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Elfriede Jelinek - Die Klavierspielerin
07.08.2025 um 10:26
42 Jahre ist dieser 1983 veröffentlichte Roman von Elfriede Jelinek nun bereits alt und immer noch ein sehr herausforderndes Werk über eine 36-jährige Klavierlehrerin am Wiener Konservatorium, heute Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, eine renommierte Ausbildungsstätte für Musiker:innen, welche den professionellen Weg einschlagen wollen (bis hin zu den Wiener Philharmonikern).
Jelinek präsentiert eine desolate Psyche einer Frau mit einer Art Eiskunstlaufmutter. Diese wollte, dass ihre Tochter eine Karriere als Klaviersolistin antritt, doch Erika scheitert bei einem Wettbewerb, so wurde sie Klavierlehrerin. Erika ist sozial sehr gehemmt und zurückgezogen, lebt immer noch bei ihrer dominanten Mutter in einer Wiener Altbauwohnung, hat zwar ein eigenes Zimmer, schläft aber bei ihrer Mutter im Ehebett (der Vater war dement, wurde in die Nervenheilanstalt Steinhof abgeschoben und ist dort verstorben). Die Mutter, eine "Mutterfregatte", dominiert weiterhin ihre Tochter, duldet kein Zuspätkommen, verachtet Erikas Einkaufslust für teure Kleidung, da sie ja auf eine Eigentumswohnung spart. Mit dem Geld, das Erika verdient.
Wer zahlt, bestimmt. Die Mutter, die nur eine winzige Rente hat, bestimmt, was Erika bezahlt.In dieser bedrückenden Atmosphäre gibt es einen extremen Wechsel zwischen abgöttischer Mutter-Tochter-Liebe und feindseligen Gewaltausbrüchen.
Hier, als Erika sieht, dass ihre Mutter ein Kleidungsstück entwendet hat.
Erika stürzt plötzlich zu ihrem Kleiderschrank. Sie wird von einem finstren Argwohn ergriffen, der sich schon einige Male bestätigt hat. Heute zum Beispiel fehlt wieder etwas, das dunkelgraue Herbst-Complet nämlich. Was ist geschehen? In der Sekunde, da Erika merkt, es fehlt etwas, weiß sie auch schon die dafür Verantwortliche zu benennen. Es ist die einzige Person, die dafür in Frage kommt. Du Luder, du Luder, brüllt Erika wütend die ihr übergeordnete Instanz an und verkrallt sich in ihrer Mutter dunkelblond gefärbten Haaren, die an den Wurzeln grau nachstoßen. Auch ein Friseur ist teuer und wird am besten nicht aufgesucht. Erika färbt der Mutter jeden Monat die Haare mit Pinsel und Polycolor. Erika rupft jetzt an den von ihr selbst verschönten Haaren. Sie reißt wütend daran. Die Mutter heult. Als Erika zu reißen aufhört, hat sie die Hände voller HaarbüschelHier, als Erika von einem abendlichen Streifzug sehr spät nach Hause kommt:
Erika tritt herein. Blinzelt wie ein Nachtfalter, der zuviel getrunken hat, in das helle Vorzimmerlicht. Überall sind die Lichter eingeschaltet, wie zu einer Festbeleuchtung. Doch die Zeit des hl. Abendmahls ist seit Stunden ungenützt vorübergegangen.Erikas Gedankenwelt ist immer wieder von Gewalt geprägt, die sie jedoch in ihrer Unterrichtswelt nicht ausleben kann.
Leise aber dunkelrot sprintet die Mutter von dem Ort ihres letzten Aufenthalts hervor, reißt etwas irrtümlich um und die Tochter beinahe zuboden, eine Phase des Kampfs, die erst später dran sein wird. Sie schlägt lautlos auf ihr Kind ein, und das Kind schlägt nach einer kurzen Reaktionszeit zurück. Von Erikas Schuhsohlen erhebt sich ein animalischer Geruch, er deutet zumindest Verwesung an. Die beiden sind, der Nachbarn wegen, die morgen früh aufstehen müssen, in einen lautlosen Ringkampf verwickelt. Mit ungewissem Ausgang. Das Kind läßt vielleicht aus Respekt in letzter Sekunde die Mutter gewinnen. Die Mutter läßt vielleicht aus Sorge um die zehn Handwerkshämmerchen des Kindes das Kind gewinnen. Eigentlich ist das Kind prinzipiell stärker, weil es jünger ist; außerdem hat sich die Mutter bereits in Kämpfen mit ihrem Mann verbraucht. Doch das Kind hat nicht gelernt, seine Stärke der Mutter gegenüber voll auszuspielen. Die Mutter klatscht saftige Dachteln gegen die gelöste Haartracht ihrer Leibesfrucht-Spätlese. Das Seidenkopftuch mit den Pferdeköpfen darauf flattert hoch und legt sich wie bestellt über eine Vorzimmerleuchte, das Licht, wie es sich für stimmungsvollere Vorstellungen gehört, sänftigend und dämpfend. Die Tochter ist außerdem im Nachteil, weil ihre Schuhe, von Scheiße, Lehm, Grashalmen glitschig geworden, auf dem Vorlegeteppich unter ihr wegrutschen. So klatscht der Körper der Lehrerin auf den Fußboden, nur wenig vom Läufer aus rotem Sisal abgemildert. Beträchtliche Lärmentwicklung. Die Mutter zischt Erika hinsichtlich der Nachbarn erneut Ruhe! zu. Die Tochter ersucht zur Revanche die Mutter bezüglich der Nachbarn ebenfalls um: Ruhe! Beide kratzen einander ins Gesicht. Die Tochter läßt einen Ruf erschallen wie ein Jagdfalke oberhalb seiner Beute und sagt jetzt, daß die Nachbarn sich hinsichtlich Ruhe von ihr aus morgen ruhig beschweren können, denn die Mutter wird das auszubaden haben. Die Mutter erhebt einen Geheulstoß, den sie sogleich wieder unterdrückt. Dann wieder halb stimmloses, halb stimmiges Keuchen und Wimmern, Ächzen und Zimpern. Die Mutter beginnt, auf die Mitleidstube zu drücken und, da der Kampf bislang unentschieden steht, mit den unlauteren Mitteln ihres Alters und nahen Todes zu arbeiten. Sie bringt diese Argumente halblaut vor, in einer geschluchzten Kette von faulen Ausreden, warum sie heute nicht gewinnen könne. Erika ist von der Klage der Mutter betroffen, sie will nicht, daß dämpfend. Die Tochter ist außerdem im Nachteil, weil ihre Schuhe, von Scheiße, Lehm, Grashalmen glitschig geworden, auf dem Vorlegeteppich unter ihr wegrutschen. So klatscht der Körper der Lehrerin auf den Fußboden, nur wenig vom Läufer aus rotem Sisal abgemildert. Beträchtliche Lärmentwicklung. Die Mutter zischt Erika hinsichtlich der Nachbarn erneut Ruhe! zu. Die Tochter ersucht zur Revanche die Mutter bezüglich der Nachbarn ebenfalls um: Ruhe! Beide kratzen einander ins Gesicht. Die Tochter läßt einen Ruf erschallen wie ein Jagdfalke oberhalb seiner Beute und sagt jetzt, daß die Nachbarn sich hinsichtlich Ruhe von ihr aus morgen ruhig beschweren können, denn die Mutter wird das auszubaden haben. Die Mutter erhebt einen Geheulstoß, den sie sogleich wieder unterdrückt. Dann wieder halb stimmloses, halb stimmiges Keuchen und Wimmern, Ächzen und Zimpern. Die Mutter beginnt, auf die Mitleidstube zu drücken und, da der Kampf bislang unentschieden steht, mit den unlauteren Mitteln ihres Alters und nahen Todes zu arbeiten. Sie bringt diese Argumente halblaut vor, in einer geschluchzten Kette von faulen Ausreden, warum sie heute nicht gewinnen könne. Erika ist von der Klage der Mutter betroffen, sie will nicht, daß die Mutter sich in diesem Kampf so stark abnützt. Sie sagt, die Mutter habe angefangen. Die Mutter sagt, Erika habe zuerst angefangen. Das hat der Mutter ihr Leben um mindestens einen Monat verkürzt. Sie kratzt und beißt nur mehr mit halber Kraft voraus, diese Erika. Die Mutter nimmt den Vorteil prompt wahr und reißt Erika ein Büschel Stirnhaar aus der Kopfhaut, etwas von dem Haar, auf das Erika stolz ist, weil es in einem hübschen Wirbel lockig hereinkommt. Erika macht sofort einen einzelnen Fistelschrei, der die Mutter derart erschreckt, daß sie aufhört. Morgen muß Erika ein Pflaster über der abgeschabten Kopfhautstelle tragen ...
Im Unterricht bricht sie einen freien Willen nach dem anderen. Doch in sich fühlt sie den heftigen Wunsch zu gehorchen. Dafür hat sie dann ihre Mutter zuhause.
Einen flüchtigen Moment lang hat sie das Bedürfnis, den Kopf des Schülers bei den Haaren zu packen und ins Leibesinnere des Flügels zu schmettern, bis das blutige Gedärm der Saiten kreischend unter dem Deckel hervorspritzt.Was sie jedoch auslebt, ist Autoaggression, sie ist eine Ritzerin.
SIE sitzt allein in ihrem Zimmer, abgesondert von der Menge, die sie vergessen hat, weil sie so ein leichtes Gewicht ist. Sie drückt auf niemand. Aus einem vielschichtigen Paket wickelt sie sorgfältig eine Rasierklinge heraus. Die trägt sie immer bei sich, wohin sie sich auch wendet. Die Klinge lacht wie der Bräutigam der Braut entgegen. SIE prüft vorsichtig die Schneide, sie ist rasierklingenscharf. Dann drückt sie die Klinge mehrere Male tief in den Handrücken hinein, aber wieder nicht so tief, daß Sehnen verletzt würden. Es tut überhaupt nicht weh. Das Metall fräst sich hinein wie in Butter. Einen Augenblick klafft ein Sparkassen-Schlitz im vorher geschlossenen Gewebe, dann rast das mühsam gebändigte Blut hinter der Sperre hervor. Vier Schnitte sind es insgesamt. Dann ist es genug, sonst verblutet sie.Ihre verdrängte Sexualität lebt Erika als Voyeurin aus. Sie besucht Peepshows, sie geht in Pornokinos und sie stalkt Liebespaare in den Wiener Praterwiesen.
Den zweiten langen Teil des Romans nimmt eine "Beziehung" mit dem etwa 20-jährigen Klavierschüler, Technikstudenten und Wildwasserpaddler Walter Klemmer ein. Es sei ein Band der Verachtung, das die beiden verbinde. Klemmer fühlt sich sexuell von der 36-Jährigen nicht nur aufgrund ähnlicher Kunstauffassungen extrem angezogen und hat den knallharten Willen, sie zu "Liebe" zu zwingen. Die Eskalation beginnt, als Klemmer versucht, Erika im WC einer Schule, in der das Orchester probt, zu "nehmen". Erika spielt mit ihm, hält ihn auf Distanz, masturbiert ihn bis knapp vor dem Orgasmus und lässt ihn dann mit Schmerzen in den Lenden stehen.
Doch schreibt sie ihm einen Brief, was sie von ihm sexuell will. Es sind masochistische Fantasien, von denen sie nicht sicher ist, dass er sie wirklich umsetzen soll. Klemmer soll sie in der Wohnung ihrer Mutter fesseln, knebeln und Vergewaltigung andeuten. Im Beisein ihrer Mutter. Er liest den Brief bei Erika und kann nicht glauben, dass sie das ernst meine. Andererseits dämmert ihm, dass Erika nur ihre eigene masochistische Befriedigung verfolge und null Interesse an seinen eigenen Bedürfnissen habe.
Die Eskalation beginnt, als Erika ihm in der Putzpersonalkammer des Konservatoriums einen bläst, wieder nur an sich denkt und ihn nur noch ekelt. Nun sinnt er nach Rache.
Er erfährt an seinem Leibe, und sie soll es am eigenen Leib erfahren, was es heißt, Spiele ohne Ziele mit ihm zu treiben. Packungen ohne Inhalt ihm anzudrehen.Am Abend besucht er Erika in ihrer Wohnung, sperrt die Mutter in das Wohnzimmer und vergewaltigt Erika am Flur. Am nächsten Morgen packt Erika ein Fleischmesser in ihre Tasche und geht zur Technischen Universität. Sie ist nicht sicher, ob sie Klemmer wirklich abstechen will. Klemmer steht vor der Uni in einer Gruppe mit Studentinnen, Erika geht ins Gebäude, sticht sich selbst in die Schulter und geht.
Erika weiß die Richtung, in die sie gehen muß. Sie geht nach Hause. Sie geht und beschleunigt langsam ihren Schritt.Dies sind die Schlusssätze dieses von der zeitgenössischen Kritik begeistert aufgenommenen Romans, der nicht nur wegen seiner offen dargelegten Psyche der Hauptfiguren für Aufruhr sorgte, sondern vor allem wegen des sachlich-distanzierten Stils (siehe Beispiele) als literarisches Meisterwerk gesehen wurde. Der Weg zum Nobelpreis 20 Jahre nach diesem Roman ist gelegt.
Verfilmt wurde der Roman 2001 von Michael Haneke, den ich aber (noch) nicht gesehen habe.