Neulich am Balkon trat ein Schatten aus der Schwärze der Nacht zu mir hin und fragte, ob ich ein Freigeist sei. Untermalt von schauriger Musik aus jahrealten Boxen wunderte ich mich kurz. Dann fragte ich was denn ein Freigeist sei.
Der Schatten lachte laut und lange. Und sagte dann:

Ein Freigeist ist der, der auf die Straße tritt und plötzlich im größten Menschenhaufen aufschreit und sich selbst in einem entlarvendem Dialog offenbart.

Er sollte Benzin saufen und Gitarren fressen. Er sollte Fetten ihre Fettigkeit demonstrieren indem er grunzend an ihnen vorbeikriecht. Er sollte aus Protest Nazi werden. Er sollte wahnsinnige Höhenflüge ausnutzen und Frauen, die sich in seine Nähe wagen verbal belästigen. Er sollte unbedingt auf Satzzeichen verzichten Er sollte rote Ampeln mit der Axt niedermähen. Er sollte grüne Ampeln in ihr grünes Auge ficken.

Er sollte Gläser zertrümmern und lachend Kerzenwachs über seinen Körper gießen. Er sollte in der Kirche niederknien und im Beichtstuhl Huren penetrieren. Er sollte an nichts glauben. Nur an sich - aber ein kleines Schlupfloch offen lassen, falls sich herausstellt, dass er selbst die größte Erfindung ist.

Er sollte auf Gräbern Lines ziehen, er sollte Fernsehtürme sprengen. Er sollte jedem, der nicht grüßt ins hässliche Gesicht spucken. Er sollte jedem, der grüßt die Fresse polieren.
Er sollte mit wahnhaften Hasstiraden fröhliche Menschen verzweifeln lassen. Am besten nachts. Nahe des verlockenden Balkonabgrunds.

Und ich sagte:
Ey, Mann. Ich glaube nicht, dass ich das kann
Und er nur:
Ich kanns und tu's. Du auch?

Und ich habe ihm klar gemacht, dass er eine Erfindung ist und an sich selbst glauben daher sinnlos. Und dass er zwar frei und ein Geist ist, aber nur ein Geist frei erdacht von mir. Er möge sich bitte verpissen und es tunlichst vermeiden sich wieder blicken zu lassen. Mit gesenktem Haupt sprang er von der Brüstung. Habe ihn seitdem nie wieder gesehen. Jetzt vermisse ich ihn manchmal.