gelebt und sich kürzlich in Frankfurt niedergelassen, wo sie, von bloß erwerbender Hingabe keineswegs ausgefüllt und befriedigt, feste Beziehungen zu einem Menschen eingegangen war, welcher - Metzgergesell ursprünglich, aber ausgestattet mit kühnen Lebenskräften und von bösartiger Männlichkeit - Zuhälterei, Erpressung und allerlei Menschenfang zum Berufe erwählt und sich zu Rozsa's Gebieter aufgeworfen hatte, deren Glücksgeschäft seine vornehmste Einnahmequelle bildete. Wegen irgendwelcher Bluttat jedoch gefänglich eingezogen, hatte er sie auf längere Zeit sich selbst überlassen müssen, und da sie nicht gewillt war, auf ihr privates Glück zu verzichten, hatte sie ihre Augen auf mich geworfen und den stillen, noch unausgebildeten Jüngling sich zum Herzensgesellschafter ersehen.Auf dem Weg nach Paris stiehlt Krull eine Schmuckschatulle aus der offenen Tasche einer Dame in Pelzmantel, mit der er später in Paris ein Verhältnis eingehen wird, und den Schmuck wird er bei einem Pariser Juwelier, den ihm ein kroatischer Arbeitskollege empfiehlt, für gut 4.000 Franc verhökern. Privat kann er sich von der Diebesware teuerste Kleidung kaufen und sich in höheren Gesellschaftskreisen bewegen.
Im Hotel selbst beginnt er als Liftboy und wird schließlich als Kellner angestellt, eine Tätigkeit, bei der er zu großer Beliebtheit gelangt, was wiederum ihm den Kontakt zu der "Schmuckdame", Madame Houpflé (Frau eines reichen elsässer Toilettensitzproduzenten), verschafft, mit der er eine Liebesbeziehung eingeht. Den Diebstahl gesteht er, und Madame Houpflé legt weiteren Schmuck als "Liebesgabe" drauf, sodass Krull ein Konto mit einer Einlage von etwa 12.000 Franc eröffnen kann. Das sind etwa 20 Jahresgehälter eines Hoteldieners.
Nach einigen ausführlichen Erzählungen über verschiedenste Hotelgäste, so auch einen schwulen Schotten, der ihn als Kammerdiener auf seinem Schloss haben will, kommt es zur prägenden Begegnung mit dem etwa gleichaltrigen Marquis de Venosta aus Luxemburg. Seine Eltern wollen ihn auf eine Bildungsweltreise schicken, doch er zieht es vor, bei seiner Geliebten Zaza in Paris zu bleiben. Sie vereinbaren einen Rollentausch. Der Marquis bleibt unter dem Namen von Krull in Paris und kann über dessen Ersparnisse verfügen (Krull kündigt im Hotel), Krull selbst unternimmt als Marquis de Venosta die Weltreise und kann über dessen Zuwendungen durch seine Eltern verfügen. Somit erhält Krull eine neue Identität.
Die Reise soll ihn von Lissabon zu Verwandten nach Argentinien führen. Im Zug lernt er den Generaldirektor des Lissaboners Naturgeschichtlichen Museums kennen, mit dem er lange Gespräche führt und über den Urknall, die Entstehung des Lebens sowie die Menschheitsgeschichte das Wesentliche der damaligen Erkenntnisse kennenlernt.
Auch in dieser Episode gibt es Bonmots, die wie Blitzschläge aus dem öfter dahinplätschernden Text hervortreten; hier einer von Kuckuck:
..., daß neben dem Menschen das gerade schon formbeständige Urtier fortlebe, der Einzeller, das Infusor, die Mikrobe, mit einer Pforte zur Einfuhr und einer zur Ausfuhr an ihrem Zeil-Leib, - mehr brauche es nicht, um Tier zu sein, und um Mensch zu sein, brauche es meistens auch nicht viel mehr.In Lissabon verkehrt er in Diplomatenkreisen, hat eine Audienz mit dem König, schreibt ausführliche Briefe an seine "Eltern" und ist regelmäßiger Gast im Haus der Familie Kuckuck mit der dominanten iberischen Gattin und ihrer spröden Tochter Susanna bzw. Zouzou. Krull wirbt wie wild um ihre Gunst, doch Zouzous Ansicht ist:
Ihr jungen Männer seid alle garstige, lasterhafte Buben, die auf das Unanständige aus sind.Nach einer langen Beschreibung eines Stierkampfes und dessen blutiger Brutalität führt Mann den Roman zum Ende. Im Garten des Hauses der Kuckuck zeigt Krull ihr vom echten Venosta gemalte Akte von Zaza, die er mit Frisurelementen von Zouzou versehen hat. Diese zerreißt die Bilder, beginnt ihn jedoch zu umarmen und zu küssen. Ihre Mutter beobachtet dies, schickt sie ins Zimmer und der Roman endet, dass Signora Kuckuck beginnt, Krull zu verführen.
...
Der Mensch, wie schön er sei, wie schmuck und blank,
Ist innen doch Gekrös' nur und Gestank.
Ich denke, dass zwei Momente eine Rolle spielen können, dass Mann den Roman nicht fortgesetzt hat. Da ist einerseits der Weltkrieg, aber andererseits das einengende Setting des Rollentausches (Klamauk-Gefahr) und der Ich-Perspektive. Der Roman, den Mann im Anschluss schrieb, wurde schließlich ein Meisterwerk der Weltliteratur: Der Zauberberg.