Narrenschiffer
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Florian Illies - Generation Golf
23.07.2025 um 10:43
25 Jahre ist es her, dass Florian Illies diese Nabelschau über eine ganze Generation veröffentlicht hat. Viel kann ich damit nicht anfangen.
Einerseits finde ich eine Charakterzuschreibung für eine Generation grundsätzlich bedenklich, in diesem Fall ist es Egoismus, Narzissmus, Leben als "Selbstbefriedigung", Konsumorientierung, Markenwahn, Werbeweltglauben, Entpolitisierung, Konservativismus. Da könnte ich nun drauflegen, dass es eine Generation von Protofaschisten ist, da diese Altersgruppe gegenwärtig weltweit populistische Parteien oder Kandidaten überdurchschnittlich wählt. Nur sind solche Zuschreibungen sinnbefreit, da ohne Analyse.
Andererseits ist es der Schenkelklopferstil. Nichts wird aus einer radikalen ironisierenden Ich-Perspektive so richtig ernst genommen. Mehrfach kam mir in den Sinn: Das ist doch Gregs Tagebuch für Erwachsene. Die Generation davor wird pauschal als alternative Hippies mit Liegefahrrädern und "mit allen Hundertwassern gewaschene[n] Umhängetücher[n]", die auf Kiefermöbel steht, abgekanzelt, und Gerhard Schröder wie Joschka Fischer werden als Generation-Golf-Politiker belächelt, nur weil letzterer plötzlich nicht mehr lange Haare trägt, sondern Maßkleidung.
Die richtige Kleidung kann alles wettmachen. Die schlechte Haut, die bäuerische Herkunft, die schlechte Examensnote. Hauptsache, man ist richtig gekleidet, wie es der Kaschmirkanzler und Joschka Fischer auch von Anfang an als zentrales Regierungsprogramm vertreten haben.Viel Raum nimmt die sich veränderte Medienwelt ein, als ob Entwicklungen wie Privatfernsehen, CD, MTV mit den Videoclips und Daily Soaps ausschließlich durch einen Generationencharakter erklärt werden könnten.
Manche Bonmonts sind für mich schon schwer unter der Gürtellinie, hier ist der blinde Sänger Stevie Wonder das Schenkelklopfer-Opfer:
Der Sprudel war damals aber immer in denselben schweren Glasflaschen, auf denen mit vielen kleinen Glaspunkten und Erhebungen wahrscheinlich geheime Botschaften an Stevie Wonder standen.Politische Einsichten oder Ansichten sind sporadisch in den Greg-Stil eingeflochten, wie zum Beispiel die Abkanzelung sozialdemokratischer Schulpolitik in Hessen.
Wahrscheinlich eine schöne Idee sozialdemokratischer Schulpolitik, um frühzeitig der kapitalistischen Ellbogengesellschaft entgegenzuwirken.Und bezüglich Steuerpolitik scheint Illies nicht zu ironisieren, sondern seine persönliche Meinung wiederzugeben, die er in einer Gesprächserinnerung mit seinem Bruder formuliert:
Wie alle schönen Ideen der sozialdemokratischen Schulpolitik, die wir an uns ausprobieren lassen mußten, bestand sie nicht den Wirklichkeitstest. Nachdem ich nach der zehnten Klasse von der Gesamtschule aufs Gymnasium wechselte und im Biologieunterricht ungefähr auf dem Stand der fünften, im Lateinunterricht auf dem der sechsten Klasse war, begann der Haß auf die Gesamtschulpädagogik, die wohl anders als jedes neue Spüli nie den Pepsitest gemacht hat, sondern gleich in die nordrheinwestfälischen und hessischen Lehrpläne einging.
Das letztemal stritten wir uns, als wir uns über die Aktiengewinne meiner Freunde am Neuen Markt unterhielten und ich ihm erzählte, wie unsinnig in diesem Punkt das deutsche Steuerrecht sei. Denn das Gesetz, mit dem die Generation Golf die meisten Probleme hat, ist nicht das zum Schutze der Jugend oder das deutsche Reinheitsgebot. Es ist der Umstand, daß man Spekulationsgewinne an der Börse versteuern muß, wenn man die Aktien nicht mindestens ein Jahr lang in seinem Depot beläßt.Oder ist doch alles nur Ironie? Hier der Schlusssatz:
... manche von uns schreiben schon mit 28 Jahren ein Buch über ihre eigene Kindheit, im eitlen Glauben, daran lasse sich die Geschichte einer ganzen Generation erzählen.Erfolgreich war Illies mit diesem Buch auf jeden Fall. Derzeit ist das Taschenbuch bei der 15. Auflage und der Titel hat es neben Generation X in die Realwelt geschafft.